Gute Nachtgeschichten

Das verpatzte Frühstück

verfaßt 1985

Tock, tock, tock.

"Herein!"

Tock, tock.

"Herein!!!"

"Guten Tag, äh, ich möchte gerne meine Steuererklärung abgeben,"

"Name ?"

"Raspe, Jan-Karl Raspe."

"Mit weichem oder scharfem "s"?"

" Mit weichem "s"."

'Dann bin ich nicht zuständig, sondern mein Kollege nebenan. Egon kannst du den Herrn grad` mal abfertigen?"

-Egon räuspert sich unwillig, packt die Frühstückstupperware zur Seite. -

"Gut, dann treten Sie mal näher, Herr Raspe. -Mmmmh, ich hab` doch Ihr Fahndungsfoto neulich grad` in der Bildzeitung gesehen, Sie sind doch dieser Terrorist!"

"Ach, was die Zeitungen alles so schreiben....... alles Sensationsmache..."

"Da auf dem Fahndungsfoto, mit Oberlippenbärtchen, da haben Sie irgendwie fescher ausgesehen....'

"Ruhe, Fräulein Obermüller, ich führe hier die Verhandlung. Also Herr Raspe, wollen Sie hier eine Erklärung, ich meine, wollen Sie Ihre Steuererklärung hier abgeben? Für etwas anderes bin ich nicht zuständig, verstehen Sie ?!"

"Selbstverständlich! Ich will nur meine Steuererklärung hier abgeben. Trotz aller Meinungsdifferenzen mit den Staatsorganen möchte ich meinen Pflichten als Steuerzahler genüge tun. Meine Steuern kommen ja auch wenigstens zum Teil den werktätigen Massen zugute, und auch meine Herkunft aus einem protestantischen Elternhaus vermag ich nicht zu leugnen, Also kurz gesagt: obwohl ich auf der Fahndungsliste stehe, drängt mich mein Gewissen dazu, die von mir im Laufe des Jahres durch verschiedene Betätigungen erzielten Einkünfte korrekt anzugeben...."

"Gut, gut, zu den Details kommen wir gleich, auf dieser Basis können wir miteinander auskommen."

"Eine Befürchtung habe ich: durch den Staat bin ich ja immerhin bekannt geworden; meine Popularität verdanke ich den bewußten Fahndungsfotos. Nur, ich hab` Bedenken, wenn Sie meine Personalien aktenkundig machen und wegen der Belohnung, die auf mich ausgesetzt ist..... Immerhin stehe ich ganz oben auf der Fahndungsliste des BKA, und die Bullen haben mich durch halb Deutschland gehetzt..."

"Polizisten möchte ich doch wohl gehört haben, Herr Raspe, keine Beamtenbeleidigung"
Die Kollegen der Wache von nebenan tun genauso ihre Pflicht wie ich an diesem Platze.'

"Entschuldigen Sie bitte."

"Nun gut,ich habe es nicht gehört.
Was Ihre Befürchtungen anbelangt, so kann ich diese zerstreuen: Belohnungen sowie materielle Zuwendungen jeder Art darf ichin Äusübung meines Amtes grundsätzlich nicht annehmen, und vor der Weitergabe persönlicher Daten schützt Sie voll und ganz das Steuergeheimnis gemäß § 30 Abgabenordnung. Voraussetzung, Herr Raspe, ist natürlich, daß Sie Ihre steuerlichen Verhältnisse dem Fiskus voll und ganz offenlegen. (räusper). -
So, haben Sie denn schon was ausgefüllt? Verstehe nicht, daß die Leute mit unseren amtlichen Vordrucken immer so viel Schwierigkeiten haben?l
Beginnen wir mal mit den persönlichen Angaben..... Wohnort, hmmm, Sie ziehen ja schon Ihres Berufes wegen oft um. Vielleicht bin ich nächsten Monat schon gar nicht mehr örtlich zuständig. Nein?! Sie bleiben erstmal dort ?! Naja, egal; ich will Sie jetzt nicht mehr weiterschicken; schließlich sind wir ja eine bürgernahe Verwaltung.-

Die Nummer vom Bankkonto müssen Sie hier eintragen, für etwaige Erstattungen an Sie; aber wie ich sehe wird's wahrscheinlich eine Nachzahlung....-

So. was haben wir denn hier: Volksbank Tuttlingen: 25.000 DM; in der Zeitung, sogar in der FAZ - war aber zu lesen, daß die Beute 35.000,- DM betrug; wie erklären Sie die Differenz? Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß ich Sie -,.falls Sie die Beträge nicht lückenlos angeben - der Steuerstrafsachenstelle melden kann und daß gegebenenfalls Hinterziehungszinsen gegen Sie festgesetzt werden können.- Also, was ist mit dem Betrag von 10.000 DM?"

"Äh, das haben wir auf der Flucht verloren, die Gudrun und ich, als die Bu- äh, die Polizei uns verfolgt hat. Weil wir nicht alles tragen konnten, haben wir mehrere Geldbündel ins Gebüsch geworfen und hinterher haben wir den Busch nicht mehr gefunden, wirklich."

"Na gut, ich führe die Veranlagung am besten unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach
§ 164 Abgabenordnung durch und schicke anschließend einen Außenprüfer dorthin, damit an Ortsstelle eine Inaugenscheinnahme nach § 92 der AO erfolgen kann.
Naja, wenigstens haben Sie die übrigen Einkünfte aus Banküberfällen ordnungsgemäß erklärt so wie es in det Zeitung stand:
Bezirkssparkasse Böblingen: 40.000 DM Einnahmeng ohne Umsatzsteuerausweis;
da haben Sie Glück gehabt, denn sonst hätten Sie die Umsatzsteuer gemäß § 14 Abs, 3 Umsatzsteuergesetz geschuldet.... und -Raiffeisenbank Geislingen: 30,000 DM brutto, das klingt glaubhaft, das kann ich abhaken, so und nun die nächste Anlage: Erpressungg Geiselnahme, Scheckbetrug, sehr gut, nach einzelnen Positionen getrennt und in chronologischer Reihenfolge aufgezeichnet. Wenn nur alle Steuerpflichtigen dies so übersichtlich gestalten würden, dann wäre uns schon geholfen; das dient dem Prinzip der Bilanzklarheit. Wie bitte ?
Natürlich können Sie auch Ihre Kosten geltend machen, der Fairneß halber sage ich Ihnen das ganz offen......aber das geht nun wirklich nicht: ohne Belege kann ich die tatsächlichen Autokosten nicht anerkennen, sondern nur den Reisekostenpauschbetrag ansetzen; der beträgt 0,42 DM für Ihre gewerblich bedingten Reisen, natürlich nur für die Fahrten, die Sie als Terrorist für die "Bader-Meinhof-Bande..",

"Ich möchte doch sehr bitten: "Bader-Meinhof-Gruppe" wenn schon, denn schon!"

"Von mir aus auch Gruppe, an der Gewerblichkeit der Einkünfte ändert sich hieran nichts; also, Discobesuche mit Gudrun, Ulrike oder Andreas sind steuerlich nicht abzugsfähig.
Na gut, wenn Sie jemanden vom Arbeitgeberlager entführt haben, steht die berufliche Veranlassung der Fahrten wohl außer Zweifel.
Die Abschreibung muß ich Ihnen allerdings herausstreichen da diese nur vom Eigentümer geltend gemacht werden kann, was bei Ihnen ja nicht zutrif'ft, da Sie nach Aktenlage die Autos vorher entwendet haben.- Keine Widerrede, Herr Raspe, ohne Kfz- Brief und Zulassungspapiere erkenne ich keine Abschreibung an! Es gibt hier eherne Grundsätze!-

So, was haben wir hier noch: Generalstabskarte, Verkleidungen und Kostüme, Äufwendungen für Pässe, Gaspistolen, Büromaterial.,. ohne Nachweise wird dies alles mit einer Pauschale von 150,- DM abgegolten,

Ich rate Ihnen, künftig sämtliche Belege, Quittungen etc. aufzubewahren.....

Bewirtungskosten "BILD-Zeitung", 500,- DM wg. Spanferkelessen mit P. Boenisch, was soll das?"

"Die berufliche Veranlassung war gegeben, da BILD von uns die besten Stories bekommt und für uns wiederum public relations betreibt, und Pete hängt immer noch an seinen alten Kumpels, hat die besten connections zur Presse, wenn er bloß nicht die Inge dauernd angemacht hätte auf der gemeinsamen Fete mit den BILD-Schreiberlingen; das Spanferkel war knusprig und die Story gut, wir haben uns mit Ketchup noch blutrünstig hergerichtet, damit die Jungs auch fotomäßig was hatten....

"Gut, gut, ich hab' nicht so viel Zeit, mir alle Einzelheiten anzuhören, mich-interessiert nur die steuerliche Würdigung des Sachverhaltes, werde mir einen Vermerk machen und ggf. ein Auskunftsersuchen gemäß § 93 Abgabenordnung an die BILD-Zeitung richten, vielleicht hat ja auch die Zeitung lhnen die Kosten voll erstattet?"

'Nein, nein, um Gottes willen nein, wir haben das Spanferkel selbst finanziert, wir hatten doch die Knete aus dem letzten Banküberfall... ",

"Gut, gut, der Betrag ist ja auch nicht so hoch......- aber was ist das hier für ein Beleg, dieser Beleg mit den unleserlichen Schriftzeichen, ist das ein arabisches Dokument, diese komischen Schnörkel?!"

"Das betrifft eine Dienstreise zu einem Ausbildungsseminar der PLO in Nordlibanon. Ich leg' Ihnen das Programm als Nachweis vor, meine Teilnahme am Scheibenschießen und am Rhetorikseminar ist sogar jeweils abgestempelt.

Jetzt hab' ich Sie ! Sie vollen mir doch nicht weismachen, daß Sie drei Wochen am Mittelmeer waren ohne zu baden! Ich glaub` Ihnen die rein militärische Veranlassung nicht! Ohne zu baden... lachhaft...."

"Ich versichere an Eidesstatt, daß ich nicht gebadet habe, obwohl es heiß und staubig war.
Und es gab nur Brot, dazu Eintopf mit Innereien und Linsen. Und Bier galt als westlich-imperialistisch."

"Nein, ich streich`s Ihnen raus, schon weil die Amtssprache gemäß § 87 Abgabenordnung Deutsch ist. Gehen Sie zur Botschaft und besorgen Sie sich eine beglaubigte Ubersetzung, dann diskutieren wir im Einspruchsverfahren weiter...."

"Erkennen Sie wenigstens die Kalaschnikow an?!"

'Na gut, dies ist zweifellos ein Arbeitsmittel, das Sie zur Ausübung Ihres Gewerbes benötigen, es sei denn, Sie hätten auch private Feinde, was ich Ihnen aber nicht unterstellen will,oder?"

'Nein, nein, nur der Imperialismus, die Konzerne und die Staatsgewalt sind unsere Feinde, wir lieben doch das arbeitende Volk!"

"Wenn Sie die Kalaschnikow in Ostmark bezahlt haben, rechne ich natürlich um auf harte DM, also, die Ausgaben werden doch ein wenig gekürzt, so etwa auf ein Viertel... " (hüstel)

"Sie Blutsauger!"

"Das will ich nicht gehört haben, wenn Sie schon rauben und morden, soll dies nicht finanziell zu Lasten der Allgemeinheit gehen. Ich hab' ja auch meine Verantwortung gegenüber dem kleinen Lohnsteuerzahler, der anders als Sie schon dem Lohnsteuerabzug beim Arbeitgeber unterworfen ist, es sei denn, Moskau wäre Ihr Arbeitgeber!"

"Nein, wir sind doch keine Sozialrevisionisten! Auch die Metropolen des Ostens sind beteiligt an der Weltverschwörung zur Ausbeutung der werktätigen Massen. Wie die IV. Internationale bei ihrem Volkskongreß 1957 richtig erkannt hat ... "

"Bitte keine Theorien, schon die Systematik des revidierten Einkommensteuerrechtes mit seinen zahllosen Ergänzungsgesetzen, Durchführungsverordnungen, Richtlinien und Billigkeitsregelungen ist mindestens so kompliziert wie das "Kapital" oder was immer Sie da in Ihren konspirativen Zirkeln oder Studentenbuden lesen.Ich will jetzt zum Ende kommen, lassen Sie mich mal den Mantelbogen sehen, hmmm, Versicherungsaufwendungen, Bausparkassenbeiträge, ja, kann man abhaken, das sind ja keine großen Summen! Keine Kirchensteuer? Na. das hätt' ich auch nicht von Ihnen erwartet, haha. Spenden nach Nicaragua? Njet, keine ordnungsgemäße Spendenbescheinigung; ich geb` Ihnen den guten Rat, daß diese Organisationen sich bei meinem Kollegen als gemeinnütziger Verein anerkennen lassen; bisher sind die Sandinistas vorerst mehr gemein als nützig, hahaha."

"Was soll ich mit diesen zusätzlichen Vordrucken?"

"Das, Herr Raspe, sind amtliche Vordrucke für das Umsatzsteuervoranmeldungsverfahren. Sie und Ihre Freunde und Freundinnen haben monatlich so hohe Umsätze, daß Sie regelmäßig Umsatzsteuervoranmeldungen abgeben müssen, so hier noch ein Schwung Anmeldungen, dazu Vordrucke zur Gewerbesteuererklärung, zur Vermögensteuererklärung und zur Erbschaftsteuererklärung, ab und zu wird ja der eine oder andere Mitstreiter erschossen, nicht zu vergessen die 5ciiaumweinsteuer nach gelungenen Attentaten, die Leuchtmittelsteuer für Leuchtpistolen und Signalwaffen, die Spielkartensteuer für lange Winterabende im konspirativen Verstecken und die Zündholzsteuer für die selbstgefertigten Molotowcocktails, aber damit will ich Sie nicht erschrecken, genauso wie die Vergnügungssteuer für das "klammheimliche Vergnügen" sind das indirekte Steuern, und die zahlen Sie beim Einkauf automatisch, ohne daß Sie sich hierher bemühen müssen.
Sie wollen nicht mehr regelmäßig Banküberfälle ausiühren? Wenn Sie es mir glaubhaft versichern, dann reicht es, wenn Sie die Voranmeldungen vierteljährlich abgeben, werd' dann auch die zum Quartal fälligen Einkomnensteuervorauszahlungen niedrig festsetzen, rate Ihnen ohnehin zur Abgabe einer Einzugsermächtigung, da Sie ja viel auf Reisen sind. Noch Fragen? Wie lang es dauert? Na, mit sechs Wochen müssen Sie schon rechnen, die Daten werden ja erst mit Modem zur Datenverarbeitungszentrale gesandt, ich werde es gerne bevorzugt weiterleiten, andererseits rechne ich mit einer Nachzahlung .... kurz und gut, ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie nicht zu oft deshalb anrufen würden, manche Steuerzahler greifen so alle drei Tage zum Telefonhörer; ich sag' denen immer, ich kann's doch auch nicht schneller machen, die Daten sind beim Rechenzentrum-.... keine Einsicht haben manche Leute. Wie gesagt, Herr Raspe, es gibt solche und solche, Sie gehören zur zweiten Kategorie, hat mich gefreut, Sie kennenzulernen, wenn Sie das nächstemal im Fernsehen sind, dann kann ich mir schon eher die Person vorstellen, senden`s mir doch gelegentlich ein Autogramm, ja, freilich, auch mit der Amtspost, unterliegt ja alles dem Steuergeheimnis, aber zahlen's auch pünktlich, sonst garantiere ich für nix; nichts für ungut, Herr Raspe, ich tu ja nur meine Pflicht, Wiedersehen."

Ein kräftiger Handschlag unter Männern, Jan-Karl Raspe verläßt die Amtsstube leise fluchend, brummelt etwas vom "Würgegriff des Kapitals" , " Gerade noch mal gut gegangen, alles hat der scharfe Hund doch nicht rausgekriegt", "die anderen werden schon warten, das Gelaber von dem Staatsheini" .... verschwindet in einer dunklen Seitengasse.....

"Von wegen bevorzugt abliefern, So weit kommt's noch, daß Terroristen besser behandelt werden als wir anständigen Leit! Was mich der Typ mit seinem PLO-Seminar genervt hat, fast so schlimm wie ein Lehrer oder Pfarrer, alte protestantische Bürgersleute, daß ich nicht lache. Aber immerhin, am Schluß war er sooo klein mit Hut, nicht wahr, Fräulein Obermüller! Es ist lang her, daß wir mal einen Prominenten da hatten, seit dem Altbürgermeister und diesem komischen Schlagersänger. Nein, einen Terroristen hatten wir wirklich noch nicht, Typisch für diese Kerle, daß Sie sich nicht an die Frühstückszeiten halten. Partnertausch in ihren Kommunen, das machen sie wahrscheinlich auch, Saubande .....
Aber unter uns gesagt, Fräulein Obermüller: tauschen möcht' ich mit dem nicht, immer auf der Flucht, keine Zeit, das Geld auszugeben, dazu das beladene Gewissen, nein, dazu hätte ich nicht die Nerven. "Bleibe im Lande und nähre dich redlich" wie der Lateiner sagte das war doch ein Witz, Fräulein Obermüller." Naja, dann erst mal her mit den Buttersemmeln, Prost Mahlzeit und danke für den Kaffee!"

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§ 42 Abgabenordnung
"Für die Besteuerung ist es unerheblich, ob ein Verhalten, das den Tatbestand eines Steuergesetzes ganz oder zum Teil erfüllt, gegen ein gesetzliches Gebot oder Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt."

Copyright: Burkhard Heidkamp 1985