Gute Nachtgeschichten

Regen, Reis und Reminiszensen

unsere vierte Reise nach Südostasien


verfasst 1999


Inhaltsverzeichnis

03. Juli Flug von Frankfurt nach Singapur - 5-
04. Juli Jetlag in Singapur -8-
05. Juli Auf Sentosa Island -18-
06. Juli Singapur zum Dritten -24-
07.Juli Weiterflug nach Bali -28-
08.Juli Candi Dasa -33-
09.Juli Ausflug nach Besakih -38-
10.Juli Auf eigene Faust an der Ostküste -44-
11.Juli Ubud und viele Tiere -49-
12.Juli Batur Lake und Rendang -56-
13.Juli Schiff ahoi in Padangbai! -60-
14.Juli Kunstmarkt in Sukawati -64-
15.Juli Ausruhen vor der Bergtour -68-
16.Juli Besteigung des Gunung Agung -70-
17.Juli Faulenzen und Bummeln -79-
18.Juli Going to the Philippines! -81-
19.Juli Manila – wieder bei der Familie -84-
20.Juli Manila Bay -92-
21.Juli Abenteuerlich nach Busuanga Island -94-
22.Juli Coron City und viel Regen -101-
23.Juli Bootstour nach Coron Island -103-
24.Juli Zurück nach Quezon City -109-
25.Juli Bei Gerry und Marylin in Novaliches -113-
26.Juli Quiapo und „S&M“ -118-
27.Juli Divisoria und Faulenzen -120-
28.Juli Inocencios letzter Geburtstag -122-
29.Juli Wieder Einkaufen -127-
30.Juli In Makati und bei Onkel Eddy in Santa Ana -128-
31.Juli Mit Ana und Boy im Zoo in Quezon City -134-
01.August Ausflug zum Taal – Lake -137-
02.August Manila – Singapur - Frankfurt -141-

Prolog

Nach sechs Jahren flogen wir wieder einmal nach Asien.
Der Zauber der Insel Bali hatte mich seinerzeit in Bann geschlagen, und ich wusste, dass ich diese Insel noch einmal wiedersehen musste.
Auch diesmal wollten wir den Besuch Balis mit einem Wiedersehen mit Irmas Familie auf den Philippinen kombinieren.

Bei der Vorbereitung der Reise leistete meine Kollegin Corina - ebenfalls vom Geiste Balis beseelt und dazu sachkundig im Planen von Reisen zu jedem Punkt dieser Welt - wieder einmal wertvolle logistische Hilfe.

Es stellte sich nämlich heraus, dass die Buchung des Fluges nicht ganz einfach war.
Zunächst einmal mussten wir die richtige Fluggesellschaft finden und ein Reisebüro, welches unsere Flugpläne realisieren konnte.
Unsere Planung sah nämlich wie folgt aus:
3 Tage Singapur, 11 Tage Bali und dann wenigstens noch 14 Tage Aufenthalt auf den Philippinen; summa summarum mindestens vier Wochen Urlaub.
Damit war schon festgelegt, dass wir diesmal in den Sommerferien fliegen mussten; denn sowohl Oster- als auch Weihnachtsfreien sind ja auf maximal drei Wochen begrenzt.

Nachdem Philippine Airlines kurz vorher seinen Flugbetrieb nach Europa eingestellt hatte, die indonesische Staatsgesellschaft Garuda nicht den besten Ruf hat und in den roten Zahlen steckt; die australische Quantas nicht nach Manila fliegt und Thai Airways die Kombination Bali und Philippinen ebenfalls nicht auf dem Routing hat, blieb eigentlich nur noch Singapore Airlines als in Betracht kommende Fluggesellschaft übrig.
Aber das war keine schlechte Aussicht, denn diese Fluggesellschaft ist bekannt für ihre Sicherheit und den guten Service einschließlich der huldvoll lächelnden mandeläugigen Stewardessen.

Das kleine Mühlheimer Reisebüro, das wir zunächst mit der Ausarbeitung der Reise beauftragt hatten, erwies sich als überfordert.

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Bei dem von Corina empfohlenen Reisebüro in Dietzenbach fanden wir mehr Sachkompetenz und in Gestalt der temperamentvollen Eigentümerin Frau Wigger eine freundliche und geduldige Fachfrau, die nebenbei noch von Christians exotischem Aussehen entzückt war.

An unserem Hochzeitstag, dem 11. Februar, buchten wir bei Frau Wigger dann für Anfang Juli bis Ende August die gewünschte Reise, wobei der Aufenthalt auf den Philippinen 16 Tage betragen sollte.

Für Singapur buchten wir für drei Tage ein Stopover im „Garden Hotel“.
Unsere ständige Unterkunft in Bali sollte das „Candibeach Cottage Hotel“ in Candi Dasa im Osten Balis werden.
Dort hatten sich Corina und Peter in 1994 aufgehalten und waren sehr zufrieden gewesen.

Von Balis internationalem Flughafen bei Denpasar musste der Weiterflug nach Manila über die Drehachse Singapur erfolgen, diesmal aber ohne Aufenthalt.
In Manila angekommen wollten wir für drei Nächte im „Holyday Inn“ bleiben und danach entscheiden, ob wir da nach bei den Verwandten oder in einem preiswerten Hotel logieren wollten.

Nach der guten Beratung im Dietzenbacher Reisebüro konnten wir uns zurücklehnen und ein paar Monate auf die Reise freuen.

Von Frau Blissing, einer Kollegin, die in einer anderen Abteilung im Finanzamt arbeitet, kam dann noch der Tipp, die Insel Busuanga im Norden der großen Insel Palawan, einer abgelegenen Provinz der Philippinen, zu besuchen.
Dort hatte sie mit ihrem Mann, einem begeisterten Taucher und Filmer, einen unvergesslichen Urlaub verbracht.

Den Urlaubsfilm sah ich im „Offenen Kanal“, einem lokalen Fernsehkanal der Rhein- Main-Region, wo Hobbyfilmer ihre Filme vorführen.
Die Landschaft in diesem abgelegenen Teil der Philippinen gefiel uns im Film so gut, dass wir beschlossen, dort auch für ein paar Tage zu verweilen und die Korallenbänke zu erkunden.

Am Samstag, dem 3. Juli, war es dann endlich soweit.
Die Reise konnte beginnen!

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03.Juli 1999

An einem sonnigen Sommermorgen beladen wir unseren Vectra mit drei großen Koffern, zwei kleineren Reisetaschen mit Griff zum Ziehen, meinem vertrauten grünen Rucksack und anderem Handgepäck.
Die Koffer haben wir nicht bis zur Schmerzgrenze beladen, da wir in Bali ein paar Mitbringsel und in den Philippinen Kleidung erwerben wollen.
Andererseits haben wir in unserem Gepäck das ein oder andere Geschenk für unsere Verwandten auf den Philippinen und auch Medikamente für den erkrankten Vater von Irma.
Zwei große „Balikbayan-Boxen“ (große Pakete) in denen wir Lebensmittel wie das auf den Philippinen sehr beliebte Corned Beef, Milch (sehr teuer dort mangels Milchkühen), Shampoo, Seife, Handtücher, Schokolade, Instant-Kaffee usw. verstaut haben, haben sich schon vor zwei Monaten auf dem Seeweg auf die Reise gemacht.
Wir hoffen, dass die Boxen schon da sein werden, wenn wir am 18.Juli nach Plan auf den Philippinen eintreffen werden.
Balikbayan heißt übrigens „Heimkehrer“, damit sind die vielen Filipinos und Filipinas gemeint, die im Ausland ihre Brötchen, besser gesagt, den Reis verdienen und von denen im Mutterland ganze Familien abhängig sind.
Ach ja, diesmal haben wir auch eine Video-Kamera im Gepäck, die ergänzend zum Fotoapparat unsere Eindrücke festhalten soll. Allerdings habe ich nicht vor, die Welt nur noch durchs Kameraobjektiv zu betrachten; ein Film kann nie alle Eindrücke der Sinne wiedergeben, bei einem so vielfältigen Kontinent wie Asien schon gar nicht !

Mit dem Auto fahren wir zum S-Bahnhof Mühlheim, entladen das Gepäck; Irma und Christian lösen Fahrkarten am Bahnsteig, und ich fahre das Auto zurück in die Garage, wo es die nächsten viereinhalb Wochen gut behütet schlummern wird.

Dann muß ich mich sputen, denn acht Minuten nach zehn Uhr ist die Abfahrt der
S-Bahn, und ein paar Zeitreserven benötigen wir am Flughafen noch.

Es ist Samstag, kein Berufsverkehr, und deswegen finden wir noch Platz für unsere Berge von Gepäck.
Mittlerweile fährt die S-Bahn ja die Strecke von Hanau bis Wiesbaden und hält natürlich auch am Flughafen, so dass wir nicht umsteigen müssen.

Wir finden sowohl das richtige Terminal als auch den Schalter der Singapore Airlines, wo wir ohne lange Wartezeit unser Gepäck aufgeben, hoffentlich nicht für immer!
Unser Flieger wird sich mittags in die Lüfte erheben; 13.03 Uhr soll der Start sein.
Wir trotten mit unserem Handgepäck Richtung Gate 48.

Es ist schön, wieder den Duft der weiten Welt zu schnuppern und den Flughafen nicht nur wehmütig als Tagesbesucher zu erleben, sondern sich selbst in einen der Silbervögel zu begeben und zu entlegenen Plätzen der Welt aufzubrechen!

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Anscheinend verzögert sich der Start doch; es ist gegen 13.30, als wir alle dann endlich einsteigen.
Das neue Abenteuer kann beginnen!

Christian ergattert sich natürlich den Fensterplatz und ist erfreut, dass die herausnehmbare Fernbedienung in seiner Armlehne außer der Wahl von Musik- und Kinoprogrammen auch Zugang zu Konsolenspielen (a la „Super-Mario“) eröffnet, wobei er betont, dass er jetzt zum Konkurrenten „Playstation“ gewechselt ist.

Unser Flugzeug ist eine Boeing 727 (?) MEGA-Top.

Wir machen es uns in den Sesseln bequem.
Jeweils in der Rückenlehne des Vordermannes ist der Fernsehbildschirm eingearbeitet. Auf einem speziellen Videokanal lässt sich die Route auf globalen und detaillierten Kartenausschnitten mitverfolgen. Der bisher zurückgelegte Flugweg ist dann als rote Linie zu erkennen, die von einem kleinen, gelegentlich ruckenden Flugzeugsymbol angeführt wird.

Aber so weit ist es noch nicht.
Noch liegen 10.289 Kilometer Flugstrecke, die Non-Stop zurückgelegt wird, vor uns, bis wir Singapur erreichen werden.

Der Clipper rollt an, wird schneller und schneller, hebt die Nase und steigt in die Lüfte. Es ist immer wieder ein im wahrsten Sinne des Wortes erhebendes Gefühl, in die Lüfte zu steigen!

Wir gewinnen schnell an Höhe; auch dies lässt sich auf der Bildschirmanzeige mitverfolgen.
Schließlich werden wir in über 11.000 Metern Höhe mit einer Geschwindigkeit von etwa 960 Kilometern /Stunde die Lüfte durcheilen.
Aber Schallgeschwindigkeit wie die „Concorde“ erreichen wir nicht.

Wir fliegen zunächst über Prag; dann passieren wir Ungarn, Rumänien und verlassen Kerneuropa über dem schwarzen Meer.
Dann wird uns im Kaukasus hoffentlich kein rebellisches Bergvolk abschießen; leichtes Unbehagen auch angesichts des weiteren Weges über Iran, Afghanistan und Kaschmir.

Schließlich werden wir auf unserem neuzeitlichen fliegenden Teppich über indische Berge, Ebenen, Städte, Flüsse und Felder brausen.

Die Flugreisen lassen ja den Sinn für Entfernungen verkümmern; in ein paar Stunden wird ein ganzer Subkontinent mit einer Milliarde (Tausend mal Tausend mal Tausend) Menschen links liegengelassen, dann ein Zugvogeldasein über dem türkisblauen

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Andamanen - Meer mit seinen zu erahnenden zuckerweißen Eilanden; schließlich die Wälder und Berge der malaiischen Halbinsel; Minarette und Geschäftstürme, bis dann die Wolkenkratzer Singapurs am Horizont emporragen und das Ende der Reise gekommen ist.

Aber so weit ist es noch nicht.
Unsere Reise hat gerade erst begonnen.
Die geheimnisvoll lächelnden Stewardessen, mit denen Singapore Airlines wirbt, sind auch in Wirklichkeit schön und anmutig und rollen ihre Servierwagen durch die engen Gänge.

Es gibt sogar einen Becher Champagner; aber da es die meisten Passagiere nach dem edlen französischen Tropfen dürstet, müssen wir mit Bier, Mineralwasser und Orangensaft vorliebnehmen. (Auf den folgenden Flugetappen hatten wir dann mehr Glück, und auch die sonst so abstinente Irma ließ sich das aristokratische Getränk munden).

„Sir, you want beef or chicken?“ „Chicken, please“. Gerade hatte ich es mir bequem gemacht, und die Ohrhörer zusammengebastelt; Decke, Kamera und Singapore-Reiseführer verstaut; da müssen schon wieder neue Vorkehrungen getroffen werden, damit halbwegs Platz da ist.

Nach dem Essen - es nicht schlecht, besser als bei den amerikanischen Airlines - klinke ich mich in das Video-Programm ein.
Es läuft „Matrix“, ein recht düsterer Film über die Grenzerlebnisse zwischen realer Welt und „Cyberworld“. Der Film beeindruckt durch seine technischen Effekte und die Kampfszenen, in denen die Schwerelosigkeit aufgehoben zu sein scheint.
Leider verstehe ich den Sinn nicht ganz: gepflegtes Oxford-Englisch lesen und amerikanischen Slang hören sind verschiedene Paar Stiefel.

Ein paar weitere Filme folgen. Musikfetzen dringen aus dem Kopfhörer.
Ich stelle fest, dass ich die Fernbedienung nicht mehr aus der Armlehne herausbekomme.
Sie war eingerastet; anscheinend ist ein Stück Schnur mit hereingekommen. Jetzt sitzt sie bombenfest. Auch mit den Fingernägeln lässt sie sich nicht herausdröseln.
Ich sehe vor meinem geistigen Auge schon die Bordmechaniker in drohender Haltung: „Sie haben unser modernes Equipment ruiniert! Sie bezahlen diesen Sessel samt Elektronik!“
Zum Glück ist nie eine Rechnung gekommen.
Seitdem bin ich sehr vorsichtig mit Fernbedienungen..

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04.07.1999

Es wird Nacht. Die Klappen an den Fenstern sind heruntergelassen.
Vor den Toiletten herrscht ein kleiner Stau.
Wir sind über Südasien geflogen, und langsam steht die Landung in Singapur an.
Millimeterweise rückt das kleine weiße Flugzeug auf der projektierten Karte vor.

Dann geht die Maschine in den Landeanflug über. Ein leichter Druck legt sich auf die Ohren.
„The weather is quite normal, some rain, about 27 ° C.“, so die sonore Ansage des Flugkapitäns.
Vorne an der bunten Projektionswand huschen jetzt bunte Bilder aus einem
Singapur - Werbefilm vorüber.

Es geht jetzt ganz schnell, ein kurzes Rütteln, und wir sind in Singapur gelandet.
Die Ortszeit beträgt 6.45 Uhr am Vormittag.
Wir sind müde, gleichzeitig aber neugierig.
Der Flughafen macht einen modernen und sauberen Eindruck. Es liegt tatsächlich nicht ein Zigarettenstummel oder ein Papierschnipsel herum; überall wird peinlich auf Reinlichkeit geachtet, so dass es auszuprobieren wäre, vom spiegelglatten Boden zu essen...

Es ist leicht, sich zurechtzufinden. Irma will hier ihre Schwester Liza treffen, die bei einem befreundeten älteren Ehepaar Urlaub macht.
Ein erster Versuch, dort anzurufen, schlägt fehl; wahrscheinlich ist es noch zu früh.
Dann brechen wir am besten erst einmal ins Hotel auf. Die Müdigkeit macht sich jetzt stärker bemerkbar.

Am Einreiseschalter, dem Immigration Office, geht es schnell und zügig.
Einer der Beamten hilft uns sogar beim Ausfüllen der Einreisedokumente.
Wir tauschen ein bißchen Geld, der Kurs steht so, dass es für 1 DM 0,87 Singapur $ gibt.

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Die Sonne ist aufgegangen; wir haben unser Gepäck wohlbehalten vom Band geholt und finden auch gleich ein Taxi, das uns ins „Garden Hotel“ (3 Übernachtungen zu je 108 DM, Frühstück für zwei Personen) bringen soll.
Das Hotel liegt etwas außerhalb des Stadtkerns Richtung Norden in der Balmoral Street.

Der Taxifahrer, chinesischer Abstammung wie 85% der Bevölkerung des Inselstaates, zieht uns gleich in ein Gespräch, wie das Taxifahrer eben so tun.,

Während wir vom Flughafen Changi Airport (1981 eröffnet), an der Küste entlang zur City fahren, fällt mir auf, wie grün Singapur ist. Überall säumen prächtige Tropenbäume den Straßenrand.
Die üblichen Billigquartiere und zusammengeschusterten Wellblechhütten südostasiatischer Metropolen fehlen, dafür recken sich Plattenbauten im Stil der 70er Jahre und kühle glänzende Bürotürme der 90er gen Himmel. Singapur boomt und boomt, erinnert an ein tropisches Frankfurt.

Der Fahrer erklärt uns, dass er zwei Kinder hat und mit seiner Familie eine Eigentumswohnung abbezahlt.
Der Staat subventioniert den Erwerb kleiner selbstgenutzter Wohnungen; dies wäre in Indonesien oder den Philippinen nicht vorstellbar.
Wohnraum ist teuer; eine Eigentumswohnung (kein Haus!) kostet zwischen 300.000 und 600.000 Singapur $; seine eher bescheidene Wohnung erhielt er zum Preis von 330.000 $. Noch teurer sind relativ gesehen aber die Autos.

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Begehrte Importautos wie Mercedes oder BMW kosten umgerechnet weit über 100.000 DM . Dazu muss jeder Führerscheininhaber wie ein Lufthansapilot(!) jährlich nochmals eine Fahrprüfung ablegen, um den Führerschein verlängert zu bekommen. Und das Volk akzeptiert diese Vorgaben, jahrelang gewöhnt an die „Ökodiktatur“ unter dem alten Autokraten Lee Kuan Yew, der mittlerweile die Amtsgeschäfte an einen jüngeren Nachfolger übertragen hat.

Von solchen ökologischen Regelungen würden fundamentalistische Grüne in unseren Breiten nur träumen und selbst Hardliner nicht wagen, ein solches Thesenpapier herauszubringen, aber eine erzkonservative asiatische Regierung praktiziert dies ohne größeres Murren der Bevölkerung!

Aber dies geht wahrscheinlich nur in einer geschlossenen Gesellschaft wie sie Singapur mit dem neokonfuzianischen Weltbild der 78 % Chinesen verkörpert, und auch die starken Minderheiten der Inder (7% der Gesamtbevölkerung) und Malaien (14%) sehen wohl mehr die Vorteile Singapurs im Vergleich zu den ärmeren chaotischeren Nachbarländern.

Eine weitere Bedingung für die Umsetzung der patriarchalischen Politik der seit Jahrzehnten herrschenden People`s Action Party (PAP) ist, dass Singapur nur ein überschaubarer Stadtstaat ist.
Mit einer Fläche von 647 qkm ist Singapur kleiner als das Bundesland Hamburg
(748 qkm); allerdings leben dort fast 3 Millionen Menschen, während die Bevölkerung Hamburgs sich seit Jahren bei ca. 1,7 Millionen Menschen eingependelt hat.
Manila hat übrigens eine ähnlich kleine Fläche; dort leben sogar 10-12 Millionen Menschen!

Singapur war am 28.01.1819 von Sir Stamford Raffles, dem berühmten Pionier des britischen Kolonialreiches gegründet worden.
(Nach Raffles ist das berühmte Raffles Hotel im Herzen Singapurs sowie die größte Blütenplanze der Welt, die rote übelriechende Rafflesia, benannt).
Singapur gewann in der Folgezeit als strategisch wichtiger Hafen am Ausgang der Meeresstraße von Malakka immer mehr an Bedeutung.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wanderten immer mehr Chinesen als billige Arbeitskräfte ein; seit dieser Zeit stellen die Nachkommen dieser Zuwanderer die ethnische Mehrheit.
1887 wurden dort die ersten Kautschukbäume auf asiatischem Boden eingepflanzt; ein englischer Meisterdieb hatte sie heimlich aus Südamerika herausgeschmuggelt und das brasilianische Monopol gebrochen.
Im zweiten Weltkrieg wurde Singapur von den japanischen Invasionstruppen erobert, aber davon später...

Nach dem zweiten Weltkrieg blieb Singapur vorerst britisch.
1959 übernahm Lee Kuan Yew mit seiner PAP die Macht; bis heute hat keine andere Partei regiert!

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Die Unabhängigkeit erhielt Singapur zunächst in einem Staatenbund mit Malaya
(jetziges Westmalaysia), Sabah und Sarawak (auf Borneo).
Doch schon am 09.08.1965 (interessanterweise am 17. Geburtstag von meinem Kollegen Karl-Heinz) erklärte sich Singapur zur unabhängigen Nation, während der Rest der Föderation als Malaysia firmierte.

Die Chinesen Singapurs hatten wohl wenig Neigung, Minderheit in einem von Malaien dominierten größeren Staat zu sein, und ein urbaner kleiner Inselstaat mit Welthafen kann besser prosperieren als ein agrarisch strukturierter Flächenstaat.
So ist es dann auch gekommen: Singapur hat heute (1999) ein reales Bruttosozialprodukt pro Kopf in Höhe von 29.230 US-$;
zum Vergleich die Zahlen von Deutschland: 21.270 $,
Malaysia: 7.730 $,
Thailand: 6.490 $
Philippinen 3.670 $.
und Indonesien: 3.390 $.

Eine ganz richtige Insel ist Singapur auch nicht mehr, seit eine Brücke Singapur mit Malaysia, genauer: dem Bundesstaat Johore, verbindet.

Aber die Brücke ist ganz im Norden, und wir fahren zwar auch nordwärts, aber bald schon biegt unser Taxi in die Balmoral Street ein.
Es ist eine große, aber ruhige Straße, auch hier ragen große Tropenbäume rechts und links an der Straße empor.
Wir zahlen einen höheren Fahrpreis als er im Reiseführer steht; aber ich bin zu müde, um zu diskutieren. Im nachhinein war der Preis wohl auch nicht besonders überhöht, denn wir hatten etliche Koffer und Handgepäck dabei, und dieses Gewicht zählt extra.

Das Garden Hotel ist anscheinend ein Hotel der unteren Mittelklasse, da bin ich kein Fachmann.
Das Foyer ist recht großzügig angelegt, mit Springbrunnen und künstlichem Wasserfall.
Wir werden die Örtlichkeiten noch später erkunden.

Das Zimmer, zu dem wir mit dem Fahrstuhl gelangen, macht einen ruhigen, altmodischen und sauberen Eindruck.
Wir können in den Hof mit tropischem Garten sehen; der Swimming-Pool liegt verwaist unter uns; bei jetzt 25 ° und Regen scheint kein Badewetter zu sein,. Während unseres zweitägigen Aufenthaltes haben wir auch niemanden den Pool benutzen sehen.

Die Klimaanlage ist kühl, aber nicht zu kühl eingestellt.
Es ist jetzt später vormittag; natürlich wollen wir heute noch in die Kernstadt; aber vielleicht legen wir uns erstmal für ein Stündchen aufs Ohr.---------------

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Ach, das Stündchen Schlaf war erquickend; die anderen zwei werden auch gerade wach. Was zeigt die Uhr? Wir haben sechs Stunden geschlafen!
Der Körper hat sich genommen, was er brauchte, jetzt ist es schon 15 Uhr!
Wir machen uns frisch; dann starten wir unseren Ausflug zur Stadt.

Da ich mir eine Stadt gern erwandere, schlage ich Irma und Christian einen Spaziergang zur Orchard Road vor, der Hauptgeschäftsstraße Singapurs .
Dies müsste nach der Karte auch ganz gut zu Fuß zu schaffen sein.

Es herrscht für eine Großstadt eher wenig Autoverkehr. Fußgänger sind auch kaum unterwegs. Es kommt mir mehr wie ein Spaziergang durch eine deutsche Stadt vor als durch eine wuselnde asiatische City.

Aber dass wir nicht in Deutschland sind, merke ich an den mächtigen Urwaldriesen mit ihren knorrigen riesigen Wurzeln und exotischen Blüten, an denen ich mich nicht satt sehen kann.

Seitdem ich im Alter von drei Jahren in dem kleinen Dorf meiner ersten Lebensjahre einen Lieblingsbaum hatte, mag ich Bäume, und die Vielfalt des Regenwaldes hat mich besonders fasziniert.

Es ist schön, dass Singapur ein paar Urwaldbäume ins 20. Jahrhundert herübergerettet hat, und auf der Insel gibt es neben diversen botanischen Gärten auch noch halbwegs unberührte Wälder. Schade, dass wir nicht genug Zeit haben, die entfernteren grünen Regionen von Singapur zu besuchen.
Aber heute nacht wollen wir einen Abstecher zum Nachtzoo machen, schon, um den Jet-lag endgültig zu überwinden.

Wir wandern jetzt die Scotts Road entlang; der Autoverkehr nimmt zu.
Bevor Irma und Christian anfangen können zu murren, sind wir auch schon in der City, schon fast bei der Orchard Road: es ist die Far East Plaza; eines der großen Einkaufszentren der Stadt.

Dies ist das Signal zum Ausschwärmen für meine Familie: jetzt werden die ersten Geschäfte abgeklappert, und schon bald werden ein paar Turnschuhe für Christian erstanden.
Ich lasse derweil meine Blicke schweifen und die Seele baumeln.
Es ist schön, wieder in Asien zu sein, auch wenn es noch schönere Plätze als einen großen Kaufhaustempel gibt.

Endlich geht es weiter: es sind nur noch ein paar Schritte bis zur Orchard Road.
Diese erstreckt sich von hier bis weit ins Zentrum von Singapur, und wir verfolgen sie ein ganzes Stück weit.

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In einem weiten Kaufhauskomplex essen wir indonesisch, nicht schlecht; aber ich denke, die Hawker-Center, die großen Plätze mit vielen kleinen offenen Garküchen, werden dies noch übertreffen.

In der Orchard Road schiebt sich Tag und Nacht ein nicht enden wollender Menschenstrom auf dem Bürgersteig entlang.
Da die Altersstruktur in Asien anders ist als in Deutschland, nimmt es nicht wunder, dass die jungen Leute in der Mehrzahl sind. Sie sind schick gekleidet, führen ihr Handy und ihren Walkman mit sich und begeistern sich für die Auslagen der Schmuck- und Modegeschäfte.

An einem Platz höre ich Tagalog (Philippinisch): dort treffen sich viele Filipinas, sie sind hier als Hausmädchen beschäftigt und werden von Agenturen für ein paar Jahre angeworben.
In einem der Kaufhäuser stoßen wir auf eine solche Agentur: die Wände sind mit Lebensläufen und Fotos freundlich blickender Mädchen tapeziert, die lieber ein Leben in der Fremde vorziehen, als im heimischen Barrio (Stadtviertel, Dorf) ganz ohne Perspektiven zu sein.
Singapur und Taiwan sind da für die Filipinas noch günstiger als die arabischen Länder, wo sie zusätzlich einer fremden (islamischen) Kultur und leider auch allzuoft Ausbeutung und Mißbrauch ausgesetzt sind.

Dort rechts, im unteren Stockwerk des Gebäudes mit dem Mandarin Hotel, befindet sich Singapore Airlines; da müssen wir morgen noch unseren Weiterflug nach Bali bestätigen lassen.

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In der Nähe des Gebäudes herrscht ein buntes Treiben: ein paar Straßenkünstler turnen dort zu schriller chinesischer Musik.
Einen kleinen als Clown geschminkten Jungen, der mit einem viel größeren Gegenüber einen Schaukampf in Kickboxen aufführt betrachte ich länger: seine theatralische Kämpferei erinnert mich an Christians Schaukämpfe.
Christian dementiert dies natürlich empört.

Endlich kaufen wir auch wieder etwas ein: einen Elektrorasierer, weil ich meinen Rasierer vergessen habe, einen Badeanzug, weil Irma ihren daheimgelassen hat, und kurze Hosen für Christian, weil er seine nicht mitgenommen hat.

Jetzt müssen wir uns beeilen: um 17.45 Uhr wollte sich Irma mit ihrer Schwester Liza bei „Robinson`s treffen, einem weiteren großen Kaufhauskomplex, dem „Singapore Shopping Center“ (sehr phantasievoller Name!).
Wir kommen zeitig an, und ich erinnere mich noch an eine überlebensgroße Figur des Alienmonsters aus weichem labbrigem Gummi in einem Elektronikgeschäft.
Christian und ich schütteln ihm die schlaffe Pfote.
Es reagiert nicht unwillig, nur der Besitzer mault und verscheucht uns; anscheinend mag er es nicht, wenn sein Alien von spitznasigen Fremden angefasst wird...

Fünf Minuten später treffen wir Liza tatsächlich.
Sie zieht den sich diesbezüglich etwas schämenden Neffen an der Hand hinter sich in ein Cafe; Irma und ich folgen im Schlepptau.
Bei einer kurzen Kaffeepause erzählt sie, dass sie jetzt acht Wochen lang für ihre Gastgeber und deren Freunde Vorhänge und Gardinen schneidert und hierdurch Geld verdient.
Vorher war sie für einen Monat auf den Philippinen gewesen.
Am Gesundheitszustand des an Tuberkulose leidenden Vaters habe sich nicht viel geändert. Wenigstens müsse er jetzt aber nicht mehr im Krankenhaus liegen.
Sie habe für die Familie eine Klimaanlage gekauft, damit der Vater freier atmen könne - (und damit die Nachbarn beeindruckt sind) denke ich argwöhnisch...

Christian schaufelt derweil Aga-Aga in sich hinein, einen bunten Wackelpudding auf Algenbasis.

Draußen ist es schon dunkel. Die flanierenden Menschenströme reißen aber nicht ab.
Wir erinnern uns an unseren Plan, zum Nachtzoo zu fahren, der im Norden, schon

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außerhalb der Stadt in der Nähe eines Stausees liegt.
Da ist es praktisch, dass Liza uns mit ihrer Ortskenntnis beraten kann.
Wir steigen ein in die S- und Untergrundbahn MRT (Mass Rapid Transit System).
Das System ist einfach und preiswert, und in Singapur mit seinen begrenzten Ausmaßen ist der öffentliche Nahverkehr tatsächlich eine echte und notwendige Alternative zum Auto.

Nach etlichen Stationen müssen wir aber doch umsteigen auf den Bus (auch kein Problem) und fahren mit der Linie 138 bis zu den Toren des Zoos.
Der Tagzoo liegt daneben, dort ist es möglich, mit einem Orang-Utan zu frühstücken, was der wohl für Tischsitten hat?!

Jetzt kriegen wir nichts mit vom Tagzoo, sondern erwerben unsere Tickets für den Nachtzoo; nach kurzer Bedenkzeit nehmen wir das „große“ Ticket, das die Benutzung der Schienenbahn im Zoo erlaubt.
Vorher vergewissern wir uns, wann der letzte Bus in die Stadt zurückfährt, denn im Freien bzw. im Zoo möchten wir nur ungern übernachten.

Vor Beginn der Tour stärken wir uns noch mit Barbecue (Sate)-spießchen mit Erdnußsauce, die über einem offenen Holzkohlenfeuer gegrillt werden.
Sate-Spießchen, Spagetti-Bolognaise und gelegentlich Grillhähnchen werden in den nächsten Wochen die variable und einzige Speisenfolge unseres „schnäubischen“ Sohnes bleiben, gäbe es allerorten Pizza, dann würde er wohl nur Pizza essen und auch hier nur „Salami“ oder „Margarita“, ein auf bestimmte Eukalyptusblätter spezialisierter Koala ist ein Schlemmer und Allesfresser im Vergleich zu unserem Sohn!

Der Nachtzoo in Singapur ist ziemlich modern. Es gibt keine engen Käfige und miserable Bedingungen wie in anderen asiatischen Zoos, sondern die Tiere leben in der freien Natur, nur durch natürliche Barrieren von den Besuchern getrennt, die auf einer kleinen offenen Bahn durch diese heile Welt fahren.

Eine Nische nach der anderen, durch dezentes Licht beleuchtet, erschließt sich unseren neugierigen Augen: dort tummeln sich Vögel, dort kauern Schleichkatzen, weit entfernt lagert ein Löwenrudel, und dieser Kamerad dort, der wie versteinert dasteht, das muss eine Tüpfelhyäne sein.

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An einem bestimmten Punkt des Parkes ist ein Haltepunkt.
Dort verlaufen sich die Besucherströme auf verschiedenen Wegen.
Eine richtige Einsamkeit gibt es dennoch nicht. Christian fühlt sich durch die Familien mit kleinen Kindern genervt, die nicht die zum Beobachten der Tiere nötige Ruhe wahren.

Auf schmalen, aber geteerten Wegen können wir Seitenblicke auf Stachelscheine, Gazellen, Leoparden und sogar einen majestätischen Königstiger werfen, der gelangweilt im Wald liegt und zum Glück durch eine Glaswand von uns getrennt ist.

Natürlich fehlt auch hier der Regenwald nicht.
Auf einer schmalen Hängebrücke namens „Suspension-Bridge“ (Spannungs-Brücke), die aus einem Indiana Jones Film stammen könnte, lässt sich trefflich schaukeln.

Aber wir dürfen nicht vergessen, zurückzukehren, die Busse fahren hier pünktlich ab!
Auf verschlungenen Wegen finden wir wieder zum Ausgang zurück, zum Glück ist der Zoo nicht allzu groß.

Auch die Rückfahrt ist problemlos. Wir haben uns die Stationen gut gemerkt.
Am Newton Center steigen wir aus. Von hier aus können wir zu Fuß zu unserem Hotel laufen.
Es ist allerdings noch gut einen Kilometer weit.
Gefährlich ist es nicht, denn anders als in Manila oder Djakarta ist die Nacht hier sicher, subjektiv sicherer auch als in Offenbach oder Frankfurt.

Wir gucken uns zunächst in der Nähe der MRT - Station um.
Ein bißchen was essen wollen wir schon noch, auch wenn es 23 Uhr ist.

Dort hinten neben der Überführung schimmert Licht. Da scheint was los zu sein.
Wir müssen nur eine Fußgängerbrücke überqueren, dann sind wir auf einmal auf einem Nachtmarkt.
Markt ist nicht der richtige Ausdruck: es gibt hier ausschließlich Essensbuden.
Ich komme mir zunächst vor wie ein Eindringling, da ich keine Touristen und auch nicht die Yuppies der Orchard Road sehe, sondern nur einfach gekleidete Einheimische.
Aber auch wenn niemand von uns Notiz nimmt, so reißt uns doch niemand den Kopf ab, und hier und dort werden wir sogar durch Winken zum Verweilen genötigt.

Ein junger Chinese, den wir wegen seiner langen vorstehenden Zähne den „Hasen“ taufen, ist besonders dienstbeflissen, bietet uns einen wackeligen Gartentisch an, fegt von den letzten Gästen hinterlassenen Krümel weg und schiebt klapprige Stühle heran.

Irma bestellt für uns beide Fisch mit Bananenblättern; Christian, dem die Lokalität nicht geheuer ist, erklärt, er sei noch satt von den Sate-Spießchen.

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Zunächst kommt für mich das kühlende „Tiger-Beer“, ich habe die große Flasche bestellt, weil ich durstig bin, und es ist tatsächlich eine Labsal.

Dann wird nach kurzer Zeit der Fisch auf Bananenblättern von dem freundlichen Hasen geliefert.
Das Essen ist ein wahres Gedicht, und wie der Pawlow’sche Hund kriege ich noch beim Niederschreiben Speichelfluss.
Der Fisch ist zart, schmackhaft gebraten und liegt in einer scharfen braunen Sauce, die ihm aber dennoch seinen Eigengeschmack belässt.
Dazu gibt es ein spinatähnliches Gemüse, das Irma unter dem Namen „Kang-Kong“ kennt, gedünstet in Öl mit Knoblauch.

Die Portion ist riesig bemessen, vielleicht hat er jeweils eine doppelte Portion gebracht; aber der Preis ist dennoch erschwinglich: pro Person umgerechnet 10,- DM für das Essen, dazu etwa 7 Mark für die zwei Biere, denn alkoholhaltige Getränke sind ähnlich wie Zigaretten und ähnlicher „schädlicher“ Luxus nach der konfuzianischen Staatsideologie nicht gewünscht und werden, da nicht ganz zu verbannen, entsprechend hoch besteuert.
Aber umso besser hat das Tigerbier geschmeckt!

Gut gesättigt und fröhlich treten wir auf einsamer Straße den Heimweg an.
Die tropischen Sterne strahlen, denn Singapur hat keinen Smog.
In dieser Nacht werden wir in unserem kühlen Zimmer gut schlafen!

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05. Juli 1999

Heute wollen wir zur Insel Sentosa.
Dies ist eine winzige Insel im Süden Singapurs, die zu einer Vergnügungsinsel ausgebaut ist.
Es besteht die Möglichkeit, mit dem Schiff, dem Bus oder einer Gondelbahn dorthin zu gelangen. Wir wollen gern die Gondelbahn (Cable Car) benutzen. Sie startet vom World Trade Center aus.

Zunächst verschlafen wir den Tag: wir wachen erst um 10.30 Uhr auf, ein Andenken an den Jetlag!
Wir beschließen daher, das Frühstück erst in der Stadt zu uns zu nehmen.
Es ist schon eine Stunde später, als wir endlich aufbrechen.
Da der hoteleigene Shuttlebus noch viel später fährt, wandern wir - diesmal im Tageslicht - bis zur MRT -Station Newton und steigen an der Station City Hall aus.
Hier gibt es noch nicht viel zu sehen: fertige Hochhäuser, im Bau befindliche Hochhäuser, Bauzäune und ein paar Geschäfte.
Von weitem grüßt die blendend weiße Kathedrale von St. Andrews.

Erst laufen wir ein Stück Richtung Hafen. In einem Schnellrestaurant frühstücken wir. Christian ist schlecht drauf, was sich auf die anderen überträgt.
Ein Blick auf die Karte zeigt, dass es noch weit ist bis zum World Trade Center (WTC) an der Küste.
Da ist es das beste, ein Taxi zu rufen.
Gesagt, getan; der Fahrer des Taxis erinnert mich an Irmas Vater, der auch eine Zeitlang Taxi gefahren ist.
Ohne größere Umwege - soweit ich dies beurteilen kann - bringt er uns für 7 $ zum WTC.
Wir nehmen einen Fahrstuhl und fahren bis zum Stockwerk 12a; die Zahl 13 existiert im abergläubischen Singapur nicht!

Oben angekommen, gibt es nicht nur die Überfahrt mit dem Cable-Car zu buchen, sondern jeder muss sich für ein bestimmtes Tourenpaket entscheiden und bekommt dann - je nach Tour - einen bunten Aufkleber angeheftet.
Wir entscheiden uns für die Pink -Tour.
Schnell noch die Kreditkarte gezückt, dann einsteigen, und schon erheben wir uns in die Lüfte.

Der Blick zurück und zur Seite fällt auf die Skyline der Hochhäuser von Singapur und die riesigen Hafenanlagen der Stadt. Singapur ist nach irgendeiner Statistik der größ-

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te Hafen der Welt, jedenfalls bedeutender als Rotterdam, das diesen Titel für Europa beanspruchen kann.

In der anderen Richtung erblicken wir den Ozean und weit verstreut die Inseln des Riau-Archipels, der schon zu Indonesien gehört.
Vor uns aber wächst Sentosa heran.

Die kleine Insel ist dicht bewaldet.
Unter uns liegt ein nachgebautes malaiisches Dorf wie die weiche Frauenstimme vom Rekorder auf Deutsch verrät.
Dort am anderen Ende Sentosas in Richtung Indonesien reckt sich ein ca. 20 Meter hohes schneeweißes Fabeltier gen Himmel: es ist der Merlion, ein Fabeltier, halb Löwe, halb Fisch, das Wahrzeichen Singapurs, Singapur heißt übersetzt:
die „Löwenstadt“.
Der Fischschwanz spiegelt gut die Abhängigkeit der Geschicke der Stadt vom Meer wider.

An der Seilbahnstation auf Sentosa wartet schon das nächste Monster: ein grüner prächtiger Steindrache auf dem Hof vor der Station.
Aber er ist - wie fast alle Drachen der chinesischen Mythologie - ein guter Drachen. Er (oder sie?) blickt hinüber nach Singapur und soll der Stadt ein gutes Joss (Glück) bringen.
Bisher hat das prächtige Wesen nicht versagt, vielleicht mit Ausnahme der japanischen Besatzungszeit, als der Stern Singapurs ungünstig stand.

Hiervon können wir uns im Museum als erstem Programmpunkt des Tourenpaketes überzeugen: mit Interesse verfolge ich auf langen gewundenen Gängen die Geschehnisse des zweiten Weltkrieges, als die Japaner trotz Unterzahl mit Bluff und Kriegslist 1942 die Insel Singapur von den Briten eroberten.

Die Briten erwarteten den Angriff von der See aus und hatten den Hafen zur Festung ausgebaut.
Tatsächlich aber griffen die Japaner vom Landwege aus, von der malaiischen Halbinsel im Norden her an.

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Da die Japaner die Briten glauben machen konnten, sie seien zahlreicher, was nicht stimmte, trug dies zur Verunsicherung der Verteidiger bei.
Am 15.02.1942 fiel die Festung Singapur, und drei harte Jahre brachen für die Bewohner heran.
Die japanischen Besatzer nannten Singapur fortan Syonan (Licht des Südens) und säuberten die Stadt von „unliebsamen Elementen“. Beispiele des Widerstandes einzelner Personen während der Besatzungszeit sind eindrucksvoll im Museum dokumentiert.
Durch ihre Japanisierungspolitik und die Übergriffe, besonders gegen die Chinesen, machten sich die Japaner bei der Bevölkerung unbeliebt, die nicht der Ideologie von einem asiatischen Großreich unter japanischer Führung verfielen.
Am 12.09.1945, nach dem Abwurf der beiden Atombomben, kapitulierte Japan, und Singapur wurde wieder britisch, bis zum Jahre 1963 als Singapur eine Föderation mit Malaya, Sabah und Sarawak gründete, wie ich schon geschildert habe.

Da ich der Kriegsgeschichte viel Zeit gewidmet habe, fällt der Besuch der übrigen Teile des Museums etwas kürzer aus.
Es ist als ein Panoptikum mit Wachsfiguren aufgemacht.
Wir sehen Sir Stamford Raffles zusammen mit malaiischen Datus (Häuptlingen) die Gründung Singapurs unterschreiben.

Die ersten Kaufleute siedeln sich an; wir erhalten Einblick in die Handwerks- und Wohnstuben chinesischer Kulis des 19. Jahrhunderts , und auch die indische Bevölkerungsschicht kommt nicht zu kurz: lebensgroße nachgebildete Frauen in bunten Saris handeln auf dem Markt, und der indische Händler zählt das Geld ab.

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Omar, unser malaiischer Fremdenführer, trommelt die Gruppe wieder zusammen.
Mit dem Bus geht es zur „Underwater-World“, dem großen Salzwasseraquarium.
Dort herrscht ein großes Gedränge; verständlich, denn hier gibt es wirklich viel zu sehen.
Am Anfang lassen sich (getrennt voneinander) hinter Plexiglas ein Oktopus, ein Zitteraal und eine Dujong, eine friedlich weidende Seekuh, bestaunen.
Die Dujong unterscheidet sich von ihrer Cousine, der Manatee von Florida, durch die Form der Rückenflosse.
Die Dujong gilt den Fischern als Glücksbringer, wird daher verschont, gerät aber leider allzuoft in Schiffsschrauben und wird dezimiert.
(Recht schön finde ich auch die langhaarige Taucherin, die gerade zur Dujong in Becken steigt und irgend etwas saubermacht).
In kleineren Röhren lassen sich bunte Korallenfische bestaunen.
Eine besondere Attraktion ist auch der sog. gelbe Seedrachen, der so abenteuerlich geformt ist, dass er wie zerfetzte Algen aussieht.
Es handelt sich hierbei auch um kein Monster, sondern um einen ca. 30 cm großen, friedlichen Fisch, der lediglich bizarr aussieht (au, aua, lässt du los, gib mir sofort meine Finger zurück....)

Der eigentliche Rundgang durch das Aquarium führt über ein sich langsam bewegendes Laufband, das rund um das Aquarium führt.
Zur gedämpfter klassischer Musik sind wir von allen Seiten von Fischschwärmen umgeben, und über uns ziehen Rochen, kleine Haie und große Barsche über dem Glasboden ihre Kreise.
Es ist eine ruhige, majestätische Welt, nur das Füßescharren und die Kommentare der vielen Besucher stören ein bisschen.

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Wieder draußen hören wir ein Planschen und sehen zappelnde Leiber in einem Tümpel: es ist Fütterungszeit für die Riesenschildkröten!
Die gar nicht so friedlichen Riesen balgen sich um Fischreste, Eingeweide und Salatstrünke, sind dabei flinker, als ihr behäbiges Äußeres vermuten lässt.

Nachdem der Führer sich verabschiedet hat, kann jeder hingehen, wo es ihm beliebt.
Wir besuchen den Orchideengarten mit seinen vielen duftenden Orchideen.
Dort gibt es auch einen Teich mit großen bunten Goldfischen, die sich streicheln lassen, was Glück bringen soll.
Die gelben, roten, weißen und getüpfelten Fische mit großen Glubschaugen reißen uns mit Gier die Futterbröckchen aus der Hand und saugen sogar am Finger.
Dabei verletzen sie den Menschen aber nicht, weil die Zähne weiter hinten im Schlund liegen.
Ob das Streicheln Glück gebracht hat, lässt sich nicht sagen, vielleicht schon, weil wir von größerem Unheil verschont blieben, nicht mal Durchfall hatte ich während dieser Asienreise!

Wir verzichten darauf, im nahegelegenen Pavillion die Hochzeitsglocke zu läuten, was auch Glück bringen soll; einmal haben uns schon die Hochzeitsglocken geläutet, und mir klingen die Ohren immer noch....

Zwischendurch trinken wir etwas. Christian saugt mit dem Strohhalm eine große grüne Kokosnuss leer.

Leider fängt es an zu regnen, was sich langsam steigert.
So können wir uns nur kurz dem „musikalischen Springbrunnen“ widmen: bunte Fontänen steigen in einem Wasserbecken auf; dazu ertönt laute klassische Musik, für meinen Geschmack etwas zu Disney -artig.

Typisch Vergnügungspark ist auch „Vulcano-Land“, ein nachgebauter Vulkan, für den wir extra bezahlen, weil er nicht in der Pink-Tour aufgeführt ist.
Im Innern des „Vulkans“ fahren wir auf den Spuren eines verrückten Forschers scheinbar in die Tiefe; es rumpelt und kracht, und ich glaube, Dinos haben wir auch noch getroffen...
Vor dem Vulkan führen Pseudo-Eingeborene ein paar Tänze auf.

Langsam zieht die Dämmerung auf.
An der großen Statue des Merlions vorbei steigen wir langsam einen Hang hoch und
haben Glück: hier ist die Cable-Car-Station.
Wir grüßen die bunten Pfaue zu unseren Füßen, winken dem Merlion zu und hüpfen

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wieder in die Gondeln.
Singapur, geschäftige Stadt, von der ruhigen Insel kommen wir zurück!

Unten am Fuße des WTC -Towers warten wir sehr lange an einem Taxistand, wo mindestens 50 Leute vor uns anstehen.
Mir fehlt hier die asiatische Geduld.
So bin ich hoch erfreut, als ich einen Bus sehe, der Richtung Innenstadt fährt.
Schnell sind wir drinnen, bis die anderen Wartenden überhaupt gemerkt haben, dass es eine Alternative zur Warterei auf die Taxis gibt.
Wir steigen in China-Town aus.
Dort hoffe ich auf etwas chinesisches Flair.
Aber so malerisch-chinesisch wie Hongkong oder die Chinatown von San Francisco gibt sich dieser Stadtteil nicht: es gibt Hochhäuser, in Bau befindliche Hochhäuser, Bauzäune und Geschäfte- vgl. meine Schilderung der Umgebung der Station
City Hall.
Auch den bunten indischen Tempel Sri Mariamman finden wir leider nicht.
Wenigstens gibt es ein paar chinesische Apotheken mit Pilzen, Kräutern und dubiosen getrockneten Dingen.

Wir marschieren eine gehörige Strecke und überqueren dabei auch einen Fluss, bis wir in die Stamford Road einbiegen, wo es westliche Cafes und Bistros gibt.
Von dort ist es nicht mehr weit bis zu „City Hall“.
Die zuverlässige MRT trägt uns wieder bis Newton.
Dort empfängt uns der freundliche „Hase“ von gestern und nötigt uns als Stammgäste zu Tische.
Auch diesmal schmecken die riesigen Portionen für je 10 $ hervorragend:
Hühnchen mit Zwiebeln und scharfer Sauce wird mir aufgetragen, während Irma sich an Tintenfisch in scharfer Sauce labt; ich glaube, Christian hatte wieder Spießchen.
Die Schärfe treibt mir Schweißperlen auf die Stirn; es ist ein ähnlicher „Kick“ wie bei einem Saunagang, und als Kontrast zur Schärfe löscht das herrliche „Tiger-Beer“ den Durst.
Wahrlich, die Besuche im Newton Hawker-Center gehören zu den kulinarischen Höhepunkten der Reise; weitere werden noch im Teil „Bali“ und im Teil „Philippinen“ beschrieben.
Satt und zufrieden gehen wir zum Hotel, genießen den Sternenhimmel, denn es regnet schon eine ganze Weile nicht mehr.
Morgen gibt es Neues zu erkunden!

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Juli 1999

Nach langem Schlaf mit bunten Träumen erwache ich, es ist kühl im Hotelzimmer wegen der Klimaanlage.
Wir wandern zur Newton Station, fahren mit der MRT in die Innenstadt.
Leider gießt es, beim Überqueren der Zebrastreifen schleudern die Autos Wasserfontänen hoch.
In der Orchard Road orientieren wir uns zum Hotel Mandarin: dort lassen wir unseren Weiterflug bestätigen.

Bei Robinson` s stöbern wir.
Christian sucht eine Hose, wir vertrödeln Zeit in den Geschäften, schade.
Mit dem Ausflug zum Raffles Hotel wird es auch nichts bei dem strömenden Regen.
Das Raffles Hotel, benannt nach dem bereits erwähnten britischen Kolonialherren, verkörpert Nostalgie und Luxus. Gern hätte ich da einen berühmten Cocktail geschlürft.
Aber wir wollen auch zu „Little India“, dem indisch geprägten Stadtteil mit Straßenhändlern, Tempeln und Basaratmosphäre.
Bekannt ist der bunte Tempel Sri Mariamman.

Als wir an der Haltestelle Lavinder Street aussteigen, sehen wir weit und breit nichts Indisches.
Wohnghettos, ein paar verschleierte Frauen und am Horizont eine Moschee: Das könnte genausogut eine Plattenbausiedlung in Berlin-Marzahn, die Problemsiedlung Mümmelmannsberg in Hamburg oder das Offenbacher Lauterborngebiet sein.
Wegen des regnerischen Wetters verzichten wir auf weitere Erkundungen zu Fuß und fahren wieder zurück zur Orchard Road.

Im Hinblick auf den Regen schlage ich vor, zu einem zweiten Aquarium in der Nähe der Orchard Road zu fahren.
Lt. Lageplan in dem für 5 Mark in Deutschland erstandenen zweiten Reiseführer befindet sich das Aquarium in einem grünen Park in der Nähe der alten britischen
Festung Fort Cunnings.
Der Taxifahrer weiß nichts von einem Aquarium, was mich in meiner Skepsis gegenüber Taxifahrern bestätigt: entweder verschweigt er uns etwas oder er ist unwissend, beides kein gutes Zeugnis.
Er setzt uns da ab, wo sich das Aquarium befinden müsste, aber da gibt es keines!
Ansonsten ist außer Rasen und einer belebten Durchgangsstraße nichts zu sehen.

Notgedrungen müssen wir wieder zurückfahren; heute ist wirklich der Wurm drin!
Der nächste Taxifahrer klärt uns über den Irrtum auf: unser Stadtplan ist veraltet: das vormals dort befindliche Aquarium wurde zur Insel Sentosa transferiert; und dieses Aquarium haben wir gestern schon besucht!

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Jetzt sind wir frustriert und haben auch keine Lust mehr auf eine Stadtrundfahrt.
Fast passend zu diesem Pech finden wir auch keinen Hawker-Stand oder ein attraktives Restaurant, sondern essen bei Pizza-Hut.
Da wir für heute abend eine Einladung bei Lizas Freunden haben, fahren wir zurück zum Hotel, ruhen und räumen unsere Sachen auf.

Gegen 18.00 Uhr fahren wir mit der Metro zum Stadtteil Chao Chu Kang.
Dort haben wir eine Verabredung mit einem älteren Ehepaar.
Es sind die Gastgeber von Irmas Schwester Liza, die für das ältere Ehepaar und dessen Bekanntenkreis Gardinen und Vorhänge näht, um Urlaub und Geldverdienen miteinander zu verknüpfen.
Wir müssen zweimal umsteigen.
An der Endhaltestelle erwarten uns Dulce und Terri Woodford mit dem Auto.
Sie gehören also zur privilegierten Minderheit der Autobesitzer.
Wir fahren durch eine Landschaft mit aus dem Boden gestampften Wohntürmen, die dem märkischen Viertel oder den Plattenbauten von Marzahn Konkurrenz machen könnten, außer dass die Betonsilos chinesisch bunter sind.

Terri, der etwa 75 Jahre alt ist, aber deutlich jünger wirkt, erzählt während der Fahrt, dass er vor seiner Pensionierung einer der Generalmanager bei Singapore Airlines gewesen sei. Er war zuständig für den Bereich Indonesien.
Seine letzten Berufsjahre hat er bei „Canadian Airlines“ verbracht und den asiatischen Markt aufgebaut.
Seine Ehefrau Dulce, die von den Philippinen stammt, wirkt auch wesentlich jünger als die 68 Jahre, die sie tatsächlich zählt.

Bald sind wir in der Siedlung der Woodfords.
Sie leben in einem etwa 600.000 DM teueren Apartment im 16. Stock; ich schätze die Größe der Wohnung auf knapp 90 qm.

Innen ist alles leicht altmodisch, aber durchaus elegant eingerichtet: ein weißer Flügel ist Blickfang, hier übt sich die Hausherrin in der Kunst des Klavierspielens.
Viel Porzellan, seidene Vorhänge (Lizas Werk), drapierte Obstteller und Parkettboden signalisieren Wohlstand und Gediegenheit.
Unter viel Gelächter posieren wir zusammen mit Liza und den Gastgebern für diverse Erinnerungsfotos.

Wir bleiben aber nicht lange in der Wohnung: stilecht werden wir in einem Hawker-Center speisen, direkt gegenüber dem Wohnturm der Woodfords.

Wir schlendern durch die einzelnen Freiluftrestaurants und noch offenen Geschäfte bis wir in einem der Restaurants Platz nehmen.
Terri wird vom Wirt als alter Bekannter begrüßt, und eine reiche Folge von Speisen wird aufgetischt.

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Neben diversen Nudelgerichten, Barbecue und Reis mundet mir besonders das Hähnchen in Zitrone in süßsaurer Sauce mit Zitronengeschmack.
Christian ist noch geschockt: er hat einen Bottich mit Fröschen gesehen; ich denke aber, dass keiner davon bei uns am Tisch serviert wird....

Während Dulce eher ruhig ist, erzählt Terri seine Lebensgeschichte, und seinen wachen Geist erkenne ich auch daran, dass er gut über Europa informiert ist.
Er scheint ein echter singapurianischer Patriot zu sein und lobt das Wohlfahrtssystem der Regierung.

„Es gibt keine Bettler hier: wird jemand bettelnd auf der Straße angetroffen, wird er zu seiner Familie gebracht, die ihn aufnehmen muss. Hat er keine Familie, so bekommt er ein 1-Zimmer-Appartment in einem Hochhaus und muss arbeiten. Deshalb haben wir keine Obdachlosen wie in anderen asiatischen Ländern.“
Ein paar Probleme, räumt Terri ein, gebe es mit Migranten aus den Nachbarstaaten, zum Beispiel aus Indien, Pakistan und Bangla Desh. Diese versuchten oft über die befristete Dauer ihrer Anwerbung hinaus im Lande zu bleiben. Auch nähmen sie es mit den Gesetzen nicht so genau, was gelegentlich Ärger gebe.

Insgesamt herrsche aber ein Klima der Toleranz im Lande: Chinesen, Inder, Malaien, Europäer seien gleichberechtigt und würden eine eigene Identität als Einwohner Singapurs besitzen.
(Diese Aussage von Terri hat wohl Allgemeingültigkeit, auch ich sah während unserer kurzen Zeit in Singapur keine Trennung und Argwohn zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen, die auch noch den unterschiedlichsten Religionen anhängen).

Auch die Korruption, so Terri weiter, spiele keine Rolle im Lande, da der Gründervater und langjährige Staatspräsident Lee Kuan Yew rigoros dagegen vorgegangen sei und nach einigen Säuberungen die Vorfälle von Korruption sehr gering gewesen seien.
Er schildert den Fall eines korrupten Staatsdieners, der sich aus Scham über den Gesichtsverlust nach Aufdeckung seiner Tat umgebracht hatte (Hierzulande würde so jemand in seine Talk-Show gehen, sich seiner Taten rühmen und noch Beifall erhalten!).

Wir kommen auf die Korruption bei öffentlichen Baumaßnahmen zu sprechen; in Deutschland häuften sich die Fälle, berichte ich.
Terri nickt; seine lebhaften Augen funkeln: in Singapur wollen wir, dass die besten Architekten und Bauleiter die wichtigen öffentlichen Baumaßnahmen durchführen: deshalb zahlen wir ihnen genau soviel wie sie auf dem freien Markt erhalten würden, eher noch mehr. Dann besteht kein Anreiz mehr, das Salär durch Schmiergelder aufzubessern und zu riskieren, bei den strengen Kontrollen aufzufliegen.
(Wäre schön, wenn auch die deutschen Finanzbeamten Einnahmen wie gut verdienende Steuerberater erhielten.)

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Nach angeregter Unterhaltung verabschieden wir uns von unseren Gastgebern und von Liza, die ihren Urlaub noch um ein paar Wochen verlängern wird, weil sie noch weitere Aufträge für Gardinen und Vorhänge von den Bekannten der Woodfords erhalten hat.
Terri bringt uns zurück zur Metrostation.

Auf der Rückfahrt lernen wir noch zwei hübsche Filipinas kennen, die Christian „really sweet“ finden. Weitere Vorkommnisse gibt es nicht zu berichten.
Kurz vor Mitternacht sind wir wieder im Hotel, träumen schon der Insel Bali entgegen.

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7. Juli 1999

Heute ist unser Abflug nach Bali!
Wir frühstücken zu zweit, um den Aufpreis für das Frühstück zu sparen und bringen Christian ein Croissant mit.
Schnell sind die Koffer gepackt; für 35 $ nehmen wir ein Taxi zum Flughafen.
Das letztemal fahren wir die Alleen mit den Regenwaldbäumen entlang, werfen einen Blick auf Wohntürme und die geschäftige City.
Es ist ein trüber Tag mit frischer Meeresluft.
Der Taxifahrer erzählt uns von seinen drei Kindern, zwei Mädchen und einem Jungen.
Er hat in einem der Wohntürme eine subventionierte Eigentumswohnung zum Preis von 150.000 Singapur - Dollar erworben; das Taxi zahlt er auch nach und nach ab.
Um 12.00 Uhr sind wir am Flughafen.
Wir müssen noch ein Weilchen warten. Ich will einen 10 DM - Schein tauschen für die Flughafengebühr; aber die strenge Dame am Schalter traut dem Geld nicht; es sieht ihr zu alt aus. Übrigens meinte das später in Bali auch der korrupte Polizist, der dann den verdächtigen Schein zähneknirschend nahm (der war zwar verknittert und vergilbt, aber wirklich echt!).
Während wir im Flughafengebäude warten, beäuge ich argwöhnisch die Koffer: wir kennen ja alle die Geschichten, bei denen arglose Reisende Drogen untergeschoben bekommen; mit Drogen beim singapurianischen oder malaysischen Zoll angetroffen zu werden, kann tödlich sein!
Aber keiner macht sich an unserem Gepäck zu schaffen, und wir bekommen auch keine geheimnisvollen Päckchen zugeschoben.

Im Buchladen, in dem ich gerne stöbere, erwerbe ich noch einen detaillierten Stadtplan von Manila, ein kleiner Versuch, in dem gesichtslosen Häusermeer der Metropole die Übersicht zu behalten.

Um 14.15 Uhr heben wir ab Richtung Denpasar, Bali.
Ich sitze neben einer jungen recht attraktiven Filipina, mit der ich dann ins Gespräch komme.
Sie heißt Faye und macht mit ihrer Freundin eine Woche Urlaub auf Bali, allerdings mehr im Zentrum der Insel.
Es stellt sich heraus, dass sie Ärztin ist und auch ein Projekt für die Squatter (Obdachlosen) betreut. Sie lebt und arbeitet in Quezon City, also in der Schwesterstadt Manilas, wo auch unsere Familie wohnt.
Wir wünschen uns gegenseitig einen schönen Urlaub, nice to have met you.

In der Zwischenzeit sind wir über Java und das Meer geflogen.
Da sehen wir unter uns schon die Berge Balis.

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Ein Gefühl von Heimkehr stellt sich ein: ich habe den ersten Besuch auf Bali in 1993 sehr genossen und halte die Insel trotz aller touristischen Nebeneffekte immer noch für ein kleines Paradies in dem so viel vereint ist: freundliche Menschen, Kunst, Kultur; Vulkane, Berge, Meer, Regenwald und Reisfelder; reiche Traditionen und eine lange, zuweilen tragische Geschichte.....

Die Insel ist in Sonnenlicht getaucht, das Meer schäumt mit kleinen weißen Kronen an das Ufer; die Rollbahn wächst heran; ein kurzer Ruck, und wir sind gelandet!

Der Flughafen ist im Süden der dreieckigen Insel, kurz vor der Landenge, die den großen Teil der Insel im Norden von der kleine Halbinsel Bukit im Süden trennt.

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Von Flughafen ist es nicht weit zu den Touristenzentren ganz in der Nähe: zum quirligen Kuta mit der Schwesterortschaft Legian, dem Mekka der Surfer und Discogänger, dem beschaulichen Sanur mit seiner ruhigen flachen Küste und dem mondänen Nusa Dua,.
Letzteres ist eine Art goldener Käfig für die betuchten überwiegend japanischen Touristen, die dort in Hotels der obersten Luxusklasse untergebracht sind, entfernt von dem eigentlichen Bali, wo aber Tourismusexperten ein künstliches Bali mit Tänzen, geschmackvollen Hotels, ausgewählten Gaumenfreuden und vielerlei Einkaufsmöglichkeiten geschaffen haben.

Während der Landung, punktgenau um 16.45 Uhr, erbricht sich Christian in die Kotztüte, die Romantik ist schnell verflogen.
Bei der Einreise gibt es keine Probleme

Im gleißenden Licht der Nachmittagssonne stehen wir dann mit unserem Gepäck vor dem Flughafen: wir müssen zum Candi Beach Hotel in Candi Dasa an der Ostküste; noch etwa zwei Stunden Fahrt liegen vor uns. Mir graut schon vor dem Feilschen um den Transferpreis; leider ließ sich der Hoteltransfer nicht buchen.
Momentan interessiert sich aber noch niemand für uns.
Nach kurzem Rundgang finde ich einen Schalter, an dem sich zentral alle Fahrtwünsche buchen lassen und wo Festpreise zu zahlen sind.
Das Taxi kostet 120.000 Rupiahs, das sind etwa 40 DM; der Kurs steht derzeit etwa bei 1 : 3000; es ist also für den Touristen einfach, Rupiah-Millionär zu werden.
Ein Jahr vorher war die Rupiah auf 1:8000 abgesackt, seitdem hat sie sich wieder leicht erholt; bei unserem letzten Besuch auf Bali in 1993 war der Kurs noch bei
1 :1200.
Unserer Fahrer ist nicht begeistert über den Auftrag; die Fahrt ist ihm zu weit; aber er muss den Auftrag annehmen, das Taxi gehört ihm nicht, wie er uns wissen lässt.
Wie fast alle Indonesier erzählt er von seinen Kindern und vom täglichen Existenzkampf und dass das Leben schwerer geworden sei.
Dies ist sicherlich zutreffend, denn nach dem Sturz des langjährigen Diktators Suharto befindet sich das Land im politischen Umbruch, und die von Suhartos Clan und dem Militär ausgesaugte Wirtschaft des Landes liegt darnieder.
Gerade jetzt waren die Präsidentschaftswahlen in Indonesien, und die wochenlang dauernde Auszählung der Stimmen ist während unseres Aufenthaltes auf Bali noch voll im Gange.
Fast ganz Bali wählt rot, wie wir an den an den Häusern flatternden Fähnchen erkennen können: das ist nicht die Farbe der streng verbotenen und unterdrückten kommunistischen Partei, sondern die PDI von Megawati Sukarnoputri.
Sie ist die Vorsitzende der wichtigsten Oppositionspartei PDI.
Ihr Charisma bei der Bevölkerung ruht nicht zuletzt daher, dass sie sich dem Erbe ihres Vaters, des ersten Staatspräsidenten und Gründers des indonesischen Staates, Sukarno, verpflichtet fühlt. Sukarno hatte seinerzeit in den 50er und 60er Jahren das
Inselreich regiert, ein schillernder Charakter mit Ehrgeiz, vielen Frauen und dem Hang zur Selbstdarstellung, mit Annäherung an die Bewegung der blockfreien Staa-

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ten und an die Volksrepublik China, was ihm das konservativ ausgerichtete Militär übelnahm.

Es kam schließlich zum Putsch, und General Suharto und seine ihm ergebenen Anhänger nahmen das Land in einen eisernen Würgegriff, nachdem sie zuerst ein Massaker unter der chinesischen Minderheit und allen vermeintlichen Kommunisten angerichtet hatten. 34 Jahre Diktatur folgten, und Suharto und seine Günstlinge teilten die Schätze des Landes unter sich auf.

Nun hat Megawati die Chance wie andere asiatische charismatische Töchter berühmter Politiker Asiens selber an die Macht zu kommen. Die hinduistischen Balinesen geben jedenfalls ihr den Vorzug und nicht der alten Staatspartei Golkar oder einer muslimischen Partei; sie selbst sind ja Hindus und fürchten sich vor einem islamistischen Staat.
Während wir ein friedliches Dorf nach dem anderen passieren, hoffe ich, dass es auf Bali keine Gemetzel und Unruhen wie noch in 1965 geben wird, wo sich ganze Dörfer gegeneinander erhoben...

Es sind weniger als 100 Kilometer bis Candi Dasa, aber auf den gewundenen Straßen mit dem dichten Verkehr von Bemos (Sammeltaxis), LKW`s und Mopeds wie Insektenschwärmen kommen wir nur langsam vorwärts; Hunde und Kinder retten sich oft in letzter Minute vor den vielen Fahrzeugen an den Straßenrand.
Unvermittelt sinkt die Dämmerung herab; da Bali ja knapp südlich des Äquators liegt, dauert die Dämmerung nicht lange, und es ist gleich stockdunkel.
Wir alle sind müde, die Fahrt scheint kein Ende zu nehmen. Plötzlich bremst unser Fahrer und biegt in einen holprigen Weg ein.
Wir sind schon auf dem ungeteerten stockdunklen Weg zum Hotel.
Nach etwa 200 Metern haben wir das Hotel erreicht, es leuchtet aus dem Dunkel auf, Komfort und Behaglichkeit suggerierend.
Wir entlassen den Fahrer mit einem guten Trinkgeld, was seine Miene aufhellt.
Wir kommen gar nicht dazu, unser Gepäck zu entladen; dienstbare Geister schleppen unsere Taschen und Koffer in die Lobby, wo uns ein Indonesier mit breitem Lächeln in verständlichem Deutsch begrüßt. Es ist kein Zufall, dass er Deutsch spricht, denn das Candi Beach Cottage wird besonders von Deutschen besucht, die mehr die Ruhe der Ostküste als den Trubel in Süd- und Zentralbali schätzen.

Wir haben Glück: wir ziehen nicht ins Haupthaus ein, sondern in einen kleinen schmucken Bungalow mit der Nummer 261.
Dort finden wir eine Orchidee und einen Obstteller vor.
Das Zimmer ist klein, aber sauber. Einen Fernseher gibt es auch; wir können neben dem indonesischen Fernsehen und ein paar Videofilmen auch das australische Fernsehen empfangen. Der Bungalow hat auch ein sauberes Bad und eine westliche Toilette, ein Komfort, den wir zu schätzen wissen.

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Christian und mich hält es nicht lange im Zimmer: wir laufen die paar Schritte bis zum großen palmenumsäumten Pool und stürzen uns ins kühle Nass, ha, das tut gut.
Auf dem Rücken plätschernd schweift mein Blick über die sich sanft wiegenden großen Palmen zum klaren südlichen Sternenhimmel.
Neben dem Pool befindet sich das Restaurant, und dahinter ruht schon dunkelblau glitzernd das Meer.
Die schemenhaft im Dunkeln zu erkennende große Insel muss Nusa Penida sein, ein Ort, den die Balinesen früher nicht so gern besuchten, weil sie glaubten, dass dort ein dämonischer Riese hauste.
Aber vom Riesen ist heute abend nichts zu sehen, ein paar bunt beleuchtete Schiffe bahnen sich ihren Weg von Padang Bai, einem nahegelegenen Hafen Richtung Insel Lombok, der weiter entfernten Schwesterinsel Balis.
An zwei steinernen Dämonenwächtern vorbei steigen wir eine Terrasse hoch, auf der sich viele Palmen wiegen.
In Liegestühlen lässt sich hier behaglich dösen, mit Blick aufs Meer und die Sterne, während der Nachtwind verführerisch fächelt.
Dies wird einer meiner Lieblingsplätze während der kommenden Tage sein!

Nach dem kurzen Bad, das nach der Hotelordnung nur bis 21 Uhr möglich ist, speisen wir im Hotel: es gibt für Irma Fisch, für Christian Spagetti Bolognaise (er misstraut dem asiatischen Essen), und ich probiere Rendang, ein Rindfleischgericht aus Sumatra.
Später werden wir feststellen, dass das Essen im Hotel von den kleinen privaten Nachbarrestaurants übertroffen wird und nur halb so viel kostet.
Aber das ist ja oft so!

Nach dem Essen verziehen wir uns müde in den Bungalow und räumen nur noch die nötigsten Sachen aus den Koffern.
Christian findet Platz im Zustellbett; noch ein bisschen Fernsehen, gute Nacht!

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8. Juli 1999

Um 8.30 Uhr stehen wir auf und freuen uns auf das von Corina in Deutschland schon ausführlich geschilderte üppige Frühstücksbüffet.
Im Restaurant hinter dem Pool ist alles schon vorbereitet.

Zu den Klängen silbriger Gamelanmusik drängen sich die Hotelgäste mit ihren Tellern an der Büffetausgabe.
Mich ziehen die gebratenen Speckstreifen, das gelb-samtene Rührei und die Brötchen an; auch leuchtend gelbe Papayas, Ananas und kleine süße Bananen sind eine vitaminreiche Ergänzung des Speisezettels, ebenso wie die frisch gepressten Fruchtsäfte.
Irma lädt sich gebratenen Reis und Nudeln auf den Teller; Indonesier und Filipinos haben keine Probleme damit, schon am frühen Morgen Deftiges zu verzehren.
Am Tisch wird uns Tee und der berühmt-berüchtigte balinesische Kaffe mit viel Kaffeesatz serviert.
Anders als andere Touristen mögen Irma und ich den herben Kaffee, der in seiner Zubereitung an türkischen Kaffee erinnert.
Während des Essens werfen wir einen Blick auf das blaue Meer, entdecken auch eine weitere kleine Insel, die mich von ihren Umrissen her an einen Pottwal erinnert.
Auch wenn die Balinesen das Meer als Wohnstatt gefährlicher Dämonen fürchten, wird mich dies nicht abhalten, ein paar Runden zu schwimmen, die See ruht glatt und friedlich in der Morgensonne.

Gesagt getan, auch Christian ist mit von der Partie, hält sich aber näher am Ufer.
Ich schwimme bis zu einer Buhne, weiter will ich nicht, denn alle Reiseführer warnen

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vor gefährlichen Strudeln beim Herausschwimmen vor Balis Küsten.
So ganz unterschätzen sollte man die Dämonen doch nicht!
Die Küste mit ihren Palmen, grünen Bergen und kleinen Dörfern wirkt friedlich; ein Gefühl von Entspannung und Frieden stellt sich ein.
Auch wenn der Strand von Candi Dasa wegen der großen, etwas hässlichen Wellenbrecher keinen besonders guten Ruf hat, finde ich die Szenerie malerisch, vor allem, weil der Strand nicht übervölkert ist und man seine Ruhe hat.

Von weitem sehe ich kleine Schiffe von Padang Bai aus zwischen Nusa Penida und Candi Dasa vorbeiziehen, wie schon gestern abend, als nur die Lichterketten zu erkennen waren.
Anschließend packen wir die Koffer aus.
Dann widme ich mich meiner Reiselektüre, dem Buch „Des Mohren letzter Seufzer“ von Salman Rushdie. Dessen Bücher schätze ich als kreative, philosophisch anregende Kost. Rushdie mit seinen halb real-, halb fantastischen Romangestalten ist einer der modernen Geschichtenerzähler des Orients, sicherlich ein Freidenker (deswegen wird er ja von den konservativen Mullahs gehasst), aber gerade nicht ein Mensch ohne Ethik. Seine Humanität und Toleranz spiegeln sich in seinen Werken wieder.
Den „Mohren“ lese ich im Original auf Englisch, um in Übung zu bleiben; außerdem dauert das Lesevergnügen dann länger.

Heute Mittag wollen wir mit dem hoteleigenen Shuttlebus in das etwa zwei Kilometer entfernte Dorf (das eigentliche Candi Dasa) fahren; aber leider verpassen wir den Bus.

So suchen wir uns erst einmal ein Restaurant für das Mittagessen.
Wir wollen diesmal außerhalb des Hotels unser Glück versuchen.
In der Straße, die am Hoteleingang vorbei in ein kleines schattiges Dorf führt, befinden sich gleich drei kleine Restaurants.
Wir steuern auf das Restaurant zu, wo an bunten Tischen schon mehrere Gäste sitzen.
Die kleine kräftige Wirtin heißt Nyoman.
Sie ist Mitte dreißig wie sie uns erzählt, wirkt aber älter.
Sie bewirtschaftet das Restaurant zusammen mit ihrem schnauzbärtigen Mann, der sich eher im Hintergrund hält und nicht so gesprächig ist wie die Küchenchefin.
Nyoman erzählt, dass sie klein angefangen habe und immer mal noch ein weiterer Tisch dazu gekommen sei.
Von den vielen Gästen hat sie ein bißchen Deutsch gelernt und ist gut zu verstehen. Sie ist eine kluge und tüchtige Frau mit schneller Auffassungsgabe, nie um einen Scherz verlegen.
Auch Corina und Peter können sich noch an sie erinnern, als sie vor vier Jahren hier oft gegessen haben, damals muss Nyoman allerdings spindeldürr gewesen sein.
Nun gut, das hat sich geändert; die Geschäfte sind anscheinend ganz gut gegangen!

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Allerdings klagt Nyoman, wegen der Wirtschaftskrise in Indonesien seien einige Touristen jetzt ausgeblieben.
Sie ist auch pro Megawati. Auf Suharto ist sie nicht gut zu sprechen: ihr Vater wurde in den Unruhen 1965 umgebracht, weil er in einem Dorf lebte, welches als prokommunistisch galt. Da alle Bewohner eines Dorfes wegen des Gruppendrucks auf Bali nur einer einheitlichen Richtung angehören durften, wurden damals ganze Dörfer massakriert!
Aber Nyoman hat gelernt, sich nicht von der Vergangenheit einnehmen zu lassen.
Sie denkt an ihre Zukunft und auch an die ihrer drei Kinder, die zwar noch klein sind, aber schon Handreichungen in der Küche leisten und auch den ein oder anderen Teller heraustragen.

Das Essen schmeckt sehr gut: Fisch für Irma, würziges Hühnchen für mich und Sate-Spießchen für Christian, bei den Spießchen weiß Christian ungefähr, woran er ist (isst!); er ist weiterhin sehr mißtrauisch bei aller fremden Kost, ein richtiger
„Spieß“bürger!

Nach dem guten Essen werfen wir noch einen Blick in Nyomans Laden neben dem Restaurant: sie verkauft nämlich auch Holzschnitzereien, Windspiele, Mobiles und andere kunsthandwerkliche Erzeugnisse, für die Bali so berühmt ist.

Ich will schon fast einen kleinen springenden Holzdelphin erwerben; aber Irma, die erfahrene Händlerin, zieht mich weg: „Es kommen noch genügend Geschäfte, nicht gleich kaufen.....“

Gesättigt ziehen wir von dannen.

Den nächsten Shuttlebus nach Candi Dasa um 16.00 Uhr erwischen wir.
Der Fahrer zieht uns gleich ins Gespräch und bietet uns Touren an, das ist ein wichtiges Zubrot für die Hotelangestellten: jeder versucht, den Touristen Leistungen anzubieten und sie möglichst nicht aus dem dichtmaschigen Flechtwerk ihrer Dienste und der der Verwandten und Freunde loszulassen; auch gegenseitige Konkurrenzkämpfe sind da zu beobachten.
Wir planen Dinge lieber unabhängig und auf eigenen Faust, wollen spätestens übermorgen selber einen eigenen Mietwagen buchen; aber für den Anfang ist auch eine geführte Tour vielleicht ein guter Einstieg.
So sagen wir unserem Fahrer zu, dass wir morgen gemeinsam mit ihm eine Besakih-Tour unternehmen.
Besakih : das ist die Mutter aller Tempel auf Bali; dort befinden sich am Fuße des 3.142 m hohen Vulkanes Gunung Agung die Tempel der wichtigsten Hindugötter Brahma, Vishnu und Shiwa sowie die Heiligtümer der bedeutendsten Familien Balis, eine Art Mekka der Balinesen.

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In 1993 sind wir noch nicht dagewesen und da Besakih sich in Ostbali befindet, bietet sich diese Tour an.
Die Tour soll 125.000 Rupiahs kosten, also ca. 40 DM.

Wir werden in der Ortsmitte abgesetzt.
Candi Dasa ist ein Ort, der sich mittlerweile auf den Tourismus als Haupteinnahmequelle eingestellt hat.
Es scheint hier beträchtliche Überkapazitäten zu geben, weil jeder ein Stück vom Tourismuskuchen haben will.
Wenn nun weniger Touristen kommen, beginnt ein großer Kampf um jeden Gast.
Wir müssen ständig die Angebote von „Transport, Transport“ abwehren.
Zahlreiche Restaurants locken mit Sonderangeboten und dem besten Blick; Hotels und Pensionen (Losmen) sind nicht ausgebucht, und StraßenhändlerInnen werben um Kundschaft.
Wir laufen, gehetzt von diensteifrigen Mopedfahrern, die uns nicht laufen sehen können, erst einmal die Hauptstraße entlang; werfen hier einen Blick in ein Textilgeschäft, dort stöbern wir in einem Laden mit Schnitzereien und anderen Kunstgegenständen, und bald haben wir das eine Ende Candi Dasas erreicht, wenden uns in die andere Richtung.
Einen schönen Ausblick bildet der dicht überwucherte Lotusteich in der Dorfmitte.
Jenseits des Teiches ist schon das Meer mit der “Walfischinsel“ zu erblicken.
Am Strand bilden bunt bemalte Auslegerboote einen Blickfang.
Gleich werden wir von herumlungernden Männern gefragt, ob wir ein Boot mieten wollen.
Dies wollen wir nicht und ziehen uns zurück.
Irma kauft bei einem fahrenden Händler gebratene süße Bananen zu einem Spottpreis, sie schmecken sehr gut, viel süßer als die großen Bananen, die in Deutschland auf den Markt gelangen.

Für einen recht überzogenen Preis kaufen wir in einem Supermarkt noch Schnorchel und Taucherbrillen sowie Postkarten.
Dann wird es eigentlich Zeit, dass uns der Shuttlebus wieder abholt; 18.00 Uhr am Ausstiegsplatz im Dorfzentrum war verabredet.

Wir warten. Die Dämmerung senkt sich herab. Dann wird es finster. Aber niemand kommt. Dafür werden wir von mehr und mehr Anbietern umlagert, die uns einen Transport aufdrängen wollen.
Aber zwingen lassen wir uns nicht.
Da wir uns über die Unzuverlässigkeit des Fahrers und den ständigen Ansturm der Mopedfahrer ärgern, nehmen wir schon aus Trotz kein Angebot entgegen.
Statt dessen laufen wir zurück zum Hotel.
Im Dorf selber gibt es noch genug Beleuchtung.
Das ändert sich, als wir den Ort hinter uns lassen.

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Wir können jetzt kaum noch etwas sehen, weil es keine Beleuchtung gibt; lediglich die vorbeirasenden Autos und Mopeds werfen einen kurzen Lichtstrahl auf die Straße.
Wichtig ist, ganz dicht am Wegesrand zu gehen, denn die rasenden Bemo- und Mopedfahrer bremsen weder für Einheimische noch für Touristen!

Es geht ganz gut, wir kommen voran; plötzlich scheint der Boden unter mir nachzugeben!
Schnell springe ich zurück, da war ein tiefes Loch im Bürgersteig, in das ich fast gefallen wäre; zum Glück bin ich als Wegtester vor Irma und Christian hergelaufen. Nächstes mal werden wir die Taschenlampen nicht vergessen!
Fast hätten wir die scharfe Abzweigung nach links zum Hotel nicht erkannt, denn dieser mit Schlaglöchern übersäte Weg ist auch nicht beleuchtet, zum Glück war das Schild wenigstens auffällig!

Wir gehen durch ein kleines Dorf; ein paar Jugendliche langweilen sich in einer Disco, in der nichts los ist.

Wir sind froh, als wir endlich im Foyer stehen.

Ohne es zu sehr auszuschlachten, tadele ich an der Rezeption den Umstand, dass uns niemand abgeholt hat; sie geloben Besserung; wie so oft in Asien war es ein Mißverständnis, naja...

Ich kühle mein Mütchen im Pool; auch Christian erfrischt sich im kühlen Nass, während Irma als Nichtschwimmerin keine Anstalten macht, uns ins Wasser zu folgen.

Jetzt haben wir genug Hunger, um bei Nyoman ausgiebig zu speisen:
es gibt Krabbensuppe, Hähnchen im Bananenblatt (für Irma), Gado-Gado, das Gemüsegericht und Sate (für mich) sowie Spagetti Bolognaise für Christian.
Zum Nachtisch gönnen wir uns gebackene Ananas und gebackene Banane.
Erstmals lasse ich mir auch eine große Flasche des kühlen Bintang-Bieres schmecken (Bintang heißt „Stern“).

In der lauen Abendluft, gut gesättigt und in Gesellschaft eines kühlen Bieres stellt sich Zufriedenheit schnell ein.
Auch ein Kätzchen und ein Hund erhalten ein paar Brosamen.
Schön, dass es nur ein paar Schritte zum Hotel und zum Bungalow sind!

Die Sterne leuchten wieder klar in dieser Nacht.-

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Juli 1999

Wieder lockt uns das leckere Frühstücksbüffet; es schmeckt auch heute vorzüglich.

Aber diesmal halten wir uns nicht so lange auf; es steigt ja unsere erste Tour!
Wir haben dem Fahrer die Unzuverlässigkeit verziehen; er war angeblich davon ausgegangen, dass wir auf andere Weise zurückfahren würden und entschuldigt sich für das „Missverständnis“.

Unser erster Halt ist nur ein paar Kilometer nach Candi Dasa am Rande der Küstenstraße.
Dort ist die Goa Lawah, eine heilige Höhle, in der es von Fledermäusen wimmelt.
Brahmanen beten vor der Höhle und benetzen die Gläubigen mit Wasser.
Die Fledermäuse hängen in dichten Trauben am Eingang der Höhle, in die kein Zutritt möglich ist.
Sie zirpen schrill; im Innern der Höhle muss es fürchterlich stinken.
Angeblich führt die Höhle kilometerweit unterirdisch bis zum Heiligtum Besakih am Fuße des Götterberges Gunung Agung.
Wir halten uns nicht so lang an der Goa Lawah auf, weil wir noch von der letzten Reise her wissen, dass Scharen von Kindern und Souvenirverkäuferinnen die Reisenden bedrängen, ihnen Halsketten aus Fledermauszähnen umhängen und dafür ein Entgelt einfordern.

Es ist nicht weit nach Besakih, vielleicht 50 km, aber die Fahrt zieht sich durch die Berge, und ein kleines Dorf nach dem anderen wird durchquert.
Das größte Dorf am Fuße des Mount Agung, unmittelbar in grünen saftigen Reisfeldern gelegen heißt Rendang.
Es fängt an zu regnen; die südliche Seite Balis ist ohnehin feuchter als der trockenere Norden, den nicht so viel Regen erreicht.

Fleißige Bauern arbeiten auf den Reisfeldern; dies ist Männersache.
Die Frauen kümmern sich um den Haushalt und handeln auf dem Markt.
Sie haben seit Jahrhunderten eine eigenständige Rolle und genug Selbstbewusstsein.
Die Bauern sind im Subak organisiert, dem Dorfverband. Ebenso wie es selbstverständlich ist, dass jeder Mann verheiratet ist - heutzutage schon aus Kostengründen meist nur mit einer Frau -ist es undenkbar, dass ein Bauer nicht dem Subak angehört. Der Subak regelt nach dem Konsensprinzip, wie die Felder bewässert werden. Über kunstvoll ausgeklügelte Kanäle rinnt das Wasser so zu Tal, dass auch für die unten gelegenen Felder noch genug Wasser ankommt.
Damit niemand übergangen wird, ist die Zusammenarbeit sehr wichtig und unerlässlich.

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Es gibt auf Bali bis zu drei Reisernten im Jahr, und wir sehen auf unserer Reise Reisfelder in jedem Stadium des Anbaus.
Mir gefällt besonders der Anblick des jungen grünen Reises im Wasser.

So malerisch die Felder auch wirken, die harte Plackerei dort ist nicht zu übersehen; sich stundenlang zu beugen und mit den Füßen im kalten Wasser zu stehen wäre nichts für unsere empfindlichen Rücken!

Ab und zu sehen wir Enten im Gänse(Enten!)-marsch zu den Feldern ziehen: sie werden in die Kanäle getrieben, um Ungeziefer zu vertilgen.
Auch Aale leben mitunter in den Bewässerungskanälen und stellen eine Bereicherung des Speiseplanes dar.
Immer wieder fallen auch die vielen Kinder auf, die auf der schmalen Dorfstraße herumrennen und uns neugierig nachstarren.

Unser Fahrer erzählt uns von seiner Familie, dem Lieblingsthema der Balinesen, vielleicht der Asiaten allgemein.
Er hat drei Kinder, darunter Zwillinge. Die Zwillinge sind Mädchen. Mädchen scheinen hier - im Gegensatz zu anderen asiatischen Ländern wie Indien, China oder Korea - nicht als nachteilig empfunden zu werden, im Gegensatz zu behinderten Kindern. Nach der hinduistischen Seelenwanderungslehre müssen Behinderte in ihrem früheren Leben gesündigt haben, sonst wären sie nicht mit diesem Makel behaftet ins nächste Leben innerhalb des ewigen Rades der Wiedergeburt angetreten.
Der Vater unseres Chauffeurs ist vor einem Monat gestorben. Er wurde nur provisorisch beerdigt. Es wird noch eine Weile dauern, bis der Sohn genug Geld gespart hat, um die Verbrennung der Leiche zu finanzieren. Die rituelle Verbrennung des Körpers (Kremation) ist ein großes Fest der Balinesen, bei dem nicht etwa Trauer, sondern Freude geäußert wird, weil der Geist des Toten nicht mehr herumirren muss, sondern von der sterblichen Hülle befreit wird und eins mit dem Universum werden kann.
Die Verbrennung findet je nach Kaste des Verstorbenen in verschiedenen Tieren nachgebauten Verbrennungstürmen statt. Die Brahmanen werden beispielsweise in einem Stier verbrannt; normale Bürger in einem Fisch; ob Steuereintreiber in einem Geier eingeäschert werden, entzieht sich meiner Kenntnis...

Wir kommen während unserer Reise nicht dazu, eine Verbrennung zu beobachten; ich war auch nicht so wild darauf, weil es zum einen ein privater Vorgang ist, bei dem ich mir vorstelle, dass die Dorfbevölkerung filmende spitznasige Gaffer als lästig empfinden wird; zum anderen bin ich nicht erpicht darauf, verbrennende Leichen zu sehen...

Endlich sind wir in Besakih, einem kleinen Dorf mit den heiligsten Tempeln am Hang des 3.142m hohen Gunung Agung angelangt.
Die Tempel liegen in etwa 1.000 Metern Höhe.

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Alle adligen Familien haben Tempel auf Besakih. Der berühmteste Tempel ist der Pura Besakih. Die Tempel sind hinduistischen Gottheiten wie Schiwa, Vishnu und Brahma geweiht. Dazu kommt Sanghyang Vidi, ein alles umfassender Schöpfergott, der nur auf Bali bekannt ist und nicht der indischen Tradition entspringt.

Unsere Freunde Bernd und Dorothy hatten bei ihrem Bali-Besuch im März das Glück gehabt, das jährliche Odalanfest (Tempelfest) in Besakih zu sehen.

Außer dem jährlichen Tempelgeburtstag wird im Pura Besakih alle hundert Jahre das wichtigste Fest der Insel Bali, das Eka-Dasa-Rudra - Fest gefeiert.
Dieses Jahrhundertfest wurde zuletzt 1979 begangen und damit außerhalb des gewohnten Rhythmus’.
Dies hatte einen gewichtigen Grund: während der Vorbereitungen zum eigentlichen Termin im Jahre 1963 brach der Vulkan Gunung Agung aus, den man bis dahin für erloschen gehalten hatte.

Die tagelangen schweren Eruptionen forderten mehr als 2.500 Menschenleben und vernichteten zahlreiche Dörfer in der Umgebung.
So wurde das Eka-Dasa-Rudra - Fest erst 1979 nachgeholt.

Wir halten am Parkplatz und verabreden, dass wir uns 1½ Stunden später wieder treffen wollen.

Besonders heilig finden wir die Atmosphäre nicht.
Zunächst kommen wir an Verkaufsbuden vorbei, während wir den Berg zum eigentli-

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chen Eingang des Tempelbezirkes hochschreiten.
Unwillkürlich beschleunigen wir schon jetzt unseren Schritt, denn aus allen Ecken strömen selbsternannte Führer herbei, die kaum abzuschütteln sind.
Corina hatte mir vorher geraten, bald mit einem Führer handelseinig zu werden, um die anderen loszuwerden; denn ganz ohne Führer kommt man unbelästigt nicht den Berg hoch.
Aber uns nerven die aufdringlichen Angebote so, dass wir spontan beschließen, den Tempel nicht zu besuchen.
Wir hätten lieber eine Gebühr entrichtet und die Tempel dann in Ruhe besichtigt, ohne einen plappernden Führer erdulden zu müssen, auch wenn letztlich zu verstehen ist, dass die Leute jede Chance zum Geldverdienen nützen wollen und müssen wenn scheinbar unermesslich reiche Touristen eintreffen.
Aber wenn wir schon abgezockt werden sollen, dann lieber auf raffinierte und nicht auf plumpe Weise, ein bisschen Stil muss schon sein!

So kehren wir dem Tempel den Rücken und beginnen an den Verkaufsständen auf höchst weltliche Weise zu feilschen, wobei Irma als Asiatin wesentlich geschickter agiert.
Am Anfang zahlen wir ohnehin überhöhte Preise, auch wenn sie absolut gesehen immer noch günstig sind.
Beispielsweise zahlen wir für das erste geschnitzte Schachspiel einen deutlich höheren Preis als für das zweite, schönere, das wir am übernächsten Stand erwerben.
Wir finden auch einen kunstvoll geschnitzten Garuda aus hellbraunem Holz, der einen Platz neben unserer Wohnungseingangstür finden wird. (Der Garuda ist das magische drachenköpfige geflügelte Reittier des indischen Gottes Vishnu und seiner Gefährtin Lakshmi. Von ihm hat die staatliche Indonesische Fluggesellschaft ihren Namen.)
Christian drängt darauf, einen malaiischen Dolch zu erwerben. Der kleine Kris, den wir dann finden, hat vermutlich keine Zauberkräfte, sonst wäre er nicht einigermaßen erschwinglich gewesen. Den echten geweihten Dolchen (Kris) werden magische Kräfte zugesprochen, und sie dürfen auch nicht aus der Hand des Besitzers gegeben werden.
Wir kaufen für ein paar Mark auch bunte Mobiles - meist schweben da kleine bunte Fische im Kreise - und finden auch ein paar T-Shirts. Leider ist die Suche nach originellen künstlerischen Motiven schwierig, grell-bunte Dutzendware hat auch auf dem heiligen Tempelberg Einzug gehalten!

Wir müssen uns bei all den vielen Angeboten beeilen, rechtzeitig auf dem Parkplatz zu sein.
Die Rückfahrt führt uns wieder über grüne Hügel, Wälder und Reisfelder.
Es wird Zeit für das Mittagessen.
Unser Fahrer erzählt uns, dass er ein gutes Restaurant kenne.
Wir bitten ihn, in einen preiswerten Gasthof zu fahren.

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Prompt fährt er uns aber zu einem recht exklusiven Restaurant. Es ist in schöner Umgebung mit herrlichem Blick auf die grünen Berge gelegen.
Allerdings fällt auf, dass außer ein paar Franzosen kaum Gäste dort sind.
Hier wird es wohl teurer als geplant.
Mein Plan, in dem Falle nur ein einfaches Gemüsegericht (Gado-Gado) zu essen, wird durchkreuzt, denn es gibt nur Buffet.
Nachdem wir die schöne Aussicht genossen und tanzende Libellen beobachtet haben, schlendern wir zum Büffet.
Das Essen ist leider nur lauwarm, für hiesige Verhältnisse ziemlich teuer und schmeckt längst nicht so gut wie bei Nyoman, bei der wir gestern so köstlich gespeist haben.

Wir zahlen mit Kreditkarte, und Christian macht mich nervös, weil er felsenfest davon überzeugt ist, dass die Kreditkarte in einem Kästchen heimlich kopiert wurde und nun unser Konto geplündert wird. Ich bin für die Geschichte nicht ganz unempfänglich, weil mir meine Freunde vorher von den Hongkong-Triaden erzählt haben, die sich solcher Mittel bedienen.

Aber nach Rückkehr stellen wir in Deutschland fest, dass die großen Löcher, die wir ins Konto gerissen haben, ausschließlich durch uns selbst verursacht sind, wenigstens ein Trost, wenn das Konto schon geplündert ist!

Da der Chauffeur uns nach dem Sitzenlassen gestern Abend in Candi Dasa mit seinem teuren Restaurant schon das zweitemal enttäuscht hat, werden wir künftig nicht mehr auf seine Dienste zurückgreifen und schon morgen einen Leihwagen mieten.
Es macht einfach mehr Spass, auf eigene Faust loszufahren und keinerlei Diskussionen über Restaurants, Wege und Besichtigungen zu haben!

Auf dem Rückweg stellen wir fest, dass die Polizei gerne ausländische Touristen mit Leihwagen kontrolliert; wird der Internationale Führerschein nicht mitgeführt, dann kostet es Strafe; 1993 wurde danach noch nicht gefragt.

Wir halten noch in der Provinzstadt Klung-Kung (17.000 Einwohner).
Mir gefällt das mythologische steinerne Standbild an der Straßenkreuzung in der Stadtmitte. Überall prägen fantasievolle Krieger, Monster und Streitwagen, die meisten Motive dem indischen Ramayana-Götter-Epos entnommen, die Straßenkreuzungen und Ortsausgänge.
Aber das Ziel des Stopps ist die Kerta Gosa, eine alte Gerichtshalle aus dem 18. Jahrhundert.
Sie liegt in einer kleinen Parkanlage in einem künstlichen überwucherten Teich.
Die Gerichtshalle ist im Innern mit Motiven aus dem balinesischen Paradies und diversen hinduistischen Höllen bemalt; der Verurteilte bekam zu sehen, was ihn im jenseits für seine bösen Taten erwartete: von bösen Monstern gefressen zu werden, von Pfeilen durchbohrt sengen ihn höllische Feuerflammen, Tiger reißen an ihm,

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vermutlich keift ihm seine Schwiegermutter die Ohren voll usw. usw.
Interessant ist, dass sich die Menschen aller Kulturen die Höllenstrafen viel besser ausdenken können als die Freuden der Paradiese; dies passt zur Wirklichkeit, in der die Menschen für ihresgleichen auch mehr Höllen als Paradiese geschaffen haben!

Ich verlasse die Gerichtshalle aber als freier Mann und freue mich in Gedanken schon auf den Pool und das anschließende gute Abendessen bei Nyoman, wenigsten ein bisschen Paradies hält auch unser irdisches Dasein parat!
Wir kommen noch nachmittags vor Sonnenuntergang im Hotel an, und da noch Zeit ist, schwimme ich zunächst im warmen Meer.
Der Schnorchel und die Taucherbrille werden ausprobiert: ich sehe allerdings nur zwei silbrige Fische und etwas, was ich für eine Seeschlange halte; ich will es lieber nicht so genau sehen, sondern halte respektvoll Abstand.

Das Baden wird im Hotelpool mit Christian zusammen fortgesetzt.
Bevor wir zum Essen gehen, schauen wir uns im Zimmer noch ein Video mit einem balinesischen Barong-Tanz an, der den unentschieden ausgehenden Widerstreit des guten Prinzips, verkörpert durch das Fabeltier Barong und des bösen Prinzips, verkörpert durch die Hexe Rangda, zum Inhalt hat..
Corina erzählte, dass im Hotel an bestimmten Abenden auch balinesische Tänze
aufgeführt werden, aber leider finden während unseres Aufenthaltes gerade keine Veranstaltungen statt.

Abends gegen halb Acht sitzen wir dann frisch geduscht wieder im Gartenlokal von Nyoman.
Diesmal genießen wir Pfannkuchen (Erinnerung an die Holländer!), Nasi Goreng (gebratenen Reis) und Sate -Spießchen.
Ich trinke drei kleine Bintang-Biere, die in der Abendwärme besonders erfrischend sind.

Wir lernen einen netten älteren Herrn kennen.
Er stammt aus dem bayrischen Straubing, ist etwa 60 Jahre alt, war Sachgebietsleiter in der Kommunalverwaltung und ist bereits pensioniert nach einem Verkehrsunfall, bei dem sein Bein dauerhaft beschädigt wurde.

Er hat das beste aus seiner Situation gemacht und fährt im Jahr dreimal nach Bali, bleibt im ganzen Jahr insgesamt 16 Wochen auf seiner Trauminsel.
Auf dem Grundstück von Nyoman hat er sich einen kleinen Bungalow errichtet und scheint ein guter Freund der Familie zu sein.

Seine deutsche Ehefrau im heimischen Straubing arbeitet noch als Apothekerin und wird im Urlaub dann nachkommen; so lässt es sich leben!
Gegen 22.30 Uhr kehren wir gesättigt zum Bungalow zurück.
Das Kreuz des Südens steht am klaren schwarzen Abendhimmel.-

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Juli 1999

Heute wollen wir ein Auto mieten, um unabhängig zu sein und Bali auf eigene Faust zu erkunden.

Wir lassen uns am Frühstücksbüffet Brot, Schinken, Rührei und Früchte munden.
Mit einem der Hotelangestellten komme ich noch einmal ins Gespräch wegen meiner geplanten Bergtour zum Gunung Agung.
Er stellt mir seinen Freund vor, der ein Auto hat und anbietet, mich für 300.000 Rupiahs nachts zum Gunung Agung zu fahren und mit mir den Vulkan zu erklimmen.
Die Besteigung wird nämlich nachts unternommen, damit man im Morgengrauen den Sonnenaufgang am Kraterrand erleben kann; dies ist so ziemlich die einzige Zeit des Tages, während der keine Wolkendecke den Blick auf die Insel verhüllt.

300 000 Rupien (etwa 100 DM) sind für balinesische Verhältnisse ein stolzer Preis, und Irma ist dafür, noch in Candi Dasa mit anderen Bergführern zu verhandeln.
Aber ich will möglichst ohne langes Feilschen die Bergtour festmachen und sage zu, allerdings mit dem Hinweis, dass ich nicht bereit bin, darüber hinaus noch weitere Ausgaben zu erstatten.

Die Tour soll sowieso erst gegen Ende unseres Bali-Aufenthaltes - als Höhepunkt der Reise - stattfinden.
Irma und Christian wollen nicht mitkommen, es wäre wohl auch zu anstrengend für die beiden.

Wir verzichten diesmal auf den Shuttlebus und wandern zur Ortschaft Candi Dasa.
Es ist nicht so unangenehm wie unser nächtlicher Irrweg von gestern; wichtig ist nur, sich möglichst nah am Straßenrand zu bewegen.

Wir lösen im Ort zwei Reiseschecks zu je 100 $ ein und suchen dann einen Autovermieter.
Wir werden auch schnell fündig und mieten für 55.000 Rupiahs (ca. 18 DM ) am Tag einen kleinen weißen Suzuki, der mich an einen R 4 erinnert.
Schön, dass wir noch den Preis von 65.000 auf 55.000 herunterhandeln konnten!.
Als Mietdauer haben wir fünf Tage veranschlagt, dass muss reichen, denn wir wollen ja nicht nur herumfahren, sondern auch ein bißchen faulenzen.

Wir vergewissern uns, dass die Autopapiere komplett sind, denn die Polizei kontrolliert stärker als vor sieben Jahren, und formelle Fehler sind für die Polizei ein gefundener Anlass zum Kassieren!
Deshalb habe ich mir vor Reiseantritt auch den hier benötigten internationalen Führerschein ausstellen lassen.

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Unsere erste Fahrt soll uns zur Ostküste führen.
Nicht das Linksfahrgebot vergessen! Hoppla, gleich nach dem Ortsende geht es in Serpentinen steil bergauf, wie war das nochmal mit den Gängen, und könnte dieser LKW nicht auf seiner Spur bleiben, und ein Moped jagt das andere... ich gerate während der ersten Momente ziemlich ins Schwitzen, was nicht nur an der tropischen Wärme liegt.

Aber nachdem wir die Serpentinen erfolgreich bezwungen haben und an grünen Reisfeldern vorbei leicht bergan fahren, gehorcht mir das Auto schon besser, und es macht Spass, sein eigener Herr im Auto zu sein.

Die erste größere Stadt, in die wir einfahren, ist die Provinzhauptstadt Amlapura, Hauptstadt des Bezirkes Karangasem, die am Fuße des Gunung Agung liegt, der den gesamten Osten Balis dominiert.

Amlapura wirkt gepflegt, und viele grüne Bäume erfreuen das Auge.
Wir tanken zum erstenmal; das Benzin ist spottbillig.

Irgendwo müsste etwas außerhalb der Stadt die herrschaftliche Badeanlage Tirthaganga (Wasser des Ganges) liegen, die man vor einigen Jahren zu einem jedermann zugänglichen Freibad umgestaltet hat.
Unser Freund Bernd hatte mir Fotos gezeigt, auf der mir die fantasievollen Wasserspeier gut gefallen hatten.
Aber irgendwie finden wir Tirthaganga nicht, und es zieht uns auch mehr zur Küste, wo wir im Meer baden wollen.

Nachdem wir noch einige Steigungen überwunden und malerische Dörfer passiert haben, öffnen sich plötzlich die Berge und wir genießen einen wunderschönen Aus-

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blick auf ein Tal mit Reisfeldern, und weit hinten schimmert das blaue Meer.
Wir haben die Ostküste erreicht!

In langen Schleifen geht es ins Tal, bis wir auf die Küstenstraße gelangen und bei dem Dorf Ujung nach links, also nach Norden, abbiegen.
Mal sehen, wie weit wir kommen!

Es ist jetzt ziemlich heiß, und das Land wirkt trockener als die Gegend um Candi Dasa.
Rechts ruht das Meer friedlich, von den bekannten gefährlichen Strömungen ist jetzt nichts zu erahnen.

Links thront der majestätische Götterberg Gunung Agung, und in der Mitte windet sich die Straße durch weniger werdende Dörfer in einer staubigen Landschaft.
Einen Badestrand entdecken wir nicht.

Wir fahren etwa 50 Kilometer am Meer entlang, wofür wir gut eine Stunde benötigen.
Die Gegend wird zusehends einsamer.

Nach dem Gunung Agung erhebt sich links nach einiger Zeit der zweite große Vulkan, der Mount Batur, der aber „nur“ knapp 1.800 Meter hoch ist.

Irma und Christian erheben jetzt ihre Stimme und drängen auf Umkehr.
Es macht auch tatsächlich keinen großen Sinn weiterzufahren, denn bis zur Nordküste ist es zu weit, und in der letzten halben Stunde hat sich die Landschaft nicht groß verändert.

So fahren wir wieder zurück nach Ujung.
Während Irma im Dorf etwas zu trinken kaufen will, wandern Christian und ich ein paar hundert Meter zum menschenleeren schwarzen Strand.
Hier kann man doch baden, auch wenn wir keine bunten Fische sehen.
Grandios ist aber der Blick zum wolkenverhangenen Gunung Agung, und das Wasser ist frisch, aber nicht kalt.
Nach einer halben Stunde haben wir uns genug erfrischt und treten die Rückkehr zum Auto an.

Wir finden Irma an einem Marktstand; sie hat Wasser gekauft und ist mit ein paar Dorfbewohnern ins Gespräch gekommen.
Wegen ihres Aussehens wird sie so gut wie immer für eine (reiche) Indonesierin gehalten und muss sich dann verständlich machen, dass sie weder von Java noch von Bali, sondern von den Philippinen kommt.

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Ein paar Grundwörter wie „teuer“, „Ziege“ , „müde“ , Kind“, „fünf“ usw. lauten auf Tagalog und Bahasa Indonesia gleich bzw. ähnlich.
Dies ist kein Wunder, denn die Inseln trieben seit jeher Handel miteinander, und die Entfernungen sind für die Schiffe kein großes Hindernis gewesen.
Für den Europäer ist es angenehm, dass die Indonesier ebenso wie die Filipinos die uns vertrauten lateinischen Schriftzeichen benutzen, was in Thailand, Japan oder China bekanntlich anders ist.

Irma kann sich jedenfalls in Indonesien auch ohne Englisch verständlich machen.

Ein junger Mann stellt sich uns auf Englisch vor: er heißt „Made“, ein häufiger Name.
Er ist Lehrer und freut sich über die seltene Gelegenheit, seine Englischkenntnisse auszuprobieren.

Er führt uns zu seinem kleinen Haus mit Gärtchen. Gemeinsam mit seinen Eltern, seiner zierlichen Frau und den beiden Kindern posieren wir für ein Erinnerungsfoto, das wir ihm nach unserer Rückkehr zusenden.
Rührend ist, dass er aus einem Fotoalbum ein Bild herauslöst und uns als Erinnerung mitgibt.
Irma meint zu recht, dass hier auf dem Land noch wahre Gastfreundschaft herrscht, die in den Städten mancherorts dem Geschäftssinn gewichen ist, wofür ich allerdings wegen des niedrigen Lebensstandards der Indonesier ein gewisses Verständnis habe.

Bei der Anfahrt erleben wir noch ein paar Schrecksekunden, denn ich bleibe zunächst auf der rechten Seite, bis uns ein Fahrzeug entgegenkommt und ich den Irrtum bemerke.

Die Rückfahrt führt uns wieder durch die Berge und über Amlapura zurück nach Candi Dasa.
Wir suchen das Schwimmbad nicht mehr, denn auch der Hotelpool lockt.

Dort erfrischen wir uns, und ich stelle fest, dass ich mir einen leichten Sonnenbrand zugezogen habe.
Christian ist wegen seines asiatischen Erbes viel resistenter gegen die Sonneneinstrahlung, wird schnell tiefbraun und bekommt keinen Sonnenbrand.

Ich wage mich noch einmal ins Meer hinaus und merke, dass die Strömungen nicht zu unterschätzen sind.
Wunderschön ist der Blick vom Meer aus auf die grünen Berge Balis.
Noch ein bißchen ausruhen und lesen, dann meldet sich der Magen, und die Vorfreude auf das Abendessen kommt auf.
Es ist gegen halb sechs, und unsere Wahl fällt wieder auf Nyoman`s Restaurant.
Ihr Essen hat auch bei den anderen Hotelgästen den größten Zulauf.

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Da wir mittags nichts gegessen haben, bestelle ich mir zwei Gänge: zunächst Gado-Gado, ein vegetarisches kaltes Gericht mit Kohl, Sojasprossen und anderem Gemüse, worüber dann eine leckere scharfwürzige Erdnußsauce gegossen wird.
Der zweite Gang ist Hähnchenfleisch mit Chili; ich hab`s gerne scharf.
Diesmal nehme ich zum Löschen eine Flasche Bintang-Bier der größeren Version.

Kurz vor neun Uhr stürzt sich Christian kurz vor offiziellem Badeschluss nochmals in den Pool; er überredet mich, es ihm gleich zu tun, und so schwimmen wir noch ein paar Runden, den sternenklaren Himmel über uns.

Dann sitzen wir alle noch ein bißchen im Liegestuhl oberhalb des Strandes und genießen den warmen Nachtwind, das Plätschern des Meeres und den samten Himmel mit den verschiedenen Sternbildern des Südens.

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Juli 1999

Heute wollen wir zum Reptilien- und zum Vogelpark in der Nähe von Ubud.
Bei unserem letzten Aufenthalt in Ubud vor sieben Jahren existierte dieser Park noch nicht, den wir jetzt auf Empfehlung meines Kollegen Karl-Heinz aufsuchen.

Ein vergleichbarer Vogelpark des gleichen Eigentümers befindet sich bei Walsrode in Niedersachsen.

Um 9.00 Uhr morgens fahren wir los.
Es sind zwar nur 80 km zurückzulegen, aber wir kommen nur mit einem Schnitt von maximal 40 Kilometern in der Stunde vorwärts.

Es handelt sich bei der Straße nach Westen um eine kurvenreiche Landstraße, die sich über Berg und Tal schlängelt.
Zahlreiche Ortschaften sind zu passieren, was das Vorwärtskommen zusätzlich erschwert.
Auch fahrerisch ist die Strecke ein Härtetest. Dies liegt weniger am Linksverkehr als vielmehr an der Armada von flitzenden Mopeds, dem Hauptfortbewegungsmittel des normalen Balinesen. Auf fast jedem Moped findet noch eine Beifahrerin, die bessere Hälfte und meist noch ein Flechtkorb mit Handelsgütern Platz.
Die Mopeds schießen aus unberechenbaren Stellen hervor, treten meist im Rudel auf.

Nicht so unberechenbar, aber lästig mit ihren Qualmwolken und der Blockierung der Fahrbahn sind die schnaufenden Uralt-LKW`s, die in Deutschland keine Abgasuntersuchung überstehen würden.
Bei den Härtefällen war vor Abgasen manchmal kaum noch was zu erkennen.

Da es keine Bürgersteige gibt, muss auch immer wieder mit Kindern, Alten, Katzen, Enten, Hühnern und Hunden gerechnet werden, die auf die Fahrbahn stürzen.
Ein toter Hund, hingestreckt auf der Fahrbahn, war ein trauriges Merkmal hündischer Ignoranz und balinesischer Raserei.

Zum Glück haben wir in unserem Urlaub weder Mensch noch Tier Schaden zugefügt; Langsam fahren war immer oberstes Gebot.-

Zuerst passieren wir die sattsam bekannte Fledermaushöhle ohne anzuhalten.
Die nächst größere Stadt ist Klungkung mit der Kerta Gosa und steinernen Fabelwesen auf den größeren Straßenkreuzungen.
Vorher überqueren wir eine breiten Fluss, auf dem auch Rafting möglich sein soll.

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Auf der Weiterfahrt fällt mir ein riesiges in den Fels gehauenes Elefantenstandbild auf; das im Süden Balis noch von einem auf der Straßenkreuzung thronenden steinernen Riesenbaby übertroffen wird.

Wir verlassen die Provinz Klungkung und sind jetzt in der Provinz Gyanyar, aus der etliche balinesische Könige stammten.

Die nächste geschäftige Stadt, die wie die Provinz Gyanyar heißt und in der etwa 30.000 Einwohner leben, ist heute nicht mehr so prächtig wie in ihrer Blütezeit im 17. und 18. Jahrhundert.
Wir sind froh, als wir sie hinter uns haben.
Jetzt ist es nicht mehr so weit bis Ubud.
Die Straße steigt an. Mopeds, Menschen, Trucks und wieder Mopeds.---

Der Vogelpark liegt etwas außerhalb von Ubud in Singapadu.
Nachdem wir uns durchgefragt haben, sind wir schon da.

Der Eintritt ist leider für den Reptilien- und den Vogelpark jeweils extra zu bezahlen und mit umgerechnet 20,- DM pro Park nicht billig, insbesondere nicht für balinesische Verhältnisse.
Aber besucht werden die Gehege fast ausschließlich von Touristen, und wir haben den Eindruck, dass die Tiere artgerecht untergebracht sind, im Gegensatz zu den jämmerlichen Bedingungen in den üblichen asiatischen Zoos.

Auf Christians Drängen und zu Irmas Abscheu besuchen wir zuerst den Reptilienpark.
Schlangen räkeln sich hinter Glas.
Auf einer grünen Wiese tummeln sich Warane und andere Echsen zum anfassen.

Christian hat im Gegensatz zu seiner Mutter keine Berührungsängste und lädt sich eine grüne Echse auf, die still hält und ganz friedlich bleibt.
Ich wage es mit einem noch schwereren Waran; es könnte ein Bindenwaran sein.
Der Schwanz der Echse ringelt sich bis zum Boden, als ich sie auf den Arm nehme. Sie fühlt sich weich und kühl an; es ist ein angenehmes Gefühl.
Die gefährlichen Echsen in Gestalt mehrerer großer Komodowarane befinden sich allerdings hinter Glas. Sie sind bis zu drei Metern lang, erinnern an Dinosaurier und
sind nicht ganz ungefährlich.
Sie leben wild noch auf der Insel Komodo sowie auf der Insel Flores.

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Sie ernähren sich von Hirschen und anderen größeren Tieren.
Sobald die Beute gebissen ist, infiziert sie sich mit dem giftigen Speichel der Reptilien und sinkt irgendwann entkräftet zu Boden. Dann ist die Echse schon in der Nähe und vollendet ihr Werk.

Eine Kobra hinter Glas stürzt sich auf Christian, als er sie in geringem Abstand durch die Scheibe fixiert.
Ihre Stirn ist schon blutig, anscheinend lernt sie nicht, dass das Glas als Barriere wirkt.

Eine kleinere Echse mit Hornplatten auf dem Schädel erinnert uns an den Pachycephalosaurus, Christians Lieblingssaurier aus der Zeit, als er sich noch für die Urzeitwesen interessierte.

Anschließend statten wir noch dem Vogelpark unseren Besuch ab.
Hier gefällt es Irma besser, während wir Männer die Reptilien spektakulärer fanden.

Am Anfang thront ein großer weißer Kakadu auf einer Stange und krächzt.
Bunte Aras erfreuen das Auge.
Grüne und rote Sittiche und Papageien werden den Besuchern auf die Schultern gesetzt, damit Erinnerungsfotos geschossen werden können, die anschließend gegen Extraentgelt zu kaufen sind.

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Christian wird ein großer grauer Kakadu auf die Schulter platziert.
Unser Sohn findet den Vogel zunächst spaßig; aber der Spass vergeht ihm, als der Vogel mit seinem Riesenschnabel an seiner Kappe herumknabbert und nicht mehr davon ablassen will.
Das Ungetüm wird schleunigst entfernt, zu Schaden kommen aber weder Kind noch Vogel.

Drollig wirkt auch ein Kasuar, ein australischer Laufvogel, der - angestachelt von den Zuschauern - schlecht gelaunt wilde Sprünge vollführt, woraus Christian schließt, dass der flugunfähige Geselle Kickboxen betreibt.

Mehr von Ästhetik geprägt ist der Auftritt der Pfaue, der Kronenkraniche und der bunten Regenwaldvögel.

Interessant ist auch ein Regenwaldbiotop, das auf einer schmalen Hängebrücke
überquert wird. Einer der Bäume hat große, nach Vanille duftende Früchte.
Auch ein interessantes Gebäude, nämlich ein mit seinem geschwungenen Dach an ein Schiff erinnerndes, reich verziertes indonesisches Holzhaus steht auf dem Gelände, vermutlich ein Haus der Batak auf Sumatra.

Zufrieden und von Eindrücken spirituell gesättigt verlassen wir nach knapp zwei Stunden die beiden Tierparks und wollen in Ubud etwas essen.

Es geht auf und ab, die Straße wird immer enger und ist mit Schlaglöchern übersät.
Die Orientierung haben wir schon verloren.
Auf einmal kommen uns aber die Häuser merkwürdig vertraut vor: in dieser Gegend haben wir vor sieben Jahren für eine Woche gewohnt!

Wir halten an beim Agung Raka, der Hotelanlage, die damals unser Domizil war. Hier hat sich noch nicht viel verändert; im Gegensatz zum mittlerweile ausgebauten Nachbarhotel, wo wir uns seinerzeit mit den Kellnern angefreundet hatten.
Nachdem ich gefragt habe, ist es uns gestattet, das Agung Raka mit seinen kleinen Holzbungalows zu betreten.

Dort haben wir auf der Veranda gesessen und so manche süße Frucht verzehrt.
Und dort ist das Schwimmbecken mit den kleinen wasserspeienden Elefanten!
Der Blick schweift über die weiten grünen Reisfelder, die sich im Dunst verlieren.

Wir verabschieden uns mit ein bißchen Wehmut und fahren weiter in die eigentliche Ortschaft Ubud.
Wir parken unseren Suzuki in einer Seitenstraße und bummeln durch kleine Läden.

Schnitzereien, Tücher, bunte Mobiles, Schachspiele, Handtaschen, Tücher, bunte Gemälde, Barongfiguren, Wandbehänge: alles paradiert vorbei und wird angepriesen.

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Gegenüber früher scheint sich mehr Massenware breit zu machen. Aber die wirklichen Kunstgegenstände und Kunstgalerien findet man meist abseits vom Touristenstrom.

Wir erwerben mit einem bißchen Feilschen ein paar Fisch- und Schmetterlingsmobiles, die wir als Mitbringsel für Familien mit Kindern vorgesehen haben.

Gegen 14 Uhr essen wir in einem kleinen Lokal. Christian freut sich wieder über Spagetti Bolognaise, während wir das Hühnergericht für nicht außergewöhnlich halten.

Nach zwei Eistees trotten wir die Straße weiter.
Auf einem Fußballfeld findet zu Scorpion-Musik der Kampf ums runde Leder statt, man glaubt sich nach Europa zurückversetzt.
Nach links zweigt die Monkey Forest Road mit ihren vielen Läden und Restaurants ab. Globetrotter walzen in Sandalen und mit bunten Tüchern drapiert auf ihr in Richtung Affenwäldchen. Richtig: dort warten graue Äffchen auf Leckerbissen spendierfreudiger Reisender.
Es gibt noch mehrere andere Affenwäldchen auf Bali. Bei Sangeh, nicht weit von hier, sollen die Affen am aggressivsten sein.

Uns nähern sich die kleinen grauen Gesellen, ich denke, es sind Meerkatzen, zunächst bedächtig.
Sie wirken überfüttert, denn auf jeden Affen kommen anscheinend drei Touristen, die ihn füttern wollen.

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Gefüttert werden Affen natürlich mit Bananen. Sie scheinen sich regelrecht herabzulassen, eine Banane in Empfang zu nehmen. Ein Affenpärchen koitiert in der Nachmittagssonne. Andere scheinen sich gar nicht um die Menschen zu kümmern, betreiben Fellpflege oder rangeln miteinander.
Ein bißchen Bewegung kommt auf, als ein Äffchen auf Christian heraufklettert.
Auf seinen Schultern schält und verspeist es eine Banane, mit sich und der Welt im Einklang.
Christian findet es spannend, traut dem Äffchen aber nicht ganz.
Die Fotoapparate von japanischen Ladies klicken, vielleicht landen Christian und sein pelziges Reittier in einem gutbürgerlichen japanischen Familienalbum, wir werden es leider nicht herausfinden!
Nach Beendigung der Mahlzeit turnt das Äffchen hurtig herunter, und wir wandern weiter zum Tempel im Affenheiligtum.
Es erinnert an das Dschungelbuch, die Affen auf dem Tempel herumklettern zu sehen. Sie sind dort geduldet und werden nicht verjagt.

Anschließend steigen wir noch eine Schlucht hinab. Der Weg ist flankiert von zwei lebensechten großen steinernen Komodowaranen. Sie scheinen auf etwas zu warten, ihre Muskeln spannen sich und verleihen ihnen etwas Lauerndes.

Unter ihnen rauscht ein Wildbach; hohe Bäume recken ihre Kronen aus dem Dunkel in das Sonnenlicht; Mücken und Schmetterlinge flattern.

Langsam müssen wir an den Rückweg denken. Der Weg zum Auto ist noch weit, und wir wollen nicht im Dunkeln auf unbeleuchteten balinesischen Landstraßen unterwegs sein.

Wir stürzen uns also noch einmal in das Gewühl auf der Monkey Forest Road und den anderen Straßen Ubuds und finden unser Auto glücklich wieder.

Auf der Heimfahrt verfahren wir uns im Dorf Pejeng, zum Glück merken wir unseren Irrtum aber noch rechtzeitig..
Es ist wieder anstrengend, sich den Weg um enge Kurven, durch Schwärme von Mopeds und im Windschatten von Lastwagen zu bahnen, aber noch vor Einbruch der Dunkelheit treffen wir wieder am Hotel ein.

Abends schwimmen wir im Pool und speisen dann bei Nyoman.
Dort macht sich ein dickerer älterer Deutscher mit Lederweste unbeliebt, der prahlend und aufdringlich seine Afrika- und Asien - Erlebnisse schildert.
Nachdem die anderen Gäste von ihm abgerückt sind, bleibe ich noch als Ziel seiner Stories übrig und höre ihm aus Höflichkeit zu, was ihn sichtlich erfreut.

Er erzählt, er habe in Deutschland ein Sanatorium gehabt, dieses verkauft, als er 41 wurde und sei dann nach Kenia gegangen. Dort habe er sich Einfluss ver-

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schafft und unter anderem Messerkämpfe mit einheimischen Gangstern überstanden. Nachdem er noch in mehreren anderen afrikanischen Staaten gelebt habe, sei er nach Asien gegangen, habe dort auch viel Erfolg gehabt.
In Deutschland fühle er sich nicht mehr wohl; die Leute seien kühl und unfreundlich (`das ist auch kein Wunder bei seiner lauten und aufdringlichen Art` denke ich mir im Stillen).
Er sei auch ein paarmal verheiratet gewesen, beispielsweise mit einer Inderin, auch mit einer Afrikanerin, habe die Frauen nach Deutschland gebracht. Wenn sie aber älter als 25 Jahre geworden seien, habe er sich wieder von ihnen getrennt; es habe ihn nur gereizt, mit jungen Frauen zusammen zu sein, und mit Geld habe er sich immer eine neue Frau leisten können...

Komischerweise tut mir der alte Fettwanst am Schluss sogar etwas leid, denn letztlich ist er eine arme einsame Sau, und seine früheren Heldentaten nützen ihm im Alter jetzt nichts mehr; auch die Frauen scheinen ihn jetzt nicht mehr zu mögen.
Am nächsten Abend erzählt Nyoman, der Kerl habe sich auch an sie heranmachen wollen, worauf sie ihn freundlich, aber bestimmt herausgeworfen habe.

Auch das Globetrotterdasein muss damals einfacher gewesen sein!

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12. Juli 1999

Heute morgen sitze ich schon um 7.00 Uhr im Liegestuhl am Strand und beobachte die plätschernden Wellen. Weit im Hintergrund grüßt das mittlerweile vertraute Bild der „Walfischinsel“, und nur ein paar Zirruswölkchen treiben am Horizont, während ich mich in „The moor’s last sigh“ vertiefe.
Es ist entspannend, mal ganz alleine zu sein, nur beäugt von den steinernen
glotzäugigen Dämonen, die heute ein neues schwarz-weiß kariertes Tuch um ihre Hüfte geschlungen haben.

Als wir eine Stunde später am Frühstücksbüffet erscheinen, bemüht sich ein einheimischer „Zauberer“ mit Kunststückchen um die Gunst der Kinder. Ich bin froh, dass er die Erwachsenen nicht einbezieht, denn morgens früh im Urlaub will man ungern der Mittelpunkt des öffentlichen Interesses werden...

Aber so ganz ungestört sind wir doch nicht: ein balinesischer Hotelmanager gesellt sich zu uns. Er erzählt, dass eine Frau und seine drei Kinder in Denpasar leben, damit die Kinder dort zur Schule gehen können.
Jetzt in den Ferien ist seine 14jährige Tochter zu Besuch gekommen, per Moped; die Balinesen sehen das ganz locker. Auch sein schüchterner pausbäckiger Sohn, ein Jahr jünger als Christian, ist anwesend. Außer gemeinsamem Plantschen kommt es zu keinem Kontakt der Jungen, da Christian nicht Balinesisch spricht, sein Gegenüber weder Deutsch noch Englisch versteht und außerdem beide schüchtern sind.

Nach der Plauderei brechen wir mit unserem Suzuki zur nächsten Rundfahrt auf.
Ziel ist der Batur-See, der vom gleichnamigen Vulkan flankiert wird.
Dort waren wir schon 1993 auf unserer ersten Balireise und genossen das schöne Panorama.

Nach balinesisch-hinduistischer Sage soll der Götterberg Meru seinerzeit in zwei Teile auseinandergebrochen sein: in den 3.142 m hohen Gunung Agung einerseits und den 1.717 Meter hohen Mount Batur andererseits.
Auch der Batur war 1962 und 1963 noch aktiv; Rauchwölkchen quillen immer noch aus seinem Krater.

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Aber zunächst sind wir wieder „on the road“: die Ochsentour über die vielbefahrene Landstraße nach Westen kennen wir bereits, ebenso die langwierige Ortsdurchfahrt durch Klungkung.
Diesmal biegen wir aber vor Gyanyar nach rechts ab, Richtung Bangli.
Die Straße steigt jetzt an. Durch saubere Dörfer und grüne Alleen geht es hoch ins Gebirge; Regen kommt auf, genau wie auf unserer Fahrt nach Besakih.
Aber es ist angenehm, zu fahren, da der Verkehr nicht so dicht ist wie auf der vielbefahrenen Ost-West-Achse. So komme ich dazu, nicht nur die Mopeds und Lastwagen zu fixieren, sondern auch die schöne Landschaft rechts und links zu betrachten.
Die Gewächse mit den roten Blättern: das sind doch Weihnachtssterne!.
Bambuswälder beeindrucken mit ihren grünen und weißen Stämmen: wer weiß
schon, dass diese riesenhaften Mikadostäbchen gar keine Bäume sind, sondern das größte Gras der Welt!

Zwischendurch kommen wir immer wieder durch schöne Dörfer: unten in Richtung Meer liegt stets der Totentempel, der die Dämonen in Schach halten soll; in der Mitte der Dorftempel, der die Sorgen und Freuden der Menschen regelt und nach oben, zu den Bergen hin der heilige Dorftempel, der den Göttern geweiht ist.

Vor uns taucht plötzlich ein Zug aus Menschen auf: sie tragen einen Sarg, sind unterwegs zur Kremation (Verbrennung). Wir fahren vorsichtig daran vorbei.
Die Totenverbrennungen auf Bali sind berühmt, aber ich möchte als Tourist nicht an einem solch privaten Ereignis teilnehmen, finde die Zeremonie auch etwas unheimlich.

Um 12.00 Uhr sind wir im Dorf Penelokan und werden gleich zu einem Parkplatz gewunken. Ich weiss nicht, ob es ein polizeiliches Gebot ist, hier zu parken, aber weiter wollten wir sowieso nicht fahren.

Hier ist der berühmte Aussichtspunkt.
Links grüßt der kahle gezackte Batur, aus dem Rauchwölkchen aufsteigen, gegenüber erhebt sich der Schwestervulkan Gunung Abang, 2.153 Meter hoch, aber nicht so berühmt-berüchtigt wie der Batur, und in der Mitte zwischen beiden Vulkanen, in der Caldera, erstreckt sich der große Batursee.

Kleine Dörfer sind unten im Tal am Rand des Sees zu erkennen.
Eines der Dörfer am rechten Uferrand heißt Trunyan.
Dort leben balinesische Ureinwohner, die Bali-Aga, deren Gebräuche sich von denen der hinduistischen Balinesen unterscheiden.
Die als misstrauisch und verschlossen geltenden Dorfbewohner bestatten ihre Toten nicht, sondern schichten sie zum Trocknen auf. Das Dorf ist auch nicht auf dem Landweg, sondern nur mit dem Boot erreichbar.
Ich kann mich noch gut an ein Foto in „GEO“ erinnern, das eine alte zahnlose Fährfrau zeigt, die die Hand ausstreckt, um eine Münze für die Überfahrt zum Dorf der Toten zu erhalten; es erinnert an die alte griechische Sage vom Fährmann Charon,

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dem die Toten bei ihrer Überfahrt über den Fluß Styx eine Goldmünze zahlen müssen, damit er sie auf der Fahrt zur Toteninsel mitnimmt.

Aber für tiefsinnige philosophische Gedanken bleibt hier an dem Aussichtspunkt keine Zeit, denn wie schon vor sieben Jahren bestürmen uns Händler und Händlerinnen, um uns Tand aufzuschwatzen, insbesondere Buntstifte mit Vogelköpfen sowie Löffel und Bestecke aus Horn. Ich fliehe, während Irma und Christian schließlich einen Löffel aus Horn kaufen, nachdem ihn Christian zuvor zum Entsetzen der Händlerin auf dessen Haltbarkeit getestet hat, indem er damit auf die Mauer schlug.

An einem Stand trinken wir etwas.
Irma möchte ausruhen, während Christian und ich einen sandigen Weg in Richtung eines Dorfes hinabgehen. Kinder und Hunde laufen hinter uns her; es ist sehr steil.
Christian kehrt bald um, während ich es bis zum Dorf schaffe.
Ein Blick nach oben zeigt den Aussichtspunkt in weiter Ferne. Daher ist es besser, nun umzukehren, den Mount Batur kann ich sowieso nicht besteigen!

Es herrscht immer noch Trubel, deshalb beschließen wir, aufzubrechen, nachdem wir noch einen letzten Blick in das schöne Tal geworfen haben.

Am Parkplatz stellen wir fest, dass unser Auto zugeparkt ist. Der Besitzer des vor unserer Ausfahrt parkenden Wagens fährt zwar ein Stückchen vor, aber eben nur ein Stückchen, da auch alle anderen Fahrzeuge jedes Fleckchen Platz ausgenutzt haben.

So kostet es Nerven und Schweiß, aus der Parklücke herauszurangieren.
Wir fühlen uns richtig befreit, als wir es endlich geschafft haben und die ziemlich freie Straße hinab Richtung Bangli vor uns liegt.

Kurz vor Bangli biegen wir diesmal links ab nach Rendang. Unsere Rückfahrt soll uns durch die grünen Wälder und Felder am Fuße des Gunung Agung führen.
Es geht bergauf und bergab, alle Schattierungen von Grün sind in den Reisfeldern und den dunklen Wäldern hier am wasserreichen Fuß des Vulkanes auszumachen.
In den kleinen Dörfern scheint die Zeit stehengeblieben zu sein: hier dreht sich noch immer alles um den Reisanbau und die Einhaltung der kultischen Riten.
Es ist, als ob hier noch das Herz Balis schlägt...
Selat, Duda, Bebandem, so heißen die Dörfer, an deren Namen ich mich noch erinnere.
Zum Glück verirren wir uns nicht auf den vielen kleinen Straßen und Sträßchen, die durch die Berg- und Hügellandschaft führen.
Über Amlapura geht es dann zurück nach Candi Dasa.
Dort stillen wir unseren ärgsten Hunger für ein paar Pfennige mit gebratenen Bananen, die wir beim fliegenden Händler am Lotusteich erstehen.

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Aber das reicht noch nicht: wir kehren direkt in Candi Dasa in ein Restaurant ein.
Der junge Kellner ist wie alle Balinesen kinderlieb und hat Interesse an Christian.
Mit viel Hallo kredenzt er ein Vanilleeis mit tropischen Früchten und heißer Schokoladensauce, angerichtet in einer ausgehöhlten Ananas.
Wir essen Seafood , während uns Ketut, der Kellner, erzählt, dass er gerne die Rockband Metallica hört.
Heute finde hier auf der kleinen Bühne im Restaurant ein Legong-Tanz statt, wir seien herzlich eingeladen.
Da wir auf dieser Reise noch keine Tanzdarbietung gesehen haben, wollen wir gerne auf das Angebot zurückkommen.
Zunächst aber fahren wir zum Hotel, um uns frisch zu machen.
Dann schmuggeln wir zwei Plastiktüten mit schmutziger Wäsche zu Nyoman, der freundlichen Restaurantbesitzerin um die Ecke.
Obwohl das Personal neugierige Blicke auf die Tüten wirft, offenbaren wir nicht, dass wir nicht den teuren hoteleigenen Waschdienst, sondern die Dienste der preiswerteren tüchtigen Wirts- Haus- und Waschfrau Nyoman in Anspruch nehmen.

Voller Erwartung steigen wir ins Auto und sind kurz vor 20.00 Uhr wieder beim Restaurant, wo uns Ketut mit verlegenem Lächeln darüber aufklärt, die Legong-Tänzerin sei noch nicht da, bete möglicherweise noch im Tempel, wir möchten ein bisschen warten, falls es uns nichts ausmache.
Nach einer weiteren halben Stunde ist es wohl nicht mehr zu verheimlichen, dass sie nicht mehr kommt, was auch Ketut einräumt.
Es gehört zu Bali, dass einerseits spontan schöne Erlebnisse geschehen, andererseits sich schöne geplante Ereignisse nicht unbedingt verwirklichen. Möglicherweise lenken die Götter den Lauf der Dinge auf Bali spontan und nach eigenem Gutdünken...

Nun, das kann ja mal passieren, dann bummeln wir eben noch ein bißchen durch das Dorf.
Candidasa liegt an einer langen Straße mit stets vorbeibrausenden LKW’s und der üblichen Armada von Mopeds ..
Es macht Spass, durch die verschiedenen Läden mit Schnitzereien, Batik und anderen Dingen zu bummeln.
Hier werden wir noch vor dem Abflug „zuschlagen“; die geschnitzten Warane gefallen mir gut, auch zwei kleine Harley Davidsons aus Holz will ich meinen Freunden Walter und Martin, den Motorradfreaks, mit bringen.
Leider lässt der Händler hier nicht mit sich handeln, da er der Auffassung ist, im Supermarkt seien die Preise fest.

An einem fahrenden Imbissstand probieren wir Sate und in Öl gebackenes Tofu (Sojabohnenquark). Während das Tofu gut schmeckt, scheint mir das Fleisch doch recht einfacher Herkunft zu sein; am Stand, wo sonst nur Einheimische für ein paar Pfennige essen, ist man nicht so wählerisch.

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Eine junge Frau fragt uns aus, hat - wie viele Asiaten - Interesse nach Deutschland oder Amerika zu gehen, aber aus diesen Träumen wird meistens mangels Finanzen und Visum nichts.

Gegen 21.30 fahren wir wieder zurück zum Hotel.
Dort wartet der Mittelsmann meiner Gunung-Agung -Bergtour: jetzt will er plötzlich mehr als 300.000 Rupien, nämlich noch ein extra Entgelt für die Begleitung während des Aufstiegs zum Gipfel.
Da die vorher vereinbarten 300.000 Rupien fast 100 DM sind, gebe ich diesmal nicht nach und berufe mich darauf, dass wir den Preis bereits ausgemacht haben.
Die Verhandlung endet so, dass der Mittelsmann und Autobesitzer mich zum Festpreis von 300.000 Rupien nachts zum Berg fahren wird, Lampen besorgt, ohne Zusatzkosten einen einheimischen Führer auftreibt und mich dann anschließend wieder mit dem Wagen abholt.
Mit dieser Lösung haben beide Seiten ihr Gesicht gewahrt, was in Asien bekanntlich das Wichtigste ist.

Juli 1999

Heute morgen arbeite ich: ich schreibe ein Bündel Postkarten: wenn ich mich einmal zum Schreiben durchgerungen habe, läuft es wie am Fließband..

Dann fahren wir nach gutem Frühstück zum Hafen Padangbai, etwa 20 km nach Westen an der Südküste.

Es reizt mich, zur Insel Nusa Penida überzusetzen, die vom Strand des Hotels aus wie ein großer Schatten zu sehen ist. Sie ist natürlich viel kleiner als Bali, aber die größte der kleinen Nebeninseln Balis.
Sie gehört zur Provinz Klungkung und wurde in der Vergangenheit von den Balinesen gemieden, da ein gefräßiger Riesendämon dort hauste.
Von der Landschaft her ist sie verkarstet, und an den Kalkriffen sollen sich auch Haie und Rochen aufhalten; das verspricht spannende Tauchgänge!

Aber als wir an der schönen Hafenmole angelangt sind, müssen wir umdisponieren: die Fähre nach Nusa Penida fährt (wenn sie überhaupt wenigstens einmal am Tage fährt) bereits morgens früh ab; so früh kriege ich meine Leute nicht aus den Federn. Was machen wir jetzt; ich wollte gerne mit Christian schnorcheln..

Wie immer in Asien bleiben unschlüssige Touristen nicht lange allein: ein paar junge Burschen nähern sich uns und versprechen uns Sightseeing und herrliche Tauchgänge.

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Normalerweise gehen wir auf Straßenangebote nicht ein, aber diesmal haben wir ja keine festen Vorstellungen und lassen uns mitziehen.
Wir kommen zu einem Strand, an dem bunte Boote festgemacht sind.
Es sind Auslegerboote, so schmal, dass keine zwei Personen nebeneinander sitzen können.
Wir bekommen einen „special price“ , wenn wir zur blauen Lagune zum Schnorcheln und Baden mitkommen!
Irma ist sehr skeptisch beim Anblick der schmalen Boote, weil sie nicht schwimmen kann, aber wir drei bekommen Schwimmwesten, und schon geht es los.

Die Jungen helfen, das Boot in das blaue Meer zu schieben, wir quetschen uns hintereinander auf die spartanischen Sitze und sind mit dem Bootsführer allein im Boot. Der Käpt’n ist schon älter und wirkt mit seinem dunklen breiten Gesicht und dem großen Schnauzbart wie ein Mexikaner.
Er entpuppt sich als übler Leuteschinder eines Sklavenschiffes, denn sofort müssen wir mit Plastikeimerchen das stetig überschwappende Wasser aus dem Boot schöpfen, während er mit dem knatternden Außenbordmotor hantiert.
„Brusch, brusch, brusch“ kommandiert er, als gelte es unser Leben.
Anscheinend macht es ihm Spass, diese reichen Bleichgesichter herumzuscheuchen. Irma ist es schlecht vom Seegang, und Christian ermattet bald, so bleibe ich als Wasserschöpfer übrig; es lenkt wenigstens etwas von dem flauen Gefühl in der Magengegend ab.
Dennoch ist es eine schöne Fahrt: wir passieren die im Hafen liegenden Segelyachten und fahren parallel zur palmengekränzten Küste; über uns lacht ein blauer Him-

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mel, kleine lustige Schaumkronen scheinen sich über meine Schufterei und die Seekrankheit zu amüsieren.
Nachdem wir schon zwei Buchten passiert haben, halten wir in etwa 200 Meter Entfernung von der Küste an und sollen aussteigen: hier ist der Tauchgrund.
Wir zwängen uns Taucherbrille und Schnorchel über.
Wir wären wegen der Enge des Bootes lieber vom Ufer aus gestartet, aber da würde der Käpt’n seinen Motor riskieren, und außerdem sind die Fische nun mal hier und nicht am Ufer. Also fasse ich mir ein Herz, und springe vom schwankenden Bootsrand. Christian will erst nicht, folgt dann aber, weil er doch neugierig ist.
Er klammert sich erst an mir fest, bis er mutig genug ist, alleine zu schwimmen.
Unter uns sind braune Korallen; und wir brauchen nicht lange, um die bunten Fische zu entdecken, die in fast allen Farben leuchten, besonders gefallen mir türkisfarbene, etwa 20 cm lange Fische.
Wie beim Schnorcheln auf den Philippinen sind besonders die Übergänge zwischen flachem und tieferem Wasser interessant,
Gehirnkorallen scheinen über den Lauf der Dinge zu brüten, Geweihkorallen strecken ihre Finger heraus; Fächerkorallen schwanken sanft in der Strömung. Fischschwärme stieben davon, andere sind unbeeindruckt, schwimmen stoisch ihre Bahn; dort, den gelben Kaiserfisch muss ich Christian zeigen! Aber Christian hat selber schon interessante Neuigkeiten zu melden: er zerrt und zieht an mir, wann immer ein neues schwimmendes Prachtexemplar auftaucht.
Allerdings sind weder Haie noch Rochen oder Muränen darunter, sondern es sind kleine bunte Fische, was aber beruhigend ist.

Nach fast anderthalb Stunden Tauchgängen sind wir doch langsam ausgepumpt, zumal Salzwasser durch die nicht ganz abschließenden Taucherbrillen dringt.
Das Hineinklettern ins Boot erweist sich für mich als echtes Problem, weil ich noch nie Klimmzüge von unten aus beherrscht habe: Christian und der Bootsführer sind sich einig in ihrer Schadenfreude.
Ich schaffe es schließlich, indem ich über die Ausleger klettere, was das Boot erheblich ins Schwanken bringt; endlich geschafft, ich lasse mich hineinplumpsen.
Lange Zeit zum Ausruhen gibt es aber nicht: wieder ist das Wasser zu schöpfen
(„alle Mann an die Lenzpumpen!“), und Christian streikt diesmal von Anfang an.
Da wir erschöpft sind und wir auch nichts mehr im Magen haben, fühlen wir uns richtig elend. Irma war es noch die folgenden zwei Tage lang schlecht, ihr machte der Ausflug am wenigsten Freude, während Christian und ich ja durch den Anblick der bunten Meereswelt entschädigt wurden.

Wir sind froh, als wir wieder am Ufer sind: die fleißigen Hände der Jugendlichen ziehen das Boot an den Strand und uns in ein nahegelegenes Restaurant.
Es ist ein einfaches Privathaus: eine junge tatkräftige Frau empfängt uns lächelnd.
Ein alter Mann, vielleicht der Schwiegervater, macht eine einladende Bewegung:
er ist so etwas wie ein würdiger Türsteher: sein Beitrag zum Familiengeschäft ist es, stumm mit einladenden Gesten Gäste zum Essen zu winken.

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Es wirkt irgendwie rührend, besonders weil wenig Gäste hierher kommen werden: die Einheimischen werden sich ihr Essen selbst zubereiten, und die wenigen Touristen werden nicht in ein kleines Privathaus in einer Seitenstraße gehen; es sei denn, die Jugendlichen schleppen erfolgreich ab.
Wir können uns im Mandi (Baderaum der Familie mit steinernem quadratischen Becken und einfacher kalter Dusche) reinigen, bevor wir das Mittagessen empfangen.
Es gibt frischen Fisch: Irma wählt Thunfisch; ich nehme Barracuda, weiß aber nicht, ob damit tatsächlich der längliche silbern glitzernde Raubfisch gemeint ist.
Es wird jedenfalls aus meiner Sicht das beste Essen auf Bali, auch wenn die Umgebung sehr einfach ist.
Der gegrillte Fisch ist köstlich, besonders begeistert bin ich aber vom dazu gereichten scharfen Sambal aus Zwiebeln, Tomaten, Chilischoten und Gewürzen, und dazu gibt es noch eine Knoblauchpaste, die ich nicht dick genug auftragen kann.
Das Feuer des Essens wird mit kaltem Bintang-Bier gelöscht, so kehren unsere durch die Meereswellen verschütteten Lebensgeister wieder zurück!
Zum Nachtisch gibt es goldgelbe süße Pfannkuchen, möglicherweise eine Erinnerung an die holländische Kolonialzeit.

Wir werden eingeladen, wiederzukommen, ab morgen findet nämlich ein großes Tempelfest (Odalan) statt. Jeder Ort hat solche Feste wie es bei uns die Kirchweihfeste waren bzw. sind.
Aber die Feste scheinen häufiger zu sein, werden ausführlich vorbereitet und sind in ihrer bunten Pracht und Vielfalt jedesmal ein Genuss für das Auge.
Anders als es bei uns der Fall ist verbinden die Balinesen die Feste mit tiefer Religiosität.
Wir versichern, dass wir gerne kommen werden, und machen uns dann auf den Rückweg.

Im Hotel ist erst einmal Schwimmen im Pool angesagt.
Christian wird von einem gleichaltrigen deutschen Jungen zum Billiardspiel eingeladen. Dies endet mit einem Missklang: Christian beschädigt aus Versehen den
Billiardstock, der uns auf die Rechnung gesetzt wird. Ich bin nicht begeistert, aber so etwas passiert halt...
Abends schauen wir im Bungalow eine Stunde lang australisches Fernehen (Australien ist nicht sehr weit entfernt), aber noch eindrucksvoller sind die hell blitzenden Sterne am samtschwarzen Nachthimmel, dazu eine sanfte Brise: tropische Nächte sind angenehm...

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14. Juli 1999

Heute morgen ist auch Christian übel; auch er leidet vielleicht noch an den Nachwirkungen der Seekrankheit.
Nach dem Frühstück lassen wir unseren Weiterflug nach Manila an der Rezeption bestätigen.
Damals in Hongkong hatten wir einmal die „reconfirmation“ vergessen, mit der Folge, dass wir fast in Hongkong hängengeblieben wären..

Heute wollen wir unseren Mietwagen dazu nutzen, um nach Sukawati zu fahren, das aus unserer Richtung etwa 30 km vor Ubud liegt..
Der nette alte Ruhestandsbeamte aus Bayern hatte uns erzählt, dass es dort die größte Auswahl an preiswerten Bildern gebe.
Das ist gut, dann brauchen wir nicht soweit bis nach Ubud zu fahren, dem Mekka der Künste, welches aber in den letzten Jahren immer kommerzieller und touristischer wurde..
Da es viele Galerien mit wirklich kreativen Künstlern gibt, ist es verlockend, in Bali ein oder zwei Bilder zu kaufen.

Christian nehmen wir diesmal nicht mit, sondern lassen ihn im Hotel zurück, um uns und ihm eine Tortur zu ersparen.

Der Verkehr ist wieder grauenvoll dicht.
Hinter Klungkung liegt wieder ein toter Hund auf der Straße, anscheinend fühlt sich niemand bemüßigt, den Kadaver wegzuräumen, denn er liegt auch noch auf der Rückfahrt dort.
Auch der tierische Instinkt rettet nicht vor balinesischen Road-Rowdies!

In Sukawati, etwa eine gute Stunde Fahrzeit ist es bis dorthin, ist einiges los.
Die Balinesen handeln hier untereinander mit allen denkbaren Waren, Touristen sind nicht viele zu sehen..
In einer Seitenstraße finden wir endlich einen Parkplatz.
Zunächst bestaunen wir die Auswahl eines Gemüsemarktes.
Dort erwerbe ich Vanilleschoten, die sich mein Kollege Karl-Heinz als Mitbringsel gewünscht hat.

Dann stoßen wir vor in das Dickicht der Kunstmärkte. Es sind schmale dunkle Wege, und es herrscht ein ungeheures Gedränge, so dass wir uns zwischendurch aus den Augen verlieren. In Deutschland ist es leicht, Irma wiederzufinden, aber hier wimmelt es natürlich von schwarzhaarigen, grazilen asiatischen Frauen, so dass es ein Weilchen dauert, bis wir wieder vereint sind.

Schöne Bilder oder Schnitzereien habe ich zu meiner Enttäuschung bis dahin nicht gefunden. Es herrschen grellbunte Exponate oder Massenware vor, die wir als kitschig empfinden.

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Aber wir entdecken doch noch eine Galerie, in der wir ein kleines Bild von einem Dorffest mit Barong finden.
Wir erwerben es nach dem üblichen Feilschen gleich mit geschnitztem Holzrahmen, da das Rahmen eines Bildes in Deutschland sehr viel mehr kostet und das Bild leicht transportierbar ist.
In einer anderen Galerie finden wir dann noch ein in Grün gehaltenes Bild mit Fluss- und Waldmotiv, welches mich sehr an unsere Fahrt am Fuße des Gunung Agung durch die Wälder und Dörfer in der Nähe von Rendang erinnert.
Jetzt wollen wir nicht mehr weiter stöbern, da ja Christian allein im Hotel ist.

Auf unserer Fahrt nach Hause passiert endlich das, was ich schon fast vermisst hatte: die Polizeikontrolle!

Die unterbezahlten indonesischen Polizisten versuchen gerne, von den Mietwagenfahrern etliche Rupiahs oder Dollars abzuzocken, was vor sieben Jahren nicht in diesem Ausmaße der Fall war.
Unser junger schlaksiger Polizist mit öligem Lächeln ist leicht enttäuscht, denn unsere Autopapiere sind in Ordnung, und ich habe mir vorher extra den gewünschten internationalen Führerschein in Deutschland ausstellen lassen.
So hat unser Polizist eine originelle Idee: nachdem er erfahren hat, dass wir aus Deutschland kommen, radebrecht er in gebrochenem Deutsch, dass sein Bruder in Deutschland, nämlich in München, studiere. Dem Bruder gefalle es dort sehr gut .
Er selbst sei noch nicht dort gewesen, aber wir könnten ihm einen Gefallen tun: er sammle nämlich Geldscheine aus allen Ländern: könnten wir ihm nicht einen deutschen Geldschein für seine Sammlung geben?
Nun kommt der letzte Einsatz unseres abgegriffenen Zehnmarkscheines, den schon die Schalterbeamtin am Umtauschschalter im Flughafen von Singapur ungerechterweise verschmäht hat.
Unser junger Freund ergreift den Köder, ist aber auch nicht so recht zufrieden mit dem abgegriffenen Schein. Es geht ihm anscheinend weniger um den musealen Wert als um die reale Kaufkraft, da er Zweifel äußert, ob man damit wirklich etwas kaufen könne.
Er beginnt einen Geldschein nach seinen Vorstellungen auf einen Notizzettel aufzumalen. Wir erkennen nichts, aber bevor der Polizist in die Massenproduktion von Tausendern geht, reißt Irma der Geduldsfaden.
Sie teilt dem korrupten Gesetzeshüter mit: „Mein Kind ist allein zuhause und hat Hunger!“
Ich bezweifle zwar, dass Christian in der kurzen Zeit verhungert, aber Irma hat anscheinend an ein Tabu Asiens gerührt: Kinder hungern zu lassen, widerspricht der asiatischen Elternliebe, das kann keiner Familie zugemutet werden!
Er trollt sich zu seinem Wagen, und sein Kollege winkt uns durch.

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Es würde mich schon interessieren, ob der alte Zehnmarkschein nun zusammen mit Freunden und Freundinnen aus aller Welt in einem indonesischen Geldscheinsammelalbum seine Ruhetage verbringt oder sein Besitzer auf Märkten erfolglos versucht, ihn umzuwechseln, bestraft von einer Barrikade des Misstrauens seiner Landsleute..

Nachdem Christian mit Essen versorgt ist und wir unsere neuen Schätze verstaut haben, starten wir alle drei um 14.30 nach Padangbai, um das angekündigte Tempelfest zu erleben.
Diesmal treffen wir auf keine Polizeikontrolle.

Zunächst fahren wir durch den Nachbarort Mangis.
Auf einem Hügel liegt dort ein kleines verträumtes Hotel in den Reisfeldern.
Dies fotografiere ich im Auftrag meiner Kollegin Corina, die noch öfters nach Bali reisen will und stets für gute Tipps aufgeschlossen ist.

Bald schon sind wir in Padangbai.
In dem kleinen Familienrestaurant mit der freundlichen jungen Wirtin und dem winkenden alten Mann lassen wir uns noch einmal gegrillten Fisch mit Sambal, Knoblauchpaste und Salat munden. Ich ergattere noch Christians Erdnusssauce, die er verschmäht; er will lieber die Sate-Spieße ohne Sauce essen.

Gesättigt reihen wir uns in den Pilgerstrom ein.
In bunte Sarongs gewandete Menschen ziehen den Hügel hinauf, die Frauen tragen Opfergaben auf dem Kopf, die Männer schreiten würdevoll, und die Kinder sind fasziniert von dem am Rande aufgestellten Verkaufsbuden, in denen es Näschereien und buntes Spielzeug gibt.
Irma hat sich auch einen Sarong um die Hüften geschlungen; aber in den Tempelbezirk gehen wir nicht, da wir nicht wissen, ob uns das als Fremden und Nicht-Hindus gestattet wäre.

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Im Wäldchen oben auf dem Hügel befindet sich der Tempel, in dem dichtgedrängt die Dorfbewohner und wohl auch Bewohner angrenzender Orte den Gesängen der weißgekleideten Brahmanen lauschen, die dazu die Gläubigen mit Wasser und Blumen segnen.
Schön sind die gelben und weißen Sonnenschirme anzusehen, die sich wie überdimensionale Blütenkelche über den Häuptern der Gläubigen wiegen.

Da die Szenerie gleich bleibt und wir nichts von den Gesängen verstehen, schreiten wir den Hügel wieder hinab.
An einem Stand kauft Irma gekochte Erdnüsse, die noch in der Schale sind und herausgepult werden müssen. Das erinnert sie an ihre Kindheit in Manila, wo auf den Fiestas gekochte Erdnüsse stets billig zu haben waren.

Um 17.30 Uhr sind wir zurück in Candi Dasa.
Es erfolgt die Trennung von unserem treuen Suzuki.
Zum Glück gibt es weder Nachforderungen noch Beanstandungen.
Wir machen noch einen Bummel durch Candi Dasa und kaufen ein paar Souvenirs.
Unter anderem erwerbe ich die beiden kleinen Holzmotorräder für Martin und Walter; leider ließ der Supermarkteigner nicht mit sich feilschen, wusste wohl, dass er der einzige „Motorradverkäufer“ in Candi Dasa war, denn die Harley Davidsons habe ich sonst nur in Ubud gesehen, aber nicht in Candi Dasa.

Ohne Auto gibt es wie am Anfang einen Fußmarsch durch die Dunkelheit.
Zum Glück weiß ich, wo das Loch im Bürgersteig ist, wäre aber fast wieder hineingefallen....

Abends das übliche Programm: Suppe und Hühnchen bei Nyoman, Geplauder mit ihr bei Abendwind und Kerzenschein, zwei deutsche Familien an den Nebentischen, mit denen wir aber kein Gespräch suchen; danach noch ein kleiner Streifzug durch Nyomans Kunstladen, wir kaufen noch ein paar Postkarten und schlurfen dann zum Hotel zurück.

Irma ist übel, führt dies noch auf die Seefahrt von gestern zurück......

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15. Juli 1999

Heute morgen gibt es Ärger mit Christian, weil er nicht aufstehen will. Schließlich lassen wir ihn liegen und gehen alleine zum Frühstück.

Der heutige Tag soll ein Ruhetag werden, denn heute Nacht ist die Gunung - Agung - Tour, ein Höhepunkt der gesamten Reise!
Nachts um zwei Uhr werde ich mit dem Van abgeholt; da muss ich einigermaßen fit sein!
Irma fühlt sich immer noch schlapp von der Seefahrt.
Vormittags setze ich mich auf einen Liegestuhl und schreibe 34 Ansichtskarten, jede mit einem anderen Text!

Mittags gegen 13.30 Uhr fahren wir mit dem Shuttlebus nach Candi Dasa, erledigen noch ein paar Einkäufe.

Am Ortsrand besuche ich alleine das hiesige Puri Bagus Hotel, für das sich Corina interessiert hat. Den kleinen Ableger mit dem gleichen Namen und Eigentümern bei Mangis habe ich ja schon ausgekundschaftet und fotografiert.

Ich muss ein Weilchen durch einen Palmenhain laufen, dann erhebt sich das große Hotel, das direkt am Meer liegt.
Es wird mir gestattet, kurz einzutreten.
Das Foyer wirkt elegant; das Hotel ist schön gelegen; die „Walfischinsel“ ist hier ganz nahe, bunte Auslegerboote schaukeln auf den Wellen.
Mehrere einfache Restaurants sind um den Prunkbau gruppiert.
Ich schieße ein paar Fotos und mache mich dann auf den Rückweg.

Wir laufen zurück zu unserem Hotel.
Dort bereite ich meinen Rücksack vor: die Videokamera und der Fotoapparat sollen mit, eine Flasche Wasser ist wichtig, und als Nahrung habe ich ein Büschel kleine süße Bananen als Energiespender vorgesehen.
Außerdem wird der rote Pulli eingepackt: Rot ist eine gute Signalfarbe; und in 3.000 Meter Höhe wird es auch in den Tropen ziemlich kühl, obwohl der Gunung Agung frei von Eis und Schnee ist.

Kurz vor sechs Uhr abends gehen wir rüber zu Nyoman: heute gibt es neben Reis und Hühnchen mit Curry eine extra Portion Chili für mich!
Scharf essen ist eine meiner Leidenschaften.
Indonesien hat zwar nicht so scharfe Gerichte wie Thailand oder Indien, aber die Küche ist nicht so lasch wie auf den Philippinen, wo nur in der Provinz Bikol scharf gekocht wird.

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Nyoman erzählt von ihrer Jugend: nachdem der Vater in den Wirren des Bürgerkrieges 165 als vermeintlicher Kommunist umgebracht worden war, hatte die Familie nicht viel Geld.
Sie ging als Zahnarzthelferin nach (Ost-)timor, kam dann später zurück und heiratete.
Jetzt betreibt sie mit ihrem Mann das Restaurant, das sie schon um ein paar neue Tische und Stühle vergrößert haben.
Das Ehepaar hat drei Kinder, und für die Kinder heißt es, sich anzustrengen.
Die tüchtige Nyoman vermittelt den Eindruck, mit Tatkraft, Humor und Gelassenheit, viel im Leben erreichen zu können.

Schon um 20.00 Uhr verabschieden wir uns.
Ich lege mich schon hin, kann aber vor Aufregung nicht schlafen; außerdem juckt mir das Fell, sollten dies die Chilis verursacht haben?

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16. Juli 1999

Um 24.00 Uhr bin ich nach vorherigem Dösen hellwach, will auch nicht zu schläfrig beim Aufbruch sein.
Gegen 2.30 Uhr klopft es am Bungalow: ich werde von Wayan, dem Chauffeur und Autobesitzer, abgeholt.
Schnell den Rucksack schultern und dann leise an den Bungalows und der Rezeption vorbei zum Auto.

Zu meiner Überraschung sind wir nicht allein: Wayan hat seine hübsche langhaarige Freundin mitgebracht. Gibt dies eine Bergtour zu dritt?
Durch dunkle Dörfer fahren wir über Amlapura nach Sebudi.
In diesem Ort müssen wir die Polizei aufsuchen. Ich rechne damit, dass jetzt neue Gebührenforderungen auftauchen. Aber zu meiner Überraschung muss ich mich nur in eine Liste eintragen, die mir der schläfrige Polizist hinhält.
Wie Wayan erklärt, sei die Anmeldung erforderlich, falls jemand auf dem Gunung
Agung verloren gehe. Es sei immer mal wieder jemand vermisst worden bzw. nicht zurückgekommen.
Auch in den Reiseführern steht, dass die Besteigung nicht ganz ungefährlich ist, zumal sie üblicherweise nachts erfolgt.
Grund für die nächtliche Tour ist, dass beim Sonnenaufgang kein Wolkenkranz den Gunung verhüllt und dies so ziemlich die einzige Zeit ist, während der man einen schönen Ausblick auf die darunter liegenden Dörfer, Felder und Wälder genießen kann.

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Der Bus nimmt jetzt mehrere Kehren, wir gewinnen spürbar an Höhe. Viel zu sehen ist nicht, da wir durch den Wald fahren. Andere Autos und irgendeine Form von Leben sind im Dunkel nicht zu erkennen.

Endlich halten wir an.
Wayan hatte mir vorher erläutert, dass die Besteigung von Besakih, dem Muttertempel, aus sehr weit sei und sieben Stunden dauere.
Besser sei es, den Aufstieg von einem kleinen Tempel aus zu beginnen.
Vorerst kann ich aber nichts von einem Tempel sehen.

Es ist kühl hier und absolut still.
Der Sternenhimmel wölbt sich mit ungewohnter Klarheit über uns.
Unter uns blinken Lichter, viele Dörfer liegen wie Glühwürmchen unter uns, etwa ein Drittel der Insel lässt sich ausmachen; dort, wo keine Lichter sind, liegt das Meer, der Wohnort der Dämonen, während wir uns auf den Weg zu den Göttern auf dem Bergesgipfel machen.

Wayan händigt mir eine Taschenlampe aus, nimmt seine eigene und lässt die Freundin seinen Tragerucksack schultern.
Auch wenn das Pärchen sich modern und westlich gibt: diese Art der Lastenverteilung mutet doch archaisch an!

Nachdem wir erst auf einem breiten Weg marschiert sind, geht der Weg in eine große Treppe mit vielen Stufen über, nur vom Sternenlicht beleuchtet: das ist der „stairway to heaven“ von dem Led Zeppelin singen, kommt mir in den Kopf.
Nach vielen Stufen sind wir am ersten Etappenziel: dem kleinen, höchstgelegenen Tempel Balis, der etwa 1.850 Meter über dem Meeresspiegel liegt, wie ich mich später kundig mache.

Jetzt sind noch fast 1.300 Höhenmeter zurückzulegen, denn der Gunung Agung ist 3.142 m hoch. Wie ich schon auf Bildern im Internet gesehen habe, hat der Gunung Agung (übersetzt: „Großer Berg“, wie einfach!) keinen Gipfel, sondern einen Kraterrand.

1963 brach der Gunung Agung, den man für erloschen gehalten hatte, das letztemal aus, gerade als das Jahrhundertfest „Eka-Dasa-Rudra“ gefeiert werden sollte.
Die schweren Eruptionen kosteten damals 2.500 Menschen das Leben; nur vor einem Tempel (war das vielleicht der Tempel, von dem aus ich den Aufstieg beginne?) machte der Lavastrom halt...
Das Fest wurde 1979 nachgeholt und fand anscheinend die Billigung der Götter, denn ein weiterer Ausbruch blieb aus.

Von dem kleinen Tempel ist nicht viel zu erkennen.
Anscheinend trennen sich jetzt unsere Wege.

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Wayan klopft an einen Schuppen und öffnet dann die Türe.
Dort liegen zwei Männer auf einer schmalen Pritsche. Kommt es mir nur so vor, oder lagen sie eng umschlungen da?
Wie dem auch sei: während der Bettgenosse weiterschläft, stellt sich mein persönlicher Führer Ketut vor.

Ketut hat nichts von dem yuppiehaften, leicht öligen Charme von Wayan und seiner eleganten Begleiterin. Er ist ein einfacher Mensch aus dem Volke, froh über jeden Auftrag.

Über Geld wird nicht gesprochen. Wayan hatte gesagt, die 300.000 Rupiahs deckten auch den Lohn des Trägers ab, aber wer weiß, was er dem guten Ketut gezahlt oder nicht gezahlt hat. Mein Trinkgeld werde ich davon abhängig machen, wie gut alles klappt.

Wayan und seine Freundin verabschieden sich, nicht ohne noch die Zeit für die Rückfahrt auszumachen.
Ich bin optimistisch, dass er wiederkommt, denn seine 300.000 Rupiah erhält er erst, wenn das Unternehmen abgeschlossen ist. Außerdem kann er sich bei seinen Freunden im Hotel einen Gesichtsverlust nicht leisten.-

Nun sind wir also zu zweit; Ketut, den ich auf etwa 25 Jahre schätze, trägt nur Badelatschen, während ich meine Joggingschuhe angezogen habe, weil ich weder Bergwanderschuhe besitze, noch solche schweren Treter mitschleppen wollte.
Die Wahl des Schuhwerkes war sicher ein Fehler: Der Boden ist fast immer feucht und schlüpfrig, und so rutsche ich öfters aus.

Ketut marschiert den schmalen Fußpfad durch den Wald hinauf; ich stolpere hinterher, die ungewohnte Uhrzeit und die starke Steigung von fast 45° machen mir mehr zu schaffen, als mir lieb ist.
Da ich in Deutschland viel jogge und Rad fahre, war ich von meiner Kondition überzeugt, merke aber, dass ich schon nach zehn Minuten wegen der Steigung und des strammen Marschtempos ins Schwitzen gerate und dem flinken Ketut kaum folgen kann.
Dummerweise geht noch die eine der beiden Taschenlampen von Wayan aus, obwohl der versichert hatte, die Batterien seien ganz neu, gerade gewechselt worden.

Ketut gibt mir seine Lampe, er findet den Weg auch im Dunkeln ganz gut.
„Weg“ ist eine Übertreibung, wir steigen über Baumwurzeln, Steine und Gebüsch; alleine wäre der Weg auch im Tageslicht nur schwer zu finden.
Der Gipfel oder der Kraterrand sind nicht zu erkennen; wir sind noch mitten in Wald und Buschwerk.

Vor uns blinken Lichter: eine Prozession von Balinesen windet sich den Berg hinauf, auch Frauen und Alte sind dabei, wollen Opfer bringen.

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Das ist eine willkommene Unterbrechung für mich: unser Aufstieg stockt zwangsläufig, was den jagenden Puls etwas entspannt, und ich kann mir den Schweiß abtrocknen; Luft schnappen für den weiteren Marsch.

Endlich überholt Ketut seine Landsleute in einem Hohlweg, so dass die kurzzeitige Schonung vorbei ist.
Kurze Zeit später treffen wir auf ein junges amerikanisches Pärchen, das von einem etwa 14 Jahre alten Jungen geführt wird.
Zu diesem Zeitpunkt bin ich noch stolz, dass wir die Amis passieren; allerdings holen sie uns später wieder ein, was mir einen leichten Stich versetzt, mich erstmals an mein vorgerücktes Alter von 43 Jahren denken lässt.

Etwa eine Stunde steigen wir im Wald höher und höher; ab und zu rutsche ich, aber es gibt hier keinen Abhang, von dem ich stürzen könnte, sondern höchstens Steine, auf die ich fallen oder Baumwurzeln, über die ich stolpern könnte.
Aber es geht alles glimpflich ab, lästig ist nur die Anstrengung, das Pulsjagen und die Kurzatmigkeit.
An filmen ist nicht zu denken, dafür ist es ohnehin zu dunkel.

Endlich kommen wir auf freies Gelände: Geröll, Gräser und glitschige Steine.
Ketut ermahnt mich, genau hinter ihm zu bleiben, denn manche vermeintlichen Alternativwege entpuppen sich als Sackgassen.

Wir halten kurz an, ich teile meinen Wasservorrat mit Ketut, esse ein paar Bananen.
Aber die sind im Rucksack schon ziemlich matschig geworden, später werfe ich den Rest weg.

Wir steigen und steigen; die Insel liegt unter uns, und ich bilde mir ein, dass es schon ein bisschen heller geworden ist; aber das liegt am Sternenlicht, das uns weiterleuchtet, nachdem wir den Dschungel unter uns gelassen haben.

Es geht weiter steil bergan, gelegentlich müssen wir große natürliche Stufen überwinden; aber alpinistische Leistungen werden nicht gefordert. Bei einem Sturz könnte man sich aber trotzdem die Knochen brechen, deshalb versuche ich, mich möglichst vorsichtig zu bewegen.

Nach insgesamt zwei Stunden Aufstieg gönnt Ketut uns endlich eine echte Pause, die ich in einer Mulde liegend verbringe, würde am liebsten dort liegen bleiben und ausschlafen.
Aber das ist natürlich nicht möglich, denn wir müssen im Zeitrahmen bleiben, damit wir den Sonnenaufgang am Kraterrand erleben können.

Jetzt müssen wir schon richtig kraxeln, die Steigung wird noch steiler, und das amerikanische Pärchen hat uns eingeholt; sie scheinen noch recht frisch zu sein.

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Wir bleiben als Fünfergruppe zusammen, und jetzt wird es wirklich heller.
Aber der Weg ist noch nicht zuende: nach jedem Felsüberhang merken wir, dass wir noch nicht den Krater erreicht haben, sondern, dass es noch weitergeht.

Pflanzen wachsen hier nicht mehr; Lavasteine sind zu sehen, und zwischendurch riecht es nach Schwefel, als wenn nicht die Götter, sondern der Beelzebub in der Nähe wären...

Dort, das ist der Kraterrand, noch ein paar letzte hastige Schritte:
nach 2 Stunden und 55 Minuten sind wir am Ziel, 5 Minuten früher als es das übliche Zeitlimit vorsieht.
Bei dem Aufstieg haben wir einen Höhenunterschied von 1.300 Metern in 3 Stunden bewältigt!
Jetzt bin ich erst mal fertig.----

Ketut ist zufrieden: gut gelaunt ruft er: „We climbed the Gunung Agung“, posiert auf einem Felsvorsprung und macht auch von mir Fotos, während ich erst einmal erschöpft dasitze, unter dem roten Pulli rinnt der Schweiß, und die Beine sind müde.
Neben den Amerikanern ist auch eine französische Gruppe am Krater.
Eine junge Französin feiert Geburtstag und bekommt ein Ständchen geboten.
Der Sonnenaufgang taucht den schroffen Kraterrand in ein goldenes Licht.
Ich mache vorsichtig ein paar Schritte und gucke in den Krater: gelb, ocker, rot, braun und schwarz sind die Farben auf dem Grunde, momentan ist der Schlot ohne Rauch, aber der Vulkan schläft nur, kann jederzeit wieder ausbrechen.
Es ist Sitte, etwas Geld in den Krater hineinzuwerfen, daher trenne ich mich von ein paar billigen Münzen.

Wir genießen ein paar Minuten die überwältigende Aussicht: unter uns ziehen die ersten weißen Wolken auf, aber trotzdem ist noch viel zu erkennen.

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Der grüne Dschungel wird durch winzige Dörfer unterbrochen.
Dort unten rechts, das sind die Tempel von Besakih, sehr weit entfernt.
Etwas näher liegt der Tempel, von dem aus wir aufgebrochen sind.
Auch er wirkt so klein, dass ich seine Details nur erahnen kann.

Dort drüben ist im Lichte der aufgehenden Sonne die orange schimmernde Nachbarinsel Lombok mit dem über 4.000 Meter hohen Vulkan Rinjani zu erkennen, das wäre auch eine spannende Bergtour!
Auf der anderen Seite befindet sich der niedrigere Vulkan Batur mit dem Batursee, den wir vor ein paar Tagen mit dem Auto besichtigt haben.
Eindrucksvoll ist der riesige überraschend ebenmäßige pyramidenhafte Schatten, den der Gunung Agung wirft: es ist wirklich ein ganz besonderer Berg!

Wieder blicke ich zum Krater: nein, da möchte ich nicht hinuntersteigen.
Dies ist auch nicht vorgesehen, denn Ketut drängt jetzt zum Abstieg: es ist Zeit.

Jeder, der schon in den Bergen gewandert ist, weiß, dass der Abstieg manchmal unangenehmer ist als der Aufstieg.
Ich komme zwar nicht mehr so ins Schwitzen wie auf dem Hinweg, aber dafür rutsche ich öfters aus, insgesamt etwa 20 mal; ohne Schrammen an Arm und Bein sowie Schmerzen im verlängerten Rückgrat geht es nicht ab...
Ist das die Rache der Götter dafür, dass ich sie mit ein paar läppischen Rupiahs abgespeist habe und mich nicht von DM oder $ getrennt habe?

Zum Glück hat sich Ketut meiner schon frühzeitig erbarmt und trägt auf dem Rückweg meinen Rucksack; nur aus diesem Grunde hat die Videokamera das Unternehmen heil überstanden.
Später, als wir schon wieder im Dschungel sind, bricht Ketut mir noch einen flechtenbewachsenen Wanderstock, mit dem ich mir wie ein buddhistischer Wanderer vorkomme.
Der Stock hat aber ein paar Ausrutscher gut abgefangen.

Im Hellen lässt sich der felsige, geröllbeladene Weg gut verfolgen.
Neben weiteren Franzosen, die beim Aufstieg über den langen Weg jammern, sind noch etliche Balinesen unterwegs, die langsam, aber bedächtig, den Weg hinaufschreiten.
Ich muss dabei an Indianer in den Anden denken, nur dass die Ponchos und die Lamas fehlen.

Ein ehrwürdiger alter Mann in weißem Gewande sitzt auf einem Stein.
Ich halte ihn für einen Priester.
Er spricht uns an.
Ich hoffe, wir haben uns keiner Entweihung des Ortes schuldig gemacht.
Aber unser Gespräch verläuft überraschend profan.

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Er spricht ein bißchen Englisch, fragt, wo ich herkomme.
Germany? Wo denn da?
Frankfurt?
Er erzählt, in Frankfurt lebe einer seiner Töchter.
Sie sei mit einem Deutschen namens Karl-Heinz Flügel verheiratet.
„Flügel like wing ?“ frage ich und mache dazu Flatterbewegungen.
„Yes, yes, like „wing“ antwortet der Alte eifrig.

Später habe ich mal im Frankfurter Telefonbuch nachgeschlagen: es gibt in Frankfurt einen einzigen Karl-Heinz Flügel, aber ich habe ihn nicht angerufen, um ihm mitzuteilen, dass ich seinen Schwiegervater getroffen hätte, das war mir dann doch zu merkwürdig. Wer weiß schon, wie Herr Flügel wirklich ist!

Mühsam bahnen wir uns durch die Geröllfelder den Weg nach unten.
Nach knapp zwei Stunden sind wir wieder im Dschungel.
Dort gibt es eine überraschende Essenspause: Ketut hat eine Opfergabe für die Götter entdeckt.
Anscheinend haben die nichts dagegen, wenn man ihnen das Essen wegnimmt, denn Ketut kommt mit kaltem Reis in Bananenblättern und vier gekochten Eiern zurück.
Der kalte geschmacklose Reis ist nicht so mein Fall, aber die Eier munden fast so gut wie deutsche Ostereier, um bei der Mythologie des Eis zu bleiben.

Auch wenn ich jetzt gestärkt bin, werden die Beine schwerer und schwerer.
Mit dem Wanderstock stake ich umher wie ein tapsiger Bär.
Weiter unten hat uns wieder das amerikanische Pärchen erreicht; ich hoffe, sie lachen nicht über meine gelegentlichen Rutschpartien und Flüche.

Zwischendurch hören wir noch einen interessanten Vogel schreien, den die Balinesen lautmalerisch „Kekkek“ nennen.
Aber mir ist „Kekkek“ egal: ich sehne mich jetzt nach der Zivilisation und bin erleichtert, als endlich nach zweieinhalb Stunden Abstieg die Gebäude des Tempels auftauchen, wo unser Abenteuer begann.
Jetzt heißt es Abschied nehmen von Ketut.
Er bittet mich verlegen um eine Gabe.
Ich drücke ihm 50.000 Rupiah in die Hand, was er wohl nicht erwartet hat.
Er umarmt mich und stammelt mit Tränen in den Augen: „You are good. I liked it.“
Auch mir geht der Abschied nah: oben auf dem Berg waren wir aufeinander angewiesen, es gab keine Klassenunterschiede, außer, dass Ketut mir vieles voraus hatte.
Jetzt kehre ich in eine Welt zurück, in der ich mich zurecht finde und die ihm verschlossen ist.
Ich hoffe, dass Ketut trotz allen Einschränkungen gut über die Runden kommt und wünsche ihm alles Gute!

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Die Besteigung des Gunung Agung, bei der mir Ketut so geholfen hat, war ein Wunschtraum gewesen, den ich mir erfüllt habe.
Auch wenn sich die Götter vor mir verborgen haben, war es ein großartiges Erlebnis, auf dem „Dach“ der Inel Bali zu sitzen und auf diese einzigartige Insel hinabzublicken wie ein mythischer Garuda!

Nach kurzem Suchen finde ich den Bus von Wayan.
Die Freundin ist wieder mitgekommen.
Genau wie auf der Hinfahrt bin ich müde und nicht sehr konversationsfreudig, vielleicht, weil Wayan mir auch eine Spur zu geschäftstüchtig erscheint.
Er fragt nach weiteren Touren.
Ich erzähle ihm, dass wir keine Touren mehr unternehmen und in zwei Tagen weiterreisen werden.

Aber damit kann ich ihn nicht abwimmeln, denn dann brauchen wir natürlich einen Transfer zum Flughafen.
Er nennt einen überhöhten Preis von 200.000 Rupiah, alles inklusive.
Diesmal weiß ich, dass es genug Alternativen gibt, und meine Entschlossenheit hilft mir beim Feilschen: er übernimmt nach längerem Handeln den Job für 100.000 Rupiahs; das ist billiger als wir seinerzeit für den Transfer in der umgekehrten Richtung bezahlt haben.
Nach der Einigung hat Wayan trotz der Preisabschläge gute Laune und plaudert über seine Lebensziele.
Er will Geld verdienen und eine Familie gründen.
Seine Freundin erzählt, dass sie Kellnerin ist.
Beide wollen am Tourismusgeschäft teilhaben, aber ich hege insgeheim Zweifel, ob sich die ehrgeizigen Pläne realisieren lassen, denn ich habe in Candi Dasa nur wenige Touristen gesehen, aber sehr viele Balinesen, die sich förmlich um die einzelnen Kunden stritten; mit anderen Worten: der Kuchen ist zu klein, um alle satt zu bekommen!

Um 11.30 sind wir am Hotel.
Ich komme mir vor, als würde ich auf rohen Eiern gehen: endlich ausruhen!
Es ist auch herrlich, die verschwitzte Kleidung auszuziehen und zu duschen, sich danach aufs Bett zu legen und den Auf- und Abstieg geistig Revue passieren zu lassen.
Ab jetzt ist Faulenzen angesagt!

Nachmittags werden die Muskeln im Pool gelockert; Christian hat jetzt auch ein bißchen Anschluss gefunden.

Um 17.30 Uhr erscheinen wir bei Nyoman.
Zur Feier des Tages hatte ich Ente („Bebek“) für 50.000 Rupiahs bestellt.
Ausgehungert wie ich bin, lasse ich mir den Vogel schmecken.
Die hungrige Katze, die seit ein paar Tagen um die Tische streunt, bekommt - wenn Nyoman nicht guckt - von uns ein bißchen Fleisch zugeworfen.

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Christian wird noch zu einer Mopedfahrt eingeladen: ein 11jähriger nimmt ihn auf dem Sozius mit; es wird hier alles nicht so genau genommen.

Vor dem Weggehen tauschen wir mit Nyoman noch die Adressen aus.
Sie wünscht sich eine Casette von Tracy Chapman.
Die haben wir ihr von Deutschland aus geschickt, wissen aber nicht, ob sie angekommen ist, weil wir keine Antwort aus Bali erhalten haben.

Um 20.30 Uhr gehen wir zurück.
Ich lasse mich gleich auf mein Lager plumpsen; es gilt, einigen Schlaf nachzuholen!-

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17. Juli 1999

Ich habe gut geschlafen, viel geträumt.
Schon früh gehe ich zu den Liegestühlen am Strand und lese meinen indisch-englischen Roman weiter.
Um 9.00 Uhr gehen wir frühstücken; der „Zauberer“ verabschiedet sich von den großen und kleinen Gästen.
Wir erhalten eine Einladung zum Mittagessen auf Kosten des Hotelrestaurantes, sozusagen als Treueprämie, weil wir für 11 Nächte gebucht haben.
Wir haben daher die Ehre, mittags mit Dayu zu speisen; sie ist eine der Managerinnen der Hotelanlage.

Bis zum Mittagessen vertreibe ich mir die Zeit, indem ich den Baedeker „Bali“ sowie den in Singapur erworbenen Stadtplan von Manila studiere, soweit sich ein solches Chaos wie Manila überhaupt karthografieren lässt, woran ich zweifele.

Um 12.00 Uhr sitzen wir dann tatsächlich im Hotelrestaurant, für meine Begriffe viel zu früh, denn es ist ja noch nicht lange her, dass wir uns am Frühstücksbüffet ergötzt haben.

Dayu ist eine freundliche Dame von Mitte 40 (geschätzt), gepflegt und geschminkt, wirkt aber schon ein bißchen matronenhaft.
Sie ist zweifellos eine tüchtige Frau, denn sie hat neben ihren eigenen noch zwei
Adoptivkinder aufgezogen, dazu kam ihre Berufstätigkeit....
Diesmal habe ich Fisch bestellt. Der Fisch schwimmt in einer üppigen Buttersauce, es trieft nur so; nein, Nyoman kann besser kochen.
Naja, einem geschenkten Barsch schaut man nicht ins Maul!

Nachmittags baden wir im Meer; etwas unästhetisch wirkt in diesem Zusammenhang ein toter Hahn, der ans Ufer getrieben wurde und sich nicht recht entscheiden kann, ob er am Ufer bleibt oder wieder zurück ins Meer will...

Später fahren wir noch einmal mit dem Shuttle-Bus nach Candi Dasa, erledigen unsere letzten Souvenireinkäufe und bummeln durch den Ort..

Am Ortsausgang, schon Richtung Candi-Beach-Hotel entschließen wir uns spontan zu einem Friseurbesuch.
Wir alle haben einen Haarschnitt nötig, und die Preise für Haareschneiden, Waschen und Legen usw. sind in Asien konkurrenzlos niedrig.

Die junge Friseuse namens Kadek ist 28 Jahre alt, stammt aus Padangbai (wo wir geschnorchelt sind) und beherrscht ihr Fach gut.

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Aus alten abgegriffenen Illustrierten können wir uns eine Wunschfrisur aussuchen.
Christian, der als erster an der Reihe ist, entscheidet sich nach längerem Blättern für eine freche Igelfrisur, der mit Gel zu scharfen Stacheln verholfen wird.

Ich lasse mir die Haare kurz schneiden und genieße die gleich mitgelieferte Massage der Kopfhaut.

Irma wird wie eine Madame nach allen Regeln der Kunst bedient, massiert und bekommt eine schöne halblange Frisur.
Währenddessen bestaunen uns die Kinder, während unser Blick die an der Wand herumlaufenden kleinen Geckos verfolgt, die als nützliche Fliegenfänger geduldet werden; es sei denn, eine Katze überkommt Fressgelüste..

Wir bestaunen das fertige Werk ausgiebig im Spiegel, loben es und zahlen nur 45.000 Rupiahs, umgerechnet 14 DM für uns alle drei.-

Mittlerweile ist die Sonne schon untergegangen, aber es ist nicht mehr so weit zum Hotel, und wir kennen mittlerweile schon die gefährlichen Löcher im Straßenrand und können sie vermeiden.

Heute abend ist bei Nyoman alles überfüllt, daher essen wir gegenüber in dem Restaurant, wo wenig Gäste kommen, die Besitzer tun uns schon leid.
Vorher kaufen wir dort im Laden noch eine geschnitzte Lotosblume sowie einen bunten Garuda für Christians Schreibtisch.

Die Betreiber des Restaurantes, ein ruhiges freundliches Ehepaar, plaudern mit uns, während wir draußen sitzen und Fledermäuse an uns vorbeihuschen.
Sie hoffen auf die Politikerin Megawati, schon deshalb, weil sie als Hindus wie fast alle Balinesen eine Dominanz der moslemischen Parteien befürchten; deshalb flattern auf Bali immer noch überall rote Wimpel als Zeichen der Parteinahme für die Partei PDI, deren Vorsitzende Megawati ist, die Tochter des verstorbenen Staatsgründers Sukarno.
Die Hühnersuppe mit gebratenem Knoblauch schmeckt uns ebenso wie der Hühnersalat.

Anschließend schauen wir doch noch kurz auf ein Bier und einen Zitronensaft bei Nyoman vorbei.
Wir verabschieden uns,.
Sie schenkt uns noch ein Windspiel aus klappernden Kokosnussschalen, welches wir auf unsere Terrasse hängen werden, damit es uns immer an Bali erinnert.
Auch dem hartgesottenen Christian fällt der Abschied schwer, denn Nyoman hatte immer einen Spass für ihn bereit.

So geht jede schöne Zeit vorbei....

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18. Juli 1999

Heute findet unser Weiterflug auf die Philippinen statt!
Wir haben noch nicht viel vorbereitet, deshalb nimmt die Packerei zwei Stunden in Anspruch.
Die sperrigen Schachspiele müssen ebenso verstaut werden wie die Mobiles,
die Bilder und der malaiische Dolch, der hoffentlich nicht vom Zoll beanstandet wird.

Um 8.25 Uhr nehmen wir unser letztes Frühstück auf balinesischem Boden ein, verteilen noch ein paar Trinkgelder an das Hotelpersonal und verstauen unser Gepäck im Bus von Wayan Basudi, der pünktlich gekommen ist, so wie wir es nach der Bergtour verabredet haben.

Wir brauchen die üblichen zwei Stunden für die 80 km bis zum Flughafen, ein letztesmal durch Dörfer, an Reisfeldern, Wäldern und Kokosplantagen vorbei, selamat datang, Bali!

Wayan empfiehlt wärmstens den Bungalow seines Bruders für unsere nächste Bali-Reise, sein Glauben an unsere (finanziellen) Möglichkeiten ist groß.
Auch er freut sich über ein großzügiges Trinkgeld für die zuverlässige Fahrt und hilft uns, die Koffer herauszuwuchten, als wir am Flughafengebäude eintreffen.

Wir haben fünf Gepäckstücke aufzugeben.
Ein Zöllner interessiert sich anscheinend für die mitgeführte Schokolade und will unsere Koffer näher untersuchen.
Da breiten wir unsere schmutzige Wäsche vor ihm aus und wollen ihm noch den letzten Inhalt unseres Koffers zeigen, damit er was zu tun bekommt.

Dies ist ihm anscheinend zu viel Arbeit; er merkt auch, dass Irma keine Indonesierin ist, die vor ihm Respekt hätte und winkt uns dann mürrisch durch, ohne auch nur einen Riegel Schokolade als Bestechung zu erhalten.-

Um 13.05 hebt unsere Boeing 777 ab nach Singapur; von dort geht es weiter nach Manila.
Die Strecke Denpasar-Manila liegt abseits der üblichen Routen; daher erklärt sich auch der relativ hohe Preis von ca. 600 DM für diesen innerasiatischen Flug.

Beim Start gräme ich mich darüber, dass ich die Videokamera verstaut habe:
wir können die gesamte Insel Bali im Vorüberflug erkennen.
Der von mir erkletterte Gunung Agung erhebt noch einmal sein dunkles Haupt mit Wolkenkranz; auch der Batur ist zu sehen, und die weite grüne Fläche ist der fast unbewohnte Bali-Barat-Nationalpark im Westen der Insel.
Bald taucht Java auf, und der weitere Flug erfolgt über das Meer, die Javasee.

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Wir landen nach gut 2 Stunden Flug um 15.20 Uhr in Singapur.
Den modernen Flughafen kennen wir schon gut.
Er ist sehr übersichtlich, so dass wir schon bald unseren Anschlussflieger gefunden haben.

erfolgt der Abflug.
Während des Fluges schaue ich mir den Film „True crimes“ an. Er ist ein recht eindrucksvolles Signal gegen die Todesstrafe.
Einen solchen für die Menschenrechte engagierten und dazu noch spannenden Film hätte ich von „Dirty Harry“ nicht erwartet, aber so eine Überraschung ist angenehm.

Um 20.15 Uhr landen wir nach einem Flug ohne Zwischenfälle in Manila.
Es regnet; der Regen wird uns noch die ganze Zeit unseres Philippinenaufenthaltes begleiten, soviel sei schon vorweggesagt.

Auch an der Abfertigung bei Zoll und Immigration Office merken wir, dass wir in den Philippinen gelandet sind und nicht im hochmodernen Singapur: es geht alles sehr langsam und schleppend voran.
Puuh, endlich ist es geschafft, wo ist unser Empfangskomitee in Gestalt der Familie?
Da normal sterbliche Filipinos, die nicht im Besitz eines Flugtickets sind, keinen Zutritt zum Flughafengebäude haben, ist es nicht so einfach, unter den vielen Menschen
Irmas Verwandtschaft herauszufinden.
Irma geht alleine auf Suche, während ich die Kofferträger und Taxifahrer abwimmele, die auf Kundschaft angewiesen sind, besonders in der Regenzeit, wenn sich kein vernünftiger Tourist auf die Inseln verirrt.

Glücklicherweise hat Irma ihre Familie gefunden, und bei strömendem Regen wuchten wir unser Gepäck in einen Transitbus, der der Familie unserer neuen Schwägerin Ana gehört.

Irmas Mutter und Boy, der ältere von Irmas beiden Brüdern, haben sich kaum verändert.
Neu dabei ist Ana, Boys Frau, die mit 27 Jahren 14 Jahre jünger ist als der 41jährige „Boy“, der eigentlich Fernando heißt, aber von allen nur „Boy“ gerufen wird, und er ist im Grunde der treuherzige Junge geblieben: gutmütig, hilfsbereit, aber auch unselbständig, immer von der energischen Mutter abhängig, wie Ana, die Ehefrau und Schwiegertochter, noch öfters beklagen wird.
Ana ist eine hübsche Frau, recht groß geraten (vielleicht gab es da auch einen Spanier in der Ahnenreihe?) und gut genährt, aber nicht dick.
Noch mehr als ihr wohlgeformtes Äußeres gefällt uns aber ihr aufrechtes freundliches Wesen und ihr fröhliches Lachen, das nur manchmal durch ihre Schwiegermutter und den Kampf um Boys Verhalten ihr bzw. gegenüber der Mutter getrübt wird.
Unser Weg durch das nächtliche Manila führt uns zum Holiday Inn, dem vielstöckigen Hotel an der Prachtstraße Roxas Boulevard, direkt an der Manila Bay mit Ausblick auf den Rizal-Park (eine der wenigen Grünflächen) und das Finanzministerium (!)

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Wir hatten nämlich beschlossen, zunächst einmal ins Hotel zu gehen, weil die Wohnung der Familie im Stadtteil Balintawak von Quezon City klein ist, mit Ana noch eine weitere Person dazugekommen ist und Irma manchmal von den Forderungen ihrer Mutter nach mehr finanzieller Unterstützung genervt ist.

Aber heute abend hat die Family erst einmal Grund zur Freude, denn wir haben im Koffer wie immer auch diverse Geschenke mitgebracht.

Zunächst lässt sich der eine Koffer nicht öffnen, aber Boy ist geschickt und mit einigem Ruckeln, gibt der Koffer dann doch seine Geheimnisse preis.
Irma hat hauptsächlich Kleidungsstücke als Geschenk mitgebracht. Von meinem Freund Martin, seinerzeit Handelsvertreter, haben wir preiswert Unterwäsche erworben, die neben anderen Geschenken auf Anklang stößt.

Es werden noch ein paar Fotos geschossen, dann verlässt uns die Familie und wir können uns für die nächsten drei Tage einrichten.
Vom Fenster aus erblicken wir den Rizal-Park (auch „Luneta“) genannt, der Tag und Nacht vom Verkehrsfluss umspült ist.
Auch jetzt gegen Mitternacht ziehen im Regen blitzende Jeepneys ((chromblinkende Sammeltaxis), Lastwagen und Limousinen ihre endlose Bahn durch die Tropennacht...
Mabuhay, welcome back in the Philippines!

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19. Juli 1999

Unsere erste Nacht auf den Philippinen, Irmas Heimatland.

Wir schlafen bis um 7.30 Uhr.
Frühstück haben wir für das Holiday Inn nicht gebucht, also müssen wir das selbst organisieren.
Der Regen pladdert gegen die Fensterscheiben, aber es ist trotzdem warm, so zwischen 25-30°.
Um 8.30 Uhr taucht Boy schon auf, und wir machen uns gemeinsam auf die Suche.
Die dauert nicht lange, denn Boy führt uns ein paar Schritte weiter zu Mc Donalds.

Nun ja, wir sind zwar keine Fastfood-Freunde, aber auch keine Ideologen; es ist eine lässliche Sünde, gelegentlich einen Hamburger zu essen, und da das Essen von
Mc Donalds auf dem ganzen Erdball gleich schmeckt, wissen wir, was uns erwartet und brauchen keine unliebsamen Überraschungen zu fürchten.

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Irma fällt auf, dass ihre Landsleute es modisch finden, bei den Fastfoodketten zu essen, deren Produkte aber fast so teuer sind wie in Europa und somit ein normales philippinisches Haushaltsbudget mit viel geringerer Kaufkraft ungleich mehr schröpfen als Fisch, Gemüse und Reis.
Aber vielleicht ist ja gerade dies ein Statussymbol: in unseren Breiten gilt es als chic, „beim Japaner“ Sushi zu essen, während in den Philippinen (und wohl auch in anderen Gegenden Südostasiens) es als „in“ und modern gilt, wenn man es sich leisten kann, die Doppelwhopper zu verspachteln.

Als nächstes holen wir uns Geld: wir haben neben DM in bar auch US-Reiseschecks dabei.
Die Schecks - so die Auskunft von Boy - werden von der American Express Bank mit Sitz im Stadtteil Ermita umgewechselt.

Wir besteigen ein Jeepney - endlich mal wieder den typisch philippinischen Dunst der Dieselabgase einatmen!- und sind bald darauf im nahegelegenen Ermita.

Dieser Stadtteil bildete früher das Vergnügungsviertel mit Restaurants, Discos und Bars.
Dort florierte auch der Sextourismus; die Gogobars dominierten aber nur in zwei Straßen; im übrigen herrschte auch das bunte Treiben von Geschäften, Restaurants und Souvenirläden.

In 1992 hat der damalige Polizeichef Lim (jetzt ist er meines Wissens sogar Bürgermeister von Manila) alle Bars schließen lassen.
Dies geschah nach seinem Bekunden aus Gründen der öffentlichen Moral.
Es dürften aber auch Grundstücksspekulationen eine Rolle gespielt haben; man munkelt, dass sich der Schlag vor allem gegen die von Ausländern betriebenen Bars richtete, damit die chinesischen Zuhälter das Geschäft mit der Prostitution alleine kontrollieren konnten.
So läuft jetzt wohl mehr im Untergrund ab, was damals Reeperbahn-ähnlich das Viertel Ermita geprägt hatte.

Jetzt sind die Bars zwar verschwunden; das Viertel wirkt aber nur noch grau und langweilig, weil keine andere Infrastruktur an die Stelle der Vergnügungsstätten getreten ist.
Die wenigen noch verbliebenen Restaurants gehen anscheinend schlecht; Straßen sind aufgerissen, Kabel hängen wirr herum, Bauruinen verrosten vor sich hin; gleichzeitig werden aber Hochhäuser hochgezogen; die Rohbauten weisen wie Betonmonster gen Himmel.

Irgendwo in dieser unwirtlichen Gegend finden wir die American Express Bank und tauschen unsere Reiseschecks ohne Komplikationen.
Der Kurs liegt bei etwa 38 Pesos je US $.

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Mit dem nötigen Kleingeld ausgestattet sehen wir uns in „Fiestang Filipino“ um, dem Verkaufszentrum für philippinische Kunstartikel und Souvenirs.
Es ist kaum etwas los.
Wir kaufen zwei kleine Ölbilder, die Landschaften von den Philippinen mit jeweils einer kleinen Bambushütte im Vordergrund zeigen.
Christian ruht nicht eher, bis er ein Blasrohr von der Insel Neuguinea in den Händen hält.
Die gehört zwar nicht zu den Philippinen, aber was soll’s...
Ninja-Wurfsterne bekommt Christian zu seinem Bedauern allerdings nicht.
Wir gehen auch vorbei an den Muschellampen, den teilweise riesengroßen holzgeschnitzten Adlern aus Nordluzon, den Perlmuttaschenbechern, den geflochtenen Wandbehängen und vielen anderen mehr oder weniger geschmackvollen Artikeln.

Als nächstes streben wir einem Reisebüro zu. In den zwei Wochen, die uns noch bleiben, will ich die Zeit nicht allein mit Verwandtenbesuchen zubringen, sondern es soll noch ein Abstecher zum Baden und Schnorcheln auf eine der Inseln außerhalb Luzons erfolgen.

Von der Kollegin aus der Telefonzentrale des Finanzamtes habe ich den Tipp bekommen, nach Busuanga Island zu fliegen.
Dies ist eine kleine Insel in südwestlicher Richtung, die der 400 km langgestreckten Insel Palawan vorgelagert ist.

Palawan ist eine sehr interessante Insel, auf der ich noch nicht war.
Durch einen mutigen Gouverneuer wurde dort die Regenwaldabholzung gestoppt, so dass auf der dünn besiedelten Insel noch etliche seltene Tiere und Pflanzen leben, die nur auf diesem abgelegenen Eiland vorkommen.

Busuanga Island soll ebenfalls schöne Schnorchel- und Tauchreviere besitzen, dazu bizarre und felsige Küsten sowie ein Resort, das von einem deutschen Aussteiger namens Rudolf geleitet wird.

Als billigste Fluggesellschaft wird uns im Reisebüro die „Asian Spirit“ genannt:
mit winzigen Propellerflugzeugen dauert es etwa eine Stunde bis zu Busuanga Island; schätzungsweise sind es 500 km Entfernung nach Luftlinie.
Die Flugtickets kosten für uns drei insgesamt umgerechnet 430 DM.
Eine Schiffsreise wäre zwar billiger gekommen, aber für eine einfache Fahrt würden wir einen ganzen Tag benötigen!

Schließlich suchen wir noch eine Pension für die Zeit nach unserer Rückkehr von Busuanga Island.
Aber die billigen Pensionen, die wir besichtigen, entpuppen sich als stinkende fensterlose Löcher.
So vertagen wir die Entscheidung über unsere spätere Unterkunft.

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Anschließend fahren wir mit dem Taxi zum „Domestic Airport“ (Inlandsflughafen), nachdem Boy mit dem Taxifahrer einen angemessenen Preis ausgehandelt hat.

Dort gibt es einen riesigen Dutyfreeshop, in dem wir auf Wunsch der Familie Schokolade kaufen. Die gilt anscheinend als Statussymbol und ist gut zur Pflege der nachbarschaftlichen und verwandtschaftlichen Beziehungen geeignet, denn jeder will irgendwie an dem Besuch aus Deutschland partizipieren, und Nachbarn, Freunde und Verwandte sollen „abgefunden“ werden.
Besonders Tobleroneschokolade aus Switzerland, die hier teurer ist als in Deutschland, ist beliebt.

Trotzdem legen wir auch ein paar „nützliche“ Lebensmittel in den sich immer mehr füllenden Einkaufswagen, z.B. Dosen mit Corned Beef, welches die Filipinos nicht etwa kalt essen, sondern in der Pfanne erhitzen und zu gekochtem Reis essen.

Die Schätze werden verstaut.
Dann essen wir im Einkaufszentrum mit seinen vielen Essenstheken zu Mittag: gebratenen Schweinebauch mit Kangkong; letzteres ist so eine Art Spinat.

Viele Speisen sind bunt gefärbt, eine junge Frau, die ein lilafarbenes Eis schleckte, ist mir noch in Erinnerung.
In diesem Punkt sind die Filipinos ähnlich pubertär wie ihre großen Vorbilder aus den USA: es muss bunt sein, lärmend und niedlich; z.B. ist auch Briefpapier für Erwachsene mit Zeichentricktieren mit Kulleraugen verziert.

Auf der Rückfahrt bricht zum erstenmal die Sonne durch die Wolken.
Wir holen unsere vorher bestellten Flugtickets nach Busuanga ab; alles ist o.k.

Dann fahren wir mit dem Taxi nach Quezon City zu unserer Familie.
Quezon City war ursprünglich eine eigenständige Großstadt, wurde aber 1973 von Imelda Marcos mit Manila und ein paar weiteren Städten zur Region Metro-Manila zusammengefasst.

Niemand weiß, wieviele Menschen in Metro-Manila leben; mittlerweile sind es bestimmt 10 Millionen, die sich auf einer Fläche von der Größe Westberlins zusammendrängen, und es werden ständig mehr.
Dies liegt zum einen an der hohen Geburtenrate, zum anderen an dem stetigen Zustrom aus den Provinzen und anderen Inseln.
Die Menschen versprechen sich irgendeine Arbeit und wenn sie die nicht finden, können ihnen die Verwandten, die schon in Manila leben, weiterhelfen, so hoffen sie wenigstens.
In manchen innerstädtischen Gebieten leben bis zu 100.000 Menschen auf einem Quadratkilometer; in Berlin oder Hamburg sind dies nur 4.000; d.h. die Bevölkerungsdichte ist z.T. 25 mal so hoch, ebenso die Belegungsdichte einer Wohnung.

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In Zehn oder mehr Menschen leben oft in einem Raum zusammen. Die meisten Häuser sind aus Holzlatten, Wellblech und anderen Fundstücken.

Unsere Familie ist schon privilegiert, da nur vier Menschen auf zwei Räumen verteilt leben und das gemietete Häuschen aus Stein ist.
Außerdem haben sie Anschluss für Wasser, Kanal und Strom, was viele Familien nicht besitzen.

In starkem Kontrast zu den einfachen Behausungen der Bevölkerungsmehrheit stehen die mit Mauern und Sicherheitsleuten (security guards) abgeschirmten Villenviertel der Millionäre, in die auch ein Tourist nicht hineingelangt, wenn er dort niemanden kennt.

Es wundert mich immer wieder, dass die meisten Filipinos sich so geduldig in ihr Schicksal ergeben; aber alle sind so mit dem Kampf ums tägliche Leben beschäftigt, dass keine Kraft und Zeit bleibt, sich den noch verbliebenen „revolutionären Kräften“ anzuschließen, die in der Wahl ihrer Mittel auch nicht immer nach ethischen Prinzipien vorgehen...

Es ist ernüchternd, wie wenig sich in den letzten Jahren zum Guten geändert hat.
Bescheidene Fortschritte wurden durch Korruption, Bevölkerungszunahme und Umweltverschmutzung zunichte gemacht.

Während der technokratische Präsident Ramos sich wenigstens noch um Wirtschaftsdaten und die Entwicklung eines Mittelstandes bemühte, ist sein Nachfolger Estrada, ein ehemaliger Filmschauspieler wie Reagan, ein großmäuliger Populist, der seine Entscheidungen oft nicht mit dem Parlament, sondern mit einem Küchenkabinett von Trinkkumpanen abstimmt.

Trotz Hochbahn hat sich auch der Verkehrsfluss nicht gebessert, da immer mehr Autos zugelassen werden und die Umwelt verpesten.
Die Durchschnittsgeschwindigkeit auf Manilas Straßen soll sich auf 8 km/h belaufen; da kann ein guter Fußgänger noch mithalten.

Daher ist es auch für uns schwierig, von Quezon City im Nordosten Manilas aus zu den touristisch halbwegs interessanten Plätzen im Zentrum oder Südwesten zu gelangen: je nach Verkehrsdichte dauert dies zwischen einer und zwei Stunden!

Heute haben wir Glück mit unserem Taxi: es ist nur eine gute Stunde, bis wir in Balintawak, Eulogia Drive Nr. 30, angelangt sind.

Schon die Existenz einer bezifferten Adresse spricht für einen gewissen Mindestwohlstand, da Squatter (Obdachlose und illegale Siedler) keine Adresse ihr eigen nennen können, weil ihre Behausungen und Wege nicht registriert sind.

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Es hat sich nicht viel geändert seit unserem letzten Besuch in 1993: die Hühner sind verschwunden, nach und nach im Kochtopf gelandet, dafür sind zwei Katzen und drei Katzenjunge da, die meine tierliebe Schwiegermutter Ramba, Rambi und Rambo getauft hat.
Außerdem gibt es eine Mischlingshündin namens Thalia, die angebunden draußen in einem Pappkarton lebt, jeden Fremdling anbellt, wohl auch gerne beißen würde und nur abends an der Leine eine kurze Runde um den Block macht.

Trotz dieses bedauernswerten Hundeschicksals hat Thalia noch Glück gehabt, denn meine Schwiegermutter hat sie als Welpe vor dem drohenden Kochtopf der Nachbarn gerettet, dem schon ihre Mutter zum Opfer fiel.
Hundefleisch zu essen ist zwar offiziell verpönt, zumal sich reichere und moderne Filipinos nach westlichen Maßstäben ausrichten und unsere Familie den Verzehr von Hundefleisch verabscheut; aber in manchen Provinzen ist „gebratener Köter“ durchaus noch ein gängiges Gericht, das ich unwissenderweise 1983 auf unserer Hochzeitreise in Nordluzon wohl mal selber verzehrt habe, ohne das mir dies schlecht bekommen ist.
Angeblich essen die Alkoholiker gerne gebratene Hunderippchen, wenn sie Bier oder Hochprozentiges in sich hineinschütten; schon daran merkt man, dass sich die Wertmaßstäbe wandeln und die Hundefleischesser auf der sozialen Leiter nach unten rutschen.

Irmas Vater Inocencio, jetzt 63 Jahre alt, begrüßt uns; er ist geschwächt, hat Tuberkulose gehabt und macht einen sehr müden und resignierten Eindruck.
Aber er kann nicht von seinen Zigaretten lassen; heimlich raucht er wie ein Schuljunge, wenn er mit den Nachbarn draußen auf der Bank sitzt...
Am 27.Juli hat er Geburtstag, dann wollen wir von Busuanga zurück sein und ihm die Geburtstagsfeier ausrichten.

Nach kurzer Zeit erscheint auch Christians Urgroßmutter Visitacion (kurz „Visit“), die wir 1990 seinerzeit in ihrer kleinen Hütte auf dem Berg auf der Insel Panay besucht haben.
Sie freut sich über den Enkel, scheint sich aber zu schämen, als Irma ihr ein Geldgeschenk in die Hand drückt.
Sie wohnt nebenan bei ihrer Tochter Fely (Felicitas); dies ist die Schwester von Irmas Mutter.
Der Ehemann von Fely ist der bereits in früheren Reiseberichten erwähnte dicke und habgierige Onkel Olli, der uns vorerst aus sicherem Abstand beäugt und ungewohnt bescheiden ist.
Während wir drinnen im Hause frische Mangos essen, prasselt draußen ein Tropenregen herunter.
Binnen kurzem ergießen sich draußen Sturzbäche über die Straße, Blitze zucken, und Donner hallt.
Wir wollen eigentlich bald zum Hotel zurück, aber im Moment tobt das Unwetter zu heftig.

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So überbrücken wir den Sturm auf philippinische Weise: wir essen.
Es gibt Menudo, ein Eintopfgericht, dazu Reis mit Lapu-Lapu.
Der Lapu-Lapu ist so eine Art nationaler Fisch der Philippinen, benannt nach Häuptling Lapu-Lapu, der am Strand der Insel Mactan bei Cebu mit seinen Kriegern den Weltumsegler und „Entdecker“ der Philippinen Magellan umbrachte.
Auch heute gilt Lapu-Lapu als Nationalheld, weil er einen der wenigen Siege gegen die späteren Kolonisatoren errang.
Bei uns heißt dieser Fisch Brasse, glaube ich.

Nachdem die letzte Gräte abgelutscht, das letzte Reiskorn gegessen und der letzte Tropfen Wasser getrunken ist, geht es nun doch an die Abfahrt, weil wir lieber im Hotel übernachten möchten und nicht auf eine Übernachtung bei der Familie vorbereitet sind.

Die Heimfahrt wird zum Albtraum.
Zunächst kommen wir noch einigermaßen voran.
Dann fährt Boy schon Umwege, weil es heißt, dass eine Flut die Hauptstraße überschwemmt habe.
Es kommt mir in der Folgezeit so vor, als würden die Pfützen, durch die wir preschen, immer tiefer, und das ist letztlich keine optische Täuschung.
Auf einmal ist es dann soweit: ein Riesenstau mitten in der Nacht, nichts geht mehr, und die Straße vor uns scheint sich in einen Fluss verwandelt zu haben, in dem ein paar Autos feststecken, die von tatkräftigen Anwohnern durch die Wassermassen geschoben werden.
Bei einigen ist Wasser in den Auspuff geflossen, wodurch der Motor zum Erliegen kam.

Ansonsten schreien viele durcheinander; andere waten gleichmütig durch den dreckigen Schlamm, und uns rinnt im Fond des Wagens der Schweiß den Körper hinunter.
Das geht so eine ganze Zeit lang, und ich bekomme langsam Platzangst: wo sind wir, müssen wir die ganze Nacht in dem Wagen verbringen?

Nach endlosem Warten sind die Hindernisse verschwunden, und wir fahren langsam durch die Fluten, die sich wie weiland bei Moses zu teilen scheinen.
Wir haben Glück, dass das Heck nicht tief im Wasser liegt; so schaufeln wir uns eine Bahn durch die Fluten.
Vollends begeistert bin ich, als wir wieder auf halbwegs normale Straßen kommen, in denen nur die üblichen wassergefüllten Schlaglöcher gischtsprühend zu überwinden sind.
Nach längerer Irrfahrt haben wir den Stadtteil Tondo in Hafennähe mit seinen unzähligen Hütten erreicht, die an den Gleisen und Straßen kleben.
Hier leben die Ärmsten, und jede Flut sorgt für ein neues Chaos.
Wir passieren die großen Schiffe in der Manila Bay, Container stapeln sich am Hafenrand; nun ist es nicht mehr weit bis zum Hotel.

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Wir sind heilfroh, als wir endlich am Holiday Inn eintreffen, die „erste Welt“ hat uns wieder zurück, aber nur fast, nur fast.
Wir erleben direkt vor dem Hotel noch eine merkwürdige Situation:
mit Schlägen an die Autoseite hilft uns ein Einbeiniger beim Einparken, er verdient sich auf diese Weise sein Geld.
Es ist schlimm, sich vorzustellen, dass er ausschließlich auf solche Einnahmequellen angewiesen ist – hier gibt es weder Rente noch Sozialamt....

Ich habe das Privileg, in das beleuchtete trockene Hotel gehen zu können.
Ich hätte vorhin im Stau in der Flut nicht gedacht, dass ich heute abend noch einmal in einem weichen Bett liegen darf.....

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Juli 1999

Nach dem Aufwachen fahre ich mit Christian im Fahrstuhl bis in den 5. Stock.
Dort befindet sich auf dem Dach der Hotelpool.

Es ist ungewohnt, über der Stadt hin und her zu schwimmen, wir sind momentan die einzigen Nutzer des Schwimmbades. Aber es macht Spass.
Dann heißt es Koffer packen, denn heute ist unsere letzte Nacht im Holiday Inn.

Wir essen in Ermita in einem landestypischen Restaurant, wo das Essen auf Bananenblättern serviert wird; ich habe wieder gebratenen Schweinebauch bestellt, der auf kunstvolle Weise knusprig gebraten ist.

Als nächstes suchen wir die American Express Bank, um wieder einen Scheck zu wechseln, aber es ist wie verhext: wir finden sie nicht!

Alle, die es wissen müssten, können uns trotzdem nicht weiterhelfen: ein Polizist, ein Wachmann, ein Straßenverkäufer, ein in den Philippinen lebender Deutscher: sie haben ihre Theorien, wo das Gebäude sein könnte, müssen aber doch passen.
Wir stolpern eine Weile die kaputten Bürgersteige entlang, aber die Bank bleibt verschwunden.
So bleibt uns nichts anderes übrig, als Boy herbeizutelefonieren.

Boy findet die Bank ohne Mühe, so weit ist es gar nicht; aber warum konnte uns das keiner der hier Ansässigen sagen?

Über den Roxas Boulevard, die Prachtstraße an der Küste, promenieren wir am Meer entlang zurück, Boy verabschiedet sich, will abends wiederkommen.
Mächtige Baumriesen säumen die Promenade am Meer; die Obdachlosen, die sonst hier anzutreffen sind, haben vielleicht schon woanders Schutz vor den kommenden Unwettern gesucht.
Wir beobachten die Ozeanriesen sowie Männer in kleinen Booten, die dem aufkommenden Taifun trotzen wollen.
Der Wind weht immer heftiger, die Wellen wogen, aber noch fällt der Regen nicht.
Trotz des ungewissen Wetters warten Scharen von Menschen vor der US-Botschaft: hier gibt es Eintrittskarten zum Paradies; viele fühlen sich berufen, aber nur wenige sind auserwählt.
Die Menge wartet diszipliniert und stumm.
Wer schon einen Verwandten in den USA hat, ist besser dran; aber es ist trotzdem ein weiter Weg bis zum Visum!.
Wir sind nun nicht mehr weit vom Hotel entfernt.
Die letzten paar Hundert Meter legen wir in einer Caleza, einem Pferdefuhrwerk, zurück.
Es ist eine Geste an die Nostalgie.

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Ich bewundere sowohl Pferd als auch Fuhrmann, wie sie dem Autolärm, dem Gehupe und den Abgasen stoisch trotzen.
Die Hufe klappern, als wollten sie die alte spanische Welt in Manila nochmals aufleben lassen.
Aber die Illusion endet schnell.
Schon sind wir im Hotel, viel haben wir heute nicht mehr vor.

Abends gegen 20.30 Uhr taucht Boy wieder auf; er hat seinen 32 Jahre alten Bruder Gerry (Abkürzung von „Gerardo“), den jüngsten von Irmas Geschwistern, mitgebracht sowie Marylin, dessen Frau, die uns einen Strauß Rosen zur Begrüßung überreicht.
Marylin kennen wir auch noch nicht.
Sie ist kleiner und zierlicher als Ana, nicht so direkt, wirkt quirlig und agil.
Nach unserem Eindruck haben beide Brüder Glück gehabt mit ihren Frauen.
Dies sieht auch Irma so, die als „Ate“ (ältere Schwester) nach philippinischer Sitte fast eine elternähnliche Position gegenüber den jüngeren Geschwistern hat.
Ein bisschen von dem Respekt geht auch auf mich über, denn alle nennen mich „Kuya Hardy“, wobei Kuya „geehrter älterer Bruder“ heißt und „Hardy“ mein philippinischer Spitzname ist (kaum jemand wird mit seinem Taufnamen angeredet), weil die Aussprache von „Burkhard“ für philippinische Münder ein Zungenbrecher ist.

Wir schießen noch ein paar Fotos im Foyer des Hotels.
Dann verabschieden sich die drei gegen 22.30 Uhr, weil wir ja morgen wegen unseres Abfluges nach Busuanga früh aufstehen müssen.
Wir haben schon mit der Hotelrezeption vereinbart, dass wir um 6.00 Uhr geweckt werden möchten.

Morgen beginnt wieder ein neues Abenteuer!

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21. Juli 1999

Um 6.00 Uhr werden wir pünktlich geweckt.
Wir raffen unsere Habseligkeiten zusammen und verlassen um 7.15 Uhr das Hotel.
Zum Glück finden wir ausnahmsweise einen fairen Taxifahrer, der uns zu dem von Boy genannten Preis mitnimmt.
Er ist ein Student von chinesischer Abstammung.
Kurz vor 8.00 Uhr sind wir am „Domestic Airport“.
Vor den Schaltern der Inlandsfluggesellschaften herrscht großes Gedränge. Touristen sind jetzt in der Regenzeit kaum zu sehen. Einheimische verladen riesige Kisten, die von Schnüren zusammengehalten werden.
„Asian Spirit“ ist eine der kleinen neuen Fluggesellschaften.
Um 9.45 Uhr sollen wir losfliegen.
Bei strömendem Regen hasten wir unter bereitgestellten Regenschirmen zur kleinen bunten Propellermaschine.

Das bemalte Flugzeug ist winzig klein und mutet vom Outfit her wie ein Hippieflugzeug an.
Es gibt 17 Sitzplätze, davon sind nur zwölf besetzt.
Auf meinem Ticket steht „Sitz Nr.13“; dieser Sitz ist im Flugzeug allerdings nicht zu finden, da eine entsprechende Beschriftung fehlt. Schuld an der fehlenden Bezeichnung ist wieder mal der asiatische Aberglaube!
Daher setze ich mich auf den Sitz zwischen „12“ und „14“; dies ist der richtige Sitz, der auch von keinem anderen Passagier eingefordert wird.
Falls die „Nr. 13“ Unglück bringen und das Flugzeug abstürzen sollte, würden die unbelasteten Sitznummern kaum Glück bringen, der Aberglaube ist insoweit in sich nicht schlüssig -
Später erfahren wir, dass ein paar Monate nach unserem Flug eben ein solches Flugzeug der „Asian Spirit“ abgestürzt ist und sämtliche Passagiere ums Leben kamen.
Wenn wir das gewusst hätten, wären wir vielleicht garnicht nach Busuanga geflogen!

Die Propeller drehen sich, der zierliche Vogel setzt sich in Bewegung und hebt dann schwankend vom schlammigen Rollfeld ab.
Langsam gewinnen wir an Höhe und sehen den triefnassen Moloch Manila im Regenschleier unter uns liegen.

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Der Fluss Pasig, im Sommer ein verschmutztes schwarzes Rinnsal, windet sich nun wie eine vollgefressene ockerfarbene Schlange durch das Meer der Elendshütten.
Dauert die Flut lange, steigert das die Seuchengefahr, da viele Hütten nicht an die Kanalisation angeschlossen sind!

Von weitem ragen die Wolkenkratzer des Geschäftsviertels Makati gen Himmel; es ist ein seelenloser Ort, der die Polarisierung zwischen „Arm“ und „Reich“ offenlegt.

Bald fliegen wir übers Meer Richtung Südwesten.
Böen schütteln den zierlichen Flieger durch, wir fühlen uns wie in einer Achterbahn; Regen peitscht gegen die Glasfensterchen: wir sind ein Spielball der Naturgewalten, egal, welche Nummer der Passagiersitz trägt!
Irgendwo auf der linken Seite müsste die größere Insel Mindoro unter uns liegen, auf der wir schon zweimal Badeurlaub gemacht haben.

Nach einer Stunde Schütteln und Auf und Ab nähern sich kleine grüne Inseln; die Maschine senkt sich zum Landeanflug: das große Eiland unter uns muss die Insel
Busuanga sein. Unter anderem befindet sich dort eine große Rinderfarm; wir sehen grüne Wiesen, aber keine gehörnten Herdentiere..

Bei strömendem Regen landen wir auf dem Rollfeld, welches mitten auf einer grünen Wiese liegt.
Der Flughafen ist nur eine bessere überdachte Bushaltestelle.
Ein paar Jeepneys warten schon auf Fahrgäste.
Eine kräftige Philippinin mittleren Alters, eine Repräsentantin des philippinischen Mittelstandes, erzählt uns, dass sie eine Woche Urlaub auf einem exklusiven Resort
auf der kleinen Insel Dimakya im Norden Busuangas gebucht habe; jetzt gefällt ihr das Wetter natürlich nicht.
Für uns stellt sich das Problem, dass wir erst einmal eine Unterkunft suchen müssen.
Hier in der Nähe des Flughafens gibt es keine Ortschaft; alles orientiert sich in den Süden, wo die Inselhauptstadt Coron City liegt.
Dort befinden sich auch die Strände mit bizarren Felsformationen, die Tauchreviere mit versunkenen japanischen Schiffen aus dem zweiten Weltkrieg und die geheimnisvolle Felseninsel Coron, die das Refugium der dunkelhäutigen Tagbuanas ist, die früher auf der viele größeren Insel Busuanga lebten, bis sie von den hellhäutigeren Filipinos zurückgedrängt wurden.

Uns fällt ein großes gemaltes Schild mit der deutschen Aufschrift „Kokosnuss“ auf: das ist das Resort des deutschen Aussteigers, von dem mir meine Kollegin erzählt hatte!
Aber wie kommen wir dorthin?

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Wir brauchen nicht lange zu überlegen, denn ein hübsches junges Mädchen mit einem Pferdeschwanz wedelt mit einem Pappkarton mit der Aufschrift „Kokosnuss“ und hat auch ein paar bunte Prospekte bei sich.

Das Mädchen heißt Wilma und ist Angestellte des Resorts „Kokosnuss“.
Wir besteigen mit ihr zusammen einen Jeepney, in dem noch ca. 15 andere Fahrgäste kauern, darunter eine europäische (schwedische) Familie mit einem blonden Jungen.
Die Passagiere sitzen sich gebeugt auf den beiden Sitzbänken gegenüber, die links und rechts angebracht sind.

Gerne würden wir einen Blick auf die Landschaft werfen, aber wegen des Regens sind an den Seiten Planen heruntergelassen, so dass wir nur gelegentlich Ausschnitte von grünen Wiesen, Wald und schlammiger roter Straße mit Schlaglöchern und Kieselsteinen erhaschen können.

Nach einer Dreiviertelstunde sind wir in Coron City.
Der Jeepney hält schon vor dem Anfang der eigentlichen Stadt, denn das „Kokosnuss“ liegt etwas außerhalb.

Das „Kokosnuss“ besteht aus einem Haupthaus mit Restaurant, einem Haus, in dem der Eigentümer wohnt und mehreren Gästehäusern, deren Außenwände allesamt aus Holz und im früher landestypischen Stil auf Stelzen errichtet sind. Sie haben keine Wellblechdächer, interessant, dass die traditionell aussehenden philippinischen Häuser von einem Deutschen errichtet wurden, während die Einheimischen am liebsten Steinhäuser mit Wellblechdach errichten.
Das hängt natürlich damit zusammen, dass die Holzhäuser mit ihrem Reetdach dauernd gepflegt und ausgebessert werden müssen.
Andererseits sind sie viel besser geeignet, um mit den Klimaschwankungen fertig zu werden. Durch ihre Konstruktion auf Stelzen (die die Ratten vom Hochklettern abhalten sollen), zirkuliert immer frische Luft, und unter dem Dach wird es auch nicht so brütend heiß wie unter Wellblech.

Ein paar der Häuschen sind kleine Bungalows, zwei größere wirken wie die Langhäuser der Dayaks auf Borneo.
Sie sind im Kreis um eine Wiese mit Teich und exotischen Pflanzen gruppiert.
Zwei Hängematten, zwischen Palmen gespannt, wirken jetzt trostlos verlassen im Regen, der gleichmäßig vom Himmel fällt.

Jörg führt uns zu den einzelnen Häuschen, nachdem wir unser Gepäck im überdachten Teil des Restaurants abgestellt haben.
Jörg ist der 21jährige Sohn von Rudolf, dem Besitzer, der mit einer Filipina verheiratet ist.

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Von Wilma haben wir schon erfahren, dass Fe, die Filipina, Rudolf verlassen hat und auf ihrer Heimatinsel Cebu jetzt mit einem Filipino zusammenlebt.
Sie stellt die Trennung als von der Frau verschuldet dar.
Später werden wir aus anderer Sicht noch mehr über die problematische Beziehung von Rudolf und Fe erfahren, wobei letztere wenigstens noch auf den bunten Faltprospekten des „Kokosnuss“ vor paradiesischer Landschaft zu sehen ist.

Der blonde Jörg ist kein Mischling, wie an seinem europäischen Aussehen unzweifelhaft zu erkennen ist.
Er stammt aus der ersten Ehe Rudolfs mit einer Deutschen.
Der Aussteiger hat den kleinen Sohn mit auf die Philippinen genommen, ein weiter Weg von Großkrotzenburg bei Hanau bis nach Palawan in fernen Südostasien!
Ein Problem für den jungen Mann dürfte sein, dass er weder in Deutschland noch in den Philippinen eine Ausbildung genossen hat.
Erst seit kurzem lernt er die philippinische Hauptsprache Tagalog, die auch auf Busuanga Island gesprochen wird.
Eine weitere Aussteigerin aus Deutschland ist eine alte Schäferhündin, friedlich und treuherzig.

Uns gefallen alle Hütten gut.
Die Innenwände aus Stein und die Badezimmer sind in den teureren Hütten mit bunten Gemälden verziert.
Die romantischen zart hingehauchten Bilder von Landschaften, Blumen, Schmetterlingen; Lotusteichen und leichtgeschürzten braunen Frauen wurden von einem Maler des Ortes in langer Kleinarbeit gefertigt.

Wir entscheiden uns nicht für das teuerste Haus, auch nicht für die winzigen auf zwei Personen ausgerichteten Bungalows, sondern für die Hütte im Stil eines Langhauses, wo wir einen Raum mit nach hinten gehendem gekachelten Badezimmer erhalten.
Es kostet 700 Pesos für uns drei pro Nacht; das sind etwa 35 DM insgesamt, recht erschwinglich, wie ich finde.
In den Hauptraum mit großem Doppelbett wird noch ein Bett für Christian dazugestellt.

Der Bettbezug wird gewechselt; die braunen Flecken auf dem Bettzeug sind nach Auskunft von Wilma Kot der Geckos, die sich in fast jedem Raum aufhalten und wohl gelegentlich von oben Zielschießen veranstalten.
Aber ich mag ja die kleinen putzigen Echsen gern.
Derzeit sind keine zu erspähen.
Auf der überdachten Veranda befinden sich Liegestühle, von denen aus wir - zur Untätigkeit verdammt - das trostlose Szenario beäugen können: eine verlassene Wiese mit verwaisten Hängematten in stetig stärker werdendem Regen.

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Hoffentlich klart das Wetter noch auf, denn wir wollen hier ja Badefreuden genießen, schnorcheln, Boot fahren und schwimmen....

In einer kurzen Regenpause gehen wir zur nahegelegenen Stadt Coron City, die direkt am Meer, am Südrand der Insel Busuanga liegt.

Die Stadt wirkt für philippinische Verhältnisse ziemlich sauber, hat sogar einen Umweltpreis bekommen, wie wir später erfahren.
Viele Gärtchen und Bäume würden noch angenehmer wirken, wenn der Himmel nicht so grau und düster wäre!

Am Meeresufer erheben sich zahlreiche Hütten auf Stelzen, Jachten dümpeln, und uns gegenüber liegt die Felseninsel Coron wie ein grauer riesiger Schatten im wasser; Nebel und Dunst hüllen sie ein: dieses Bild könnte auch aus Schottland stammen.

Wir kaufen ein paar gebratene Bananen; dann fährt uns ein Trycicle-Fahrer nach Hause, ein weiser Entschluss, denn der Regen setzt bald wieder mit neuer Heftigkeit ein.

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Abends serviert uns Wilma und ihre Helferin Fisch mit Curry, mir schmeckt es gut; dazu lasse ich mir zwei Fläschchen San Miguel Bier schmecken.

Rudolf begrüßt uns im Morgenmantel; er hat anscheinend den ganzen Tag geschlafen; erst später merken wir, dass nicht allein der Kummer über den Verlust der Frau, sondern auch der Genuss von philippinischem Rum und anderen harten Sachen die Ursache für seine Indisponiertheit sein dürfte.

Er erzählt uns, dass er ursprünglich drei Schäferhunde von Deutschland auf die Philippinen gebracht habe; dies habe mit allen Papieren und Schmiergeldern etwa
5.000 DM gekostet. Die zwei jüngeren Schäferhunde seien ihm vergiftet worden, nur die Mutter der beiden jungen Hunde übriggeblieben.
Bald verzieht er sich wieder in sein Haus, während wir noch ein wenig mit Jörg plaudern.

Nach dem Essen gehen Irma und ich noch ein bisschen spazieren, als der Regen mal wieder nachgelassen hat.
Die schmalen Straßen von Coron City sind überwiegend betoniert; das ist eine große Erleichterung beim Spazierengehen während der Regenzeit.

Als wir zurückkehren, ist es schon dunkel.
Dummerweise fällt noch der Strom aus, was aber nicht so schlimm ist, weil die angezündeten Kerzen im Freiluftrestaurant einen gemütlichen Schein verbreiten.

Wir können zwei andere Gäste begrüßen: Hans und Robin, Vater und Sohn, die auf „Expeditionsreise“ durch Palawan sind.
Die beiden stammen aus einem Vorort von Leipzig und sächseln, dass es eine Pracht ist.
Hans, der Vater, ein stämmiger Mann mit rundem, stets lachenden Gesicht, hat ein bewegtes Leben hinter sich.
Er war Offizier der NVA, schloss sich aber später zur Wendezeit der Bürgerrechtsbewegung an, was ihm nach seinem Bekunden viel Ärger einbrachte.

Er ist jetzt Ausbilder für schwer erziehbare Jugendliche.
Sein Hobby ist die Zoologie.
Er habe schon zu DDR-Zeiten als Beauftragter des Leipziger Zoos Reisen nach Südostasien unternommen, Schlangen gefangen, Käfer erforscht und sei ein paarmal in Pirna gewesen. Pirna in Sachsen denke ich; aber Hans meint Birma (jetzt Myanmar); das ist schon exklusiver.
Der Stolz von Hans sind seine vielen Schlangen und Schildkröten daheim in den Terrarien; aber in der freien Wildbahn gefallen ihm die Tiere noch besser.
Ab und zu macht er uns auf die großen Geckos an der Wand aufmerksam, die wir nicht so bewusst wahrgenommen haben, weil sie sich gut tarnen und stillhalten.

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Seine zweite Frau stammt aus Vietnam, ist aber in Leipzig geblieben.
Aus der ersten geschiedenen Ehe, über die Hans nicht gerne sprechen will, stammt der Sohn Robin, ein Jahr jünger als Christian, ein aufgeweckter Junge mit starkem sächsischem Dialekt, der voller Stolz erzählt, dass er Jugendmeister im Boxen ist.
Angesichts dieser harten Tatsachen lässt sich der sonst so kampfbereite Christian lieber nicht auf einen Fight gegen Robin ein!

Gegen halb zehn verabschieden wir uns und patschen durch den unter Wasser stehenden Rasen zu unserem Häuschen.
Wenigstens hat das geflochtene Dach dichtgehalten, und auch kein Gecko kackt uns von oben auf das Bett.

Wir hoffen, dass sie fleißig alle Moskitos wegfangen.
Das Moskitonetz sollte sicherheitshalber aufgespannt sein, denn die Provinz Palawan ist nicht malariafrei.

Rudolf hat uns allerdings beruhigt: Coron City und die Umgebung seien vollkommen frei von Malariamücken; die einzige Ansteckungsgefahr bestehe im Dorf „Old Busuanga“ und das sei relativ weit entfernt.
Er hat wohl recht behalten; denn wir haben uns keine Malaria geholt.

Nachts rauscht uns der Tropenregen in den Schlaf.-

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22. Juli 1999

Regen, Regen, nichts als Regen!
Wir müssen unsere Bootstour wohl verschieben, da sich ganze Wolkenbänke über der Insel entleeren.

Außerdem müssen wir uns auf die Geldsuche machen; unser Bargeld wird für die Zeit unseres dreitägigen Inselaufenthaltes nicht reichen, auch wenn wir noch so spartanisch leben. Hoffentlich können wir wenigstens über die Visakarte an die begehrten Mäuse gelangen!

Nach einem Frühstück aus Bananen und Pulverkaffee laufen wir Richtung Ortschaft, als der Regen ein bißchen nachgelassen hat.
Glücklicherweise finden wir einen Laden („Swagman’s“), in dem uns die Verkäuferin nach Vorlage der Visakarte Geld auszahlt; allerdings zu einer saftigen Gebühr von 8% der Auszahlungssumme.
Egal, dafür ist das Preisniveau auf den Philippinen nicht so hoch, und es war die einzige Möglichkeit, auf legalem Wege an Bargeld zu kommen!

Soweit der Regen es zulässt, besichtigen wir die Marktstände an der Anlegestelle, wo der frisch gefangene Fisch ausgelegt wird.
Wir finden auch etliche Tauchschulen, zum Teil von Ausländern betrieben.
Aber für einen regelrechten Tauchkurs haben wir ohnehin keine Zeit.
Wegen des schlechten Wetters verzichten wir darauf, mit dem Trycicle (dreirädriges Moped, das zwei bis drei Fahrgäste befördern kann) einen Ausflug zu den weiter entfernt gelegenen heißen Quellen zu machen.

Wir setzen uns in ein Restaurant, betrachten wehmütig die gerade erworbenen Postkarten, die blaue Lagunen mit strahlendem Himmel zeigen und vertilgen Hühnchen mit Curry-Sauce und Kartoffeln.

An einem Stand kaufe ich mir ein paar landesübliche Tsinelas (Badeschlappen aus Gummi); sie schneiden allerdings an den Zehen ein, bin nicht so abgehärtet wie die Filipinos.

Mit dem Trycicle fahren wir zurück zum „Kokosnuss“.
Dort sitzen schon Hans und Robin.
Sie haben eine Boots- und Schnorcheltour hinter sich, sind durchnässt, aber guter Laune.
Einer der Bootsbesitzer aus der Stadt befindet sich auch im Restaurant.
Er heißt Nestor, ist kaum größer als Christian, schätze ihn auf 1,50 m.
Er hat eine sehr dunkle Hautfarbe, blitzende weiße Zähne und eine Stimme, die an Micky-Maus erinnert.

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Er macht aber einen vertrauenswürdigen Eindruck und da wir nicht ohne eine Schnorcheltour zurück nach Manila fliegen wollen, verabreden wir, für den nächsten Tag sein Boot zu mieten; er wird es natürlich steuern.
Der Preis beläuft sich auf 800 Pesos (etwa 40 DM) für sechs Stunden; das liegt im Rahmen des Üblichen.

Abend spiele ich mit Robin Karten und lausche den Erzählungen von Hans sowie den Fröschen im Gartenteich, die in der internationalen Froschsprache ein stimmungsvolles Abendkonzert geben.

Dazu trinken wir ein paar San Miguel Biere.
Wir verabschieden uns schon gegen halb zehn und schlurfen mit quietschenden Badelatschen zu unserem Langhaus, das zum Glück innen trocken ist.
Auch die Moskitonetze halten ungebetene Besucher fern.

Hoffentlich wird es morgen etwas besseres Wetter geben, damit unsere Tour nicht „ins Wasser fällt“!

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23. Juli 1999

Auch heute ist der Himmel grau, aber es regnet wenigstens nicht ununterbrochen.
Wir frühstücken gut: Ei, Toast und Ananassaft, wir haben ja jetzt wieder Kleingeld!

Um 8.00 Uhr erscheint Nestor verabredungsgemäß; es ist also Verlass auf ihn.
Wir fahren mit dem Trycicle zur Pier im Hafen und betreten seine „Banca“, ein großes Auslegerboot mit Außenbordmotor.
Es ist zum Glück nicht so schmal wie das Boot in Padang Bai auf Bali, und Wasser müssen wir auch nicht schöpfen.
Vorher haben wir in einem nahegelegenen Geschäft noch Taucherbrillen und Flossen geliehen, damit wir der Unterwasserwelt einen Besuch abstatten können.

Mit lautem Knattern sticht das Boot in See, schaukelt kaum auf den Wellen.
Uns gegenüber liegt wie ein großer schwarzer Schatten die felsige Insel Coron, während die Stadt Coron City auf der viel größeren Insel Busuanga liegt, alles klar?!

Die Insel Coron hat unzählige Buchten; ein paar davon wollen wir heute erforschen.
Zwischen Coron und Busuanga sollen 11 japanische Kriegsschiffe gesunken sein.
Sie wurden 1944 von amerikanischen Bombern auf Grund gejagt, nachdem die US-Radarkontrolle entdeckt hatte, dass es sich bei den beweglichen kleinen Punkten nicht um Inseln, sondern um Kriegsschiffe des japanischen Feindes handelte.
Die Schiffe eignen sich als Tauchziel, liegen aber natürlich viel zu tief für Schnorchler.

Während wir gischtüberströmt unter einem grauen Himmel auf die Felsen der Insel Coron zusteuern, fühle ich mich eher wie ein Wikinger als wie ein Südseeurlauber.

Beim Näherkommen sehen wir, dass die Insel aus dunkelgrauem Fels besteht, der an fast allen Stellen steil ins Meer abfällt.
Wo immer es möglich ist, sind die Felsen mit Moos, kleinen Büschen und Bäumen bewachsen; das Grün der Pflanzen bildet eine attraktive Ergänzung zum Dunkelgrau der Felsen.

Die Szenerie erinnert mit zum Teil bizarr geformten kleinen Felsinseln an Südthailand oder an die chinesische Landschaft von Guilin in Südwest-China.

Der Regen peitscht jetzt wieder von oben auf uns ein, die Gischt der Wellen kommt uns von der Seite entgegen und durchnässt uns, und als nächstes wollen wir nach unten ins Wasser gehen!

In einer malerischen Bucht mit Felsnadeln und kleinen abgeteilten Meeresarmen hält Nestor zum erstenmal und lädt Christian und mich ein, hier zu schnorcheln.

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Wir brauchen uns nicht anzufeuchten, denn nass sind wir sowieso schon, müssen achtgeben, dass Filmkamera und Fotoapparat einigermaßen trocken bleiben.
Irma filmt uns, während wir vom Bootsrand aus ins Wasser platschen.

Es sind zunächst nicht so viele Fische zu sehen wie in der blauen Lagune auf Bali, vielleicht ist das Regenwetter dran schuld, oder es wird zuviel gefischt.
Aber die Korallen sind schön, und etliche bunte Fische ziehen auch hier ihre Bahn.
Außerdem ist es angenehm, unter Wasser dem Regen zu entkommen, so paradox dies auch klingen mag.

Nach einer dreiviertel Stunde klettern wir wieder an Bord (ich benutze erneut die Technik, über die Auslegerarme zu klettern), und wir setzen unsere Fahrt fort.
Es gibt auch etliche Buchten mit Sandstrand.
Die Felsbrocken im flachen Wasser sind auf alle denkbaren Arten geformt.
Ein Felsen erinnert an den „James Bond - Felsen“ bei Krabi in Südthailand, ist freilich viel kleiner .
Einen anderen taufe ich „Stegosaurus“, weil er aussieht wie ein Saurier mit Rückenplatten; ein weiterer ist die „Schildkröte“ usw.; der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.
In einer kleinen Bucht, wo auch ein ankerndes Piratenschiff vorstellbar wäre, halten wir an und gehen an Land.

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Ein schlüpfriger Weg führt einen Berg hinauf.
Es ist nicht weit bis zu einem versteckten Süßwassersee im Innern der Insel.
Der See ist eingefasst von grünbewachsenen Felsen; eine Szenerie wie im Paradies.
Bis auf Irma, die nicht schwimmen kann, stürzen sich alle in die Fluten.

Ich schwimme weit hinaus, genieße es, ganz allein auf weiter Flur zu schwimmen, in totaler Abgeschiedenheit.
Ein prasselnder Sturzregen stört nicht, verstärkt nur die zauberhafte Stimmung.
Ich frage mich, ob uns vielleicht mit Speeren bewaffnete Tagbuanas von den felsigen Anhöhen beobachten, gesehen habe ich niemanden.

Fische entdecke ich auch keine, aber Christian behauptet später, kleine störartige Fische mit langen nadelartigen Schnauzen gesehen zu haben.
Ich glaube ihm zunächst nicht; aber der Reiseführer belehrt mich, dass es in dem Süßwassersee tatsächlich (nur) zwei Sorten von Fischen gibt, und eine der Beschreibungen passt auf die Fischlein mit der spitzen Schnauze.

Wir gehen zurück zum Boot, immer auf der Hut, dass wir den schlüpfrigen Abhang nicht hinunterrutschen.
Eine Yacht geht vor Anker; aber es ist nicht die „Bounty“ mit Fletcher Christian und den anderen Meuterern, sondern Franzosen sind hier ebenfalls auf Sightseeing - Tour.
Unsere Reise geht weiter.
Wir halten noch an einem Sandstrand, und Christian und ich schwimmen zum Schnorcheln ein Stück weit hinaus.
Wir müssen hier aufpassen, denn das Riff wimmelt von Seeigeln. Ein Tritt auf die dunklen Stachelkugeln kann sehr schmerzhaft sein, und entzündete Wunden heilen nur langsam.

Wir merken, dass das Riff sehr steil in die Tiefe abfällt.
Im Grenzbereich schwimmen viele bunte Fische; es sind mehr als bei unserem ersten Stopp.
Immer wieder sind weitere Fischschwärme zu erblicken, aber Haie, Muränen, Rochen und andere Großfische sind (zum Glück) nicht darunter.

Nach einer Stunde haben wir genug, klettern wieder an Bord.
Unser nächster Abstecher führt uns zu den heißen Quellen, die gegenüber auf Busuanga Island liegen und die wir gestern auf dem Landweg wegen des schlechten Wetters nicht besucht haben.

Wir nähern uns der Küste und stellen fest, dass dies eine Mangrovenküste ist.
Das Wurzelgeflecht erscheint undurchdringlich; dies ist die Kinderstube vieler Fische, die hier vor Fressfeinden geschützt sind.

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Am Ufer entdecke ich hüpfende Schlammspringer, amphibische Fische, die an die Urzeit erinnern, an die ersten „Gehversuche“ der Fische, die sich mit ihren Flossen abstützen, um sich an Land und im Wasser gleichermaßen heimisch zu fühlen.
Während wir jetzt Raketen starten und am PC sitzen, sind die kleinen Schlammspringer auf dem Stand unserer Urahnen stehen geblieben...

Die Quellen sind zwei von Natursteinen eingefasste Wasserbecken am Strand, die warmes Wasser enthalten, so heiß wie in einer gut geheizten Badewanne.
Viele Filipinos haben es sich dort gemütlich gemacht.

Das Wasser ist mir fast zu warm, deshalb schlendere ich ein bißchen am Ufer entlang, beobachte die scheuen Schlammspringer und sehe, wie neue Pfahlwurzen keimen, sich am Boden „eingraben“.

Nestor macht uns aufmerksam, dass ein neues Unwetter droht.
Wir sind allmählich hungrig und müde und haben auch genug gesehen.
Wir sind zwar schon auf Busuanga Island, müssen aber natürlich auf dem Seeweg zurück.

Mitten auf dem Meer zwischen Busuanga und Coron bricht dann ein Taifun von einer auf die andere Minute los:
da, wo vorher ein Ausblick auf die Felseninsel möglich war, ist jetzt nur noch eine weiße Wand aus Nebel und Regen zu sehen: der Regen prasselt mit einer solchen Gewalt auf uns nieder, dass das Gesicht schmerzt und wir völlig durchnässt werden.
Ich kann gerade noch die Kamera im Rucksack unter mehreren Lagen Handtücher verstecken und hoffe, dass ihr nichts passiert.
Da das Boot jetzt schaukelt und schwankt, wird uns auch ein bißchen mulmig zumute.
Aber Nestor hat solche Unwetter wahrscheinlich schon öfters erlebt.
Der Motor rattert, und wir kämpfen uns langsam durch die aufgewühlte See.
Es dauert schier endlos, bis die Hafenpier wieder auftaucht, aber letztendlich laufen wir unbeschädigt in den kleinen Hafen ein.
Es ist etwa 14.30 Uhr.

Nestor braucht mit seinen Gehilfen eine ganze Weile, bis er das Boot an Land gezogen hat; dann schließt er sich uns an, wir laden ihn zum Essen ein.

In einem Restaurant am Hafen lassen wir uns frischen Bratfisch mit Mayonaise schmecken, während Nestor und Irma plaudern.
Sie verabreden, dass uns Nestor am nächsten Morgen vor unserer Abreise noch frisch gefangene Alimangos (Krebse) bringt, die sind preiswerter und vor allem frischer als in Manila.
Wir verabschieden uns von unserem netten Käpt’n und fahren mit dem Trycicle zurück zum „Kokosnuss“.

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Abends sitzen wir mit Hans und Robin zusammen im Restaurant des „Kokosnuss“.
Rudolf, der Eigentümer, gesellt sich zu uns.
Er ist wieder im Morgenmantel, wirkt müde, spendiert mir und Hans Bier und Tanduay, philippinischen Rum.

Er erzählt, er sei Militärtechniker gewesen und habe an der Entwicklung von Kampfjets mitgearbeitet.
Davon habe er eines Tages genug gehabt.
Er habe alles verkauft, um sich auf den Philippinen eine neue Existenz aufzubauen.
Es sei aber auf die Dauer schwer, sich mit der philippinischen Mentalität vertraut zu machen.
Es fehle zum Beispiel an einem technischen Grundverständnis.
Er erzählt, wie ein Hausmädchen einen Wasserhahn mit aller Macht habe aufdrehen wollen, dabei nicht gemerkt hatte, dass das (deutsche) Gewinde sich anders herum drehte.
Auch Arbeiter hätten ihre Freude daran gehabt, wenn ein Bohrer im Beton rot geglüht habe, sie hätten immer weiter gebohrt.
Er bezahle für philippinische Verhältnisse gut, habe aber sein Personal von acht auf zwei Leute reduziert.
Wilma und ihre Freundin, die beide von der weiter entfernt liegenden Insel Cebu stammten, der Insel seiner Frau, würden mehr leisten, als die sechs anderen zusammen, die er nicht mehr beschäftige.
Er erzählt nichts von seiner philippinischen Ehefrau.

Meine Kollegin aus der Telefonzentrale, die mit ihrem Mann mehrmals zum Tauchurlaub auf Busuanga verweilte, hat keine so gute Meinung von Rudolf.
Sie hält ihn für einen Traumtänzer und Egoisten.
Für die philippinische Geliebte verließ er seinerzeit die deutsche Ehefrau und wanderte auf die Philippinen aus.
Den deutschen Sohn aus der ersten Ehe nahm er mit, ohne ihm eine richtige Schulausbildung auf den Philippinen zu ermöglichen.
Zwischen Jörg, dem Sohn, und Fe, der neuen philippinischen Stiefmutter gab es Spannungen.
Richtig begannen die Probleme aber erst, als Vater und Sohn einen längeren Urlaub
in Osteuropa, Rußland und Kasachstan unternahmen.
Von diesem Urlaub brachte Rudolf eine junge rumänische Köchin mit.
Es blieb Fe nicht verborgen, dass die Rumänin mehr als eine Köchin war und nicht nur die asiatische Küche durch Speisen vom Balkan verdrängte, sondern auch sonst die Rolle der Hauptfrau übernahm.
Da philippinische Ehefrauen sehr eifersüchtig sein und insbesondere den Gesichtsverlust nicht ertragen können, hat Fe den untreuen Rudolf schließlich verlassen, worauf er dann in Depressionen verfiel.
Ein Teil der seinerzeit aus Cebu mitgebrachten Verwandten folgte Fe, während Wilma und ihre Freundin wohl eher Partei für Rudolf ergriffen, was auch aus ihren Bewertungen herauszuhören ist.

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Nach unserem Urlaub muss es wohl noch zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Fe und Rudolf gekommen sein; mich wundert, dass er überhaupt noch auf dem Resort verweilen kann, denn Ausländer können in den Philippinen Grundbesitz nur über die philippinische Ehefrau oder einen anderen philippinischen Angehörigen erwerben.

Nun, ich wünsche Rudolf, der eigentlich nicht unsympathisch wirkt und seinem Sohn Jörg viel Glück, bin aber skeptisch, ob die beiden in den Philippinen eine Zukunft haben.-

Später zeigt mir Hans in der Nähe des Hauses noch den Kokon einer Gottesanbeterin, aber die Besitzerin ist längst ausgezogen.
Die Frösche quaken wieder um die Wette, wieder rauscht der Regen herab.
Zum letzten Mal übernachten wir im „Kokosnuss“, am Ende der Welt, zu dem sich ein Deutscher und sein Sohn verirrt haben.

109 –

24. Juli 1999

Um 7.30 haben wir unsere Koffer gepackt und nehmen noch ein letztes Frühstück im „Kokosnuss“ in Gestalt von Ei, Toast und Pulverkaffee ein.

Und siehe: pünktlich um 8.00 Uhr trifft Nestor ein, hat einen Korb mit lebenden Krebsen dabei, denen die Scheren zugebunden sind.
Irma freut sich und entlohnt den getreuen Nestor, den wir wahrscheinlich nie mehr wiedersehen werden, genauso wenig wie Jörg, Rudolf und Wilma.
Letztere folgt uns zum Flughafen, da sie wieder nach Kunden für das „Kokosnuss“ Ausschau halten soll.

Der Jeepney hält glücklicherweise vor dem Eingang des „Kokosnuss“.
Wieder folgt eine einstündige Fahrt quer über die Insel nach Norden.
Weil es natürlich regnet, sehen wir wegen der heruntergelassenen Planen wieder nicht viel von der Landschaft der Insel.
Der Weg ist jedenfalls rot und schlammig, steckt voller Steine und Schlaglöcher.
Der PS-starke Jeepney ist wahrscheinlich eines der wenigen Beförderungsmittel, die den schlechten Boden- und Witterungsverhältnissen trotzen können.

Wir benötigen eine Stunde für die holprige Fahrt zum Flughafen.
Unter den wenigen anderen Passagieren erkennen wir die etwas beleibte Filipina wieder, die auf das exklusive Resort auf der kleinen Insel Dimakya geflogen ist.
Sie ist natürlich enttäuscht wegen des Wetters, erzählt, dass sie keinmal ins Wasser gegangen sei.

Dann verabschieden wir uns von der ruhigen hübschen Wilma und werden wie schon auf dem Hinflug gewogen, weil bei einer kleinen Propellermaschine das Gesamtgewicht genau ermittelt werden muss.
Dabei stelle ich fest, dass unsere Badezimmerwaage zuhause in Deutschland das Gewicht anscheinend um 3 kg zu günstig anzeigt.
Weitere Auskünfte werden nicht gegeben!

Ironie des Schicksals ist, dass just in dem Augenblick, als wir das kleine bunte Flugzeug besteigen, die Wolkendecke aufreißt und zum erstenmal die Sonne durchbricht!
Wie dem auch sei, wir verlassen das schöne, aber nasse Eiland und starten durch!

Auf dem Rückflug fallen wir in ein Luftloch nach dem anderen, und für uns alle ist es schwer, Toast und Ei im Magen zu behalten.
Christian schafft es nicht, entleert sich in die Kotztüte.
Irma findet den Flug bestimmt genauso schrecklich wie die Bootsfahrt in Padang Bai auf Bali, während ich versuche, mich durch Ausblicke aus dem Kabinenfenster abzulenken.

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Beeindruckend ist wieder das Meer von Häusern, Hütten und Fabriken, als die Metropole Manila unter uns auftaucht.

Um 12.30 Uhr landen wir auf dem „Domestic Airport“ von Manila; hier schüttet es wie aus Kübeln, und kein einziger Sonnenstrahl ist uns vergönnt.

Irmas Brüder Boy und Gerry sind glücklicherweise am Flughafen, lotsen uns in ein Taxi und nach 1½ Stunden Fahrt von einem Ende der Großstadt zum anderen Ende sind wir in Quezon City, Ortsteil Balintawak, Eulogia Drive.
Dort werden wir noch eine Woche bis zum Abflug im Schoße der Familie verbringen; wenn alle etwas zusammenrücken, ist dies kein Problem.

Die Frauen des Hauses haben leckeres Essen vorbereitet (wir hatten ihnen Haushaltsgeld dagelassen):
mit Schweinefleisch gekochten Kürbis, Bohnengemüse und Reis, dazu gebratenes Hähnchen, wobei anzumerken ist, dass die freilaufenden Hähnchen viel besser schmecken als das Geflügel aus den deutschen Legebatterien.
Christian verlässt das Häuschen, um zu einem „Playstation-Center“ zu gehen, das ein paar Häuser weiter gelegen ist.
Dort hat jemand drei Fernseher mit Playstation-Konsolen aufgestellt, und die Kinder drängen sich vor den Bildschirmen, auf denen es zuckt und flimmert.
Vor zehn Jahren, zur Zeit unseres letzten Besuches auf den Philippinen, war dies noch nicht der Fall.
Damals spielten die Kinder noch fantasievoll in großen Gruppen zusammen auf dem freien Platz vor den Häusern, der freilich auch verschwunden ist, weil er neuen Hütten weichen musste.

Merkwürdigerweise sind es ausschließlich Jungen im Alter zwischen 6 und 16 Jahren, die es an die Konsolen zieht.
Die Mädchen ziehen in kleineren Gruppen umher, passen auf die kleinsten Geschwister auf und wirken ruhiger und besonnener als die Jungen.

Der Besuch im Playstation-Center wird für Christian in den kommenden Tagen zur Dauerbeschäftigung.
Ich bin zwar nicht begeistert davon, aber er hat ansonsten auch wenig Alternativen zur Freizeitgestaltung, weil auch die anderen Jungen ihre Zeit nicht anders vertreiben, wenn sie nicht gerade in der Schule sind.

Er knüpft keine Freundschaften, verständigt sich mit den Jungen aber auf Englisch, so gut es geht und lädt etliche als Mitspieler ein, was die natürlich freut.
Die philippinischen Kinder sind ohnehin von Mischlingen begeistert, da helle Haut als schön empfunden wird.
Andererseits herrscht gegenüber dunkelhäutigen Menschen ein gewisser Rassismus, der die Abkömmlinge schwarzer GI’s genauso betrifft wie die „Negritos“ bzw. Aetas,

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die schwarzen Ureinwohner, die vereinzelt noch an abgelegenen Orten der Philippinen leben, sehr friedlich sind, aber als primitiv und hässlich verspottet werden.

Am späten Nachmittag setze ich mich mit Boy und Gerry zu den (männlichen) Nachbarn auf Kisten und roh gezimmerte Holzbänke und spendiere zur Pflege der sozialen Kontakte einen Kasten San Miguel Bier. Eine Abschottung würden die Nachbarn nicht verstehen, also ergreife ich sozusagen die Flucht nach vorn...

Die Nachbarn freuen sich, dass ich keine Berührungsängste zeige und finden es witzig, dass ich versuche, Tagalog zu sprechen.
Zum Bier wird „Polutan“ gereicht, das sind kleine Appetithäppchen, die nach philippinischer Sitte unbedingt gegessen werden müssen, wenn Alkohol getrunken wird.
Selbst die schlimmsten Alkoholiker halten sich an diese Grundsätze, wobei die Hardcore - Trinker gern ein paar geröstete Hunderippchen knabbern, wenn sie Bier und Whiskey zusprechen.

Heute abend gibt es zwar kein Hunde-Barbecue, dafür aber abgehackte Hühnerfüße und geröstete Hühnerdärme.
Glücklicherweise umgehe ich diese Köstlichkeiten, da der weitsichtige und zuvorkommende „Boy“ zwei Tüten Erdnüsse mitgebracht hat, an die sich der bleichgesichtige Fremde hält.

Es wird über Gott und die Welt parliert, und ein besonders aufgeweckter Gesprächspartner ist „Boy“, ein älterer Taxifahrer, der noch älter ist als „Boy“, der Bruder von Irma.

Nachdem letzterer, mein Schwager, ein paar Fläschchen San Miguel Bier getrunken hat, nimmt er seinen ganzen Mut zusammen und fragt mich, ob ich ihm einen Kredit für den Erwerb eines Taxis geben könne.
Alles werde natürlich zurückgezahlt, wenn das Geschäft erst einmal laufe.

In dem Punkt muss ich ihn leider enttäuschen.
Zum einen haben wir selber gerade eine Wohnung gekauft und uns verschuldet.
Zum anderen habe ich von etlichen Fällen gehört, in denen der Jeepney oder das Taxi nach ein paar Monaten durch Unfall oder technisches Versagen defekt waren und das unternehmerische Projekt als Rohrkrepierer endete.
Ich nenne Boy nur den ersten Grund für die Ablehnung des Kredits, was er seufzend hinnimmt.

Etwas hoffnungsvoller sehen Irma und ich die Absicht von Ana an, in Taiwan Geld zu verdienen.
Meist sind die Frauen auf den Philippinen tüchtiger und arbeiten effektiver; schon deswegen, weil sie konzentrierter arbeiten, mehr Durchhaltevermögen haben und sich weniger ablenken lassen.

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Nachdem die Klippe „Geld für ein Taxi“ mehr oder weniger taktvoll umschifft ist, wird es noch ein lustiger Abend.
Zwischendurch reichen die Frauen gebratenes Corned Beef und Mami (Nudelsuppe) heraus, da wir ja möglicherweise verhungert sein könnten.

Um 21.00 Uhr verabschiede ich mich, da unser Rhythmus sich an das frühe Aufstehen und das frühe Schlafengehen gewöhnt hat.

Mabuhay, magandang gabi („Auf Wiedersehen und gute Nacht!“)

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25. Juli 1999

Wir haben in einem durch eine dünne Holzwand abgeteilten kleinen Zimmer innerhalb des Häuschens geschlafen.

Das Doppelbett ist durchgelegen, aber es bietet wenigstens Privatsphäre, und der sich drehende Standventilator sorgt für Kühle, die nicht so aggressiv kalt wirkt, wie ich sie bei Klimaanlagen empfinde.

Ich habe heute nacht von chinesischen Schauspielern, Katzen und Dujongs (Seekühen) geträumt, kann mich aber nicht genau an den Handlungsstrang erinnern.

Das Frühstück besteht aus kleinen süßen Brötchen, Nescafe from Germany, Spiegelei und einer Käsepaste, die meine Schwiegermutter für mich aus neuseeländischem Cheddarkäse, Margarine und roten Chilistückchen gemixt hat.
Im Lauf des Tages wird auch auf Wunsch des weißen Besuchers regelmäßig eine frische Ananas vom Markt geholt, deren Süße und Saftigkeit unübertroffen ist.

Für heute haben wir einen Ausflug nach Novaliches geplant.
Dies ist ein Vorort von Quezon City, in dem wenigstens noch etwas Grün zu finden ist.
Dort lebt Irmas jüngerer Bruder Gerry mit seiner Frau Marylin im Hause von deren Schwester Judith, die zwar verwitwet ist, aber in Saudi-Arabien gearbeitet hat und nicht ganz mittellos ist.

Bevor wir aufbrechen, macht Amado, der 62jährige Polizist vom Ende der Straße, uns seine Aufwartung. Es wäre unhöflich, keine Zeit für ein kleines Gespräch zu haben.
Amado ist schon pensioniert, wirkt ruhig und verständig.
Er hat das schönste Haus und den neuesten Jeepney in der Straße; Staatsdiener haben auf den Philippinen meistens noch mehrere zusätzliche Einkommensquellen; „Gefälligkeiten“ machen sich bezahlt!

Um 11.30 Uhr machen wir uns auf den Weg; Boy hat einen Minibus organisiert, seine Frau Ana kommt auch mit.
Zum Glück müssen wir uns nicht durch Manila quälen, sondern fahren nordwestlich aus Quezon City heraus.
Um 12.30 Uhr sind wir in Novaliches.
Auch dort gibt es zwar Fabriken und Müllhalden, aber auch grüne Wiesen, Büsche, Bäume und eine aufgelockerte Bebauung.

Das Haus von Judith und ihrer Familie ist für philippinische Verhältnisse groß, hat ein Obergeschoss („up and down“)und einen kleinen Garten.

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Judith, (etwa 40 Jahre alt) wohnt mit ihren drei Kindern sowie ihrer Schwester Marylin und deren Ehemann Gerry unter einem Dach.
Außerdem gibt es da offensichtlich noch einen neuen Lebensgefährten namens Jojo, der aber nicht im gleichen Haus wohnt; Judith scheint es etwas peinlich zu sein, nicht wieder verheiratet zu sein.
Jojo hat übrigens schon für eine deutsche Firma gearbeitet, war zufrieden mit Arbeitsklima und Bezahlung.

Wir werden sehr herzlich empfangen.
Eine reich gedeckte Tafel mit kulinarischen Köstlichkeiten erwartet uns:
Hähnchen, Lechon (knuspriger Schweinebraten), Alimango (Krebs), Alimasag (Krabben), Lapulapu (Fisch), Dinuguan (Blutsuppe), Gemüse, Langka (Jackfrucht, groß und igelartig), Mangos, Pinya (Ananas) und als besondere Attraktion Äpfel und Weintrauben.
Die letzteren beiden aus philippinischer Sicht besonders exotischen und teuren Früchte sind dort ein Statussymbol: wer sich diese exquisiten, auf den Philippinen nicht wachsenden ausländischen Früchte leisten kann, muss schon Erfolg im Leben gehabt haben!

Nicht selten in besseren philippinischen Wohnstuben ist auch ein gemaltes Bild von New York (die USA sind das Traumland für fast alle Filipinos) sowie viel Nippes, künstliche Blumen und kleine bunte Kuscheltiere.

Judith erzählt, dass ihr Ehemann in Saudi-Arabien an einem Arbeitsunfall gestorben ist.
Sie hat weiter in Saudi-Arabien gearbeitet und mit dem ersparten Geld das Haus auf dem der Familie ihres Mannes gehörenden Grundstück errichtet.

Leider hat sie sich keine Eigentumsrechte eintragen lassen, und ihre missgünstige Schwiegermutter, der der Grund und Boden gehört, will sie jetzt von Haus und Hof vertreiben.
Momentan ruft der alte Drachen öfters an und versucht Judith in kleinen Dingen zu erpressen; sie soll ihr Essen liefern und andere Gefälligkeiten erfüllen; eine typisch philippinische Form der Nötigung, vieles führt über den Magen.... .

Nach dem Essen unternehmen wir einen Spaziergang, machen viele Fotos, da der Akku der Filmkamera leer ist.
Es tut gut, mal wieder frische Luft zu atmen, denn in Manila ist die Luft ansonsten immens hoch mit Schadstoffen belastet.

Zurück in der Wohnung gibt es Kaffee und süßen Kuchen.
Wir sehen einen Videofilm vom 18. Geburtstag der ältesten Tochter.
Auch in den Philippinen ist dies das Datum der Volljährigkeit.
Es ist derzeit Mode, einen Videofilm über ein privates Fest wie Hochzeit oder Volljährigkeitsfeier von einem professionellen Unternehmen drehen zu lassen.

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Die recht langatmigen Werke, begleitet von sanfter Saxofon- oder esoterischer Säuselmusik, beginnen in der Regel mit überblendeten Landschaften; eingeblendete Kinderfotos der betroffenen Personen stimmen auf das Fest ein; als nächstes werden die Personen (hier: das junge Mädchen) alleine in Gedanken versunken bei den Festvorbereitungen gefilmt.
Elegante und exquisite Kleidung wird gerne vorgeführt; die Mädchen und Frauen tragen weiße Kleider; die Männer ziehen das lange weiße philippinische Hemd, den „Barong Tagalog“ über und schreiten gravitätisch durchs Bild.

Die Volljährigkeit von Judiths Tochter wird durch 18 Rosen symbolisiert, kreisförmig angeordnet und ganz langsam von allen Seiten gefilmt; eine brennende Kerze als Zeichen des Lebenslichtes kann nicht fehlen.

Dann werden die meditativ-langsamen Bildfolgen abgelöst durch die Feier auf der Rückseite des Grundstückes: nachdem zunächst die Familienmitglieder ausführlich gezeigt werden, schwenkt die Filmkamera über jeden Gast, denn keiner darf vergessen werden.
Eine entfernte Tante in kostbarer Robe wird besonders freundlich begrüßt.
Ich muss schmunzeln, als ich erfahre, dass sie eine Art Abteilungsleiterin in der Steuerbehörde B.I.R. (B.I.R. = Bureau of Internal Revenues) ist.
Tja, wer in den Philippinen in der Steuerverwaltung arbeitet, hat ausgesorgt: es wird geschmiert und wer gut schmiert, der fährt gut; hätte der guten Tante gern ein bisschen über die Verhältnisse in unserer Finanzverwaltung vorgejammert!

Ausgiebig tauchen natürlich die kostbaren Speisen im Videofilm auf; die Filipinos lieben es, gut zu essen und zu trinken; selbst wenn die Ersparnisse draufgehen wird gefeiert; morgen könnte ja schon alles vorbei sein, und da wollen wir den heutigen Tag genießen!
Ein paar Kalorien werden hinterher sowieso abgetanzt zu amerikanischen Disco-
rhythmen.

Auf meine Frage, wieviel der 18jährige Geburtstag sie denn gekostet habe, nennt Judith mir umgerechnet eine Summe von 3.500 DM.
Verglichen mit deutschen Verhältnissen und Gehältern würde dies einen Aufwand von etwa 10.000 DM bedeuten.
Aber ein bisschen ist dieser Kraftakt auch vor dem Hintergrund der langen Trennung zwischen Mutter und Kindern zu sehen.
Es gibt viele Familien, in denen die Eltern „abroad“ (im Ausland) arbeiten und ihre Familie auf den Philippinen höchstens einmal im Jahr zu Weihnachten sehen.
Viele Ehen zerbrechen an den langen Trennungszeiten.
Die entfremdeten Kinder werden dann aus Schuldgefühlen verwöhnt, hängen aber eigentlich mehr an der Tante oder Oma vor Ort, die sie während der Abwesenheit der Mutter aufgezogen hat.

Wer aber niemanden im Ausland hat, hat meistens nur ganz geringe Einkünfte und keine Perspektiven, wenn er nicht reich geboren ist.

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Ich habe nur wenige Familien getroffen, die keinen „Stützpunkt“ im Ausland hatten; Traumland sind natürlich die USA; Europa ist nicht ganz so begehrt.
Taiwan, Singapur oder Japan sind nicht so imageträchtig; dafür leben dort aber Asiaten; es gibt Reis, und die Flüge in die Heimat sind nicht so kostspielig.

Im unteren Bereich, aber als notwendiges Übel hinnehmbar, ist der schlecht bezahlte harte Dienst auf Schiffen mit Billigflaggen anzusehen (das Los vieler Männer), und auch die Arbeit als Hausmädchen oder Krankenschwester in den arabischen Staaten gilt als schwierig, da es dort oft zu Übergriffen und Misshandlungen kommt, abgesehen davon, dass die Filipinas ihren katholischen Glauben dort nicht praktizieren dürfen.

Judith macht im übrigen nicht den Eindruck einer verschwenderischen Frau; sie ist selbst eher schlicht, zu anderen aber freigiebig und hilfsbereit, hat ihrem Schwager Gerry erst kürzlich eine schöne Armbanduhr geschenkt.
Auch das Verhältnis zu ihrer jüngeren Schwester Marylin wirkt herzlich und liebevoll.

Am Spätnachmittag verabschieden wir uns und bekommen gemäß der philippinischen Gastfreundschaft noch einen Korb mit Speisen eingepackt.

Ich weiss nicht, wie der Streit um das Haus später ausgegangen ist, habe aber gehört, dass Judith erneut in Saudi-Arabien arbeitet, sie hat also wieder Geld gebraucht.

Nach einer Stunde Fahrt sind wir wieder bei der Familie in Balintawak.
Christian verschwindet gleich wieder in der Playstation-Spielothek.

Ich lese ein bißchen, komme dann mit meiner Schwägerin Ana ins Gespräch.
Sie erzählt, dass sie früher als Verkäuferin gearbeitet, aber zu wenig verdient hat.
Sie stammt aus der Provinz Quezon im Süden von Luzon. Diese Landschaft ist von Kokosnussplantagen dominiert, bietet nicht viel Arbeitsmöglichkeiten.
Ihre Familie ist vor ein paar Jahren nach Manila gezogen, da sie sich dort mehr Möglichkeiten versprach.
Ihr Vater ist schon im Alter von 50 Jahren gestorben, weil er zuviel rauchte und zu viel Alkohol trank; nicht selten bei philippinischen Männern.
Aus diesem Grunde sieht sie es nicht gern, wenn ihr Ehemann Boy raucht oder trinkt. (Sie war sich darin mit Irma sofort einig).
Außerdem findet sie, dass Boy zwar ein lieber Mensch ist, Fähigkeiten hat, aber zu stark noch von der Mutter abhängig ist, die nicht den besten Einfluss auf ihn ausübe (auch diese Sicht wird von Irma geteilt).
Er müsse mehr Initiative zeigen und bei Streit mit der Schwiegermutter Partei für sie ergreifen.
Von ihrer Arbeit in Taiwan verspreche sie sich ein Startkapital. Sie wolle dann nur noch mit Boy, aber nicht mehr mit der Schwiegermutter unter einem Dach leben.
Mir imponiert der Mut von Ana - wie seinerzeit bei Irma - in ein fremdes Land zu gehen und dort für eine bessere Zukunft Entbehrungen auf sich zu nehmen.

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Auch Ana’s Analyse der Strukturen von Irmas Familie ist klar und logisch.
Dazu macht sie eine tatkräftigen Eindruck, hat aber auch weiche Seiten, weint manchmal, wenn die Schwiegermutter stichelt oder an ihr herumnörgelt.

Sie hat es ein paar Monate später tatsächlich geschafft, einen Arbeitsvertrag für Taiwan zu erhalten, pflegt dort zusammen mit einer gleichaltrigen Thailänderin ein gebrechliches chinesisches Fabrikantenehepaar, wird gut behandelt und fair bezahlt. Nach einem Dreivierteljahr hat sie den Kredit für die Arbeitsvermittlung und das Ticket an den Vermittler zurückbezahlt; wir wünschen ihr von Herzen alles Gute!

Abends liefern sich Boy und Ana mit Christian eine Kissenschlacht; es dauert lange, bis das Gekicher und Getuschel aufhört.--

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26. Juli 1999

Heute wollen wir einkaufen.
Nach dem Frühstück fahren wir mit Boy, aber ohne Christian in den Stadtteil Quiapo.
Dort gibt es eine Filiale von „American Express“; diesmal wechseln wir gleich zwei Schecks ein.

In Quiapo existieren große Märkte, auf denen es von Lebensmitteln über Kleidung, Taschen, Souvenirs etc. alles gibt.

Es ist alles noch viel gedrängter als es sonst im ohnehin schon geschäftigen Manila der Fall ist.
Während sie aufmerksam alle Waren begutachtet, erzählt Irma, dass sie in ihrer Kindheit oft mit den Eltern mitgefahren ist, die hier die von der Familie in Heimarbeit genähten Taschen aus Abaka (Fasern) verkauft haben.
Aber das ist schon lange her.
Anfang der 80er Jahre haben die Eltern das Geschäft aufgegeben und eine Nähmaschine nach der anderen verkauft, weil der Absatz zurückgegangen sei.
Zu diesem Zeitpunkt befand sich Irma schon in Europa; vielleicht haben sich die Eltern zu sehr auf ihre Überweisungen gestützt.

Heute kaufen wir keine Taschen, aber eine Muschellampe für meine Schwester; ein paar Deckchen; dann Untersetzer für meine Kollegen und noch die ein oder andere Kleinigkeit.

Wir haben keine Zeit mehr, die berühmte Kirche von Quiapo zu besuchen; dort wird eine dunkle Statue des Jesuskindes verehrt, und an bestimmten Tagen strömen Tausende von gläubigen Katholiken nach Quiapo, um das heilige Kind zu verehren.

Mit dem Jeepney fahren wir zurück und lassen uns den gebratenen Milchfisch (Bangus) schmecken.
Die Schwiegermutter hat die Kerosinkocher nach draußen gebracht und bereitet die Mahlzeiten neben dem Eingang zu.
So ist Platz gewonnen, und die Essensgerüche ziehen schneller ab.
Jetzt in der Regenzeit dienen Plastikplanen zum Schutz der Feuerstelle, die vom kleinen Baum vor der Tür bis zum Hausdach gespannt sind.
Auf dem Holzbänkchen neben der Eingangstüre sitzt Irmas Vater, den Kopf in die Hände vergraben.
Er ist geschwächt und sehr müde, „lebensmüde“ wirkt er, nimmt nicht viel Anteil am Leben um ihn herum.
Irma und die anderen Frauen ärgern sich über seinen Dickkopf; denn er nimmt die teuren Medikamente gegen seine Tuberkulose nicht regelmäßig, und wenn er sich nicht beobachtet fühlt, zieht er heimlich eine Zigarette aus der Brusttasche und pafft verstohlen wie ein Pennäler.

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Natürlich wird er fast immer beobachtet; aber nicht immer zur Rede gestellt.
Wir ahnen alle, dass er nicht mehr lange lebt, und dies ist sein einziges Vergnügen, was ihm noch verblieben ist.

Von den Hähnen, die im selbstgezimmerten Hühnerstall im Eingangsbereich lebten, hat er sich in den letzten Jahren nach und nach getrennt; wie die meisten philippinischen Männer liebte er den Hahnenkampf und hatte zu seinen Hähnen ein emotionales Verhältnis, streichelte und herzte sie, auch wenn er ihnen später die Kehle durchschnitt...

Nach dem Essen sitze ich still in seiner Nähe, lese und streichele Rambi, Ramba
oder Rambo, die Kätzchen.

Gegen 16.00 Uhr brechen wir auf zu „SM“ (nicht Sado-Maso, sondern „Shoe Mart“), dem Riesenkaufhaus in Quezon City, ein paar Kilometer weiter an der „EDSA“, einer der großen Ringstraßen von Metro Manila.
Während Quiapo ein traditioneller Markt ist, ist „SM“ ein gigantischer moderner, aber auch unpersönlicher Einkaufstempel in einem grauen Betonklotz.
Es ist größer als vergleichbare Einkaufspaläste in Europa.

Wir kaufen heute Kleidung für Christian, insbesondere T-Shirts, Socken und Hosen; es ist durch die hohe Kaufkraft der DM günstiger als in Deutschland.
Was auffällt, ist die hohe Zahl des Verkaufspersonals; viele stehen nur herum und unterhalten sich; anderseits werden die Angestellten nur schlecht bezahlt.
Christian erwirbt noch zwei Playstation-Spiele für umgerechnet jeweils 5,- DM; es dürften Raubkopien sein.

Ich bin froh, als wir endlich alle Sachen beisammen haben und wir um 21.00 Uhr mit unseren Taschen und Beuteln ins Taxi steigen können.

Christian hat diesmal gute Laune; er führt seine neue Kleidung vor.
Erst um 23.00 Uhr begibt er sich zur Nachtruhe.

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27. Juli 1999

Auch heute passiert nichts Spektakuläres: wieder ist Einkaufen angesagt.

Im Stadtteil Divisoria besuchen wir die Schwester von Irmas Freundin Janette, die gebürtige Chinesin ist.
Wir erkennen sie gleich, denn Conchita sieht ihrer Schwester Janette ähnlich.
Wir können ein paar Hosen und T-Shirts zu günstigen Konditionen erwerben, machen noch ein Erinnerungsfoto und erhalten freundlicherweise leckere gekochte Fleischbällchen in Teig, die uns und der Familie am Abend gut munden werden.

Anschließend stöbern wir über die offenen Märkte.
Diesmal bin ich im Schlepptau von Irma, die beim Bummel über Märkte und bei der Jagd nach Schnäppchen ungeahnte Energien entwickelt.
Ich bin froh, als wir Mittags wieder zuhause sind.

Nachmittags fährt Irma mit ihrem Vater zum Arzt; er hört wenigstens ab und zu auf die Tochter, die ja Krankenschwester ist.

Auch Irmas Mutter geht voller Tatendrang auf Einkaufstour, nachdem wir ihr ein Budget eingeräumt haben.
Sie kommt abends zufrieden mit etlichen Plastiktüten bunter Stoffe und Kleider zurück; auch ihre Fischzüge waren erfolgreich.

Ich leiste während dessen den Kätzchen Gesellschaft, von der Hündin Thalia beäugt und dem Rauschen des Regens lauschend.
Der dicke Ollie schaut von ferne; ich mache ihm jedoch keine Zeichen, vorbeizukommen, denn ich finde ihn auch sehr lästig; er ist gierig und macht auch keinen intelligenten Eindruck.
Zur Wahrung der nachbarschaftlichen Beziehungen schenken wir ihm kurz vor der Abreise ein Hemd, ansonsten treten wir diesmal nicht in engeren Kontakt, denn sein recht unbescheidener „Wunschzettel“ während unseres letzten Aufenthaltes ist uns noch in guter Erinnerung.

Abends werden die Einkäufe verglichen und die leckeren Fleischbällchen vertilgt.
Es ist mal wieder zuviel Essen im Hause, denn die Schwiegermutter und Ana haben natürlich Essen vorbereitet, und die Essensmengen werden sich noch steigern, denn morgen hat Irmas Vater Geburtstag.

Für diesen Anlass haben sich etliche Gäste aus Verwandtschaft und Nachbarschaft angesagt, denn eine Feier wird von keinem Filipino ausgelassen; aber Irma und ihre Familie haben Wert darauf gelegt, dass die Gästeliste nicht zu groß wird und sich hauptsächlich auf die Verwandtschaft beschränkt.

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Irma und ihre Mutter diskutieren noch über die Höhe der Ausgaben für das Fest, wobei die Mutter Gas gibt und Irma bremst, argumentative Hilfe von Ana erhält.

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28. Juli 1999

Heute wird Inocencio Ortega, der Tatay (Vater) von Irma und Lolo (Großvater)von Christian, seinem einzigen Enkelkind, 64 Jahre alt!

Zu diesem Zeitpunkt wissen wir noch nicht, dass es seine letzte Geburtstagsfeier wird, denn zwei Monate später ist er gestorben: er hatte nicht nur Tuberkulose, sondern auch Lungenkrebs.

Bereits um 7.15 Uhr erhält er den ersten Anruf aus Ilo-Ilo von der Insel Panay, wo die Verwandten seiner Frau leben.

Er lebt heute etwas auf, freut sich, dass seine drei noch lebenden Schwestern kommen, insbesondere seine Schwester Auring ist aus Chicago angereist.
Dort lebt ihre Tochter seit Jahren.
Diese ist auch Krankenschwester und hat einen irischstämmigen Polizisten geheiratet, der wie der buchstäbliche Cop aussieht.
Nach ein paar Jahren hat es die Tochter geschafft, dass die verwitwete Mutter in die USA nachziehen durfte; deren Traum vom gelobten Land ist somit in Erfüllung gegangen.

Die andere Schwester ist Deli, die wir (und auch Irmas Familie) für eingebildet halten.
Sie hatte seinerzeit einen chinesischen Geschäftsmann („Onkel Eddy“) geheiratet, ist in ein besseres Wohnviertel gezogen und behandelt seitdem ihre ärmeren Geschwister etwas von oben herab.

Die dritte Schwester ist Joning, die in der Mitte von Manila mit Tochter, Schwiegersohn und Enkelkindern in einer winzigen dunklen Zweizimmerwohnung lebt, aber trotz der einfachen Lebensumstände herzlich und lebensfroh ist.
Leider ist erst vor kurzem ihr ältester Sohn an Diabetes gestorben, was ihr großes Leid verursacht hat.
Auch sie ist kurz nach unserer Abreise überraschend verstorben; Irma sieht einen Zusammenhang mit dem Tod ihres Sohnes.

Aber bevor nachmittags die Gäste kommen, sind noch einige Vorbereitungen angesagt.

Mit Boy zusammen will ich zur „Spanferkelstraße“ La Loma, die berühmt für ihr knusprig gebratenes Borstenvieh ist.
Vom ursprünglichen Plan, ein ganzes Schweinchen („Lechon“) am Spieß zu rösten sind wir abgekommen, denn das wäre doch zu teuer, und es kommen auch nicht so viele Gäste, dass es sich lohnen würde.
Außerdem soll es noch andere Gerichte geben, und sogar das Fassungsvermögen philippinischer Mägen soll begrenzt sein...

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Nach einer halben Stunde Fahrt springen wir vom Jeepney ab und befinden uns schon in der Nähe von „La Loma“, die den Namen „Schinkenstraße“ wirklich verdient hätte.

Die Ferkel und Schweine hängen an Spießen, die lange Reihen bilden.
Die ganze Straße ist geprägt von gebratenen Schweinen, vom Frühstadium (rosa, nackt) über das mittlere Stadium (angebräunt und fetttriefend) bis hin zum Endstadium (dunkelbraun, kross und knusprig).
Sie tun mir leid, die armen Säue, andererseits schmecken diese Schweine, die kaum Antibiotika oder andere Zusatzstoffe in sich tragen, verdammt gut, viel besser als unser heimisches aufgeschwemmtes Borstenvieh.

Nachdem Boy und ich vor gebratenen Schweinen posiert haben, kaufen wir zwei kleine Portionen für jeweils 280 Pesos (14 DM).
Das Fleisch wird vom gegrillten Schwein abgetrennt und mit scharfen Messern zerhackt.
Voila, das Lieblingsessen der Filipinos ist vorhanden, jetzt kann auf der Party nichts mehr schiefgehen!

Schon im Jeepney gibt mir Boy eine Kostprobe von der knusprigen Haut.
Ernährungswissenschaftler und Vegetarier werden ihre schlanken Hände über dem Kopf zusammenschlagen, aber die Schweinehaut schmeckt saugut!

Ab 1 Uhr erscheinen die ersten Gäste.
Gerry und Marylin kommen von Novaliches.
Sie haben eine typisch amerikanische weiße Geburtstagstorte dabei.
Die Butterceme ist mit türkisfarbenen Glückwünschen verziert.

Dann kommen die drei schon oben beschriebenen Schwestern.
Es gibt ein Hallo und Tamtam.
Sie herzen und drücken den kranken Bruder; besonders Auring aus Chicago wirkt in ihrem violetten Outfit und ihrem lauten Lachen wie die sprichwörtliche Tante aus
Amerika, steckt an mit ihrer Herzlichkeit.
Deli ist ruhiger, ganz die vornehme Dame, während Joning bescheiden lächelnd dasitzt, mit ihren Gedanken vielleicht beim verstorbenen Sohn.

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Edwin, der Sohn von Auring, wirkt wie 30, ist 39 Jahre alt und hat schon 5 Kinder, der älteste Sohn kann ihn schon bald zum Großvater machen.
Die zwei Söhne von Deli, die noch bei ihr zuhause wohnen, sind ebenso wie Onkel Eddy nicht mitgekommen, ihr ältestes Kind, die Tochter Susan, lebt bereits seit Jahren in Kalifornien, auch sie hat es „geschafft“.
Christian steht anfangs im Mittelpunkt wegen seines hellen und daher nach der Einschätzung der Tanten sehr guten Aussehens, wird von den Großtanten zum Essen genötigt, was ihm nicht behagt, da er dem asiatischen Essen kritisch gegenübersteht.
Er verkrümelt sich bald, klagt hinterher, es sei ihm schon schlecht wegen des vielen ungewohnten Essens.

Alle lassen sich die bunten Speisen schmecken.
Der Schweinebraten, zu dem traditionell eine Lebersauce gereicht wird, ist als erstes vertilgt.
Auch die aromatischen Brathähnchen sterben ihren zweiten Tod und landen im Magen.
Lecker sind auch die roten Krebse, die Glasnudeln (Pancit), die spanischen Eintopfgerichte, das mit Fleisch gekochte Gemüse und die exotischen Früchte zum Nachtisch.

Als alle die Waffen gestreckt haben, werden die Kerzen auf der Geburtstagstorte angezündet.
Mit Mühe bläst sie der Lolo aus, wird von seiner Frau und von seiner Schwester Auring geherzt und gedrückt.
Er darf sich etwas wünschen, wünscht sich Gesundheit, ein Wunsch, der leider nicht mehr in Erfüllung gehen wird.

Anschließend verziehen sich die Männer nach draußen, wo sich auch ein paar Männer aus der Nachbarschaft hinzugesellen.
Das Geburtstagskind raucht verstohlen eine Zigarette; es wird heute nicht geschimpft.

Gerry hat freigenommen; ich hoffe, mit Zustimmung des Arbeitgebers.
Er ist bester Laune und schon ein bißchen betrunken., fragt mich nach Arbeitsmöglichkeiten in Deutschland; ich mache ihm keine Hoffnungen.-
Robert, der Sohn von Onkel Ollie, auch gut genährt, aber wesentlich cleverer als sein Vater, erzählt von einem Restaurant in Quezon City, in dem man sich für einen günstigen Festpreis eine Stunde lang den Magen vollschlagen kann („All you can eat“).
Ich höre höflich zu, bin aber satt bis zum Stehkragen.
Es wird politisiert; wie viele Filipinos fürchten auch die Nachbarn den zu großen Einfluss der reichen chinesischen Minderheit im Lande, die überall bevorzugt Chinesen einstellen würden.

Auch das große China rücke näher, da Hongkong jetzt ein Teil von Rotchina wurde, Macao folgen soll, Taiwan sich vielleicht nicht mehr lange halten kann und es bereits

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mit den Philippinen Grenzkonflikte wegen der Spratly-Inseln in der Südchinesischen See gibt.

Die Befürchtungen sind sicherlich teilweise berechtigt; nachdem ich aber mich jetzt fast 20 Jahre mit den Philippinen beschäftigt habe, halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass die Chinesen manchmal etwas tüchtiger und sparsamer sind als die gelegentlich zu Passivität und Selbstmitleid neigenden Filipinos.

Einig sind sich alle, dass Estrada kein guter Präsident sei.
Diese offene Kritik überrascht mich denn normalerweise schimpfen die Filipinos zwar gern über ihre Politiker, haben aber so viel Patriotismus, dass sie diese Kritik nicht gegenüber Ausländern äußern.

Hauptangriffspunkte gegen Estrada sind, dass er zwar ein guter Schauspieler sei, aber keine Ahnung vom Präsidentenamt habe, nur ein Showman sei, nicht richtig Englisch sprechen könne („so einen hatten wir auch schon“, denke ich) und dem Alkohol und außerehelichen Affären zuneige, was den Machos heutzutage nicht mehr so leicht verziehen wird wie zu früheren Zeiten.

Der Estrada-Kritik kann ich nicht widersprechen; er ist wieder nur ein Politiker, der keine grundlegenden überfälligen Reformen zugunsten der großen Mehrheit der Armen erwarten lässt.

Während wir plaudern, gibt es auf einmal ein großes Hallo: ein Postwagen mit zwei Riesenpaketen, den bereits früher erwähnten „Balikbayan-Boxen“ ist eingetroffen und zwar punktgenau zum Geburtstag des Schwiegervaters, was ein großer Zufall ist, da die Boxen bereits seit ein paar Monaten auf dem Seewege unterwegs waren.
Wir hatten sie Anfang Mai über einen hiesigen philippinischen Kurierdienst auf die Reise geschickt.

Die Frauen packen die Schätze in der Wohnung aus: Zahnpasta, Nudeln, Corned Beef, Dekoration, Waschmittel; es macht viel mehr her, als wenn wir ihnen den Gegenwert in bar überreicht hätten!

Wir Männer beginnen den zweiten Kasten Bier und unterhalten uns über die großen und kleinen Dinge des Lebens.

Der taxifahrende Nachbar „Boy II“, den ich schon von einem der ersten Abende her kenne, ist schon leicht beschwipst.
Er erzählt, dass er mich besonders gern mag und mir bei der Geburt seines Enkelchens das Patenamt übertragen würde.
Hierauf gehe ich nicht weiter ein; denn diese Ehre möchte ich nicht genießen, daran knüpfen sich unter Umständen materielle Erwartungen bis hin zur Finanzierung der Berufsausbildung des Sprösslings.

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Aber ich denke, „Boy II“ hat es nicht so ernst gemeint, denn der Schalk blitzt ihm aus den Augen; auch seine Gesprächsbeiträge sind witzig und durchdacht.
Das ist das eigentlich Tragische an der philippinischen Realität: viele Talente schlummern auf Hinterhöfen; die Menschen haben meist eine gute Schulbildung, aber sie können ihre Fähigkeiten nicht ausleben, da die beruflichen Perspektiven und Arbeitsstellen fehlen.

So tröstet sich mancher Mann mit Zechkumpanen, und dem San Miguel Bier und dem Tanduay (dem weißen philippinischen Rum) wird zugesprochen, während die Frauen sich darum kümmern, den Rest des Geldes zusammenzuhalten, das Haushaltsbudget überarbeiten und gemeinsam über die Männer herziehen, die wie große Kinder seien......

Die Kinder wiederum übernehmen schon früh Verantwortung, kümmern sich um die kleinen Geschwister und versuchen mitzuhelfen und Gelegenheitsjobs zu übernehmen.
Die Kinder, die in keiner intakten Familie leben (und davon gibt es täglich mehr) leben schließlich auf der Straße, sind früh Ketten rauchende Erwachsene und schlagen sich von einem Tag zum nächsten durch.

Ich prophezeihe, dass die Wohlstandsschere eher noch mehr auseinandergehen wird und der enge familiäre Zusammenhalt abnimmt.

Wer es zu etwas gebracht hat und die Früchte seiner Arbeit genießen möchte, wird es irgendwann nicht mehr einsehen, einen ganzen Clan bis hin zu entfernten Cousins, Nichten, Onkels, Neffen, Tanten etc. durchzufüttern, und auch das Zusammenleben mit den (Schwieger-)Eltern ist nicht mehr selbstverständlich wie ich am Konflikt zwischen Ana und Irmas Mutter mitbekommen habe.

Wir reden aber nicht nur über ernste, sondern auch über witzige Themen; den Humor haben sich die Menschen hier trotz schwieriger Lebenslagen erhalten, und meine Sprachkünste werden hier mit Erheiterung, aber auch einem Schuss Anerkennung quittiert.

Um 22.00 Uhr schließen wir die Veranstaltung mit den Bierkästen und der
Freiluftromantik; die Frauen brummen so etwas wie „es wird auch Zeit!“, und dann wird auch dieser Geburtstag schon zur wehmütigen Historie.---

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29. Juli 1999

Den Vormittag verbringen wir in der Wohnung; Christian „arbeitet“ an der Playstation.

Zum Mittagessen gibt es philippinisches Gemüse („Gabi“ genannt), dazu Schweinefleisch.
Um 13.00 Uhr brechen wir mit „Boy“, aber ohne Christian, zum bereits sattsam erwähnten Kaufhaus „S & M“ auf.
Diesmal kaufen Irma und ich uns Klamotten.
Da wir ohnehin nichts Besseres zu tun haben und mehr Zeit haben als in Deutschland, macht es sogar Spass, das riesige Kaufhaus zu durchstöbern und nach Schnäppchen zu jagen.
Das Preisniveau beträgt etwa die Hälfte vom deutschen Preisniveau; zu hoch für die Masse der Filipinos.
Wir hatten eigentlich vor, noch ins Kino zu gehen; aber dafür ist es zu spät, schaffen es gerade noch, die Tracy Chapman – Casette für unsere indonesische Wirtin zu kaufen, fast verirren wir uns noch..
Gegen 19.00 Uhr wanken wir dann mit unzähligen blauen Plastiktüten zum Taxi; immer noch strömen Massen von Menschen ins Kaufhaus hinein und hinaus.

Abends lese ich; Irma plaudert mit ihrer Mutter und ihrer Schwägerin; Christian beschäftigt sich mit den jungen Kätzchen.

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30. Juli 1999

Heute möchten wir zum Geschäftsviertel Makati, müssen bei „Singapore Airlines“ unseren Rückflug bestätigen.
Dies können wir mit einem Besuch bei Irmas Tante Deli (diejenige, die den chinesischen Kaufmann geheiratet hat) verbinden.
Das Viertel „Santa. Ana“, wo das Ehepaar wohnt, ist nicht weit von Makati entfernt.

Vormittags machen wir aber erst einmal einen Nachbarschaftsbesuch bei „Boy II“, dem verschmitzten Taxifahrer und Zecher, der mich zum Patenonkel seines nächsten Kindes machen wollte.
Er ist heute morgen nicht anwesend, fährt Taxi, seine Frau und die Kinder begrüßen uns freundlich.
Ein wesentlicher Zweck unseres Besuches ist die Vorführung von unseren Videofilmen aus Deutschland (z.B. von der Silvesterfeier 1998) bzw. von unserem jetzigen Trip nach Busuanga Island.

Leider gelingt es uns nicht, einen Kanal zu finden, in dem die Filme in Farbe laufen.
Daher werden unsere Filme zur „Schwarz-Weiß – Malerei“.
Alle nehmen Anteil an unserem Leben in Deutschland, obwohl ich bezweifele, dass sie sich unsere Lebensqualität und Lebensrealität vorstellen können.
Übrigens ziert auch das Wohnzimmer der Nachbarn ein buntes Bild des illuminierten New York.

Um 14.00 Uhr fahren wir zunächst mit der Hochbahn in Richtung Makati, was von Quezon City aus südwärts gelegen ist.
Boy I, unser treuer Paladin, begleitet uns.

Die Hochbahn, kurz genannt „LRT“ ist in der zweiten Hälfte der 80er Jahre mit belgischer Hilfe gebaut worden.
Sie entlastet wenigstens ein bisschen die Verkehrsfluten Manilas.
Sie verläuft in Nord-Süd-Richtung, und ich habe sie ganz gern benutzt, weil ich hier an den Stationsnamen wenigstens erkennen konnte, wo ich mich jeweils befand, was bei einer Fahrt mit den Jeepneys schwer nachzuvollziehen ist.

Kurz nach unserer Abreise sollte die zweite östliche Trasse der Hochbahn fertiggestellt werden, von Quezon City über Makati, Santa Ana und das Nobelviertel Green Belt von Nordosten nach Südwesten führend.

Aber die LRT kann nur geringe Entlastung bieten, und selbst der niedrige Fahrpreis ist für die wirklich Mittellosen kaum erschwinglich.

Aber jetzt ist diese östliche Trasse noch nicht freigegeben, und die weitere Reise wird etwas mühsam, weil wir sie mit Bus und Jeepney fortsetzen müssen, insbesondere

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auf den Bus warten wir lange, und es kann passieren, dass der Bus oder das Jeepney so mit Passagieren vollgestopft sind, dass auch mit Schieben und Drängeln niemand mehr Platz findet, so dass das Warten auf den nächsten Bus beginnt.

Wieder sind wir froh, dass wir Boy an unserer Seite haben, selbst Irma würde sich nicht mehr in Manila zurechtfinden, da ständig neue Straßenzüge entstehen, alte Gebäude abgerissen werden, und von einer Stadtplanung im mitteleuropäischen Sinn keine Rede sein kann.

Schließlich schaffen wir es doch, im Geschäftsviertel Makati anzukommen.
Hochhäuser und Bürotürme erheben sich; Straßenkinder wie vor sechs Jahren sehe ich nicht mehr; die Straßenschluchten und die kalten Fassaden der Hochhäuser scheinen alles Leben zu ersticken....

Boy zeigt uns den kurzen Weg zum Hauptbüro von Singapore Airlines, und relativ schnell bekommen wir unseren Rückflug bestätigt.

Dann schlendern wir durch Makati.
Wie lebensfeindlich ein Teil dieser Betonwüste ist, lässt sich daran ermessen, dass wir längere Zeit brauchen, um eine Art Kantine zu finden, wo wir einen Kaffee trinken können, passenderweise aus Plastikbechern und mit künstlichem Beigeschmack.

Wir wandern weiter; langsam nähern wir uns wieder verkehrsreicheren Plätzen, und da sind sie schon, die langsam vertrauten Riesenkaufhäuser : Landmark, Rustan’s: sie reizen mit den Versprechungen der ersten Welt die Menschen der „dritten Welt“; eine dünne Mittel- und Oberschicht kann sich freilich die Luxusprodukte wie Parfüm, Markenkleidung, Elektroartikel, importierte Luxusschlitten von BMW, Mercedes und Ami-Marken leisten; die dicken verwöhnten Kinder hinter sich herziehend..-

Wir kommen auch an den großen exklusiven Hotels vorbei, unter anderem am Peninsula und am Shangri-La, das noch eine Stufe luxuriöser ist.
Wir können sogar einen Blick in das Shangri-La werfen; treten ein in die Welt der Wohlhabenden.
Eine Freitreppe erinnert mich an die Treppe zum Luxusdeck der „Titanic“, aber diese Welt ist noch nicht bedroht; kein philippinischer Revolutionär ist hier zu sehen, nur gediegene gutsituierte Geschäftsleute, Ausländer und vielleicht das ein oder andere Mitglied der High Society.
Wir verschnaufen ein bisschen in den Plüschsesseln, hören weichgespülte Klänge von einem echten Pianisten an einem echten Flügel.
Schade, dass der Akku der Filmkamera leer ist, sonst hätte ich diesen Ort gerne gefilmt, Corina hat ein Faible für schöne Hotels.
Wir können nicht bleiben, Tante Deli und Onkel Eddy werden schon warten!

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In der Folgezeit sehe ich von einer Fußgängerbrücke aus ( auch ein Luxus in Manila, in Makati aber durchaus vorhanden!) einen wohlvertrauten deutschen Namen in Neon leuchten: „Schwarzwald“, so heißt hier ein deutsches Restaurant; eines der wenigen deutschen Restaurants, die ich generell im Ausland wahrgenommen habe, aber englische habe ich noch gar keine gesehen; die Hierarchie ist ähnlich wie derzeit im Fußball., „Not geht vor Elend...“...

Mittlerweile ist es dunkel.
Wir stehen an einer Ausfallstraße, und es herrscht Rush-hour.
Jede/r will heim; ein Bus nach dem anderen fährt ohne uns ab; wieder einmal sind Menschenmassen unterwegs wie ich sie in einer deutschen Großstadt noch nicht erlebt habe. Und fast alles sind junge Leute: an den vielen Kindern, Jugendlichen, Teens und Twens in Asien wird mir die schleichende Vergreisung unserer Bevölkerung bewusst.
Beides ist nicht ideal: bei uns ist der Anteil der Alten zu hoch, während Asien Probleme bekommt, die vielen nachrückenden Kinder aufzufangen...

Boy winkt aufgeregt: endlich hat er ein Jeepney aufgestöbert, welches uns mitnimmt, wir rennen, springen auf und quetschen uns auf die Sitzbank, am besten ein Lächeln auf den Lippen behalten.
Bald müssen wir wieder aussteigen, fahren mit dem Taxi weiter.
Santa Ana ist kein schlechtes Stadtviertel, dennoch ist es nicht ratsam (besonders nicht für einen weißen Touristen) im Dunkeln herumzustolpern: es gibt fast keine Straßenbeleuchtung; die Häuser liegen hinter hohen Zäunen, und in dunklen Ecken stehen schattenhafte Zeitgenossen, die sicherlich überwiegend harmlos sind.
Andererseits kann aber auch jemand mit Bier, Whiskey oder Shabu (asiatische Form von Crack) vollgedröhnt sein, reiche Beute wittern, und die Messer sitzen locker, wenn du dann mit dem Verlust der Geldbörse und anderen Wertsachen davonkommst, hast du wahrscheinlich Glück gehabt.
So fahren wir an langen Mauern, Wellblechzäunen; Müllhaufen und einem dunklen Fluss (wieder der Pasig River) vorbei, bis das Taxi endlich hält.
Am roten Eisentor und der langen Betonmauer erkenne ich die Grenze des Grundstücks von Onkel Eddy und Tita (Tante) Deli wieder.
Hier haben wir schon 1983 für drei Tage während unserer Hochzeitsreise gewohnt, bis uns die Tante etwas auf den Wecker ging (der Onkel ist sehr nett).

Wir hatten unseren Besuch nicht angekündigt, um zeitlichen Spielraum zu haben und damit keine großen Vorbereitungen getroffen werden, bin ständig auf der Flucht vor dem vielen Essen, was mir philippinische Verwandte mit liebevoller Gewalt aufdrängen....
Im übrigen ist es durchaus üblich, spontan und ohne Einladung bei Freunden, Nachbarn und Verwandten vorbeizukommen: der Gast wird freundlich empfangen, bekommt Essen und Getränke angeboten, und die neuesten Ereignisse werden beklatscht.

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Natürlich ist es herzliche Gastfreundschaft; aber ein boshafter Gedanke drängt sich auf: viele haben sowieso den Tag über nichts zu tun, und da vertreibt ein Spontanbesuch die Langeweile; die Berufstätigen sind dann halt nicht zuhause; auf einen Berufstätigen kommen aber viele Kinder, Alte, Hausfrauen und freiwillige wie unfreiwillige Müßiggänger.

Das ältere Paar empfängt uns freundlich, wobei wir in früheren Zeiten den Eindruck hatten, dass die Gefühle der Tante nicht ganz echt sind, während der dünne faltige Onkel Eddy mich gleich an sich zieht, lacht, verschwindet und dann mit diversem Krimskrams kommt, den er mir spontan schenkt: amerikanische Plätzchen, Beutel mit grünem chinesischem Tee (very healthy, very healthy !) und einen kleinen amerikanischen Seeadler aus Gummi an einer Schnur, der mir besonders gut gefällt und den ich mir vorne ins Auto an den Spiegel hängen werde, wo er während der Fahrt stoßende und kreisende Bewegungen ausführt.-
Die Tante erzählt von ihrem Besuch bei ihrer Tochter Susan in den USA.
Diese lebt mit ihrem Mann Gary und den beiden jetzt erwachsenen Söhnen in Los Angeles.
Gary ist Ingenieur. Zuerst waren sie „TNT’s“, so bezeichnen die Filipinos illegale Einwanderer, weiß auch nicht, wie sich die Abkürzung herleitet.
Mittlerweile sind sie legalisiert und wohnen mit vielen anderen Asiaten in einem asiatisch geprägten Stadtteil wie es sie in L.A. mittlerweile viele gibt.
Die Söhne spielen Basketball und überraschenderweise „soccer“, die europäische Art des Fußballs.
Die ganze Familie wirkt den Fotos nach zu urteilen sehr amerikanisiert, und darauf ist die Tante mächtig stolz.
Während wir nun Aprikosentörtchen, Fruchtcocktail aus der Dose und Schokoladenmarshmallows serviert bekommen, begrüßt uns auch Renee, der erwachsene Sohn, der mit seiner Frau und den beiden Kindern noch bei den Eltern in dem für philippinische Verhältnisse recht geräumigen Haus lebt.
Renee wirkt etwas linkisch, hat als Kind Polio gehabt und zieht deshalb das eine Bein nach sich.
Er arbeitet in einer Bank; wir unterhalten uns über Deutschland, Fußball und den Euro.
Boy schweigt während der ganzen Zeit; er fühlt sich Renee unterlegen und mag auch die Tante nicht so besonders, weil sie unsere Familie gelegentlich fühlen lässt, dass sie und ihre Kinder erfolgreicher waren. -
Nach einer Stunde Plauderns verabschieden wir uns von den dreien, besonders herzlich von Onkel Eddy, dem hageren pfiffigen Chinesen, der lange meine Hand schüttelt.

Auf der Rückfahrt wirkt das nun mittlerweile stockdunkle Viertel noch unheimlicher.
Wir passieren auch weniger bürgerliche Teile der Riesenstadt, und ich überlege, an was mich die düstere Szenerie, die Schuttplätze, die Verschläge, die dunklen Ecken,

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die vereinzelten Lampen, die gelegentlich vorbeirasenden Limousinen und die einzelnen Passanten erinnern: an Gotham City, die Stadt Batmans; dort wo der Fledermausmensch die düsteren Ecken der Stadt vom Gelichter säubert.
Da ich nicht Batman bin, bin ich froh, im Taxi zu sitzen und angenehm überrascht, dass wir für philippinische Verhältnisse gut vorankommen und auch keine neue Regenflut vom Himmel stürzt, sondern es heute kaum Niederschläge gab.

Anschließend wohne ich einer Jagd auf Kakerlaken und Mäuse bei.
Die Kakerlaken, die fast in jeder Wohnung sind, entkommen sofort; die gesichtete Maus ist ungeschickt und flüchtet in eine dunkle Ecke, wo sie verharrt.
Nun muss Miming, die Katzenmutter, heran.
Aber sie scheint sich vor der Maus zu fürchten.
Schließlich wird die Maus von Boy erschlagen; jetzt kommt auch die Katze wieder herbei und gebärdet sich als Siegerin.
Bei diesen degenerierten Katzen werden immer ein paar Mäuschen überleben!

Dann ist die Nacht doch noch nicht zuende:
Boy schleppt ein paar junge Männer aus der Nachbarschaft an, einer ist sein Schwager der Bruder von Ana.
Für unseren geplanten Ausflug zum Taal-See mit seinem Vulkan wird er freundlicherweise seinen Minibus zur Verfügung stellen.
Boy meint, wir könnten noch mal zu den Nachbarn auf der anderen Seite gehen, da gäbe es etwas besonders Gutes.
Er packt zwei Dosen von dem Corned Beef aus unseren Paketen ein, die sind das Willkommensgeschenk an die Nachbarn, und außerdem müssen alle etwas essen. Das gehört dazu, denn es gibt in einem Hinterzimmer das besonders starke Bier „Red Horse“, tatsächlich mit einem roten Gaul auf dem Label und deutlich mehr Prozenten Alkohol als es das erfrischende, aber zahme San Miguel Bier aufweist.
Das Red Horse Bier wirkt auch bei mir, dazu kommt, dass ich die Corned Beef – Scheiben verschmähe.
Boy’s Schwager fragt mich, ob ich gerne „hart“ trinken möchte, dies bedeutet in der Regel Tanduay Rum bei den einfachen Leuten und „Jim Beam“ oder „Johnny Walker“ bei denen, die es zu bescheidenem Wohlstand gebracht haben.

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Ich lehne höflich ab, da ich nicht richtig betrunken werden möchte und damit der Schwager seine kostbaren Reserven für die nächste Feier behalten kann.
Mit dem Schwager und zwei anderen jungen Männern setzen Boy und ich das gemütliche Beisammensein mit einem neuen, von mir gespendeten Bierkasten fort.
Der Versuch, unser Video vorzuführen scheitert daran, dass wir keinen geeigneten Kanal finden.
Um 22.30 Uhr treten wir den kurzen Heimweg an.
Christian erzählt aufgeregt; er habe von weitem eine Schlägerei beobachtet.
Außerdem hat er sich aufgeregt, weil Irma eine Hose an den kleinen Enkel von Tante Joning verschenkte.
Teilen beherrschen die philippinischen Kinder besser!

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31.07.1999

Auch heute wieder Dauerregen.
An einer Stelle tröpfelt er durch das Dach. Es müsste repariert werden; Boy meint, sie hätten kein Geld; es tröpfelt weiter; vielleicht lassen wir noch extra etwas dort, damit das Dach repariert werden kann. -

Ana hat Fische gekauft, die heute abend vor dem Hause gegrillt werden sollen, und Boy schleppt kurze Zeit später freudestrahlend weitere Fische sowie Tintenfisch an.
Wir haben nämlich beschlossen, nicht zu dem „All you can eat“ – Büffet zu fahren, sondern mit der Familie zu grillen. Dann können alle dabei sein, und wir gelten auch nicht als Verschwender.
Außerdem macht Boy, Ana und der Schwiegermutter das Kochen, Grillen und Braten Spass, wobei die Frauen die Topfgerichte zubereiten, während das Grillen wie fast überall auf der Welt Männersache ist.
Aber so weit ist es noch nicht, wir wollen noch ein bisschen rausgehen.
Wohin fahren wir heute ? Richtig geraten: ins „S &M“.
Dort geht es heute besonders hektisch und wild zu; es ist nämlich so eine Art Schlussverkauf angesetzt, und zu den niedrigeren Preisen kommen dermaßen viele Käufer/innen, dass alle Etagen des Kaufhauses schwarz von Menschen sind und man sich regelrecht voranschieben und –drängeln muss.
Irma möchte für Ana ein Kleid und eine Bluse kaufen; aber Ana ist dies peinlich; sie sagt, wir hätten schon genug für sie getan.
In ihrer Bescheidenheit ist sie das Gegenstück zu ihrer Schwiegermutter, die immer jammert, dass sie sehr arm sei und dringend etwas neues braucht...
Endlich scheinen die letzten Einkäufe getätigt zu sein; Irma möchte nach Hause.
Wir anderen: Boy, Ana, Christian und ich wollen auf meinen Wunsch noch zu einer Grünanlage in Quezon City, wo wir vor sieben Jahren auch schon einmal waren.

Dort gibt es auch einen kleinen Zoo, der aber sehr verwahrlost wirkt wie fast alle Zoos in den ärmeren Ländern Asiens.
Äffchen hocken in einem winzigen Käfig; Schildkröten und Krokodile haben ebenfalls kaum Platz, liegen lethargisch in einer Dreckbrühe herum, und die Vögel mit gestutzten Schwingen hängen wie Zombies auf den Stangen.
Der „Deutsche Schäferhund“, der vor sieben Jahren noch in einem Zwinger hauste, ist verschwunden, starb wahrscheinlich an einem genetisch geprägten Heimweh nach Deutschland, wo er bestimmt nie gewesen war.

Weniger traurig ist ein Gang durch den Park.
Auch wenn der Park nur sehr klein ist, sind grüne Wiesen und ein paar Bäume mitten in der Stadt eine Rarität, die ich ansonsten Im Meer der Häuser und Hütten von Manila vermisse.
Es gibt auch einen kleinen See dort; in einer Hütte am Ufer wird anscheinend ein Kindergeburtstag gefeiert, da wollen wir nicht stören.

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Wir sind zwar mit dem Jeepney gekommen, laufen aber zurück zu „S & M“.
Christian kommt auf die Idee, getragen zu werden, ein Rückfall in seine Infantilphase.
Ana lässt es sich nicht nehmen, derweil meinen Rucksack mit Kamera zu tragen.

Noch einmal streifen wir durch das klimatisierte Riesenkaufhaus.
Da wir Christian dabei haben, kommen wir nicht um den Kauf weiterer Playstation-Raubkopien herum, die freilich spottbillig sind.
Um 19.00 Uhr fahren wir nach Hause.
Wir finden einen Bus, in dem wir gerade noch stehen können.
Zum Glück können wir trotz Nichterreichens der Haltegriffe nicht umfallen, so dicht gedrängt stehen die Passagiere!

Zuhause erwartet uns ein leckeres Essen.
Schon am Vormittag haben die Frauen Bangus (Milchfisch) mit Gemüse vorbereitet; als Gewürz kann ich dazu zu meiner Freude kleine Chilischoten verzehren und den Saft von Kalamansi (kleine kugelige grüne Zitrusfrüchte, die nach Zitrone schmecken) auf den Fisch träufeln.
Der fleißige Boy hat derweil vor dem Haus einen einfachen Holzkohlegrill angeworfen, und nun brutzeln die Kalamaris („Pussit“ auf Tagalog) und die übrigen Fische im würzigen Rauch des Holzkohlenfeuers.

Die gegrillten Fische sind lecker; besonders aber mundet mir der zarte Tintenfisch; ich lobe Boy für seine gute Grillkunst, was ihn sehr erfreut.
Weil er schon zwei Biere getrunken hat, wird er sentimental und meint ein paarmal : „Kuya („großer Bruder“) Hardy, I will miss you“, I will really miss you-„

Dazu lassen wir uns das gute, bereits geschilderte „Redhorse - Bier“ schmecken.
Da es hier draußen warm ist und diesmal kein Regen fällt, ist es richtig gemütlich.

Gegen 21 Uhr kommt Anas Bruder mit zwei Kumpels vorbei; sie bringen auch noch etwas zu trinken mit.

Während des gemütlichen Plauderns schlagen die Neuankömmlinge vor, noch zu einem Nachtclub zu fahren. Auch Boy ist Feuer und Flamme
Mittlerweile bin ich nicht mehr ganz so kritikfähig und finde es eine lustige Idee, bin nicht abgeneigt, weil es mir in der kleinen Wohnung und bei den vielen Einkaufstouren mittlerweile etwas langweilig geworden ist.
Boy verplappert sich aber bei den drei Frauen im Haus, und selten sind sich Irma, ihre Mutter und Ana so einig wie jetzt: viel zu gefährlich, unmoralisch, viel zu spät...
Dies bringt mich auch zur Besinnung: zum einen weiß ich nicht, ob die drei oder vier „Leibwächter“ ausreichen, denn anders als Hongkong oder Singapur empfinde ich Manila nicht als ungefährlich.
Außerdem ist der Vorschlag, der von Anas Bruder kam, sicher nicht ganz uneigennützig, denn der Tissoy (Weiße) würde die anderen wahrscheinlich freihalten sollen.

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Und außerdem haben wir tatsächlich einen Ausflug vor.
Ich bleibe also in der Wohnung und erkläre, dass ich zu müde sei, um noch mitzukommen.
Boy schleicht wie ein begossener Pudel nach draußen, um seinen Kumpels mitzuteilen, dass aus dem schönen Männerplan nichts wird, weil die Frauen mal wieder alles durchschaut und unterbunden haben.
Tja, das ist philippinische Realität, da muss schon ein „Redhorse“- Bier her, um sich damit abfinden zu können, good night!

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01.08.1999

Für heute war ein Ausflug geplant.
Wir wollten gen Süden zum Taal – Lake fahren.
Dies ist ein See, in dem ein noch gelegentlich aktiver Vulkan liegt; der letzte Ausbruch war 1965; es gab damals auch Tote.
Da das Gewässer im Krater einen weiteren kleinen See enthält, ist er ein beliebtes Fotomotiv und hat den Vorteil, dass man in einer Tagestour hin- und zurückfahren kann.

Aber es passiert nichts.
Mit stoischer philippinischer Gleichmütigkeit lassen alle die Zeit verrinnen, während ich die Chance, mal wieder aus dem Haus rauszukommen, ohne das Kaufhaus zu sehen, schwinden sehe.
Ich gebe Irma den Auftrag, zu recherchieren.
Sie delegiert dies an Boy, und der meldet dann, Anas Bruder habe den Minibus heute für seine Arbeit benötigt.
Ich glaube, dies war eher eine Retourkutsche für die geplatzte Tour zum Nachtclub und da mich dies ärgert, teile ich diese Vermutung Irma mit, die sie prompt an ihre Mutter weitergibt.
Leider hat dies zur Folge, dass die Mutter ihrer Schwiegertochter Ana wegen deren Bruder Vorwürfe macht, was alle dann wieder der Mutter übel nehmen, weil Ana in Schluchzen ausbricht.
Zu allem Überfluss erzählt mir Irma, dass Boy aus eigenem Verschulden seinen letzten Job als Fahrer verloren hat, weil er ein paar Tage unentschuldigt von der Arbeit ferngeblieben ist, und so ist die Laune auf dem Tiefpunkt,
So kann es kommen: gestern Abend beim Grillen war es noch so gemütlich, und heute brechen alte Konflikte auf.

Glücklicherweise schaffen sie es aber, ein Ersatzauto aufzutreiben, ein größeres Taxi, was dem netten älteren Polizisten von dem Haus an der Ecke gehört.
Allerdings zahlen wir ihm etwas, ist aber o.k.

Jetzt kommt sogar die Sonne durch, als wir uns gegen 10.00 Uhr gen Süden in Bewegung setzen: Boy, Ana, Marylin, Irma, Christian und ich, mithin die jüngere, höchstens mittlere Generation.

Wie immer, wenn es nach Süden oder Westen geht, müssen wir erst den anstrengenden Weg durch Manila hinter uns bringen.
Die Beschreibung der Fahrt durch das verstopfte Manila schenke ich mir.
Der erste Ort, wo die Bebauung etwas aufgelockerter ist, ist Baclaran.

Dann halten wir in dem weiteren Vorort Las Pinas.
Dort befindet sich eine recht berühmte Bambus-Orgel.

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Sie ist über 200 Jahre alt und wurde von einem deutschen Orgelbauer restauriert.
Wir haben das Glück, sie auch zu hören, denn es findet gerade die Sonntagsmesse dort statt.
Das Instrument mit seinen schönen Bambus-Orgelpfeifen hat einen feierlichen Klang; auch der Gesang der Gläubigen in der weichen wohlklingenden Sprache Tagalog ist ästhetisch.

Nächstes Ziel ist Bacoor in der Provinz Cavite.
Dort haben wir vor sechs Jahren ein kleines Grundstück zu einem niedrigen Preis erworben, welches wir der Mutter zur Altersvorsorge geschenkt haben.
Mittlerweile ist es im Preis deutlich gestiegen; aber wir haben nicht das Geld, es zu bebauen, was sich Irmas Mutter erhofft.
Die Gegend dort ist nicht spektakulär; aber immerhin gibt es dort neben zersiedeltem Gebiet auch grüne Wiesen, Bäume und Pferdeweiden.
Dort wo schon die ersten kleinen Häuser gebaut wurden, sind saubere Wege und der ein oder andere Garten vor der Türe.
Wir halten kurz am Grundstück, wo am Rande jemand etwas Schutt abgeladen hat.
Einen Alterssitz kann ich mir dort auf dem Grundstück aber nicht vorstellen; auch ein nahegelegenes Zentrum der „Sieben Tage Adventisten“ trägt zur Abschreckung bei!

Weiter geht es in Richtung Dasmarinas.
Die Gegend ist flach, Büsche, Felder, Wälder, Siedlungen, Marktstände, Gartenbau; hier in der Region soll auch Hanf angebaut werden, was offiziell verfolgt wird.

Leider wird es immer nebliger, je weiter das Gelände ansteigt.
Am nebligsten ist es an unserem Zielort: dem Ort Tagaytay, von wo aus grundsätzlich ein herrlicher Ausblick auf den Taal-Lake mit seinen Vulkankratern inmitten des Sees möglich ist.

Heute lässt sich dies alles nur erahnen.
Trotzdem sind viele Besucher gekommen und lassen sich vor der Nebelwand ablichten.
Auch unsere Damen stellen sich in Pose, lachen und freuen sich.
Im nahegelegenen Jollibee-Restaurant holen wir Hähnchen und verspeisen sie im Taxi, weil es wieder zu regnen anfängt.

Auf der Rückfahrt sind alle müde und gesättigt.
Wir halten noch einmal an, um frische Ananas zu kaufen, die auf einem riesigen Ananasberg liegen.
Meine Lieblingsfrucht ist dort ein Allerweltsgut, nicht zu vergleichen mit den begehrten Äpfeln und Weintrauben, an die wir seit langem gewohnt sind.
Des weiteren kaufen die Frauen die riesige aromatische Jackfruit, lange orangefarbene Papayas (sollen gut für die Verdauung und den Mineralienhaushalt sein) und natürlich auch Buko (junge Kokosnüsse), deren frischer Saft außer dem Leitungswasser zu den philippinischen Standardgetränken zählt.

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Bald erreichen wir die Vororte Manilas, kommen wieder durch Baclaran, und bei einsetzendem heftigen Regen quälen wir uns durch den Stadtteil Paco, wo Irma geboren ist und Tante Joning mit Schwiegertochter und Enkeln in einer kärglichen dunklen Behausung lebt.
Irma holt die Shorts zurück, deren Verlust Christian beklagt hat, insbesondere, weil es seine Lieblings-Shorts aus Bali waren und Irma ihn vor der Weitergabe nicht gefragt hat.
Mich beschämt der Vorgang etwas, vertraue aber auf Irmas Taktgefühl.
Tatsächlich gibt es auch keine Schwierigkeiten; die freundliche Tante Joning gibt die Hose wieder zurück.
Kurze Zeit nach unserer Abreise ist sie gestorben und ihrem Bruder, Irmas Vater, nur ein kurzes Stück vorausgegangen.

Abends kommen Marylin und Gerry.
Sie überreichen uns noch eine Kopie ihres Hochzeitsvideos.
Boy hat auch noch einen Auftritt: vor laufender Kamera verspeist er „Balut“, ein Entenei, dem die Filipinos alle möglichen Kräfte nachsagen, hauptsächlich solle es Kraft in den verschiedensten Lebenslagen geben, insbesondere den Männern.
Die für uns Europäer ungewöhnliche Tatsache ist, dass es sich bei „Balut“ um ein fast ausgebrütetes Entenei handelt; es wird also kein Eidotter, sondern ein fast fertiges Küken vertilgt.
Vor sieben Jahren habe ich dies in alkoholisiertem Zustand auch einmal geschafft, die mehlige Masse mit Bier heruntergespült, aber heute bin ich lieber Zuschauer.

Als wir eigentlich wegen unserer morgigen Abreise schlafen gehen wollen, erscheint noch ein später Besucher: es ist Tito Eddy (Onkel Eddy), aber nicht Tante Delis chinesischer Ehemann, sondern der jüngste Bruder von Irmas Mutter.
Er lebt noch nicht lange in Manila, ist erst vor kurzem aus der Provinz (Insel Panay) zugezogen, was man ihm anmerkt.
Er schämt sich anscheinend vor mir als „hochgestelltem“ Besucher, hat sich etwas Mut angetrunken wie Irma später erläutert.

Wir unterhalten uns über Kinder; er erzählt von seiner Familie; „ We have only (!) six children.“
Er ist ruhig und nett, das Dumme ist nur, dass er vom Biere beflügelt langsam seine schüchterne Art ablegt und seinen Erzählfluss nicht mehr stoppen kann.
Meine beiden Schwager komplimentieren ihn schließlich höflich hinaus und zwinkern mir zu: selbst für die gastfreundliche Familie war er zu lange hier....

Ein weiteres Highlight des Abends ist eine fliegende Kakerlake („Ipis“ auf Tagalog), die sich aber nicht fangen lässt, sondern wieder ins Dunkel zu ihren Komplizen verschwindet.

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Langsam macht sich Wehmut breit; denn wir fliegen morgen ab und wissen nicht, wann wir uns wiedersehen.
Um Irmas Vater machen wir uns Sorgen, der weiterhin müde und ausgebrannt wirkt; er klagt über Übelkeit, hat keinen richtigen Lebensmut mehr.
Irma und Ana unterhalten sich über Anas Zukunft in Taiwan; gerade Irma, die auch damals alleine nach Spanien in eine fremde Umgebung gegangen ist, kann ihr da vielleicht einige Tipps geben.
Boy und Gerry weichen nicht von meiner Seite; nur Christian freut sich auf zuhause; ihm ist die ständige Anwesenheit so vieler Menschen auf kleinem Raum langsam
aber sicher lästig, und er hat auch die Angst, wir würden zuviel an die Verwandten verschenken....

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02.08.1999

Heute ist der Tag der Rückreise!

Da unser Flugzeug erst abends fliegt, ist morgens noch Zeit, die letzten Tagebuchaufzeichnungen vorzunehmen.
Christian und Irma sind noch einmal unterwegs; richtig, es gibt da so ein großes Kaufhaus...
Irmas Mutter bekommt noch einmal eine gute Stange Haushaltsgeld, rennt gleich auf den Markt, um noch einmal Fisch für das Abschiedsessen zu kaufen.
Als niemand zuguckt, schiebe ich auch Inocencio, meinem kranken Schwiegervater, ein paar Scheine zu.
Er hatte sich nämlich im stillen darüber beklagt, dass seine Frau ihm alles Geld abnehme (wahrscheinlich, damit er sich keine Zigaretten mehr kaufen sollte).
Da ich glaube, dass der alte Mann nicht mehr lange leben wird (was sich bewahrheiten soll), seien ihm die letzten Zigaretten vergönnt.
Er quittiert dies mit einem freundlichen Blick und bedankt sich.

Einen Teil der Einpackerei haben wir gestern schon erledigt; so bleibt Zeit für ein paar Abschiedsgespräche und für letzte Tagebuchaufzeichnungen.

Um 14.15 Uhr fahren wir los.
Boy hat sich wieder einen Kleinbus ausgeliehen.
Es steht uns noch der lange, mühsame Weg durch fast ganz Manila bevor, denn sowohl der Flughafen für die philippinischen Inseln: „Domestic Airport“, als auch der internationale Flughafen „Benigno Aquino“, benannt nach dem ermordeten Ehemann der späteren Präsidentin Cory Aquino liegen am anderen Ende der Metropole, im Südwesten Manilas.

Unglücklicherweise bricht jetzt ein Wolkenbruch der schlimmste Sorte über Manila hernieder.
Die Straßen verwandeln sich wieder in kleine Sturzbäche; der stockende Verkehr staut sich vollends.
Am Anfang nehme ich dies nicht so tragisch; wer länger als drei Tage in Manila Aufenthalt hat, lernt zwangsläufig Geduld.
Aber als es nach einer Viertelstunde immer noch nicht weitergeht, rührt sich doch leichte Panik: ich will nach Hause, zurück ins sonnige, staufreie, menschenleere Deutschland mit seiner frischen klaren Luft; wann geht es endlich weiter ?!!!

So schnell geht es nicht weiter, aber dann lässt der Regen nach, und die Fahrzeugkolonne setzt sich wieder langsam in Bewegung; psychologisch ist eine langsame

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Bewegung immer noch eher zu ertragen als ein Dauerstau mit der Ungewissheit, ob es jemals weitergehen wird...

Irgendwie tun mir alle leid, die jetzt in Manila zurückbleiben müssen; der Sonnenschein, der in der Trockenzeit und in der Übergangszeit ein freundlicheres Licht auf die vielen Schattenseiten Manilas wirft, fehlt und dadurch wirkt die Stadt trist und nicht mehr bunt:
Regenzeit bedeutet drei bis vier Monate grauer Himmel und ständige Schauer...

Zum Glück hatten wir noch einen Zeitpuffer, und so kommen wir noch rechtzeitig zum Einchecken, allerdings bleibt nicht mehr viel Zeit zum Verabschieden
Wir umarmen uns alle, und in solchen Minuten, wenn jeder weiß, dass wieder eine jahrelange Trennung bevorsteht, sind auch die Meinungsverschiedenheiten vergessen.
Alle bis auf den kranken Vater sind noch einmal mitgekommen: Irmas Mutter, Irmas Brüder Boy und Gerry sowie ihre Frauen Ana und Marylin.

Dann müssen wir uns losreisen, winken uns gegenseitig noch lange zu, als wir unsere Kofferkulis in den für Nichtpassagiere abgesperrten Flughafenbereich schieben.
Irma sollte noch eines ihrer Patenkinder treffen, welches sie jahrelang nicht gesehen hat: die junge Frau arbeitet jetzt am Flughafen.
Aber es bleibt keine Zeit mehr; sie telefonieren nur kurz miteinander, wir müssen schon zum Gate.

Um 18.00 Uhr donnert die Boeing 747 über die regennasse Rollbahn; es herrscht „heavy weather“: Regen peitscht dem Riesenvogel entgegen, als er sich in die schwarze Nacht erhebt.
Dort unten werden irgendwo Boy, Gerry und die anderen vielleicht gerade nach Eulogia Drive zurückkehren, und die kleine Wohnung wird ihnen auf einmal groß und leer vorkommen...

Unser Jet hat schwer mit dem Taifun zu kämpfen.
Wir rasen durch Luftlöcher; die Maschine vibriert und zittert.

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Es ist ein ungemütliches Gefühl, dass das dunkle südchinesische Meer unter uns lauert, gerade vor ein paar Tagen ist eine kleinere Maschine im Taifun zwischen Djakarta und Singapur abgestürzt.

Aber wir haben noch einmal Glück; nach dreieinhalb Stunden Gerüttel und Luftlöchern landen wir in Singapur.

Den recht übersichtlichen Flughafen dort kennen wir schon, haben das Gate für den Anschlussflug nach Deutschland bald gefunden.

In einem Buchladen gibt es sogar deutsche Zeitungen, kann mich über die Krise der Nationalelf und den Reformstau in der deutschen Gesellschaft informieren; der Alltagsfrust holt uns wieder ein.
Um 23.35 Uhr Ortszeit fliegen wir weiter; die Turbulenzen sind nicht mehr so stark.

Aber anscheinend hat mich das Reisefieber gepackt, wie auf den meisten Flügen bin ich hellwach und könnte sowieso nicht einschlafen.
Ich schaffe es, während des langen Rückfluges 4 ½ Filme zu sehen, u.a. die „Comedian Harmonists“.

So vergeht die Zeit buchstäblich wie im Fluge, während wir über die asiatischen Steppen und Hochländer hinwegbrausen und die anderen Passagiere sich in ihren engen Sitzen winden und in Schlaf und Halbschlaf versuchen, sich in eine angenehmere Lage zu bringen.

Gegen morgen gibt es natürlich wieder Essen; das weckt die Lebensgeister der Schläfer; langsam werde ich jetzt etwas müde.
Jetzt müssten wir schon in Italien sein; das winzige weiße Flugzeug auf dem Bildschirm schlägt den Weg Richtung Alpen ein, die als kleine braune zentimetergroße Barriere uns noch von der Heimat trennen.

Um 6.00 Uhr landen wir in Frankfurt; es scheint die Sonne, ein seltsamer Anblick, denn auf den Philippinen war sie meist hinter den grauen Monsunwolken verschwunden!

Wir haben keine Probleme bei der Einreisekontrolle; der EU-Pass öffnet die Türen.
Dafür dauert es ein Weilchen, bis wir unser Gepäck auf dem Förderband finden; man hat immer das Gefühl, als letzter dranzukommen..
Endlich ist alles verstaut; wir wuchten es die Treppen zur S-Bahn herunter; Taxifahren wollen wir nicht, die 70 DM können wir uns sparen.
In der S-Bahn ist wenig Platz für uns und unser Gepäck, fast fühle ich mich an Manila erinnert.

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Aber es ist nicht Manila: es ist Frankfurt; auf einmal finde ich die Stadt wunderschön; herrlich auch das zarte Grün der Blätter im Wald rechts und links der S-Bahn-Strecke; ein Fenster ist geöffnet: welch würziger Waldduft; und die Straßen: so wenig Autos sind unterwegs; ich glaube, wir sind in der Provinz...
Es kommt eben immer auf den Vergleichsmaßstab an!

Im Zuge treffe ich noch Angelika, eine alte Bekannte von meinem früheren Stammtisch.
Sie hat vor kurzem geheiratet und zieht jetzt von Offenbach nach Höchst.
Endlich hält der Zug in Mühlheim.

Ich laufe voraus, hole das Auto, werfe vorher noch einen Blick in die Wohnung: niemand ist eingebrochen; die Pflanzen sind von unserer Freundin Ivana gut gegossen worden, und bis auf einen haben alle Fische im Aquarium überlebt, na prima.

Ich hole meine müde Familie ab, und wir genießen es, dass wir kurze Zeit später die Tür hinter uns zumachen können.
Jetzt ist Ausruhen angesagt, bevor wir uns wieder in die Alltagskämpfe stürzen!

--------------Ende -----------------Prolog

Nach sechs Jahren flogen wir wieder einmal nach Asien.
Der Zauber der Insel Bali hatte mich seinerzeit in Bann geschlagen, und ich wusste, dass ich diese Insel noch einmal wiedersehen musste.
Auch diesmal wollten wir den Besuch Balis mit einem Wiedersehen mit Irmas Familie auf den Philippinen kombinieren.

Bei der Vorbereitung der Reise leistete meine Kollegin Corina - ebenfalls vom Geiste Balis beseelt und dazu sachkundig im Planen von Reisen zu jedem Punkt dieser Welt - wieder einmal wertvolle logistische Hilfe.

Es stellte sich nämlich heraus, dass die Buchung des Fluges nicht ganz einfach war.
Zunächst einmal mussten wir die richtige Fluggesellschaft finden und ein Reisebüro, welches unsere Flugpläne realisieren konnte.
Unsere Planung sah nämlich wie folgt aus:
3 Tage Singapur, 11 Tage Bali und dann wenigstens noch 14 Tage Aufenthalt auf den Philippinen; summa summarum mindestens vier Wochen Urlaub.
Damit war schon festgelegt, dass wir diesmal in den Sommerferien fliegen mussten; denn sowohl Oster- als auch Weihnachtsfreien sind ja auf maximal drei Wochen begrenzt.

Nachdem Philippine Airlines kurz vorher seinen Flugbetrieb nach Europa eingestellt hatte, die indonesische Staatsgesellschaft Garuda nicht den besten Ruf hat und in den roten Zahlen steckt; die australische Quantas nicht nach Manila fliegt und Thai Airways die Kombination Bali und Philippinen ebenfalls nicht auf dem Routing hat, blieb eigentlich nur noch Singapore Airlines als in Betracht kommende Fluggesellschaft übrig.
Aber das war keine schlechte Aussicht, denn diese Fluggesellschaft ist bekannt für ihre Sicherheit und den guten Service einschließlich der huldvoll lächelnden mandeläugigen Stewardessen.

Das kleine Mühlheimer Reisebüro, das wir zunächst mit der Ausarbeitung der Reise beauftragt hatten, erwies sich als überfordert.

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Bei dem von Corina empfohlenen Reisebüro in Dietzenbach fanden wir mehr Sachkompetenz und in Gestalt der temperamentvollen Eigentümerin Frau Wigger eine freundliche und geduldige Fachfrau, die nebenbei noch von Christians exotischem Aussehen entzückt war.

An unserem Hochzeitstag, dem 11. Februar, buchten wir bei Frau Wigger dann für Anfang Juli bis Ende August die gewünschte Reise, wobei der Aufenthalt auf den Philippinen 16 Tage betragen sollte.

Für Singapur buchten wir für drei Tage ein Stopover im „Garden Hotel“.
Unsere ständige Unterkunft in Bali sollte das „Candibeach Cottage Hotel“ in Candi Dasa im Osten Balis werden.
Dort hatten sich Corina und Peter in 1994 aufgehalten und waren sehr zufrieden gewesen.

Von Balis internationalem Flughafen bei Denpasar musste der Weiterflug nach Manila über die Drehachse Singapur erfolgen, diesmal aber ohne Aufenthalt.
In Manila angekommen wollten wir für drei Nächte im „Holyday Inn“ bleiben und danach entscheiden, ob wir da nach bei den Verwandten oder in einem preiswerten Hotel logieren wollten.

Nach der guten Beratung im Dietzenbacher Reisebüro konnten wir uns zurücklehnen und ein paar Monate auf die Reise freuen.

Von Frau Blissing, einer Kollegin, die in einer anderen Abteilung im Finanzamt arbeitet, kam dann noch der Tipp, die Insel Busuanga im Norden der großen Insel Palawan, einer abgelegenen Provinz der Philippinen, zu besuchen.
Dort hatte sie mit ihrem Mann, einem begeisterten Taucher und Filmer, einen unvergesslichen Urlaub verbracht.

Den Urlaubsfilm sah ich im „Offenen Kanal“, einem lokalen Fernsehkanal der Rhein- Main-Region, wo Hobbyfilmer ihre Filme vorführen.
Die Landschaft in diesem abgelegenen Teil der Philippinen gefiel uns im Film so gut, dass wir beschlossen, dort auch für ein paar Tage zu verweilen und die Korallenbänke zu erkunden.

Am Samstag, dem 3. Juli, war es dann endlich soweit.
Die Reise konnte beginnen!

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03.Juli 1999

An einem sonnigen Sommermorgen beladen wir unseren Vectra mit drei großen Koffern, zwei kleineren Reisetaschen mit Griff zum Ziehen, meinem vertrauten grünen Rucksack und anderem Handgepäck.
Die Koffer haben wir nicht bis zur Schmerzgrenze beladen, da wir in Bali ein paar Mitbringsel und in den Philippinen Kleidung erwerben wollen.
Andererseits haben wir in unserem Gepäck das ein oder andere Geschenk für unsere Verwandten auf den Philippinen und auch Medikamente für den erkrankten Vater von Irma.
Zwei große „Balikbayan-Boxen“ (große Pakete) in denen wir Lebensmittel wie das auf den Philippinen sehr beliebte Corned Beef, Milch (sehr teuer dort mangels Milchkühen), Shampoo, Seife, Handtücher, Schokolade, Instant-Kaffee usw. verstaut haben, haben sich schon vor zwei Monaten auf dem Seeweg auf die Reise gemacht.
Wir hoffen, dass die Boxen schon da sein werden, wenn wir am 18.Juli nach Plan auf den Philippinen eintreffen werden.
Balikbayan heißt übrigens „Heimkehrer“, damit sind die vielen Filipinos und Filipinas gemeint, die im Ausland ihre Brötchen, besser gesagt, den Reis verdienen und von denen im Mutterland ganze Familien abhängig sind.
Ach ja, diesmal haben wir auch eine Video-Kamera im Gepäck, die ergänzend zum Fotoapparat unsere Eindrücke festhalten soll. Allerdings habe ich nicht vor, die Welt nur noch durchs Kameraobjektiv zu betrachten; ein Film kann nie alle Eindrücke der Sinne wiedergeben, bei einem so vielfältigen Kontinent wie Asien schon gar nicht !

Mit dem Auto fahren wir zum S-Bahnhof Mühlheim, entladen das Gepäck; Irma und Christian lösen Fahrkarten am Bahnsteig, und ich fahre das Auto zurück in die Garage, wo es die nächsten viereinhalb Wochen gut behütet schlummern wird.

Dann muß ich mich sputen, denn acht Minuten nach zehn Uhr ist die Abfahrt der
S-Bahn, und ein paar Zeitreserven benötigen wir am Flughafen noch.

Es ist Samstag, kein Berufsverkehr, und deswegen finden wir noch Platz für unsere Berge von Gepäck.
Mittlerweile fährt die S-Bahn ja die Strecke von Hanau bis Wiesbaden und hält natürlich auch am Flughafen, so dass wir nicht umsteigen müssen.

Wir finden sowohl das richtige Terminal als auch den Schalter der Singapore Airlines, wo wir ohne lange Wartezeit unser Gepäck aufgeben, hoffentlich nicht für immer!
Unser Flieger wird sich mittags in die Lüfte erheben; 13.03 Uhr soll der Start sein.
Wir trotten mit unserem Handgepäck Richtung Gate 48.

Es ist schön, wieder den Duft der weiten Welt zu schnuppern und den Flughafen nicht nur wehmütig als Tagesbesucher zu erleben, sondern sich selbst in einen der Silbervögel zu begeben und zu entlegenen Plätzen der Welt aufzubrechen!

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Anscheinend verzögert sich der Start doch; es ist gegen 13.30, als wir alle dann endlich einsteigen.
Das neue Abenteuer kann beginnen!

Christian ergattert sich natürlich den Fensterplatz und ist erfreut, dass die herausnehmbare Fernbedienung in seiner Armlehne außer der Wahl von Musik- und Kinoprogrammen auch Zugang zu Konsolenspielen (a la „Super-Mario“) eröffnet, wobei er betont, dass er jetzt zum Konkurrenten „Playstation“ gewechselt ist.

Unser Flugzeug ist eine Boeing 727 (?) MEGA-Top.

Wir machen es uns in den Sesseln bequem.
Jeweils in der Rückenlehne des Vordermannes ist der Fernsehbildschirm eingearbeitet. Auf einem speziellen Videokanal lässt sich die Route auf globalen und detaillierten Kartenausschnitten mitverfolgen. Der bisher zurückgelegte Flugweg ist dann als rote Linie zu erkennen, die von einem kleinen, gelegentlich ruckenden Flugzeugsymbol angeführt wird.

Aber so weit ist es noch nicht.
Noch liegen 10.289 Kilometer Flugstrecke, die Non-Stop zurückgelegt wird, vor uns, bis wir Singapur erreichen werden.

Der Clipper rollt an, wird schneller und schneller, hebt die Nase und steigt in die Lüfte. Es ist immer wieder ein im wahrsten Sinne des Wortes erhebendes Gefühl, in die Lüfte zu steigen!

Wir gewinnen schnell an Höhe; auch dies lässt sich auf der Bildschirmanzeige mitverfolgen.
Schließlich werden wir in über 11.000 Metern Höhe mit einer Geschwindigkeit von etwa 960 Kilometern /Stunde die Lüfte durcheilen.
Aber Schallgeschwindigkeit wie die „Concorde“ erreichen wir nicht.

Wir fliegen zunächst über Prag; dann passieren wir Ungarn, Rumänien und verlassen Kerneuropa über dem schwarzen Meer.
Dann wird uns im Kaukasus hoffentlich kein rebellisches Bergvolk abschießen; leichtes Unbehagen auch angesichts des weiteren Weges über Iran, Afghanistan und Kaschmir.

Schließlich werden wir auf unserem neuzeitlichen fliegenden Teppich über indische Berge, Ebenen, Städte, Flüsse und Felder brausen.

Die Flugreisen lassen ja den Sinn für Entfernungen verkümmern; in ein paar Stunden wird ein ganzer Subkontinent mit einer Milliarde (Tausend mal Tausend mal Tausend) Menschen links liegengelassen, dann ein Zugvogeldasein über dem türkisblauen

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Andamanen - Meer mit seinen zu erahnenden zuckerweißen Eilanden; schließlich die Wälder und Berge der malaiischen Halbinsel; Minarette und Geschäftstürme, bis dann die Wolkenkratzer Singapurs am Horizont emporragen und das Ende der Reise gekommen ist.

Aber so weit ist es noch nicht.
Unsere Reise hat gerade erst begonnen.
Die geheimnisvoll lächelnden Stewardessen, mit denen Singapore Airlines wirbt, sind auch in Wirklichkeit schön und anmutig und rollen ihre Servierwagen durch die engen Gänge.

Es gibt sogar einen Becher Champagner; aber da es die meisten Passagiere nach dem edlen französischen Tropfen dürstet, müssen wir mit Bier, Mineralwasser und Orangensaft vorliebnehmen. (Auf den folgenden Flugetappen hatten wir dann mehr Glück, und auch die sonst so abstinente Irma ließ sich das aristokratische Getränk munden).

„Sir, you want beef or chicken?“ „Chicken, please“. Gerade hatte ich es mir bequem gemacht, und die Ohrhörer zusammengebastelt; Decke, Kamera und Singapore-Reiseführer verstaut; da müssen schon wieder neue Vorkehrungen getroffen werden, damit halbwegs Platz da ist.

Nach dem Essen - es nicht schlecht, besser als bei den amerikanischen Airlines - klinke ich mich in das Video-Programm ein.
Es läuft „Matrix“, ein recht düsterer Film über die Grenzerlebnisse zwischen realer Welt und „Cyberworld“. Der Film beeindruckt durch seine technischen Effekte und die Kampfszenen, in denen die Schwerelosigkeit aufgehoben zu sein scheint.
Leider verstehe ich den Sinn nicht ganz: gepflegtes Oxford-Englisch lesen und amerikanischen Slang hören sind verschiedene Paar Stiefel.

Ein paar weitere Filme folgen. Musikfetzen dringen aus dem Kopfhörer.
Ich stelle fest, dass ich die Fernbedienung nicht mehr aus der Armlehne herausbekomme.
Sie war eingerastet; anscheinend ist ein Stück Schnur mit hereingekommen. Jetzt sitzt sie bombenfest. Auch mit den Fingernägeln lässt sie sich nicht herausdröseln.
Ich sehe vor meinem geistigen Auge schon die Bordmechaniker in drohender Haltung: „Sie haben unser modernes Equipment ruiniert! Sie bezahlen diesen Sessel samt Elektronik!“
Zum Glück ist nie eine Rechnung gekommen.
Seitdem bin ich sehr vorsichtig mit Fernbedienungen..

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04.07.1999

Es wird Nacht. Die Klappen an den Fenstern sind heruntergelassen.
Vor den Toiletten herrscht ein kleiner Stau.
Wir sind über Südasien geflogen, und langsam steht die Landung in Singapur an.
Millimeterweise rückt das kleine weiße Flugzeug auf der projektierten Karte vor.

Dann geht die Maschine in den Landeanflug über. Ein leichter Druck legt sich auf die Ohren.
„The weather is quite normal, some rain, about 27 ° C.“, so die sonore Ansage des Flugkapitäns.
Vorne an der bunten Projektionswand huschen jetzt bunte Bilder aus einem
Singapur - Werbefilm vorüber.

Es geht jetzt ganz schnell, ein kurzes Rütteln, und wir sind in Singapur gelandet.
Die Ortszeit beträgt 6.45 Uhr am Vormittag.
Wir sind müde, gleichzeitig aber neugierig.
Der Flughafen macht einen modernen und sauberen Eindruck. Es liegt tatsächlich nicht ein Zigarettenstummel oder ein Papierschnipsel herum; überall wird peinlich auf Reinlichkeit geachtet, so dass es auszuprobieren wäre, vom spiegelglatten Boden zu essen...

Es ist leicht, sich zurechtzufinden. Irma will hier ihre Schwester Liza treffen, die bei einem befreundeten älteren Ehepaar Urlaub macht.
Ein erster Versuch, dort anzurufen, schlägt fehl; wahrscheinlich ist es noch zu früh.
Dann brechen wir am besten erst einmal ins Hotel auf. Die Müdigkeit macht sich jetzt stärker bemerkbar.

Am Einreiseschalter, dem Immigration Office, geht es schnell und zügig.
Einer der Beamten hilft uns sogar beim Ausfüllen der Einreisedokumente.
Wir tauschen ein bißchen Geld, der Kurs steht so, dass es für 1 DM 0,87 Singapur $ gibt.

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Die Sonne ist aufgegangen; wir haben unser Gepäck wohlbehalten vom Band geholt und finden auch gleich ein Taxi, das uns ins „Garden Hotel“ (3 Übernachtungen zu je 108 DM, Frühstück für zwei Personen) bringen soll.
Das Hotel liegt etwas außerhalb des Stadtkerns Richtung Norden in der Balmoral Street.

Der Taxifahrer, chinesischer Abstammung wie 85% der Bevölkerung des Inselstaates, zieht uns gleich in ein Gespräch, wie das Taxifahrer eben so tun.,

Während wir vom Flughafen Changi Airport (1981 eröffnet), an der Küste entlang zur City fahren, fällt mir auf, wie grün Singapur ist. Überall säumen prächtige Tropenbäume den Straßenrand.
Die üblichen Billigquartiere und zusammengeschusterten Wellblechhütten südostasiatischer Metropolen fehlen, dafür recken sich Plattenbauten im Stil der 70er Jahre und kühle glänzende Bürotürme der 90er gen Himmel. Singapur boomt und boomt, erinnert an ein tropisches Frankfurt.

Der Fahrer erklärt uns, dass er zwei Kinder hat und mit seiner Familie eine Eigentumswohnung abbezahlt.
Der Staat subventioniert den Erwerb kleiner selbstgenutzter Wohnungen; dies wäre in Indonesien oder den Philippinen nicht vorstellbar.
Wohnraum ist teuer; eine Eigentumswohnung (kein Haus!) kostet zwischen 300.000 und 600.000 Singapur $; seine eher bescheidene Wohnung erhielt er zum Preis von 330.000 $. Noch teurer sind relativ gesehen aber die Autos.

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Begehrte Importautos wie Mercedes oder BMW kosten umgerechnet weit über 100.000 DM . Dazu muss jeder Führerscheininhaber wie ein Lufthansapilot(!) jährlich nochmals eine Fahrprüfung ablegen, um den Führerschein verlängert zu bekommen. Und das Volk akzeptiert diese Vorgaben, jahrelang gewöhnt an die „Ökodiktatur“ unter dem alten Autokraten Lee Kuan Yew, der mittlerweile die Amtsgeschäfte an einen jüngeren Nachfolger übertragen hat.

Von solchen ökologischen Regelungen würden fundamentalistische Grüne in unseren Breiten nur träumen und selbst Hardliner nicht wagen, ein solches Thesenpapier herauszubringen, aber eine erzkonservative asiatische Regierung praktiziert dies ohne größeres Murren der Bevölkerung!

Aber dies geht wahrscheinlich nur in einer geschlossenen Gesellschaft wie sie Singapur mit dem neokonfuzianischen Weltbild der 78 % Chinesen verkörpert, und auch die starken Minderheiten der Inder (7% der Gesamtbevölkerung) und Malaien (14%) sehen wohl mehr die Vorteile Singapurs im Vergleich zu den ärmeren chaotischeren Nachbarländern.

Eine weitere Bedingung für die Umsetzung der patriarchalischen Politik der seit Jahrzehnten herrschenden People`s Action Party (PAP) ist, dass Singapur nur ein überschaubarer Stadtstaat ist.
Mit einer Fläche von 647 qkm ist Singapur kleiner als das Bundesland Hamburg
(748 qkm); allerdings leben dort fast 3 Millionen Menschen, während die Bevölkerung Hamburgs sich seit Jahren bei ca. 1,7 Millionen Menschen eingependelt hat.
Manila hat übrigens eine ähnlich kleine Fläche; dort leben sogar 10-12 Millionen Menschen!

Singapur war am 28.01.1819 von Sir Stamford Raffles, dem berühmten Pionier des britischen Kolonialreiches gegründet worden.
(Nach Raffles ist das berühmte Raffles Hotel im Herzen Singapurs sowie die größte Blütenplanze der Welt, die rote übelriechende Rafflesia, benannt).
Singapur gewann in der Folgezeit als strategisch wichtiger Hafen am Ausgang der Meeresstraße von Malakka immer mehr an Bedeutung.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wanderten immer mehr Chinesen als billige Arbeitskräfte ein; seit dieser Zeit stellen die Nachkommen dieser Zuwanderer die ethnische Mehrheit.
1887 wurden dort die ersten Kautschukbäume auf asiatischem Boden eingepflanzt; ein englischer Meisterdieb hatte sie heimlich aus Südamerika herausgeschmuggelt und das brasilianische Monopol gebrochen.
Im zweiten Weltkrieg wurde Singapur von den japanischen Invasionstruppen erobert, aber davon später...

Nach dem zweiten Weltkrieg blieb Singapur vorerst britisch.
1959 übernahm Lee Kuan Yew mit seiner PAP die Macht; bis heute hat keine andere Partei regiert!

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Die Unabhängigkeit erhielt Singapur zunächst in einem Staatenbund mit Malaya
(jetziges Westmalaysia), Sabah und Sarawak (auf Borneo).
Doch schon am 09.08.1965 (interessanterweise am 17. Geburtstag von meinem Kollegen Karl-Heinz) erklärte sich Singapur zur unabhängigen Nation, während der Rest der Föderation als Malaysia firmierte.

Die Chinesen Singapurs hatten wohl wenig Neigung, Minderheit in einem von Malaien dominierten größeren Staat zu sein, und ein urbaner kleiner Inselstaat mit Welthafen kann besser prosperieren als ein agrarisch strukturierter Flächenstaat.
So ist es dann auch gekommen: Singapur hat heute (1999) ein reales Bruttosozialprodukt pro Kopf in Höhe von 29.230 US-$;
zum Vergleich die Zahlen von Deutschland: 21.270 $,
Malaysia: 7.730 $,
Thailand: 6.490 $
Philippinen 3.670 $.
und Indonesien: 3.390 $.

Eine ganz richtige Insel ist Singapur auch nicht mehr, seit eine Brücke Singapur mit Malaysia, genauer: dem Bundesstaat Johore, verbindet.

Aber die Brücke ist ganz im Norden, und wir fahren zwar auch nordwärts, aber bald schon biegt unser Taxi in die Balmoral Street ein.
Es ist eine große, aber ruhige Straße, auch hier ragen große Tropenbäume rechts und links an der Straße empor.
Wir zahlen einen höheren Fahrpreis als er im Reiseführer steht; aber ich bin zu müde, um zu diskutieren. Im nachhinein war der Preis wohl auch nicht besonders überhöht, denn wir hatten etliche Koffer und Handgepäck dabei, und dieses Gewicht zählt extra.

Das Garden Hotel ist anscheinend ein Hotel der unteren Mittelklasse, da bin ich kein Fachmann.
Das Foyer ist recht großzügig angelegt, mit Springbrunnen und künstlichem Wasserfall.
Wir werden die Örtlichkeiten noch später erkunden.

Das Zimmer, zu dem wir mit dem Fahrstuhl gelangen, macht einen ruhigen, altmodischen und sauberen Eindruck.
Wir können in den Hof mit tropischem Garten sehen; der Swimming-Pool liegt verwaist unter uns; bei jetzt 25 ° und Regen scheint kein Badewetter zu sein,. Während unseres zweitägigen Aufenthaltes haben wir auch niemanden den Pool benutzen sehen.

Die Klimaanlage ist kühl, aber nicht zu kühl eingestellt.
Es ist jetzt später vormittag; natürlich wollen wir heute noch in die Kernstadt; aber vielleicht legen wir uns erstmal für ein Stündchen aufs Ohr.---------------

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Ach, das Stündchen Schlaf war erquickend; die anderen zwei werden auch gerade wach. Was zeigt die Uhr? Wir haben sechs Stunden geschlafen!
Der Körper hat sich genommen, was er brauchte, jetzt ist es schon 15 Uhr!
Wir machen uns frisch; dann starten wir unseren Ausflug zur Stadt.

Da ich mir eine Stadt gern erwandere, schlage ich Irma und Christian einen Spaziergang zur Orchard Road vor, der Hauptgeschäftsstraße Singapurs .
Dies müsste nach der Karte auch ganz gut zu Fuß zu schaffen sein.

Es herrscht für eine Großstadt eher wenig Autoverkehr. Fußgänger sind auch kaum unterwegs. Es kommt mir mehr wie ein Spaziergang durch eine deutsche Stadt vor als durch eine wuselnde asiatische City.

Aber dass wir nicht in Deutschland sind, merke ich an den mächtigen Urwaldriesen mit ihren knorrigen riesigen Wurzeln und exotischen Blüten, an denen ich mich nicht satt sehen kann.

Seitdem ich im Alter von drei Jahren in dem kleinen Dorf meiner ersten Lebensjahre einen Lieblingsbaum hatte, mag ich Bäume, und die Vielfalt des Regenwaldes hat mich besonders fasziniert.

Es ist schön, dass Singapur ein paar Urwaldbäume ins 20. Jahrhundert herübergerettet hat, und auf der Insel gibt es neben diversen botanischen Gärten auch noch halbwegs unberührte Wälder. Schade, dass wir nicht genug Zeit haben, die entfernteren grünen Regionen von Singapur zu besuchen.
Aber heute nacht wollen wir einen Abstecher zum Nachtzoo machen, schon, um den Jet-lag endgültig zu überwinden.

Wir wandern jetzt die Scotts Road entlang; der Autoverkehr nimmt zu.
Bevor Irma und Christian anfangen können zu murren, sind wir auch schon in der City, schon fast bei der Orchard Road: es ist die Far East Plaza; eines der großen Einkaufszentren der Stadt.

Dies ist das Signal zum Ausschwärmen für meine Familie: jetzt werden die ersten Geschäfte abgeklappert, und schon bald werden ein paar Turnschuhe für Christian erstanden.
Ich lasse derweil meine Blicke schweifen und die Seele baumeln.
Es ist schön, wieder in Asien zu sein, auch wenn es noch schönere Plätze als einen großen Kaufhaustempel gibt.

Endlich geht es weiter: es sind nur noch ein paar Schritte bis zur Orchard Road.
Diese erstreckt sich von hier bis weit ins Zentrum von Singapur, und wir verfolgen sie ein ganzes Stück weit.

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In einem weiten Kaufhauskomplex essen wir indonesisch, nicht schlecht; aber ich denke, die Hawker-Center, die großen Plätze mit vielen kleinen offenen Garküchen, werden dies noch übertreffen.

In der Orchard Road schiebt sich Tag und Nacht ein nicht enden wollender Menschenstrom auf dem Bürgersteig entlang.
Da die Altersstruktur in Asien anders ist als in Deutschland, nimmt es nicht wunder, dass die jungen Leute in der Mehrzahl sind. Sie sind schick gekleidet, führen ihr Handy und ihren Walkman mit sich und begeistern sich für die Auslagen der Schmuck- und Modegeschäfte.

An einem Platz höre ich Tagalog (Philippinisch): dort treffen sich viele Filipinas, sie sind hier als Hausmädchen beschäftigt und werden von Agenturen für ein paar Jahre angeworben.
In einem der Kaufhäuser stoßen wir auf eine solche Agentur: die Wände sind mit Lebensläufen und Fotos freundlich blickender Mädchen tapeziert, die lieber ein Leben in der Fremde vorziehen, als im heimischen Barrio (Stadtviertel, Dorf) ganz ohne Perspektiven zu sein.
Singapur und Taiwan sind da für die Filipinas noch günstiger als die arabischen Länder, wo sie zusätzlich einer fremden (islamischen) Kultur und leider auch allzuoft Ausbeutung und Mißbrauch ausgesetzt sind.

Dort rechts, im unteren Stockwerk des Gebäudes mit dem Mandarin Hotel, befindet sich Singapore Airlines; da müssen wir morgen noch unseren Weiterflug nach Bali bestätigen lassen.

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In der Nähe des Gebäudes herrscht ein buntes Treiben: ein paar Straßenkünstler turnen dort zu schriller chinesischer Musik.
Einen kleinen als Clown geschminkten Jungen, der mit einem viel größeren Gegenüber einen Schaukampf in Kickboxen aufführt betrachte ich länger: seine theatralische Kämpferei erinnert mich an Christians Schaukämpfe.
Christian dementiert dies natürlich empört.

Endlich kaufen wir auch wieder etwas ein: einen Elektrorasierer, weil ich meinen Rasierer vergessen habe, einen Badeanzug, weil Irma ihren daheimgelassen hat, und kurze Hosen für Christian, weil er seine nicht mitgenommen hat.

Jetzt müssen wir uns beeilen: um 17.45 Uhr wollte sich Irma mit ihrer Schwester Liza bei „Robinson`s treffen, einem weiteren großen Kaufhauskomplex, dem „Singapore Shopping Center“ (sehr phantasievoller Name!).
Wir kommen zeitig an, und ich erinnere mich noch an eine überlebensgroße Figur des Alienmonsters aus weichem labbrigem Gummi in einem Elektronikgeschäft.
Christian und ich schütteln ihm die schlaffe Pfote.
Es reagiert nicht unwillig, nur der Besitzer mault und verscheucht uns; anscheinend mag er es nicht, wenn sein Alien von spitznasigen Fremden angefasst wird...

Fünf Minuten später treffen wir Liza tatsächlich.
Sie zieht den sich diesbezüglich etwas schämenden Neffen an der Hand hinter sich in ein Cafe; Irma und ich folgen im Schlepptau.
Bei einer kurzen Kaffeepause erzählt sie, dass sie jetzt acht Wochen lang für ihre Gastgeber und deren Freunde Vorhänge und Gardinen schneidert und hierdurch Geld verdient.
Vorher war sie für einen Monat auf den Philippinen gewesen.
Am Gesundheitszustand des an Tuberkulose leidenden Vaters habe sich nicht viel geändert. Wenigstens müsse er jetzt aber nicht mehr im Krankenhaus liegen.
Sie habe für die Familie eine Klimaanlage gekauft, damit der Vater freier atmen könne - (und damit die Nachbarn beeindruckt sind) denke ich argwöhnisch...

Christian schaufelt derweil Aga-Aga in sich hinein, einen bunten Wackelpudding auf Algenbasis.

Draußen ist es schon dunkel. Die flanierenden Menschenströme reißen aber nicht ab.
Wir erinnern uns an unseren Plan, zum Nachtzoo zu fahren, der im Norden, schon

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außerhalb der Stadt in der Nähe eines Stausees liegt.
Da ist es praktisch, dass Liza uns mit ihrer Ortskenntnis beraten kann.
Wir steigen ein in die S- und Untergrundbahn MRT (Mass Rapid Transit System).
Das System ist einfach und preiswert, und in Singapur mit seinen begrenzten Ausmaßen ist der öffentliche Nahverkehr tatsächlich eine echte und notwendige Alternative zum Auto.

Nach etlichen Stationen müssen wir aber doch umsteigen auf den Bus (auch kein Problem) und fahren mit der Linie 138 bis zu den Toren des Zoos.
Der Tagzoo liegt daneben, dort ist es möglich, mit einem Orang-Utan zu frühstücken, was der wohl für Tischsitten hat?!

Jetzt kriegen wir nichts mit vom Tagzoo, sondern erwerben unsere Tickets für den Nachtzoo; nach kurzer Bedenkzeit nehmen wir das „große“ Ticket, das die Benutzung der Schienenbahn im Zoo erlaubt.
Vorher vergewissern wir uns, wann der letzte Bus in die Stadt zurückfährt, denn im Freien bzw. im Zoo möchten wir nur ungern übernachten.

Vor Beginn der Tour stärken wir uns noch mit Barbecue (Sate)-spießchen mit Erdnußsauce, die über einem offenen Holzkohlenfeuer gegrillt werden.
Sate-Spießchen, Spagetti-Bolognaise und gelegentlich Grillhähnchen werden in den nächsten Wochen die variable und einzige Speisenfolge unseres „schnäubischen“ Sohnes bleiben, gäbe es allerorten Pizza, dann würde er wohl nur Pizza essen und auch hier nur „Salami“ oder „Margarita“, ein auf bestimmte Eukalyptusblätter spezialisierter Koala ist ein Schlemmer und Allesfresser im Vergleich zu unserem Sohn!

Der Nachtzoo in Singapur ist ziemlich modern. Es gibt keine engen Käfige und miserable Bedingungen wie in anderen asiatischen Zoos, sondern die Tiere leben in der freien Natur, nur durch natürliche Barrieren von den Besuchern getrennt, die auf einer kleinen offenen Bahn durch diese heile Welt fahren.

Eine Nische nach der anderen, durch dezentes Licht beleuchtet, erschließt sich unseren neugierigen Augen: dort tummeln sich Vögel, dort kauern Schleichkatzen, weit entfernt lagert ein Löwenrudel, und dieser Kamerad dort, der wie versteinert dasteht, das muss eine Tüpfelhyäne sein.

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An einem bestimmten Punkt des Parkes ist ein Haltepunkt.
Dort verlaufen sich die Besucherströme auf verschiedenen Wegen.
Eine richtige Einsamkeit gibt es dennoch nicht. Christian fühlt sich durch die Familien mit kleinen Kindern genervt, die nicht die zum Beobachten der Tiere nötige Ruhe wahren.

Auf schmalen, aber geteerten Wegen können wir Seitenblicke auf Stachelscheine, Gazellen, Leoparden und sogar einen majestätischen Königstiger werfen, der gelangweilt im Wald liegt und zum Glück durch eine Glaswand von uns getrennt ist.

Natürlich fehlt auch hier der Regenwald nicht.
Auf einer schmalen Hängebrücke namens „Suspension-Bridge“ (Spannungs-Brücke), die aus einem Indiana Jones Film stammen könnte, lässt sich trefflich schaukeln.

Aber wir dürfen nicht vergessen, zurückzukehren, die Busse fahren hier pünktlich ab!
Auf verschlungenen Wegen finden wir wieder zum Ausgang zurück, zum Glück ist der Zoo nicht allzu groß.

Auch die Rückfahrt ist problemlos. Wir haben uns die Stationen gut gemerkt.
Am Newton Center steigen wir aus. Von hier aus können wir zu Fuß zu unserem Hotel laufen.
Es ist allerdings noch gut einen Kilometer weit.
Gefährlich ist es nicht, denn anders als in Manila oder Djakarta ist die Nacht hier sicher, subjektiv sicherer auch als in Offenbach oder Frankfurt.

Wir gucken uns zunächst in der Nähe der MRT - Station um.
Ein bißchen was essen wollen wir schon noch, auch wenn es 23 Uhr ist.

Dort hinten neben der Überführung schimmert Licht. Da scheint was los zu sein.
Wir müssen nur eine Fußgängerbrücke überqueren, dann sind wir auf einmal auf einem Nachtmarkt.
Markt ist nicht der richtige Ausdruck: es gibt hier ausschließlich Essensbuden.
Ich komme mir zunächst vor wie ein Eindringling, da ich keine Touristen und auch nicht die Yuppies der Orchard Road sehe, sondern nur einfach gekleidete Einheimische.
Aber auch wenn niemand von uns Notiz nimmt, so reißt uns doch niemand den Kopf ab, und hier und dort werden wir sogar durch Winken zum Verweilen genötigt.

Ein junger Chinese, den wir wegen seiner langen vorstehenden Zähne den „Hasen“ taufen, ist besonders dienstbeflissen, bietet uns einen wackeligen Gartentisch an, fegt von den letzten Gästen hinterlassenen Krümel weg und schiebt klapprige Stühle heran.

Irma bestellt für uns beide Fisch mit Bananenblättern; Christian, dem die Lokalität nicht geheuer ist, erklärt, er sei noch satt von den Sate-Spießchen.

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Zunächst kommt für mich das kühlende „Tiger-Beer“, ich habe die große Flasche bestellt, weil ich durstig bin, und es ist tatsächlich eine Labsal.

Dann wird nach kurzer Zeit der Fisch auf Bananenblättern von dem freundlichen Hasen geliefert.
Das Essen ist ein wahres Gedicht, und wie der Pawlow’sche Hund kriege ich noch beim Niederschreiben Speichelfluss.
Der Fisch ist zart, schmackhaft gebraten und liegt in einer scharfen braunen Sauce, die ihm aber dennoch seinen Eigengeschmack belässt.
Dazu gibt es ein spinatähnliches Gemüse, das Irma unter dem Namen „Kang-Kong“ kennt, gedünstet in Öl mit Knoblauch.

Die Portion ist riesig bemessen, vielleicht hat er jeweils eine doppelte Portion gebracht; aber der Preis ist dennoch erschwinglich: pro Person umgerechnet 10,- DM für das Essen, dazu etwa 7 Mark für die zwei Biere, denn alkoholhaltige Getränke sind ähnlich wie Zigaretten und ähnlicher „schädlicher“ Luxus nach der konfuzianischen Staatsideologie nicht gewünscht und werden, da nicht ganz zu verbannen, entsprechend hoch besteuert.
Aber umso besser hat das Tigerbier geschmeckt!

Gut gesättigt und fröhlich treten wir auf einsamer Straße den Heimweg an.
Die tropischen Sterne strahlen, denn Singapur hat keinen Smog.
In dieser Nacht werden wir in unserem kühlen Zimmer gut schlafen!

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05. Juli 1999

Heute wollen wir zur Insel Sentosa.
Dies ist eine winzige Insel im Süden Singapurs, die zu einer Vergnügungsinsel ausgebaut ist.
Es besteht die Möglichkeit, mit dem Schiff, dem Bus oder einer Gondelbahn dorthin zu gelangen. Wir wollen gern die Gondelbahn (Cable Car) benutzen. Sie startet vom World Trade Center aus.

Zunächst verschlafen wir den Tag: wir wachen erst um 10.30 Uhr auf, ein Andenken an den Jetlag!
Wir beschließen daher, das Frühstück erst in der Stadt zu uns zu nehmen.
Es ist schon eine Stunde später, als wir endlich aufbrechen.
Da der hoteleigene Shuttlebus noch viel später fährt, wandern wir - diesmal im Tageslicht - bis zur MRT -Station Newton und steigen an der Station City Hall aus.
Hier gibt es noch nicht viel zu sehen: fertige Hochhäuser, im Bau befindliche Hochhäuser, Bauzäune und ein paar Geschäfte.
Von weitem grüßt die blendend weiße Kathedrale von St. Andrews.

Erst laufen wir ein Stück Richtung Hafen. In einem Schnellrestaurant frühstücken wir. Christian ist schlecht drauf, was sich auf die anderen überträgt.
Ein Blick auf die Karte zeigt, dass es noch weit ist bis zum World Trade Center (WTC) an der Küste.
Da ist es das beste, ein Taxi zu rufen.
Gesagt, getan; der Fahrer des Taxis erinnert mich an Irmas Vater, der auch eine Zeitlang Taxi gefahren ist.
Ohne größere Umwege - soweit ich dies beurteilen kann - bringt er uns für 7 $ zum WTC.
Wir nehmen einen Fahrstuhl und fahren bis zum Stockwerk 12a; die Zahl 13 existiert im abergläubischen Singapur nicht!

Oben angekommen, gibt es nicht nur die Überfahrt mit dem Cable-Car zu buchen, sondern jeder muss sich für ein bestimmtes Tourenpaket entscheiden und bekommt dann - je nach Tour - einen bunten Aufkleber angeheftet.
Wir entscheiden uns für die Pink -Tour.
Schnell noch die Kreditkarte gezückt, dann einsteigen, und schon erheben wir uns in die Lüfte.

Der Blick zurück und zur Seite fällt auf die Skyline der Hochhäuser von Singapur und die riesigen Hafenanlagen der Stadt. Singapur ist nach irgendeiner Statistik der größ-

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te Hafen der Welt, jedenfalls bedeutender als Rotterdam, das diesen Titel für Europa beanspruchen kann.

In der anderen Richtung erblicken wir den Ozean und weit verstreut die Inseln des Riau-Archipels, der schon zu Indonesien gehört.
Vor uns aber wächst Sentosa heran.

Die kleine Insel ist dicht bewaldet.
Unter uns liegt ein nachgebautes malaiisches Dorf wie die weiche Frauenstimme vom Rekorder auf Deutsch verrät.
Dort am anderen Ende Sentosas in Richtung Indonesien reckt sich ein ca. 20 Meter hohes schneeweißes Fabeltier gen Himmel: es ist der Merlion, ein Fabeltier, halb Löwe, halb Fisch, das Wahrzeichen Singapurs, Singapur heißt übersetzt:
die „Löwenstadt“.
Der Fischschwanz spiegelt gut die Abhängigkeit der Geschicke der Stadt vom Meer wider.

An der Seilbahnstation auf Sentosa wartet schon das nächste Monster: ein grüner prächtiger Steindrache auf dem Hof vor der Station.
Aber er ist - wie fast alle Drachen der chinesischen Mythologie - ein guter Drachen. Er (oder sie?) blickt hinüber nach Singapur und soll der Stadt ein gutes Joss (Glück) bringen.
Bisher hat das prächtige Wesen nicht versagt, vielleicht mit Ausnahme der japanischen Besatzungszeit, als der Stern Singapurs ungünstig stand.

Hiervon können wir uns im Museum als erstem Programmpunkt des Tourenpaketes überzeugen: mit Interesse verfolge ich auf langen gewundenen Gängen die Geschehnisse des zweiten Weltkrieges, als die Japaner trotz Unterzahl mit Bluff und Kriegslist 1942 die Insel Singapur von den Briten eroberten.

Die Briten erwarteten den Angriff von der See aus und hatten den Hafen zur Festung ausgebaut.
Tatsächlich aber griffen die Japaner vom Landwege aus, von der malaiischen Halbinsel im Norden her an.

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Da die Japaner die Briten glauben machen konnten, sie seien zahlreicher, was nicht stimmte, trug dies zur Verunsicherung der Verteidiger bei.
Am 15.02.1942 fiel die Festung Singapur, und drei harte Jahre brachen für die Bewohner heran.
Die japanischen Besatzer nannten Singapur fortan Syonan (Licht des Südens) und säuberten die Stadt von „unliebsamen Elementen“. Beispiele des Widerstandes einzelner Personen während der Besatzungszeit sind eindrucksvoll im Museum dokumentiert.
Durch ihre Japanisierungspolitik und die Übergriffe, besonders gegen die Chinesen, machten sich die Japaner bei der Bevölkerung unbeliebt, die nicht der Ideologie von einem asiatischen Großreich unter japanischer Führung verfielen.
Am 12.09.1945, nach dem Abwurf der beiden Atombomben, kapitulierte Japan, und Singapur wurde wieder britisch, bis zum Jahre 1963 als Singapur eine Föderation mit Malaya, Sabah und Sarawak gründete, wie ich schon geschildert habe.

Da ich der Kriegsgeschichte viel Zeit gewidmet habe, fällt der Besuch der übrigen Teile des Museums etwas kürzer aus.
Es ist als ein Panoptikum mit Wachsfiguren aufgemacht.
Wir sehen Sir Stamford Raffles zusammen mit malaiischen Datus (Häuptlingen) die Gründung Singapurs unterschreiben.

Die ersten Kaufleute siedeln sich an; wir erhalten Einblick in die Handwerks- und Wohnstuben chinesischer Kulis des 19. Jahrhunderts , und auch die indische Bevölkerungsschicht kommt nicht zu kurz: lebensgroße nachgebildete Frauen in bunten Saris handeln auf dem Markt, und der indische Händler zählt das Geld ab.

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Omar, unser malaiischer Fremdenführer, trommelt die Gruppe wieder zusammen.
Mit dem Bus geht es zur „Underwater-World“, dem großen Salzwasseraquarium.
Dort herrscht ein großes Gedränge; verständlich, denn hier gibt es wirklich viel zu sehen.
Am Anfang lassen sich (getrennt voneinander) hinter Plexiglas ein Oktopus, ein Zitteraal und eine Dujong, eine friedlich weidende Seekuh, bestaunen.
Die Dujong unterscheidet sich von ihrer Cousine, der Manatee von Florida, durch die Form der Rückenflosse.
Die Dujong gilt den Fischern als Glücksbringer, wird daher verschont, gerät aber leider allzuoft in Schiffsschrauben und wird dezimiert.
(Recht schön finde ich auch die langhaarige Taucherin, die gerade zur Dujong in Becken steigt und irgend etwas saubermacht).
In kleineren Röhren lassen sich bunte Korallenfische bestaunen.
Eine besondere Attraktion ist auch der sog. gelbe Seedrachen, der so abenteuerlich geformt ist, dass er wie zerfetzte Algen aussieht.
Es handelt sich hierbei auch um kein Monster, sondern um einen ca. 30 cm großen, friedlichen Fisch, der lediglich bizarr aussieht (au, aua, lässt du los, gib mir sofort meine Finger zurück....)

Der eigentliche Rundgang durch das Aquarium führt über ein sich langsam bewegendes Laufband, das rund um das Aquarium führt.
Zur gedämpfter klassischer Musik sind wir von allen Seiten von Fischschwärmen umgeben, und über uns ziehen Rochen, kleine Haie und große Barsche über dem Glasboden ihre Kreise.
Es ist eine ruhige, majestätische Welt, nur das Füßescharren und die Kommentare der vielen Besucher stören ein bisschen.

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Wieder draußen hören wir ein Planschen und sehen zappelnde Leiber in einem Tümpel: es ist Fütterungszeit für die Riesenschildkröten!
Die gar nicht so friedlichen Riesen balgen sich um Fischreste, Eingeweide und Salatstrünke, sind dabei flinker, als ihr behäbiges Äußeres vermuten lässt.

Nachdem der Führer sich verabschiedet hat, kann jeder hingehen, wo es ihm beliebt.
Wir besuchen den Orchideengarten mit seinen vielen duftenden Orchideen.
Dort gibt es auch einen Teich mit großen bunten Goldfischen, die sich streicheln lassen, was Glück bringen soll.
Die gelben, roten, weißen und getüpfelten Fische mit großen Glubschaugen reißen uns mit Gier die Futterbröckchen aus der Hand und saugen sogar am Finger.
Dabei verletzen sie den Menschen aber nicht, weil die Zähne weiter hinten im Schlund liegen.
Ob das Streicheln Glück gebracht hat, lässt sich nicht sagen, vielleicht schon, weil wir von größerem Unheil verschont blieben, nicht mal Durchfall hatte ich während dieser Asienreise!

Wir verzichten darauf, im nahegelegenen Pavillion die Hochzeitsglocke zu läuten, was auch Glück bringen soll; einmal haben uns schon die Hochzeitsglocken geläutet, und mir klingen die Ohren immer noch....

Zwischendurch trinken wir etwas. Christian saugt mit dem Strohhalm eine große grüne Kokosnuss leer.

Leider fängt es an zu regnen, was sich langsam steigert.
So können wir uns nur kurz dem „musikalischen Springbrunnen“ widmen: bunte Fontänen steigen in einem Wasserbecken auf; dazu ertönt laute klassische Musik, für meinen Geschmack etwas zu Disney -artig.

Typisch Vergnügungspark ist auch „Vulcano-Land“, ein nachgebauter Vulkan, für den wir extra bezahlen, weil er nicht in der Pink-Tour aufgeführt ist.
Im Innern des „Vulkans“ fahren wir auf den Spuren eines verrückten Forschers scheinbar in die Tiefe; es rumpelt und kracht, und ich glaube, Dinos haben wir auch noch getroffen...
Vor dem Vulkan führen Pseudo-Eingeborene ein paar Tänze auf.

Langsam zieht die Dämmerung auf.
An der großen Statue des Merlions vorbei steigen wir langsam einen Hang hoch und
haben Glück: hier ist die Cable-Car-Station.
Wir grüßen die bunten Pfaue zu unseren Füßen, winken dem Merlion zu und hüpfen

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wieder in die Gondeln.
Singapur, geschäftige Stadt, von der ruhigen Insel kommen wir zurück!

Unten am Fuße des WTC -Towers warten wir sehr lange an einem Taxistand, wo mindestens 50 Leute vor uns anstehen.
Mir fehlt hier die asiatische Geduld.
So bin ich hoch erfreut, als ich einen Bus sehe, der Richtung Innenstadt fährt.
Schnell sind wir drinnen, bis die anderen Wartenden überhaupt gemerkt haben, dass es eine Alternative zur Warterei auf die Taxis gibt.
Wir steigen in China-Town aus.
Dort hoffe ich auf etwas chinesisches Flair.
Aber so malerisch-chinesisch wie Hongkong oder die Chinatown von San Francisco gibt sich dieser Stadtteil nicht: es gibt Hochhäuser, in Bau befindliche Hochhäuser, Bauzäune und Geschäfte- vgl. meine Schilderung der Umgebung der Station
City Hall.
Auch den bunten indischen Tempel Sri Mariamman finden wir leider nicht.
Wenigstens gibt es ein paar chinesische Apotheken mit Pilzen, Kräutern und dubiosen getrockneten Dingen.

Wir marschieren eine gehörige Strecke und überqueren dabei auch einen Fluss, bis wir in die Stamford Road einbiegen, wo es westliche Cafes und Bistros gibt.
Von dort ist es nicht mehr weit bis zu „City Hall“.
Die zuverlässige MRT trägt uns wieder bis Newton.
Dort empfängt uns der freundliche „Hase“ von gestern und nötigt uns als Stammgäste zu Tische.
Auch diesmal schmecken die riesigen Portionen für je 10 $ hervorragend:
Hühnchen mit Zwiebeln und scharfer Sauce wird mir aufgetragen, während Irma sich an Tintenfisch in scharfer Sauce labt; ich glaube, Christian hatte wieder Spießchen.
Die Schärfe treibt mir Schweißperlen auf die Stirn; es ist ein ähnlicher „Kick“ wie bei einem Saunagang, und als Kontrast zur Schärfe löscht das herrliche „Tiger-Beer“ den Durst.
Wahrlich, die Besuche im Newton Hawker-Center gehören zu den kulinarischen Höhepunkten der Reise; weitere werden noch im Teil „Bali“ und im Teil „Philippinen“ beschrieben.
Satt und zufrieden gehen wir zum Hotel, genießen den Sternenhimmel, denn es regnet schon eine ganze Weile nicht mehr.
Morgen gibt es Neues zu erkunden!

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Juli 1999

Nach langem Schlaf mit bunten Träumen erwache ich, es ist kühl im Hotelzimmer wegen der Klimaanlage.
Wir wandern zur Newton Station, fahren mit der MRT in die Innenstadt.
Leider gießt es, beim Überqueren der Zebrastreifen schleudern die Autos Wasserfontänen hoch.
In der Orchard Road orientieren wir uns zum Hotel Mandarin: dort lassen wir unseren Weiterflug bestätigen.

Bei Robinson` s stöbern wir.
Christian sucht eine Hose, wir vertrödeln Zeit in den Geschäften, schade.
Mit dem Ausflug zum Raffles Hotel wird es auch nichts bei dem strömenden Regen.
Das Raffles Hotel, benannt nach dem bereits erwähnten britischen Kolonialherren, verkörpert Nostalgie und Luxus. Gern hätte ich da einen berühmten Cocktail geschlürft.
Aber wir wollen auch zu „Little India“, dem indisch geprägten Stadtteil mit Straßenhändlern, Tempeln und Basaratmosphäre.
Bekannt ist der bunte Tempel Sri Mariamman.

Als wir an der Haltestelle Lavinder Street aussteigen, sehen wir weit und breit nichts Indisches.
Wohnghettos, ein paar verschleierte Frauen und am Horizont eine Moschee: Das könnte genausogut eine Plattenbausiedlung in Berlin-Marzahn, die Problemsiedlung Mümmelmannsberg in Hamburg oder das Offenbacher Lauterborngebiet sein.
Wegen des regnerischen Wetters verzichten wir auf weitere Erkundungen zu Fuß und fahren wieder zurück zur Orchard Road.

Im Hinblick auf den Regen schlage ich vor, zu einem zweiten Aquarium in der Nähe der Orchard Road zu fahren.
Lt. Lageplan in dem für 5 Mark in Deutschland erstandenen zweiten Reiseführer befindet sich das Aquarium in einem grünen Park in der Nähe der alten britischen
Festung Fort Cunnings.
Der Taxifahrer weiß nichts von einem Aquarium, was mich in meiner Skepsis gegenüber Taxifahrern bestätigt: entweder verschweigt er uns etwas oder er ist unwissend, beides kein gutes Zeugnis.
Er setzt uns da ab, wo sich das Aquarium befinden müsste, aber da gibt es keines!
Ansonsten ist außer Rasen und einer belebten Durchgangsstraße nichts zu sehen.

Notgedrungen müssen wir wieder zurückfahren; heute ist wirklich der Wurm drin!
Der nächste Taxifahrer klärt uns über den Irrtum auf: unser Stadtplan ist veraltet: das vormals dort befindliche Aquarium wurde zur Insel Sentosa transferiert; und dieses Aquarium haben wir gestern schon besucht!

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Jetzt sind wir frustriert und haben auch keine Lust mehr auf eine Stadtrundfahrt.
Fast passend zu diesem Pech finden wir auch keinen Hawker-Stand oder ein attraktives Restaurant, sondern essen bei Pizza-Hut.
Da wir für heute abend eine Einladung bei Lizas Freunden haben, fahren wir zurück zum Hotel, ruhen und räumen unsere Sachen auf.

Gegen 18.00 Uhr fahren wir mit der Metro zum Stadtteil Chao Chu Kang.
Dort haben wir eine Verabredung mit einem älteren Ehepaar.
Es sind die Gastgeber von Irmas Schwester Liza, die für das ältere Ehepaar und dessen Bekanntenkreis Gardinen und Vorhänge näht, um Urlaub und Geldverdienen miteinander zu verknüpfen.
Wir müssen zweimal umsteigen.
An der Endhaltestelle erwarten uns Dulce und Terri Woodford mit dem Auto.
Sie gehören also zur privilegierten Minderheit der Autobesitzer.
Wir fahren durch eine Landschaft mit aus dem Boden gestampften Wohntürmen, die dem märkischen Viertel oder den Plattenbauten von Marzahn Konkurrenz machen könnten, außer dass die Betonsilos chinesisch bunter sind.

Terri, der etwa 75 Jahre alt ist, aber deutlich jünger wirkt, erzählt während der Fahrt, dass er vor seiner Pensionierung einer der Generalmanager bei Singapore Airlines gewesen sei. Er war zuständig für den Bereich Indonesien.
Seine letzten Berufsjahre hat er bei „Canadian Airlines“ verbracht und den asiatischen Markt aufgebaut.
Seine Ehefrau Dulce, die von den Philippinen stammt, wirkt auch wesentlich jünger als die 68 Jahre, die sie tatsächlich zählt.

Bald sind wir in der Siedlung der Woodfords.
Sie leben in einem etwa 600.000 DM teueren Apartment im 16. Stock; ich schätze die Größe der Wohnung auf knapp 90 qm.

Innen ist alles leicht altmodisch, aber durchaus elegant eingerichtet: ein weißer Flügel ist Blickfang, hier übt sich die Hausherrin in der Kunst des Klavierspielens.
Viel Porzellan, seidene Vorhänge (Lizas Werk), drapierte Obstteller und Parkettboden signalisieren Wohlstand und Gediegenheit.
Unter viel Gelächter posieren wir zusammen mit Liza und den Gastgebern für diverse Erinnerungsfotos.

Wir bleiben aber nicht lange in der Wohnung: stilecht werden wir in einem Hawker-Center speisen, direkt gegenüber dem Wohnturm der Woodfords.

Wir schlendern durch die einzelnen Freiluftrestaurants und noch offenen Geschäfte bis wir in einem der Restaurants Platz nehmen.
Terri wird vom Wirt als alter Bekannter begrüßt, und eine reiche Folge von Speisen wird aufgetischt.

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Neben diversen Nudelgerichten, Barbecue und Reis mundet mir besonders das Hähnchen in Zitrone in süßsaurer Sauce mit Zitronengeschmack.
Christian ist noch geschockt: er hat einen Bottich mit Fröschen gesehen; ich denke aber, dass keiner davon bei uns am Tisch serviert wird....

Während Dulce eher ruhig ist, erzählt Terri seine Lebensgeschichte, und seinen wachen Geist erkenne ich auch daran, dass er gut über Europa informiert ist.
Er scheint ein echter singapurianischer Patriot zu sein und lobt das Wohlfahrtssystem der Regierung.

„Es gibt keine Bettler hier: wird jemand bettelnd auf der Straße angetroffen, wird er zu seiner Familie gebracht, die ihn aufnehmen muss. Hat er keine Familie, so bekommt er ein 1-Zimmer-Appartment in einem Hochhaus und muss arbeiten. Deshalb haben wir keine Obdachlosen wie in anderen asiatischen Ländern.“
Ein paar Probleme, räumt Terri ein, gebe es mit Migranten aus den Nachbarstaaten, zum Beispiel aus Indien, Pakistan und Bangla Desh. Diese versuchten oft über die befristete Dauer ihrer Anwerbung hinaus im Lande zu bleiben. Auch nähmen sie es mit den Gesetzen nicht so genau, was gelegentlich Ärger gebe.

Insgesamt herrsche aber ein Klima der Toleranz im Lande: Chinesen, Inder, Malaien, Europäer seien gleichberechtigt und würden eine eigene Identität als Einwohner Singapurs besitzen.
(Diese Aussage von Terri hat wohl Allgemeingültigkeit, auch ich sah während unserer kurzen Zeit in Singapur keine Trennung und Argwohn zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen, die auch noch den unterschiedlichsten Religionen anhängen).

Auch die Korruption, so Terri weiter, spiele keine Rolle im Lande, da der Gründervater und langjährige Staatspräsident Lee Kuan Yew rigoros dagegen vorgegangen sei und nach einigen Säuberungen die Vorfälle von Korruption sehr gering gewesen seien.
Er schildert den Fall eines korrupten Staatsdieners, der sich aus Scham über den Gesichtsverlust nach Aufdeckung seiner Tat umgebracht hatte (Hierzulande würde so jemand in seine Talk-Show gehen, sich seiner Taten rühmen und noch Beifall erhalten!).

Wir kommen auf die Korruption bei öffentlichen Baumaßnahmen zu sprechen; in Deutschland häuften sich die Fälle, berichte ich.
Terri nickt; seine lebhaften Augen funkeln: in Singapur wollen wir, dass die besten Architekten und Bauleiter die wichtigen öffentlichen Baumaßnahmen durchführen: deshalb zahlen wir ihnen genau soviel wie sie auf dem freien Markt erhalten würden, eher noch mehr. Dann besteht kein Anreiz mehr, das Salär durch Schmiergelder aufzubessern und zu riskieren, bei den strengen Kontrollen aufzufliegen.
(Wäre schön, wenn auch die deutschen Finanzbeamten Einnahmen wie gut verdienende Steuerberater erhielten.)

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Nach angeregter Unterhaltung verabschieden wir uns von unseren Gastgebern und von Liza, die ihren Urlaub noch um ein paar Wochen verlängern wird, weil sie noch weitere Aufträge für Gardinen und Vorhänge von den Bekannten der Woodfords erhalten hat.
Terri bringt uns zurück zur Metrostation.

Auf der Rückfahrt lernen wir noch zwei hübsche Filipinas kennen, die Christian „really sweet“ finden. Weitere Vorkommnisse gibt es nicht zu berichten.
Kurz vor Mitternacht sind wir wieder im Hotel, träumen schon der Insel Bali entgegen.

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7. Juli 1999

Heute ist unser Abflug nach Bali!
Wir frühstücken zu zweit, um den Aufpreis für das Frühstück zu sparen und bringen Christian ein Croissant mit.
Schnell sind die Koffer gepackt; für 35 $ nehmen wir ein Taxi zum Flughafen.
Das letztemal fahren wir die Alleen mit den Regenwaldbäumen entlang, werfen einen Blick auf Wohntürme und die geschäftige City.
Es ist ein trüber Tag mit frischer Meeresluft.
Der Taxifahrer erzählt uns von seinen drei Kindern, zwei Mädchen und einem Jungen.
Er hat in einem der Wohntürme eine subventionierte Eigentumswohnung zum Preis von 150.000 Singapur - Dollar erworben; das Taxi zahlt er auch nach und nach ab.
Um 12.00 Uhr sind wir am Flughafen.
Wir müssen noch ein Weilchen warten. Ich will einen 10 DM - Schein tauschen für die Flughafengebühr; aber die strenge Dame am Schalter traut dem Geld nicht; es sieht ihr zu alt aus. Übrigens meinte das später in Bali auch der korrupte Polizist, der dann den verdächtigen Schein zähneknirschend nahm (der war zwar verknittert und vergilbt, aber wirklich echt!).
Während wir im Flughafengebäude warten, beäuge ich argwöhnisch die Koffer: wir kennen ja alle die Geschichten, bei denen arglose Reisende Drogen untergeschoben bekommen; mit Drogen beim singapurianischen oder malaysischen Zoll angetroffen zu werden, kann tödlich sein!
Aber keiner macht sich an unserem Gepäck zu schaffen, und wir bekommen auch keine geheimnisvollen Päckchen zugeschoben.

Im Buchladen, in dem ich gerne stöbere, erwerbe ich noch einen detaillierten Stadtplan von Manila, ein kleiner Versuch, in dem gesichtslosen Häusermeer der Metropole die Übersicht zu behalten.

Um 14.15 Uhr heben wir ab Richtung Denpasar, Bali.
Ich sitze neben einer jungen recht attraktiven Filipina, mit der ich dann ins Gespräch komme.
Sie heißt Faye und macht mit ihrer Freundin eine Woche Urlaub auf Bali, allerdings mehr im Zentrum der Insel.
Es stellt sich heraus, dass sie Ärztin ist und auch ein Projekt für die Squatter (Obdachlosen) betreut. Sie lebt und arbeitet in Quezon City, also in der Schwesterstadt Manilas, wo auch unsere Familie wohnt.
Wir wünschen uns gegenseitig einen schönen Urlaub, nice to have met you.

In der Zwischenzeit sind wir über Java und das Meer geflogen.
Da sehen wir unter uns schon die Berge Balis.

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Ein Gefühl von Heimkehr stellt sich ein: ich habe den ersten Besuch auf Bali in 1993 sehr genossen und halte die Insel trotz aller touristischen Nebeneffekte immer noch für ein kleines Paradies in dem so viel vereint ist: freundliche Menschen, Kunst, Kultur; Vulkane, Berge, Meer, Regenwald und Reisfelder; reiche Traditionen und eine lange, zuweilen tragische Geschichte.....

Die Insel ist in Sonnenlicht getaucht, das Meer schäumt mit kleinen weißen Kronen an das Ufer; die Rollbahn wächst heran; ein kurzer Ruck, und wir sind gelandet!

Der Flughafen ist im Süden der dreieckigen Insel, kurz vor der Landenge, die den großen Teil der Insel im Norden von der kleine Halbinsel Bukit im Süden trennt.

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Von Flughafen ist es nicht weit zu den Touristenzentren ganz in der Nähe: zum quirligen Kuta mit der Schwesterortschaft Legian, dem Mekka der Surfer und Discogänger, dem beschaulichen Sanur mit seiner ruhigen flachen Küste und dem mondänen Nusa Dua,.
Letzteres ist eine Art goldener Käfig für die betuchten überwiegend japanischen Touristen, die dort in Hotels der obersten Luxusklasse untergebracht sind, entfernt von dem eigentlichen Bali, wo aber Tourismusexperten ein künstliches Bali mit Tänzen, geschmackvollen Hotels, ausgewählten Gaumenfreuden und vielerlei Einkaufsmöglichkeiten geschaffen haben.

Während der Landung, punktgenau um 16.45 Uhr, erbricht sich Christian in die Kotztüte, die Romantik ist schnell verflogen.
Bei der Einreise gibt es keine Probleme

Im gleißenden Licht der Nachmittagssonne stehen wir dann mit unserem Gepäck vor dem Flughafen: wir müssen zum Candi Beach Hotel in Candi Dasa an der Ostküste; noch etwa zwei Stunden Fahrt liegen vor uns. Mir graut schon vor dem Feilschen um den Transferpreis; leider ließ sich der Hoteltransfer nicht buchen.
Momentan interessiert sich aber noch niemand für uns.
Nach kurzem Rundgang finde ich einen Schalter, an dem sich zentral alle Fahrtwünsche buchen lassen und wo Festpreise zu zahlen sind.
Das Taxi kostet 120.000 Rupiahs, das sind etwa 40 DM; der Kurs steht derzeit etwa bei 1 : 3000; es ist also für den Touristen einfach, Rupiah-Millionär zu werden.
Ein Jahr vorher war die Rupiah auf 1:8000 abgesackt, seitdem hat sie sich wieder leicht erholt; bei unserem letzten Besuch auf Bali in 1993 war der Kurs noch bei
1 :1200.
Unserer Fahrer ist nicht begeistert über den Auftrag; die Fahrt ist ihm zu weit; aber er muss den Auftrag annehmen, das Taxi gehört ihm nicht, wie er uns wissen lässt.
Wie fast alle Indonesier erzählt er von seinen Kindern und vom täglichen Existenzkampf und dass das Leben schwerer geworden sei.
Dies ist sicherlich zutreffend, denn nach dem Sturz des langjährigen Diktators Suharto befindet sich das Land im politischen Umbruch, und die von Suhartos Clan und dem Militär ausgesaugte Wirtschaft des Landes liegt darnieder.
Gerade jetzt waren die Präsidentschaftswahlen in Indonesien, und die wochenlang dauernde Auszählung der Stimmen ist während unseres Aufenthaltes auf Bali noch voll im Gange.
Fast ganz Bali wählt rot, wie wir an den an den Häusern flatternden Fähnchen erkennen können: das ist nicht die Farbe der streng verbotenen und unterdrückten kommunistischen Partei, sondern die PDI von Megawati Sukarnoputri.
Sie ist die Vorsitzende der wichtigsten Oppositionspartei PDI.
Ihr Charisma bei der Bevölkerung ruht nicht zuletzt daher, dass sie sich dem Erbe ihres Vaters, des ersten Staatspräsidenten und Gründers des indonesischen Staates, Sukarno, verpflichtet fühlt. Sukarno hatte seinerzeit in den 50er und 60er Jahren das
Inselreich regiert, ein schillernder Charakter mit Ehrgeiz, vielen Frauen und dem Hang zur Selbstdarstellung, mit Annäherung an die Bewegung der blockfreien Staa-

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ten und an die Volksrepublik China, was ihm das konservativ ausgerichtete Militär übelnahm.

Es kam schließlich zum Putsch, und General Suharto und seine ihm ergebenen Anhänger nahmen das Land in einen eisernen Würgegriff, nachdem sie zuerst ein Massaker unter der chinesischen Minderheit und allen vermeintlichen Kommunisten angerichtet hatten. 34 Jahre Diktatur folgten, und Suharto und seine Günstlinge teilten die Schätze des Landes unter sich auf.

Nun hat Megawati die Chance wie andere asiatische charismatische Töchter berühmter Politiker Asiens selber an die Macht zu kommen. Die hinduistischen Balinesen geben jedenfalls ihr den Vorzug und nicht der alten Staatspartei Golkar oder einer muslimischen Partei; sie selbst sind ja Hindus und fürchten sich vor einem islamistischen Staat.
Während wir ein friedliches Dorf nach dem anderen passieren, hoffe ich, dass es auf Bali keine Gemetzel und Unruhen wie noch in 1965 geben wird, wo sich ganze Dörfer gegeneinander erhoben...

Es sind weniger als 100 Kilometer bis Candi Dasa, aber auf den gewundenen Straßen mit dem dichten Verkehr von Bemos (Sammeltaxis), LKW`s und Mopeds wie Insektenschwärmen kommen wir nur langsam vorwärts; Hunde und Kinder retten sich oft in letzter Minute vor den vielen Fahrzeugen an den Straßenrand.
Unvermittelt sinkt die Dämmerung herab; da Bali ja knapp südlich des Äquators liegt, dauert die Dämmerung nicht lange, und es ist gleich stockdunkel.
Wir alle sind müde, die Fahrt scheint kein Ende zu nehmen. Plötzlich bremst unser Fahrer und biegt in einen holprigen Weg ein.
Wir sind schon auf dem ungeteerten stockdunklen Weg zum Hotel.
Nach etwa 200 Metern haben wir das Hotel erreicht, es leuchtet aus dem Dunkel auf, Komfort und Behaglichkeit suggerierend.
Wir entlassen den Fahrer mit einem guten Trinkgeld, was seine Miene aufhellt.
Wir kommen gar nicht dazu, unser Gepäck zu entladen; dienstbare Geister schleppen unsere Taschen und Koffer in die Lobby, wo uns ein Indonesier mit breitem Lächeln in verständlichem Deutsch begrüßt. Es ist kein Zufall, dass er Deutsch spricht, denn das Candi Beach Cottage wird besonders von Deutschen besucht, die mehr die Ruhe der Ostküste als den Trubel in Süd- und Zentralbali schätzen.

Wir haben Glück: wir ziehen nicht ins Haupthaus ein, sondern in einen kleinen schmucken Bungalow mit der Nummer 261.
Dort finden wir eine Orchidee und einen Obstteller vor.
Das Zimmer ist klein, aber sauber. Einen Fernseher gibt es auch; wir können neben dem indonesischen Fernsehen und ein paar Videofilmen auch das australische Fernsehen empfangen. Der Bungalow hat auch ein sauberes Bad und eine westliche Toilette, ein Komfort, den wir zu schätzen wissen.

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Christian und mich hält es nicht lange im Zimmer: wir laufen die paar Schritte bis zum großen palmenumsäumten Pool und stürzen uns ins kühle Nass, ha, das tut gut.
Auf dem Rücken plätschernd schweift mein Blick über die sich sanft wiegenden großen Palmen zum klaren südlichen Sternenhimmel.
Neben dem Pool befindet sich das Restaurant, und dahinter ruht schon dunkelblau glitzernd das Meer.
Die schemenhaft im Dunkeln zu erkennende große Insel muss Nusa Penida sein, ein Ort, den die Balinesen früher nicht so gern besuchten, weil sie glaubten, dass dort ein dämonischer Riese hauste.
Aber vom Riesen ist heute abend nichts zu sehen, ein paar bunt beleuchtete Schiffe bahnen sich ihren Weg von Padang Bai, einem nahegelegenen Hafen Richtung Insel Lombok, der weiter entfernten Schwesterinsel Balis.
An zwei steinernen Dämonenwächtern vorbei steigen wir eine Terrasse hoch, auf der sich viele Palmen wiegen.
In Liegestühlen lässt sich hier behaglich dösen, mit Blick aufs Meer und die Sterne, während der Nachtwind verführerisch fächelt.
Dies wird einer meiner Lieblingsplätze während der kommenden Tage sein!

Nach dem kurzen Bad, das nach der Hotelordnung nur bis 21 Uhr möglich ist, speisen wir im Hotel: es gibt für Irma Fisch, für Christian Spagetti Bolognaise (er misstraut dem asiatischen Essen), und ich probiere Rendang, ein Rindfleischgericht aus Sumatra.
Später werden wir feststellen, dass das Essen im Hotel von den kleinen privaten Nachbarrestaurants übertroffen wird und nur halb so viel kostet.
Aber das ist ja oft so!

Nach dem Essen verziehen wir uns müde in den Bungalow und räumen nur noch die nötigsten Sachen aus den Koffern.
Christian findet Platz im Zustellbett; noch ein bisschen Fernsehen, gute Nacht!

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8. Juli 1999

Um 8.30 Uhr stehen wir auf und freuen uns auf das von Corina in Deutschland schon ausführlich geschilderte üppige Frühstücksbüffet.
Im Restaurant hinter dem Pool ist alles schon vorbereitet.

Zu den Klängen silbriger Gamelanmusik drängen sich die Hotelgäste mit ihren Tellern an der Büffetausgabe.
Mich ziehen die gebratenen Speckstreifen, das gelb-samtene Rührei und die Brötchen an; auch leuchtend gelbe Papayas, Ananas und kleine süße Bananen sind eine vitaminreiche Ergänzung des Speisezettels, ebenso wie die frisch gepressten Fruchtsäfte.
Irma lädt sich gebratenen Reis und Nudeln auf den Teller; Indonesier und Filipinos haben keine Probleme damit, schon am frühen Morgen Deftiges zu verzehren.
Am Tisch wird uns Tee und der berühmt-berüchtigte balinesische Kaffe mit viel Kaffeesatz serviert.
Anders als andere Touristen mögen Irma und ich den herben Kaffee, der in seiner Zubereitung an türkischen Kaffee erinnert.
Während des Essens werfen wir einen Blick auf das blaue Meer, entdecken auch eine weitere kleine Insel, die mich von ihren Umrissen her an einen Pottwal erinnert.
Auch wenn die Balinesen das Meer als Wohnstatt gefährlicher Dämonen fürchten, wird mich dies nicht abhalten, ein paar Runden zu schwimmen, die See ruht glatt und friedlich in der Morgensonne.

Gesagt getan, auch Christian ist mit von der Partie, hält sich aber näher am Ufer.
Ich schwimme bis zu einer Buhne, weiter will ich nicht, denn alle Reiseführer warnen

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vor gefährlichen Strudeln beim Herausschwimmen vor Balis Küsten.
So ganz unterschätzen sollte man die Dämonen doch nicht!
Die Küste mit ihren Palmen, grünen Bergen und kleinen Dörfern wirkt friedlich; ein Gefühl von Entspannung und Frieden stellt sich ein.
Auch wenn der Strand von Candi Dasa wegen der großen, etwas hässlichen Wellenbrecher keinen besonders guten Ruf hat, finde ich die Szenerie malerisch, vor allem, weil der Strand nicht übervölkert ist und man seine Ruhe hat.

Von weitem sehe ich kleine Schiffe von Padang Bai aus zwischen Nusa Penida und Candi Dasa vorbeiziehen, wie schon gestern abend, als nur die Lichterketten zu erkennen waren.
Anschließend packen wir die Koffer aus.
Dann widme ich mich meiner Reiselektüre, dem Buch „Des Mohren letzter Seufzer“ von Salman Rushdie. Dessen Bücher schätze ich als kreative, philosophisch anregende Kost. Rushdie mit seinen halb real-, halb fantastischen Romangestalten ist einer der modernen Geschichtenerzähler des Orients, sicherlich ein Freidenker (deswegen wird er ja von den konservativen Mullahs gehasst), aber gerade nicht ein Mensch ohne Ethik. Seine Humanität und Toleranz spiegeln sich in seinen Werken wieder.
Den „Mohren“ lese ich im Original auf Englisch, um in Übung zu bleiben; außerdem dauert das Lesevergnügen dann länger.

Heute Mittag wollen wir mit dem hoteleigenen Shuttlebus in das etwa zwei Kilometer entfernte Dorf (das eigentliche Candi Dasa) fahren; aber leider verpassen wir den Bus.

So suchen wir uns erst einmal ein Restaurant für das Mittagessen.
Wir wollen diesmal außerhalb des Hotels unser Glück versuchen.
In der Straße, die am Hoteleingang vorbei in ein kleines schattiges Dorf führt, befinden sich gleich drei kleine Restaurants.
Wir steuern auf das Restaurant zu, wo an bunten Tischen schon mehrere Gäste sitzen.
Die kleine kräftige Wirtin heißt Nyoman.
Sie ist Mitte dreißig wie sie uns erzählt, wirkt aber älter.
Sie bewirtschaftet das Restaurant zusammen mit ihrem schnauzbärtigen Mann, der sich eher im Hintergrund hält und nicht so gesprächig ist wie die Küchenchefin.
Nyoman erzählt, dass sie klein angefangen habe und immer mal noch ein weiterer Tisch dazu gekommen sei.
Von den vielen Gästen hat sie ein bißchen Deutsch gelernt und ist gut zu verstehen. Sie ist eine kluge und tüchtige Frau mit schneller Auffassungsgabe, nie um einen Scherz verlegen.
Auch Corina und Peter können sich noch an sie erinnern, als sie vor vier Jahren hier oft gegessen haben, damals muss Nyoman allerdings spindeldürr gewesen sein.
Nun gut, das hat sich geändert; die Geschäfte sind anscheinend ganz gut gegangen!

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Allerdings klagt Nyoman, wegen der Wirtschaftskrise in Indonesien seien einige Touristen jetzt ausgeblieben.
Sie ist auch pro Megawati. Auf Suharto ist sie nicht gut zu sprechen: ihr Vater wurde in den Unruhen 1965 umgebracht, weil er in einem Dorf lebte, welches als prokommunistisch galt. Da alle Bewohner eines Dorfes wegen des Gruppendrucks auf Bali nur einer einheitlichen Richtung angehören durften, wurden damals ganze Dörfer massakriert!
Aber Nyoman hat gelernt, sich nicht von der Vergangenheit einnehmen zu lassen.
Sie denkt an ihre Zukunft und auch an die ihrer drei Kinder, die zwar noch klein sind, aber schon Handreichungen in der Küche leisten und auch den ein oder anderen Teller heraustragen.

Das Essen schmeckt sehr gut: Fisch für Irma, würziges Hühnchen für mich und Sate-Spießchen für Christian, bei den Spießchen weiß Christian ungefähr, woran er ist (isst!); er ist weiterhin sehr mißtrauisch bei aller fremden Kost, ein richtiger
„Spieß“bürger!

Nach dem guten Essen werfen wir noch einen Blick in Nyomans Laden neben dem Restaurant: sie verkauft nämlich auch Holzschnitzereien, Windspiele, Mobiles und andere kunsthandwerkliche Erzeugnisse, für die Bali so berühmt ist.

Ich will schon fast einen kleinen springenden Holzdelphin erwerben; aber Irma, die erfahrene Händlerin, zieht mich weg: „Es kommen noch genügend Geschäfte, nicht gleich kaufen.....“

Gesättigt ziehen wir von dannen.

Den nächsten Shuttlebus nach Candi Dasa um 16.00 Uhr erwischen wir.
Der Fahrer zieht uns gleich ins Gespräch und bietet uns Touren an, das ist ein wichtiges Zubrot für die Hotelangestellten: jeder versucht, den Touristen Leistungen anzubieten und sie möglichst nicht aus dem dichtmaschigen Flechtwerk ihrer Dienste und der der Verwandten und Freunde loszulassen; auch gegenseitige Konkurrenzkämpfe sind da zu beobachten.
Wir planen Dinge lieber unabhängig und auf eigenen Faust, wollen spätestens übermorgen selber einen eigenen Mietwagen buchen; aber für den Anfang ist auch eine geführte Tour vielleicht ein guter Einstieg.
So sagen wir unserem Fahrer zu, dass wir morgen gemeinsam mit ihm eine Besakih-Tour unternehmen.
Besakih : das ist die Mutter aller Tempel auf Bali; dort befinden sich am Fuße des 3.142 m hohen Vulkanes Gunung Agung die Tempel der wichtigsten Hindugötter Brahma, Vishnu und Shiwa sowie die Heiligtümer der bedeutendsten Familien Balis, eine Art Mekka der Balinesen.

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In 1993 sind wir noch nicht dagewesen und da Besakih sich in Ostbali befindet, bietet sich diese Tour an.
Die Tour soll 125.000 Rupiahs kosten, also ca. 40 DM.

Wir werden in der Ortsmitte abgesetzt.
Candi Dasa ist ein Ort, der sich mittlerweile auf den Tourismus als Haupteinnahmequelle eingestellt hat.
Es scheint hier beträchtliche Überkapazitäten zu geben, weil jeder ein Stück vom Tourismuskuchen haben will.
Wenn nun weniger Touristen kommen, beginnt ein großer Kampf um jeden Gast.
Wir müssen ständig die Angebote von „Transport, Transport“ abwehren.
Zahlreiche Restaurants locken mit Sonderangeboten und dem besten Blick; Hotels und Pensionen (Losmen) sind nicht ausgebucht, und StraßenhändlerInnen werben um Kundschaft.
Wir laufen, gehetzt von diensteifrigen Mopedfahrern, die uns nicht laufen sehen können, erst einmal die Hauptstraße entlang; werfen hier einen Blick in ein Textilgeschäft, dort stöbern wir in einem Laden mit Schnitzereien und anderen Kunstgegenständen, und bald haben wir das eine Ende Candi Dasas erreicht, wenden uns in die andere Richtung.
Einen schönen Ausblick bildet der dicht überwucherte Lotusteich in der Dorfmitte.
Jenseits des Teiches ist schon das Meer mit der “Walfischinsel“ zu erblicken.
Am Strand bilden bunt bemalte Auslegerboote einen Blickfang.
Gleich werden wir von herumlungernden Männern gefragt, ob wir ein Boot mieten wollen.
Dies wollen wir nicht und ziehen uns zurück.
Irma kauft bei einem fahrenden Händler gebratene süße Bananen zu einem Spottpreis, sie schmecken sehr gut, viel süßer als die großen Bananen, die in Deutschland auf den Markt gelangen.

Für einen recht überzogenen Preis kaufen wir in einem Supermarkt noch Schnorchel und Taucherbrillen sowie Postkarten.
Dann wird es eigentlich Zeit, dass uns der Shuttlebus wieder abholt; 18.00 Uhr am Ausstiegsplatz im Dorfzentrum war verabredet.

Wir warten. Die Dämmerung senkt sich herab. Dann wird es finster. Aber niemand kommt. Dafür werden wir von mehr und mehr Anbietern umlagert, die uns einen Transport aufdrängen wollen.
Aber zwingen lassen wir uns nicht.
Da wir uns über die Unzuverlässigkeit des Fahrers und den ständigen Ansturm der Mopedfahrer ärgern, nehmen wir schon aus Trotz kein Angebot entgegen.
Statt dessen laufen wir zurück zum Hotel.
Im Dorf selber gibt es noch genug Beleuchtung.
Das ändert sich, als wir den Ort hinter uns lassen.

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Wir können jetzt kaum noch etwas sehen, weil es keine Beleuchtung gibt; lediglich die vorbeirasenden Autos und Mopeds werfen einen kurzen Lichtstrahl auf die Straße.
Wichtig ist, ganz dicht am Wegesrand zu gehen, denn die rasenden Bemo- und Mopedfahrer bremsen weder für Einheimische noch für Touristen!

Es geht ganz gut, wir kommen voran; plötzlich scheint der Boden unter mir nachzugeben!
Schnell springe ich zurück, da war ein tiefes Loch im Bürgersteig, in das ich fast gefallen wäre; zum Glück bin ich als Wegtester vor Irma und Christian hergelaufen. Nächstes mal werden wir die Taschenlampen nicht vergessen!
Fast hätten wir die scharfe Abzweigung nach links zum Hotel nicht erkannt, denn dieser mit Schlaglöchern übersäte Weg ist auch nicht beleuchtet, zum Glück war das Schild wenigstens auffällig!

Wir gehen durch ein kleines Dorf; ein paar Jugendliche langweilen sich in einer Disco, in der nichts los ist.

Wir sind froh, als wir endlich im Foyer stehen.

Ohne es zu sehr auszuschlachten, tadele ich an der Rezeption den Umstand, dass uns niemand abgeholt hat; sie geloben Besserung; wie so oft in Asien war es ein Mißverständnis, naja...

Ich kühle mein Mütchen im Pool; auch Christian erfrischt sich im kühlen Nass, während Irma als Nichtschwimmerin keine Anstalten macht, uns ins Wasser zu folgen.

Jetzt haben wir genug Hunger, um bei Nyoman ausgiebig zu speisen:
es gibt Krabbensuppe, Hähnchen im Bananenblatt (für Irma), Gado-Gado, das Gemüsegericht und Sate (für mich) sowie Spagetti Bolognaise für Christian.
Zum Nachtisch gönnen wir uns gebackene Ananas und gebackene Banane.
Erstmals lasse ich mir auch eine große Flasche des kühlen Bintang-Bieres schmecken (Bintang heißt „Stern“).

In der lauen Abendluft, gut gesättigt und in Gesellschaft eines kühlen Bieres stellt sich Zufriedenheit schnell ein.
Auch ein Kätzchen und ein Hund erhalten ein paar Brosamen.
Schön, dass es nur ein paar Schritte zum Hotel und zum Bungalow sind!

Die Sterne leuchten wieder klar in dieser Nacht.-

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Juli 1999

Wieder lockt uns das leckere Frühstücksbüffet; es schmeckt auch heute vorzüglich.

Aber diesmal halten wir uns nicht so lange auf; es steigt ja unsere erste Tour!
Wir haben dem Fahrer die Unzuverlässigkeit verziehen; er war angeblich davon ausgegangen, dass wir auf andere Weise zurückfahren würden und entschuldigt sich für das „Missverständnis“.

Unser erster Halt ist nur ein paar Kilometer nach Candi Dasa am Rande der Küstenstraße.
Dort ist die Goa Lawah, eine heilige Höhle, in der es von Fledermäusen wimmelt.
Brahmanen beten vor der Höhle und benetzen die Gläubigen mit Wasser.
Die Fledermäuse hängen in dichten Trauben am Eingang der Höhle, in die kein Zutritt möglich ist.
Sie zirpen schrill; im Innern der Höhle muss es fürchterlich stinken.
Angeblich führt die Höhle kilometerweit unterirdisch bis zum Heiligtum Besakih am Fuße des Götterberges Gunung Agung.
Wir halten uns nicht so lang an der Goa Lawah auf, weil wir noch von der letzten Reise her wissen, dass Scharen von Kindern und Souvenirverkäuferinnen die Reisenden bedrängen, ihnen Halsketten aus Fledermauszähnen umhängen und dafür ein Entgelt einfordern.

Es ist nicht weit nach Besakih, vielleicht 50 km, aber die Fahrt zieht sich durch die Berge, und ein kleines Dorf nach dem anderen wird durchquert.
Das größte Dorf am Fuße des Mount Agung, unmittelbar in grünen saftigen Reisfeldern gelegen heißt Rendang.
Es fängt an zu regnen; die südliche Seite Balis ist ohnehin feuchter als der trockenere Norden, den nicht so viel Regen erreicht.

Fleißige Bauern arbeiten auf den Reisfeldern; dies ist Männersache.
Die Frauen kümmern sich um den Haushalt und handeln auf dem Markt.
Sie haben seit Jahrhunderten eine eigenständige Rolle und genug Selbstbewusstsein.
Die Bauern sind im Subak organisiert, dem Dorfverband. Ebenso wie es selbstverständlich ist, dass jeder Mann verheiratet ist - heutzutage schon aus Kostengründen meist nur mit einer Frau -ist es undenkbar, dass ein Bauer nicht dem Subak angehört. Der Subak regelt nach dem Konsensprinzip, wie die Felder bewässert werden. Über kunstvoll ausgeklügelte Kanäle rinnt das Wasser so zu Tal, dass auch für die unten gelegenen Felder noch genug Wasser ankommt.
Damit niemand übergangen wird, ist die Zusammenarbeit sehr wichtig und unerlässlich.

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Es gibt auf Bali bis zu drei Reisernten im Jahr, und wir sehen auf unserer Reise Reisfelder in jedem Stadium des Anbaus.
Mir gefällt besonders der Anblick des jungen grünen Reises im Wasser.

So malerisch die Felder auch wirken, die harte Plackerei dort ist nicht zu übersehen; sich stundenlang zu beugen und mit den Füßen im kalten Wasser zu stehen wäre nichts für unsere empfindlichen Rücken!

Ab und zu sehen wir Enten im Gänse(Enten!)-marsch zu den Feldern ziehen: sie werden in die Kanäle getrieben, um Ungeziefer zu vertilgen.
Auch Aale leben mitunter in den Bewässerungskanälen und stellen eine Bereicherung des Speiseplanes dar.
Immer wieder fallen auch die vielen Kinder auf, die auf der schmalen Dorfstraße herumrennen und uns neugierig nachstarren.

Unser Fahrer erzählt uns von seiner Familie, dem Lieblingsthema der Balinesen, vielleicht der Asiaten allgemein.
Er hat drei Kinder, darunter Zwillinge. Die Zwillinge sind Mädchen. Mädchen scheinen hier - im Gegensatz zu anderen asiatischen Ländern wie Indien, China oder Korea - nicht als nachteilig empfunden zu werden, im Gegensatz zu behinderten Kindern. Nach der hinduistischen Seelenwanderungslehre müssen Behinderte in ihrem früheren Leben gesündigt haben, sonst wären sie nicht mit diesem Makel behaftet ins nächste Leben innerhalb des ewigen Rades der Wiedergeburt angetreten.
Der Vater unseres Chauffeurs ist vor einem Monat gestorben. Er wurde nur provisorisch beerdigt. Es wird noch eine Weile dauern, bis der Sohn genug Geld gespart hat, um die Verbrennung der Leiche zu finanzieren. Die rituelle Verbrennung des Körpers (Kremation) ist ein großes Fest der Balinesen, bei dem nicht etwa Trauer, sondern Freude geäußert wird, weil der Geist des Toten nicht mehr herumirren muss, sondern von der sterblichen Hülle befreit wird und eins mit dem Universum werden kann.
Die Verbrennung findet je nach Kaste des Verstorbenen in verschiedenen Tieren nachgebauten Verbrennungstürmen statt. Die Brahmanen werden beispielsweise in einem Stier verbrannt; normale Bürger in einem Fisch; ob Steuereintreiber in einem Geier eingeäschert werden, entzieht sich meiner Kenntnis...

Wir kommen während unserer Reise nicht dazu, eine Verbrennung zu beobachten; ich war auch nicht so wild darauf, weil es zum einen ein privater Vorgang ist, bei dem ich mir vorstelle, dass die Dorfbevölkerung filmende spitznasige Gaffer als lästig empfinden wird; zum anderen bin ich nicht erpicht darauf, verbrennende Leichen zu sehen...

Endlich sind wir in Besakih, einem kleinen Dorf mit den heiligsten Tempeln am Hang des 3.142m hohen Gunung Agung angelangt.
Die Tempel liegen in etwa 1.000 Metern Höhe.

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Alle adligen Familien haben Tempel auf Besakih. Der berühmteste Tempel ist der Pura Besakih. Die Tempel sind hinduistischen Gottheiten wie Schiwa, Vishnu und Brahma geweiht. Dazu kommt Sanghyang Vidi, ein alles umfassender Schöpfergott, der nur auf Bali bekannt ist und nicht der indischen Tradition entspringt.

Unsere Freunde Bernd und Dorothy hatten bei ihrem Bali-Besuch im März das Glück gehabt, das jährliche Odalanfest (Tempelfest) in Besakih zu sehen.

Außer dem jährlichen Tempelgeburtstag wird im Pura Besakih alle hundert Jahre das wichtigste Fest der Insel Bali, das Eka-Dasa-Rudra - Fest gefeiert.
Dieses Jahrhundertfest wurde zuletzt 1979 begangen und damit außerhalb des gewohnten Rhythmus’.
Dies hatte einen gewichtigen Grund: während der Vorbereitungen zum eigentlichen Termin im Jahre 1963 brach der Vulkan Gunung Agung aus, den man bis dahin für erloschen gehalten hatte.

Die tagelangen schweren Eruptionen forderten mehr als 2.500 Menschenleben und vernichteten zahlreiche Dörfer in der Umgebung.
So wurde das Eka-Dasa-Rudra - Fest erst 1979 nachgeholt.

Wir halten am Parkplatz und verabreden, dass wir uns 1½ Stunden später wieder treffen wollen.

Besonders heilig finden wir die Atmosphäre nicht.
Zunächst kommen wir an Verkaufsbuden vorbei, während wir den Berg zum eigentli-

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chen Eingang des Tempelbezirkes hochschreiten.
Unwillkürlich beschleunigen wir schon jetzt unseren Schritt, denn aus allen Ecken strömen selbsternannte Führer herbei, die kaum abzuschütteln sind.
Corina hatte mir vorher geraten, bald mit einem Führer handelseinig zu werden, um die anderen loszuwerden; denn ganz ohne Führer kommt man unbelästigt nicht den Berg hoch.
Aber uns nerven die aufdringlichen Angebote so, dass wir spontan beschließen, den Tempel nicht zu besuchen.
Wir hätten lieber eine Gebühr entrichtet und die Tempel dann in Ruhe besichtigt, ohne einen plappernden Führer erdulden zu müssen, auch wenn letztlich zu verstehen ist, dass die Leute jede Chance zum Geldverdienen nützen wollen und müssen wenn scheinbar unermesslich reiche Touristen eintreffen.
Aber wenn wir schon abgezockt werden sollen, dann lieber auf raffinierte und nicht auf plumpe Weise, ein bisschen Stil muss schon sein!

So kehren wir dem Tempel den Rücken und beginnen an den Verkaufsständen auf höchst weltliche Weise zu feilschen, wobei Irma als Asiatin wesentlich geschickter agiert.
Am Anfang zahlen wir ohnehin überhöhte Preise, auch wenn sie absolut gesehen immer noch günstig sind.
Beispielsweise zahlen wir für das erste geschnitzte Schachspiel einen deutlich höheren Preis als für das zweite, schönere, das wir am übernächsten Stand erwerben.
Wir finden auch einen kunstvoll geschnitzten Garuda aus hellbraunem Holz, der einen Platz neben unserer Wohnungseingangstür finden wird. (Der Garuda ist das magische drachenköpfige geflügelte Reittier des indischen Gottes Vishnu und seiner Gefährtin Lakshmi. Von ihm hat die staatliche Indonesische Fluggesellschaft ihren Namen.)
Christian drängt darauf, einen malaiischen Dolch zu erwerben. Der kleine Kris, den wir dann finden, hat vermutlich keine Zauberkräfte, sonst wäre er nicht einigermaßen erschwinglich gewesen. Den echten geweihten Dolchen (Kris) werden magische Kräfte zugesprochen, und sie dürfen auch nicht aus der Hand des Besitzers gegeben werden.
Wir kaufen für ein paar Mark auch bunte Mobiles - meist schweben da kleine bunte Fische im Kreise - und finden auch ein paar T-Shirts. Leider ist die Suche nach originellen künstlerischen Motiven schwierig, grell-bunte Dutzendware hat auch auf dem heiligen Tempelberg Einzug gehalten!

Wir müssen uns bei all den vielen Angeboten beeilen, rechtzeitig auf dem Parkplatz zu sein.
Die Rückfahrt führt uns wieder über grüne Hügel, Wälder und Reisfelder.
Es wird Zeit für das Mittagessen.
Unser Fahrer erzählt uns, dass er ein gutes Restaurant kenne.
Wir bitten ihn, in einen preiswerten Gasthof zu fahren.

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Prompt fährt er uns aber zu einem recht exklusiven Restaurant. Es ist in schöner Umgebung mit herrlichem Blick auf die grünen Berge gelegen.
Allerdings fällt auf, dass außer ein paar Franzosen kaum Gäste dort sind.
Hier wird es wohl teurer als geplant.
Mein Plan, in dem Falle nur ein einfaches Gemüsegericht (Gado-Gado) zu essen, wird durchkreuzt, denn es gibt nur Buffet.
Nachdem wir die schöne Aussicht genossen und tanzende Libellen beobachtet haben, schlendern wir zum Büffet.
Das Essen ist leider nur lauwarm, für hiesige Verhältnisse ziemlich teuer und schmeckt längst nicht so gut wie bei Nyoman, bei der wir gestern so köstlich gespeist haben.

Wir zahlen mit Kreditkarte, und Christian macht mich nervös, weil er felsenfest davon überzeugt ist, dass die Kreditkarte in einem Kästchen heimlich kopiert wurde und nun unser Konto geplündert wird. Ich bin für die Geschichte nicht ganz unempfänglich, weil mir meine Freunde vorher von den Hongkong-Triaden erzählt haben, die sich solcher Mittel bedienen.

Aber nach Rückkehr stellen wir in Deutschland fest, dass die großen Löcher, die wir ins Konto gerissen haben, ausschließlich durch uns selbst verursacht sind, wenigstens ein Trost, wenn das Konto schon geplündert ist!

Da der Chauffeur uns nach dem Sitzenlassen gestern Abend in Candi Dasa mit seinem teuren Restaurant schon das zweitemal enttäuscht hat, werden wir künftig nicht mehr auf seine Dienste zurückgreifen und schon morgen einen Leihwagen mieten.
Es macht einfach mehr Spass, auf eigene Faust loszufahren und keinerlei Diskussionen über Restaurants, Wege und Besichtigungen zu haben!

Auf dem Rückweg stellen wir fest, dass die Polizei gerne ausländische Touristen mit Leihwagen kontrolliert; wird der Internationale Führerschein nicht mitgeführt, dann kostet es Strafe; 1993 wurde danach noch nicht gefragt.

Wir halten noch in der Provinzstadt Klung-Kung (17.000 Einwohner).
Mir gefällt das mythologische steinerne Standbild an der Straßenkreuzung in der Stadtmitte. Überall prägen fantasievolle Krieger, Monster und Streitwagen, die meisten Motive dem indischen Ramayana-Götter-Epos entnommen, die Straßenkreuzungen und Ortsausgänge.
Aber das Ziel des Stopps ist die Kerta Gosa, eine alte Gerichtshalle aus dem 18. Jahrhundert.
Sie liegt in einer kleinen Parkanlage in einem künstlichen überwucherten Teich.
Die Gerichtshalle ist im Innern mit Motiven aus dem balinesischen Paradies und diversen hinduistischen Höllen bemalt; der Verurteilte bekam zu sehen, was ihn im jenseits für seine bösen Taten erwartete: von bösen Monstern gefressen zu werden, von Pfeilen durchbohrt sengen ihn höllische Feuerflammen, Tiger reißen an ihm,

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vermutlich keift ihm seine Schwiegermutter die Ohren voll usw. usw.
Interessant ist, dass sich die Menschen aller Kulturen die Höllenstrafen viel besser ausdenken können als die Freuden der Paradiese; dies passt zur Wirklichkeit, in der die Menschen für ihresgleichen auch mehr Höllen als Paradiese geschaffen haben!

Ich verlasse die Gerichtshalle aber als freier Mann und freue mich in Gedanken schon auf den Pool und das anschließende gute Abendessen bei Nyoman, wenigsten ein bisschen Paradies hält auch unser irdisches Dasein parat!
Wir kommen noch nachmittags vor Sonnenuntergang im Hotel an, und da noch Zeit ist, schwimme ich zunächst im warmen Meer.
Der Schnorchel und die Taucherbrille werden ausprobiert: ich sehe allerdings nur zwei silbrige Fische und etwas, was ich für eine Seeschlange halte; ich will es lieber nicht so genau sehen, sondern halte respektvoll Abstand.

Das Baden wird im Hotelpool mit Christian zusammen fortgesetzt.
Bevor wir zum Essen gehen, schauen wir uns im Zimmer noch ein Video mit einem balinesischen Barong-Tanz an, der den unentschieden ausgehenden Widerstreit des guten Prinzips, verkörpert durch das Fabeltier Barong und des bösen Prinzips, verkörpert durch die Hexe Rangda, zum Inhalt hat..
Corina erzählte, dass im Hotel an bestimmten Abenden auch balinesische Tänze
aufgeführt werden, aber leider finden während unseres Aufenthaltes gerade keine Veranstaltungen statt.

Abends gegen halb Acht sitzen wir dann frisch geduscht wieder im Gartenlokal von Nyoman.
Diesmal genießen wir Pfannkuchen (Erinnerung an die Holländer!), Nasi Goreng (gebratenen Reis) und Sate -Spießchen.
Ich trinke drei kleine Bintang-Biere, die in der Abendwärme besonders erfrischend sind.

Wir lernen einen netten älteren Herrn kennen.
Er stammt aus dem bayrischen Straubing, ist etwa 60 Jahre alt, war Sachgebietsleiter in der Kommunalverwaltung und ist bereits pensioniert nach einem Verkehrsunfall, bei dem sein Bein dauerhaft beschädigt wurde.

Er hat das beste aus seiner Situation gemacht und fährt im Jahr dreimal nach Bali, bleibt im ganzen Jahr insgesamt 16 Wochen auf seiner Trauminsel.
Auf dem Grundstück von Nyoman hat er sich einen kleinen Bungalow errichtet und scheint ein guter Freund der Familie zu sein.

Seine deutsche Ehefrau im heimischen Straubing arbeitet noch als Apothekerin und wird im Urlaub dann nachkommen; so lässt es sich leben!
Gegen 22.30 Uhr kehren wir gesättigt zum Bungalow zurück.
Das Kreuz des Südens steht am klaren schwarzen Abendhimmel.-

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Juli 1999

Heute wollen wir ein Auto mieten, um unabhängig zu sein und Bali auf eigene Faust zu erkunden.

Wir lassen uns am Frühstücksbüffet Brot, Schinken, Rührei und Früchte munden.
Mit einem der Hotelangestellten komme ich noch einmal ins Gespräch wegen meiner geplanten Bergtour zum Gunung Agung.
Er stellt mir seinen Freund vor, der ein Auto hat und anbietet, mich für 300.000 Rupiahs nachts zum Gunung Agung zu fahren und mit mir den Vulkan zu erklimmen.
Die Besteigung wird nämlich nachts unternommen, damit man im Morgengrauen den Sonnenaufgang am Kraterrand erleben kann; dies ist so ziemlich die einzige Zeit des Tages, während der keine Wolkendecke den Blick auf die Insel verhüllt.

300 000 Rupien (etwa 100 DM) sind für balinesische Verhältnisse ein stolzer Preis, und Irma ist dafür, noch in Candi Dasa mit anderen Bergführern zu verhandeln.
Aber ich will möglichst ohne langes Feilschen die Bergtour festmachen und sage zu, allerdings mit dem Hinweis, dass ich nicht bereit bin, darüber hinaus noch weitere Ausgaben zu erstatten.

Die Tour soll sowieso erst gegen Ende unseres Bali-Aufenthaltes - als Höhepunkt der Reise - stattfinden.
Irma und Christian wollen nicht mitkommen, es wäre wohl auch zu anstrengend für die beiden.

Wir verzichten diesmal auf den Shuttlebus und wandern zur Ortschaft Candi Dasa.
Es ist nicht so unangenehm wie unser nächtlicher Irrweg von gestern; wichtig ist nur, sich möglichst nah am Straßenrand zu bewegen.

Wir lösen im Ort zwei Reiseschecks zu je 100 $ ein und suchen dann einen Autovermieter.
Wir werden auch schnell fündig und mieten für 55.000 Rupiahs (ca. 18 DM ) am Tag einen kleinen weißen Suzuki, der mich an einen R 4 erinnert.
Schön, dass wir noch den Preis von 65.000 auf 55.000 herunterhandeln konnten!.
Als Mietdauer haben wir fünf Tage veranschlagt, dass muss reichen, denn wir wollen ja nicht nur herumfahren, sondern auch ein bißchen faulenzen.

Wir vergewissern uns, dass die Autopapiere komplett sind, denn die Polizei kontrolliert stärker als vor sieben Jahren, und formelle Fehler sind für die Polizei ein gefundener Anlass zum Kassieren!
Deshalb habe ich mir vor Reiseantritt auch den hier benötigten internationalen Führerschein ausstellen lassen.

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Unsere erste Fahrt soll uns zur Ostküste führen.
Nicht das Linksfahrgebot vergessen! Hoppla, gleich nach dem Ortsende geht es in Serpentinen steil bergauf, wie war das nochmal mit den Gängen, und könnte dieser LKW nicht auf seiner Spur bleiben, und ein Moped jagt das andere... ich gerate während der ersten Momente ziemlich ins Schwitzen, was nicht nur an der tropischen Wärme liegt.

Aber nachdem wir die Serpentinen erfolgreich bezwungen haben und an grünen Reisfeldern vorbei leicht bergan fahren, gehorcht mir das Auto schon besser, und es macht Spass, sein eigener Herr im Auto zu sein.

Die erste größere Stadt, in die wir einfahren, ist die Provinzhauptstadt Amlapura, Hauptstadt des Bezirkes Karangasem, die am Fuße des Gunung Agung liegt, der den gesamten Osten Balis dominiert.

Amlapura wirkt gepflegt, und viele grüne Bäume erfreuen das Auge.
Wir tanken zum erstenmal; das Benzin ist spottbillig.

Irgendwo müsste etwas außerhalb der Stadt die herrschaftliche Badeanlage Tirthaganga (Wasser des Ganges) liegen, die man vor einigen Jahren zu einem jedermann zugänglichen Freibad umgestaltet hat.
Unser Freund Bernd hatte mir Fotos gezeigt, auf der mir die fantasievollen Wasserspeier gut gefallen hatten.
Aber irgendwie finden wir Tirthaganga nicht, und es zieht uns auch mehr zur Küste, wo wir im Meer baden wollen.

Nachdem wir noch einige Steigungen überwunden und malerische Dörfer passiert haben, öffnen sich plötzlich die Berge und wir genießen einen wunderschönen Aus-

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blick auf ein Tal mit Reisfeldern, und weit hinten schimmert das blaue Meer.
Wir haben die Ostküste erreicht!

In langen Schleifen geht es ins Tal, bis wir auf die Küstenstraße gelangen und bei dem Dorf Ujung nach links, also nach Norden, abbiegen.
Mal sehen, wie weit wir kommen!

Es ist jetzt ziemlich heiß, und das Land wirkt trockener als die Gegend um Candi Dasa.
Rechts ruht das Meer friedlich, von den bekannten gefährlichen Strömungen ist jetzt nichts zu erahnen.

Links thront der majestätische Götterberg Gunung Agung, und in der Mitte windet sich die Straße durch weniger werdende Dörfer in einer staubigen Landschaft.
Einen Badestrand entdecken wir nicht.

Wir fahren etwa 50 Kilometer am Meer entlang, wofür wir gut eine Stunde benötigen.
Die Gegend wird zusehends einsamer.

Nach dem Gunung Agung erhebt sich links nach einiger Zeit der zweite große Vulkan, der Mount Batur, der aber „nur“ knapp 1.800 Meter hoch ist.

Irma und Christian erheben jetzt ihre Stimme und drängen auf Umkehr.
Es macht auch tatsächlich keinen großen Sinn weiterzufahren, denn bis zur Nordküste ist es zu weit, und in der letzten halben Stunde hat sich die Landschaft nicht groß verändert.

So fahren wir wieder zurück nach Ujung.
Während Irma im Dorf etwas zu trinken kaufen will, wandern Christian und ich ein paar hundert Meter zum menschenleeren schwarzen Strand.
Hier kann man doch baden, auch wenn wir keine bunten Fische sehen.
Grandios ist aber der Blick zum wolkenverhangenen Gunung Agung, und das Wasser ist frisch, aber nicht kalt.
Nach einer halben Stunde haben wir uns genug erfrischt und treten die Rückkehr zum Auto an.

Wir finden Irma an einem Marktstand; sie hat Wasser gekauft und ist mit ein paar Dorfbewohnern ins Gespräch gekommen.
Wegen ihres Aussehens wird sie so gut wie immer für eine (reiche) Indonesierin gehalten und muss sich dann verständlich machen, dass sie weder von Java noch von Bali, sondern von den Philippinen kommt.

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Ein paar Grundwörter wie „teuer“, „Ziege“ , „müde“ , Kind“, „fünf“ usw. lauten auf Tagalog und Bahasa Indonesia gleich bzw. ähnlich.
Dies ist kein Wunder, denn die Inseln trieben seit jeher Handel miteinander, und die Entfernungen sind für die Schiffe kein großes Hindernis gewesen.
Für den Europäer ist es angenehm, dass die Indonesier ebenso wie die Filipinos die uns vertrauten lateinischen Schriftzeichen benutzen, was in Thailand, Japan oder China bekanntlich anders ist.

Irma kann sich jedenfalls in Indonesien auch ohne Englisch verständlich machen.

Ein junger Mann stellt sich uns auf Englisch vor: er heißt „Made“, ein häufiger Name.
Er ist Lehrer und freut sich über die seltene Gelegenheit, seine Englischkenntnisse auszuprobieren.

Er führt uns zu seinem kleinen Haus mit Gärtchen. Gemeinsam mit seinen Eltern, seiner zierlichen Frau und den beiden Kindern posieren wir für ein Erinnerungsfoto, das wir ihm nach unserer Rückkehr zusenden.
Rührend ist, dass er aus einem Fotoalbum ein Bild herauslöst und uns als Erinnerung mitgibt.
Irma meint zu recht, dass hier auf dem Land noch wahre Gastfreundschaft herrscht, die in den Städten mancherorts dem Geschäftssinn gewichen ist, wofür ich allerdings wegen des niedrigen Lebensstandards der Indonesier ein gewisses Verständnis habe.

Bei der Anfahrt erleben wir noch ein paar Schrecksekunden, denn ich bleibe zunächst auf der rechten Seite, bis uns ein Fahrzeug entgegenkommt und ich den Irrtum bemerke.

Die Rückfahrt führt uns wieder durch die Berge und über Amlapura zurück nach Candi Dasa.
Wir suchen das Schwimmbad nicht mehr, denn auch der Hotelpool lockt.

Dort erfrischen wir uns, und ich stelle fest, dass ich mir einen leichten Sonnenbrand zugezogen habe.
Christian ist wegen seines asiatischen Erbes viel resistenter gegen die Sonneneinstrahlung, wird schnell tiefbraun und bekommt keinen Sonnenbrand.

Ich wage mich noch einmal ins Meer hinaus und merke, dass die Strömungen nicht zu unterschätzen sind.
Wunderschön ist der Blick vom Meer aus auf die grünen Berge Balis.
Noch ein bißchen ausruhen und lesen, dann meldet sich der Magen, und die Vorfreude auf das Abendessen kommt auf.
Es ist gegen halb sechs, und unsere Wahl fällt wieder auf Nyoman`s Restaurant.
Ihr Essen hat auch bei den anderen Hotelgästen den größten Zulauf.

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Da wir mittags nichts gegessen haben, bestelle ich mir zwei Gänge: zunächst Gado-Gado, ein vegetarisches kaltes Gericht mit Kohl, Sojasprossen und anderem Gemüse, worüber dann eine leckere scharfwürzige Erdnußsauce gegossen wird.
Der zweite Gang ist Hähnchenfleisch mit Chili; ich hab`s gerne scharf.
Diesmal nehme ich zum Löschen eine Flasche Bintang-Bier der größeren Version.

Kurz vor neun Uhr stürzt sich Christian kurz vor offiziellem Badeschluss nochmals in den Pool; er überredet mich, es ihm gleich zu tun, und so schwimmen wir noch ein paar Runden, den sternenklaren Himmel über uns.

Dann sitzen wir alle noch ein bißchen im Liegestuhl oberhalb des Strandes und genießen den warmen Nachtwind, das Plätschern des Meeres und den samten Himmel mit den verschiedenen Sternbildern des Südens.

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Juli 1999

Heute wollen wir zum Reptilien- und zum Vogelpark in der Nähe von Ubud.
Bei unserem letzten Aufenthalt in Ubud vor sieben Jahren existierte dieser Park noch nicht, den wir jetzt auf Empfehlung meines Kollegen Karl-Heinz aufsuchen.

Ein vergleichbarer Vogelpark des gleichen Eigentümers befindet sich bei Walsrode in Niedersachsen.

Um 9.00 Uhr morgens fahren wir los.
Es sind zwar nur 80 km zurückzulegen, aber wir kommen nur mit einem Schnitt von maximal 40 Kilometern in der Stunde vorwärts.

Es handelt sich bei der Straße nach Westen um eine kurvenreiche Landstraße, die sich über Berg und Tal schlängelt.
Zahlreiche Ortschaften sind zu passieren, was das Vorwärtskommen zusätzlich erschwert.
Auch fahrerisch ist die Strecke ein Härtetest. Dies liegt weniger am Linksverkehr als vielmehr an der Armada von flitzenden Mopeds, dem Hauptfortbewegungsmittel des normalen Balinesen. Auf fast jedem Moped findet noch eine Beifahrerin, die bessere Hälfte und meist noch ein Flechtkorb mit Handelsgütern Platz.
Die Mopeds schießen aus unberechenbaren Stellen hervor, treten meist im Rudel auf.

Nicht so unberechenbar, aber lästig mit ihren Qualmwolken und der Blockierung der Fahrbahn sind die schnaufenden Uralt-LKW`s, die in Deutschland keine Abgasuntersuchung überstehen würden.
Bei den Härtefällen war vor Abgasen manchmal kaum noch was zu erkennen.

Da es keine Bürgersteige gibt, muss auch immer wieder mit Kindern, Alten, Katzen, Enten, Hühnern und Hunden gerechnet werden, die auf die Fahrbahn stürzen.
Ein toter Hund, hingestreckt auf der Fahrbahn, war ein trauriges Merkmal hündischer Ignoranz und balinesischer Raserei.

Zum Glück haben wir in unserem Urlaub weder Mensch noch Tier Schaden zugefügt; Langsam fahren war immer oberstes Gebot.-

Zuerst passieren wir die sattsam bekannte Fledermaushöhle ohne anzuhalten.
Die nächst größere Stadt ist Klungkung mit der Kerta Gosa und steinernen Fabelwesen auf den größeren Straßenkreuzungen.
Vorher überqueren wir eine breiten Fluss, auf dem auch Rafting möglich sein soll.

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Auf der Weiterfahrt fällt mir ein riesiges in den Fels gehauenes Elefantenstandbild auf; das im Süden Balis noch von einem auf der Straßenkreuzung thronenden steinernen Riesenbaby übertroffen wird.

Wir verlassen die Provinz Klungkung und sind jetzt in der Provinz Gyanyar, aus der etliche balinesische Könige stammten.

Die nächste geschäftige Stadt, die wie die Provinz Gyanyar heißt und in der etwa 30.000 Einwohner leben, ist heute nicht mehr so prächtig wie in ihrer Blütezeit im 17. und 18. Jahrhundert.
Wir sind froh, als wir sie hinter uns haben.
Jetzt ist es nicht mehr so weit bis Ubud.
Die Straße steigt an. Mopeds, Menschen, Trucks und wieder Mopeds.---

Der Vogelpark liegt etwas außerhalb von Ubud in Singapadu.
Nachdem wir uns durchgefragt haben, sind wir schon da.

Der Eintritt ist leider für den Reptilien- und den Vogelpark jeweils extra zu bezahlen und mit umgerechnet 20,- DM pro Park nicht billig, insbesondere nicht für balinesische Verhältnisse.
Aber besucht werden die Gehege fast ausschließlich von Touristen, und wir haben den Eindruck, dass die Tiere artgerecht untergebracht sind, im Gegensatz zu den jämmerlichen Bedingungen in den üblichen asiatischen Zoos.

Auf Christians Drängen und zu Irmas Abscheu besuchen wir zuerst den Reptilienpark.
Schlangen räkeln sich hinter Glas.
Auf einer grünen Wiese tummeln sich Warane und andere Echsen zum anfassen.

Christian hat im Gegensatz zu seiner Mutter keine Berührungsängste und lädt sich eine grüne Echse auf, die still hält und ganz friedlich bleibt.
Ich wage es mit einem noch schwereren Waran; es könnte ein Bindenwaran sein.
Der Schwanz der Echse ringelt sich bis zum Boden, als ich sie auf den Arm nehme. Sie fühlt sich weich und kühl an; es ist ein angenehmes Gefühl.
Die gefährlichen Echsen in Gestalt mehrerer großer Komodowarane befinden sich allerdings hinter Glas. Sie sind bis zu drei Metern lang, erinnern an Dinosaurier und
sind nicht ganz ungefährlich.
Sie leben wild noch auf der Insel Komodo sowie auf der Insel Flores.

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Sie ernähren sich von Hirschen und anderen größeren Tieren.
Sobald die Beute gebissen ist, infiziert sie sich mit dem giftigen Speichel der Reptilien und sinkt irgendwann entkräftet zu Boden. Dann ist die Echse schon in der Nähe und vollendet ihr Werk.

Eine Kobra hinter Glas stürzt sich auf Christian, als er sie in geringem Abstand durch die Scheibe fixiert.
Ihre Stirn ist schon blutig, anscheinend lernt sie nicht, dass das Glas als Barriere wirkt.

Eine kleinere Echse mit Hornplatten auf dem Schädel erinnert uns an den Pachycephalosaurus, Christians Lieblingssaurier aus der Zeit, als er sich noch für die Urzeitwesen interessierte.

Anschließend statten wir noch dem Vogelpark unseren Besuch ab.
Hier gefällt es Irma besser, während wir Männer die Reptilien spektakulärer fanden.

Am Anfang thront ein großer weißer Kakadu auf einer Stange und krächzt.
Bunte Aras erfreuen das Auge.
Grüne und rote Sittiche und Papageien werden den Besuchern auf die Schultern gesetzt, damit Erinnerungsfotos geschossen werden können, die anschließend gegen Extraentgelt zu kaufen sind.

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Christian wird ein großer grauer Kakadu auf die Schulter platziert.
Unser Sohn findet den Vogel zunächst spaßig; aber der Spass vergeht ihm, als der Vogel mit seinem Riesenschnabel an seiner Kappe herumknabbert und nicht mehr davon ablassen will.
Das Ungetüm wird schleunigst entfernt, zu Schaden kommen aber weder Kind noch Vogel.

Drollig wirkt auch ein Kasuar, ein australischer Laufvogel, der - angestachelt von den Zuschauern - schlecht gelaunt wilde Sprünge vollführt, woraus Christian schließt, dass der flugunfähige Geselle Kickboxen betreibt.

Mehr von Ästhetik geprägt ist der Auftritt der Pfaue, der Kronenkraniche und der bunten Regenwaldvögel.

Interessant ist auch ein Regenwaldbiotop, das auf einer schmalen Hängebrücke
überquert wird. Einer der Bäume hat große, nach Vanille duftende Früchte.
Auch ein interessantes Gebäude, nämlich ein mit seinem geschwungenen Dach an ein Schiff erinnerndes, reich verziertes indonesisches Holzhaus steht auf dem Gelände, vermutlich ein Haus der Batak auf Sumatra.

Zufrieden und von Eindrücken spirituell gesättigt verlassen wir nach knapp zwei Stunden die beiden Tierparks und wollen in Ubud etwas essen.

Es geht auf und ab, die Straße wird immer enger und ist mit Schlaglöchern übersät.
Die Orientierung haben wir schon verloren.
Auf einmal kommen uns aber die Häuser merkwürdig vertraut vor: in dieser Gegend haben wir vor sieben Jahren für eine Woche gewohnt!

Wir halten an beim Agung Raka, der Hotelanlage, die damals unser Domizil war. Hier hat sich noch nicht viel verändert; im Gegensatz zum mittlerweile ausgebauten Nachbarhotel, wo wir uns seinerzeit mit den Kellnern angefreundet hatten.
Nachdem ich gefragt habe, ist es uns gestattet, das Agung Raka mit seinen kleinen Holzbungalows zu betreten.

Dort haben wir auf der Veranda gesessen und so manche süße Frucht verzehrt.
Und dort ist das Schwimmbecken mit den kleinen wasserspeienden Elefanten!
Der Blick schweift über die weiten grünen Reisfelder, die sich im Dunst verlieren.

Wir verabschieden uns mit ein bißchen Wehmut und fahren weiter in die eigentliche Ortschaft Ubud.
Wir parken unseren Suzuki in einer Seitenstraße und bummeln durch kleine Läden.

Schnitzereien, Tücher, bunte Mobiles, Schachspiele, Handtaschen, Tücher, bunte Gemälde, Barongfiguren, Wandbehänge: alles paradiert vorbei und wird angepriesen.

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Gegenüber früher scheint sich mehr Massenware breit zu machen. Aber die wirklichen Kunstgegenstände und Kunstgalerien findet man meist abseits vom Touristenstrom.

Wir erwerben mit einem bißchen Feilschen ein paar Fisch- und Schmetterlingsmobiles, die wir als Mitbringsel für Familien mit Kindern vorgesehen haben.

Gegen 14 Uhr essen wir in einem kleinen Lokal. Christian freut sich wieder über Spagetti Bolognaise, während wir das Hühnergericht für nicht außergewöhnlich halten.

Nach zwei Eistees trotten wir die Straße weiter.
Auf einem Fußballfeld findet zu Scorpion-Musik der Kampf ums runde Leder statt, man glaubt sich nach Europa zurückversetzt.
Nach links zweigt die Monkey Forest Road mit ihren vielen Läden und Restaurants ab. Globetrotter walzen in Sandalen und mit bunten Tüchern drapiert auf ihr in Richtung Affenwäldchen. Richtig: dort warten graue Äffchen auf Leckerbissen spendierfreudiger Reisender.
Es gibt noch mehrere andere Affenwäldchen auf Bali. Bei Sangeh, nicht weit von hier, sollen die Affen am aggressivsten sein.

Uns nähern sich die kleinen grauen Gesellen, ich denke, es sind Meerkatzen, zunächst bedächtig.
Sie wirken überfüttert, denn auf jeden Affen kommen anscheinend drei Touristen, die ihn füttern wollen.

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Gefüttert werden Affen natürlich mit Bananen. Sie scheinen sich regelrecht herabzulassen, eine Banane in Empfang zu nehmen. Ein Affenpärchen koitiert in der Nachmittagssonne. Andere scheinen sich gar nicht um die Menschen zu kümmern, betreiben Fellpflege oder rangeln miteinander.
Ein bißchen Bewegung kommt auf, als ein Äffchen auf Christian heraufklettert.
Auf seinen Schultern schält und verspeist es eine Banane, mit sich und der Welt im Einklang.
Christian findet es spannend, traut dem Äffchen aber nicht ganz.
Die Fotoapparate von japanischen Ladies klicken, vielleicht landen Christian und sein pelziges Reittier in einem gutbürgerlichen japanischen Familienalbum, wir werden es leider nicht herausfinden!
Nach Beendigung der Mahlzeit turnt das Äffchen hurtig herunter, und wir wandern weiter zum Tempel im Affenheiligtum.
Es erinnert an das Dschungelbuch, die Affen auf dem Tempel herumklettern zu sehen. Sie sind dort geduldet und werden nicht verjagt.

Anschließend steigen wir noch eine Schlucht hinab. Der Weg ist flankiert von zwei lebensechten großen steinernen Komodowaranen. Sie scheinen auf etwas zu warten, ihre Muskeln spannen sich und verleihen ihnen etwas Lauerndes.

Unter ihnen rauscht ein Wildbach; hohe Bäume recken ihre Kronen aus dem Dunkel in das Sonnenlicht; Mücken und Schmetterlinge flattern.

Langsam müssen wir an den Rückweg denken. Der Weg zum Auto ist noch weit, und wir wollen nicht im Dunkeln auf unbeleuchteten balinesischen Landstraßen unterwegs sein.

Wir stürzen uns also noch einmal in das Gewühl auf der Monkey Forest Road und den anderen Straßen Ubuds und finden unser Auto glücklich wieder.

Auf der Heimfahrt verfahren wir uns im Dorf Pejeng, zum Glück merken wir unseren Irrtum aber noch rechtzeitig..
Es ist wieder anstrengend, sich den Weg um enge Kurven, durch Schwärme von Mopeds und im Windschatten von Lastwagen zu bahnen, aber noch vor Einbruch der Dunkelheit treffen wir wieder am Hotel ein.

Abends schwimmen wir im Pool und speisen dann bei Nyoman.
Dort macht sich ein dickerer älterer Deutscher mit Lederweste unbeliebt, der prahlend und aufdringlich seine Afrika- und Asien - Erlebnisse schildert.
Nachdem die anderen Gäste von ihm abgerückt sind, bleibe ich noch als Ziel seiner Stories übrig und höre ihm aus Höflichkeit zu, was ihn sichtlich erfreut.

Er erzählt, er habe in Deutschland ein Sanatorium gehabt, dieses verkauft, als er 41 wurde und sei dann nach Kenia gegangen. Dort habe er sich Einfluss ver-

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schafft und unter anderem Messerkämpfe mit einheimischen Gangstern überstanden. Nachdem er noch in mehreren anderen afrikanischen Staaten gelebt habe, sei er nach Asien gegangen, habe dort auch viel Erfolg gehabt.
In Deutschland fühle er sich nicht mehr wohl; die Leute seien kühl und unfreundlich (`das ist auch kein Wunder bei seiner lauten und aufdringlichen Art` denke ich mir im Stillen).
Er sei auch ein paarmal verheiratet gewesen, beispielsweise mit einer Inderin, auch mit einer Afrikanerin, habe die Frauen nach Deutschland gebracht. Wenn sie aber älter als 25 Jahre geworden seien, habe er sich wieder von ihnen getrennt; es habe ihn nur gereizt, mit jungen Frauen zusammen zu sein, und mit Geld habe er sich immer eine neue Frau leisten können...

Komischerweise tut mir der alte Fettwanst am Schluss sogar etwas leid, denn letztlich ist er eine arme einsame Sau, und seine früheren Heldentaten nützen ihm im Alter jetzt nichts mehr; auch die Frauen scheinen ihn jetzt nicht mehr zu mögen.
Am nächsten Abend erzählt Nyoman, der Kerl habe sich auch an sie heranmachen wollen, worauf sie ihn freundlich, aber bestimmt herausgeworfen habe.

Auch das Globetrotterdasein muss damals einfacher gewesen sein!

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12. Juli 1999

Heute morgen sitze ich schon um 7.00 Uhr im Liegestuhl am Strand und beobachte die plätschernden Wellen. Weit im Hintergrund grüßt das mittlerweile vertraute Bild der „Walfischinsel“, und nur ein paar Zirruswölkchen treiben am Horizont, während ich mich in „The moor’s last sigh“ vertiefe.
Es ist entspannend, mal ganz alleine zu sein, nur beäugt von den steinernen
glotzäugigen Dämonen, die heute ein neues schwarz-weiß kariertes Tuch um ihre Hüfte geschlungen haben.

Als wir eine Stunde später am Frühstücksbüffet erscheinen, bemüht sich ein einheimischer „Zauberer“ mit Kunststückchen um die Gunst der Kinder. Ich bin froh, dass er die Erwachsenen nicht einbezieht, denn morgens früh im Urlaub will man ungern der Mittelpunkt des öffentlichen Interesses werden...

Aber so ganz ungestört sind wir doch nicht: ein balinesischer Hotelmanager gesellt sich zu uns. Er erzählt, dass eine Frau und seine drei Kinder in Denpasar leben, damit die Kinder dort zur Schule gehen können.
Jetzt in den Ferien ist seine 14jährige Tochter zu Besuch gekommen, per Moped; die Balinesen sehen das ganz locker. Auch sein schüchterner pausbäckiger Sohn, ein Jahr jünger als Christian, ist anwesend. Außer gemeinsamem Plantschen kommt es zu keinem Kontakt der Jungen, da Christian nicht Balinesisch spricht, sein Gegenüber weder Deutsch noch Englisch versteht und außerdem beide schüchtern sind.

Nach der Plauderei brechen wir mit unserem Suzuki zur nächsten Rundfahrt auf.
Ziel ist der Batur-See, der vom gleichnamigen Vulkan flankiert wird.
Dort waren wir schon 1993 auf unserer ersten Balireise und genossen das schöne Panorama.

Nach balinesisch-hinduistischer Sage soll der Götterberg Meru seinerzeit in zwei Teile auseinandergebrochen sein: in den 3.142 m hohen Gunung Agung einerseits und den 1.717 Meter hohen Mount Batur andererseits.
Auch der Batur war 1962 und 1963 noch aktiv; Rauchwölkchen quillen immer noch aus seinem Krater.

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Aber zunächst sind wir wieder „on the road“: die Ochsentour über die vielbefahrene Landstraße nach Westen kennen wir bereits, ebenso die langwierige Ortsdurchfahrt durch Klungkung.
Diesmal biegen wir aber vor Gyanyar nach rechts ab, Richtung Bangli.
Die Straße steigt jetzt an. Durch saubere Dörfer und grüne Alleen geht es hoch ins Gebirge; Regen kommt auf, genau wie auf unserer Fahrt nach Besakih.
Aber es ist angenehm, zu fahren, da der Verkehr nicht so dicht ist wie auf der vielbefahrenen Ost-West-Achse. So komme ich dazu, nicht nur die Mopeds und Lastwagen zu fixieren, sondern auch die schöne Landschaft rechts und links zu betrachten.
Die Gewächse mit den roten Blättern: das sind doch Weihnachtssterne!.
Bambuswälder beeindrucken mit ihren grünen und weißen Stämmen: wer weiß
schon, dass diese riesenhaften Mikadostäbchen gar keine Bäume sind, sondern das größte Gras der Welt!

Zwischendurch kommen wir immer wieder durch schöne Dörfer: unten in Richtung Meer liegt stets der Totentempel, der die Dämonen in Schach halten soll; in der Mitte der Dorftempel, der die Sorgen und Freuden der Menschen regelt und nach oben, zu den Bergen hin der heilige Dorftempel, der den Göttern geweiht ist.

Vor uns taucht plötzlich ein Zug aus Menschen auf: sie tragen einen Sarg, sind unterwegs zur Kremation (Verbrennung). Wir fahren vorsichtig daran vorbei.
Die Totenverbrennungen auf Bali sind berühmt, aber ich möchte als Tourist nicht an einem solch privaten Ereignis teilnehmen, finde die Zeremonie auch etwas unheimlich.

Um 12.00 Uhr sind wir im Dorf Penelokan und werden gleich zu einem Parkplatz gewunken. Ich weiss nicht, ob es ein polizeiliches Gebot ist, hier zu parken, aber weiter wollten wir sowieso nicht fahren.

Hier ist der berühmte Aussichtspunkt.
Links grüßt der kahle gezackte Batur, aus dem Rauchwölkchen aufsteigen, gegenüber erhebt sich der Schwestervulkan Gunung Abang, 2.153 Meter hoch, aber nicht so berühmt-berüchtigt wie der Batur, und in der Mitte zwischen beiden Vulkanen, in der Caldera, erstreckt sich der große Batursee.

Kleine Dörfer sind unten im Tal am Rand des Sees zu erkennen.
Eines der Dörfer am rechten Uferrand heißt Trunyan.
Dort leben balinesische Ureinwohner, die Bali-Aga, deren Gebräuche sich von denen der hinduistischen Balinesen unterscheiden.
Die als misstrauisch und verschlossen geltenden Dorfbewohner bestatten ihre Toten nicht, sondern schichten sie zum Trocknen auf. Das Dorf ist auch nicht auf dem Landweg, sondern nur mit dem Boot erreichbar.
Ich kann mich noch gut an ein Foto in „GEO“ erinnern, das eine alte zahnlose Fährfrau zeigt, die die Hand ausstreckt, um eine Münze für die Überfahrt zum Dorf der Toten zu erhalten; es erinnert an die alte griechische Sage vom Fährmann Charon,

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dem die Toten bei ihrer Überfahrt über den Fluß Styx eine Goldmünze zahlen müssen, damit er sie auf der Fahrt zur Toteninsel mitnimmt.

Aber für tiefsinnige philosophische Gedanken bleibt hier an dem Aussichtspunkt keine Zeit, denn wie schon vor sieben Jahren bestürmen uns Händler und Händlerinnen, um uns Tand aufzuschwatzen, insbesondere Buntstifte mit Vogelköpfen sowie Löffel und Bestecke aus Horn. Ich fliehe, während Irma und Christian schließlich einen Löffel aus Horn kaufen, nachdem ihn Christian zuvor zum Entsetzen der Händlerin auf dessen Haltbarkeit getestet hat, indem er damit auf die Mauer schlug.

An einem Stand trinken wir etwas.
Irma möchte ausruhen, während Christian und ich einen sandigen Weg in Richtung eines Dorfes hinabgehen. Kinder und Hunde laufen hinter uns her; es ist sehr steil.
Christian kehrt bald um, während ich es bis zum Dorf schaffe.
Ein Blick nach oben zeigt den Aussichtspunkt in weiter Ferne. Daher ist es besser, nun umzukehren, den Mount Batur kann ich sowieso nicht besteigen!

Es herrscht immer noch Trubel, deshalb beschließen wir, aufzubrechen, nachdem wir noch einen letzten Blick in das schöne Tal geworfen haben.

Am Parkplatz stellen wir fest, dass unser Auto zugeparkt ist. Der Besitzer des vor unserer Ausfahrt parkenden Wagens fährt zwar ein Stückchen vor, aber eben nur ein Stückchen, da auch alle anderen Fahrzeuge jedes Fleckchen Platz ausgenutzt haben.

So kostet es Nerven und Schweiß, aus der Parklücke herauszurangieren.
Wir fühlen uns richtig befreit, als wir es endlich geschafft haben und die ziemlich freie Straße hinab Richtung Bangli vor uns liegt.

Kurz vor Bangli biegen wir diesmal links ab nach Rendang. Unsere Rückfahrt soll uns durch die grünen Wälder und Felder am Fuße des Gunung Agung führen.
Es geht bergauf und bergab, alle Schattierungen von Grün sind in den Reisfeldern und den dunklen Wäldern hier am wasserreichen Fuß des Vulkanes auszumachen.
In den kleinen Dörfern scheint die Zeit stehengeblieben zu sein: hier dreht sich noch immer alles um den Reisanbau und die Einhaltung der kultischen Riten.
Es ist, als ob hier noch das Herz Balis schlägt...
Selat, Duda, Bebandem, so heißen die Dörfer, an deren Namen ich mich noch erinnere.
Zum Glück verirren wir uns nicht auf den vielen kleinen Straßen und Sträßchen, die durch die Berg- und Hügellandschaft führen.
Über Amlapura geht es dann zurück nach Candi Dasa.
Dort stillen wir unseren ärgsten Hunger für ein paar Pfennige mit gebratenen Bananen, die wir beim fliegenden Händler am Lotusteich erstehen.

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Aber das reicht noch nicht: wir kehren direkt in Candi Dasa in ein Restaurant ein.
Der junge Kellner ist wie alle Balinesen kinderlieb und hat Interesse an Christian.
Mit viel Hallo kredenzt er ein Vanilleeis mit tropischen Früchten und heißer Schokoladensauce, angerichtet in einer ausgehöhlten Ananas.
Wir essen Seafood , während uns Ketut, der Kellner, erzählt, dass er gerne die Rockband Metallica hört.
Heute finde hier auf der kleinen Bühne im Restaurant ein Legong-Tanz statt, wir seien herzlich eingeladen.
Da wir auf dieser Reise noch keine Tanzdarbietung gesehen haben, wollen wir gerne auf das Angebot zurückkommen.
Zunächst aber fahren wir zum Hotel, um uns frisch zu machen.
Dann schmuggeln wir zwei Plastiktüten mit schmutziger Wäsche zu Nyoman, der freundlichen Restaurantbesitzerin um die Ecke.
Obwohl das Personal neugierige Blicke auf die Tüten wirft, offenbaren wir nicht, dass wir nicht den teuren hoteleigenen Waschdienst, sondern die Dienste der preiswerteren tüchtigen Wirts- Haus- und Waschfrau Nyoman in Anspruch nehmen.

Voller Erwartung steigen wir ins Auto und sind kurz vor 20.00 Uhr wieder beim Restaurant, wo uns Ketut mit verlegenem Lächeln darüber aufklärt, die Legong-Tänzerin sei noch nicht da, bete möglicherweise noch im Tempel, wir möchten ein bisschen warten, falls es uns nichts ausmache.
Nach einer weiteren halben Stunde ist es wohl nicht mehr zu verheimlichen, dass sie nicht mehr kommt, was auch Ketut einräumt.
Es gehört zu Bali, dass einerseits spontan schöne Erlebnisse geschehen, andererseits sich schöne geplante Ereignisse nicht unbedingt verwirklichen. Möglicherweise lenken die Götter den Lauf der Dinge auf Bali spontan und nach eigenem Gutdünken...

Nun, das kann ja mal passieren, dann bummeln wir eben noch ein bißchen durch das Dorf.
Candidasa liegt an einer langen Straße mit stets vorbeibrausenden LKW’s und der üblichen Armada von Mopeds ..
Es macht Spass, durch die verschiedenen Läden mit Schnitzereien, Batik und anderen Dingen zu bummeln.
Hier werden wir noch vor dem Abflug „zuschlagen“; die geschnitzten Warane gefallen mir gut, auch zwei kleine Harley Davidsons aus Holz will ich meinen Freunden Walter und Martin, den Motorradfreaks, mit bringen.
Leider lässt der Händler hier nicht mit sich handeln, da er der Auffassung ist, im Supermarkt seien die Preise fest.

An einem fahrenden Imbissstand probieren wir Sate und in Öl gebackenes Tofu (Sojabohnenquark). Während das Tofu gut schmeckt, scheint mir das Fleisch doch recht einfacher Herkunft zu sein; am Stand, wo sonst nur Einheimische für ein paar Pfennige essen, ist man nicht so wählerisch.

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Eine junge Frau fragt uns aus, hat - wie viele Asiaten - Interesse nach Deutschland oder Amerika zu gehen, aber aus diesen Träumen wird meistens mangels Finanzen und Visum nichts.

Gegen 21.30 fahren wir wieder zurück zum Hotel.
Dort wartet der Mittelsmann meiner Gunung-Agung -Bergtour: jetzt will er plötzlich mehr als 300.000 Rupien, nämlich noch ein extra Entgelt für die Begleitung während des Aufstiegs zum Gipfel.
Da die vorher vereinbarten 300.000 Rupien fast 100 DM sind, gebe ich diesmal nicht nach und berufe mich darauf, dass wir den Preis bereits ausgemacht haben.
Die Verhandlung endet so, dass der Mittelsmann und Autobesitzer mich zum Festpreis von 300.000 Rupien nachts zum Berg fahren wird, Lampen besorgt, ohne Zusatzkosten einen einheimischen Führer auftreibt und mich dann anschließend wieder mit dem Wagen abholt.
Mit dieser Lösung haben beide Seiten ihr Gesicht gewahrt, was in Asien bekanntlich das Wichtigste ist.

Juli 1999

Heute morgen arbeite ich: ich schreibe ein Bündel Postkarten: wenn ich mich einmal zum Schreiben durchgerungen habe, läuft es wie am Fließband..

Dann fahren wir nach gutem Frühstück zum Hafen Padangbai, etwa 20 km nach Westen an der Südküste.

Es reizt mich, zur Insel Nusa Penida überzusetzen, die vom Strand des Hotels aus wie ein großer Schatten zu sehen ist. Sie ist natürlich viel kleiner als Bali, aber die größte der kleinen Nebeninseln Balis.
Sie gehört zur Provinz Klungkung und wurde in der Vergangenheit von den Balinesen gemieden, da ein gefräßiger Riesendämon dort hauste.
Von der Landschaft her ist sie verkarstet, und an den Kalkriffen sollen sich auch Haie und Rochen aufhalten; das verspricht spannende Tauchgänge!

Aber als wir an der schönen Hafenmole angelangt sind, müssen wir umdisponieren: die Fähre nach Nusa Penida fährt (wenn sie überhaupt wenigstens einmal am Tage fährt) bereits morgens früh ab; so früh kriege ich meine Leute nicht aus den Federn. Was machen wir jetzt; ich wollte gerne mit Christian schnorcheln..

Wie immer in Asien bleiben unschlüssige Touristen nicht lange allein: ein paar junge Burschen nähern sich uns und versprechen uns Sightseeing und herrliche Tauchgänge.

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Normalerweise gehen wir auf Straßenangebote nicht ein, aber diesmal haben wir ja keine festen Vorstellungen und lassen uns mitziehen.
Wir kommen zu einem Strand, an dem bunte Boote festgemacht sind.
Es sind Auslegerboote, so schmal, dass keine zwei Personen nebeneinander sitzen können.
Wir bekommen einen „special price“ , wenn wir zur blauen Lagune zum Schnorcheln und Baden mitkommen!
Irma ist sehr skeptisch beim Anblick der schmalen Boote, weil sie nicht schwimmen kann, aber wir drei bekommen Schwimmwesten, und schon geht es los.

Die Jungen helfen, das Boot in das blaue Meer zu schieben, wir quetschen uns hintereinander auf die spartanischen Sitze und sind mit dem Bootsführer allein im Boot. Der Käpt’n ist schon älter und wirkt mit seinem dunklen breiten Gesicht und dem großen Schnauzbart wie ein Mexikaner.
Er entpuppt sich als übler Leuteschinder eines Sklavenschiffes, denn sofort müssen wir mit Plastikeimerchen das stetig überschwappende Wasser aus dem Boot schöpfen, während er mit dem knatternden Außenbordmotor hantiert.
„Brusch, brusch, brusch“ kommandiert er, als gelte es unser Leben.
Anscheinend macht es ihm Spass, diese reichen Bleichgesichter herumzuscheuchen. Irma ist es schlecht vom Seegang, und Christian ermattet bald, so bleibe ich als Wasserschöpfer übrig; es lenkt wenigstens etwas von dem flauen Gefühl in der Magengegend ab.
Dennoch ist es eine schöne Fahrt: wir passieren die im Hafen liegenden Segelyachten und fahren parallel zur palmengekränzten Küste; über uns lacht ein blauer Him-

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mel, kleine lustige Schaumkronen scheinen sich über meine Schufterei und die Seekrankheit zu amüsieren.
Nachdem wir schon zwei Buchten passiert haben, halten wir in etwa 200 Meter Entfernung von der Küste an und sollen aussteigen: hier ist der Tauchgrund.
Wir zwängen uns Taucherbrille und Schnorchel über.
Wir wären wegen der Enge des Bootes lieber vom Ufer aus gestartet, aber da würde der Käpt’n seinen Motor riskieren, und außerdem sind die Fische nun mal hier und nicht am Ufer. Also fasse ich mir ein Herz, und springe vom schwankenden Bootsrand. Christian will erst nicht, folgt dann aber, weil er doch neugierig ist.
Er klammert sich erst an mir fest, bis er mutig genug ist, alleine zu schwimmen.
Unter uns sind braune Korallen; und wir brauchen nicht lange, um die bunten Fische zu entdecken, die in fast allen Farben leuchten, besonders gefallen mir türkisfarbene, etwa 20 cm lange Fische.
Wie beim Schnorcheln auf den Philippinen sind besonders die Übergänge zwischen flachem und tieferem Wasser interessant,
Gehirnkorallen scheinen über den Lauf der Dinge zu brüten, Geweihkorallen strecken ihre Finger heraus; Fächerkorallen schwanken sanft in der Strömung. Fischschwärme stieben davon, andere sind unbeeindruckt, schwimmen stoisch ihre Bahn; dort, den gelben Kaiserfisch muss ich Christian zeigen! Aber Christian hat selber schon interessante Neuigkeiten zu melden: er zerrt und zieht an mir, wann immer ein neues schwimmendes Prachtexemplar auftaucht.
Allerdings sind weder Haie noch Rochen oder Muränen darunter, sondern es sind kleine bunte Fische, was aber beruhigend ist.

Nach fast anderthalb Stunden Tauchgängen sind wir doch langsam ausgepumpt, zumal Salzwasser durch die nicht ganz abschließenden Taucherbrillen dringt.
Das Hineinklettern ins Boot erweist sich für mich als echtes Problem, weil ich noch nie Klimmzüge von unten aus beherrscht habe: Christian und der Bootsführer sind sich einig in ihrer Schadenfreude.
Ich schaffe es schließlich, indem ich über die Ausleger klettere, was das Boot erheblich ins Schwanken bringt; endlich geschafft, ich lasse mich hineinplumpsen.
Lange Zeit zum Ausruhen gibt es aber nicht: wieder ist das Wasser zu schöpfen
(„alle Mann an die Lenzpumpen!“), und Christian streikt diesmal von Anfang an.
Da wir erschöpft sind und wir auch nichts mehr im Magen haben, fühlen wir uns richtig elend. Irma war es noch die folgenden zwei Tage lang schlecht, ihr machte der Ausflug am wenigsten Freude, während Christian und ich ja durch den Anblick der bunten Meereswelt entschädigt wurden.

Wir sind froh, als wir wieder am Ufer sind: die fleißigen Hände der Jugendlichen ziehen das Boot an den Strand und uns in ein nahegelegenes Restaurant.
Es ist ein einfaches Privathaus: eine junge tatkräftige Frau empfängt uns lächelnd.
Ein alter Mann, vielleicht der Schwiegervater, macht eine einladende Bewegung:
er ist so etwas wie ein würdiger Türsteher: sein Beitrag zum Familiengeschäft ist es, stumm mit einladenden Gesten Gäste zum Essen zu winken.

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Es wirkt irgendwie rührend, besonders weil wenig Gäste hierher kommen werden: die Einheimischen werden sich ihr Essen selbst zubereiten, und die wenigen Touristen werden nicht in ein kleines Privathaus in einer Seitenstraße gehen; es sei denn, die Jugendlichen schleppen erfolgreich ab.
Wir können uns im Mandi (Baderaum der Familie mit steinernem quadratischen Becken und einfacher kalter Dusche) reinigen, bevor wir das Mittagessen empfangen.
Es gibt frischen Fisch: Irma wählt Thunfisch; ich nehme Barracuda, weiß aber nicht, ob damit tatsächlich der längliche silbern glitzernde Raubfisch gemeint ist.
Es wird jedenfalls aus meiner Sicht das beste Essen auf Bali, auch wenn die Umgebung sehr einfach ist.
Der gegrillte Fisch ist köstlich, besonders begeistert bin ich aber vom dazu gereichten scharfen Sambal aus Zwiebeln, Tomaten, Chilischoten und Gewürzen, und dazu gibt es noch eine Knoblauchpaste, die ich nicht dick genug auftragen kann.
Das Feuer des Essens wird mit kaltem Bintang-Bier gelöscht, so kehren unsere durch die Meereswellen verschütteten Lebensgeister wieder zurück!
Zum Nachtisch gibt es goldgelbe süße Pfannkuchen, möglicherweise eine Erinnerung an die holländische Kolonialzeit.

Wir werden eingeladen, wiederzukommen, ab morgen findet nämlich ein großes Tempelfest (Odalan) statt. Jeder Ort hat solche Feste wie es bei uns die Kirchweihfeste waren bzw. sind.
Aber die Feste scheinen häufiger zu sein, werden ausführlich vorbereitet und sind in ihrer bunten Pracht und Vielfalt jedesmal ein Genuss für das Auge.
Anders als es bei uns der Fall ist verbinden die Balinesen die Feste mit tiefer Religiosität.
Wir versichern, dass wir gerne kommen werden, und machen uns dann auf den Rückweg.

Im Hotel ist erst einmal Schwimmen im Pool angesagt.
Christian wird von einem gleichaltrigen deutschen Jungen zum Billiardspiel eingeladen. Dies endet mit einem Missklang: Christian beschädigt aus Versehen den
Billiardstock, der uns auf die Rechnung gesetzt wird. Ich bin nicht begeistert, aber so etwas passiert halt...
Abends schauen wir im Bungalow eine Stunde lang australisches Fernehen (Australien ist nicht sehr weit entfernt), aber noch eindrucksvoller sind die hell blitzenden Sterne am samtschwarzen Nachthimmel, dazu eine sanfte Brise: tropische Nächte sind angenehm...

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14. Juli 1999

Heute morgen ist auch Christian übel; auch er leidet vielleicht noch an den Nachwirkungen der Seekrankheit.
Nach dem Frühstück lassen wir unseren Weiterflug nach Manila an der Rezeption bestätigen.
Damals in Hongkong hatten wir einmal die „reconfirmation“ vergessen, mit der Folge, dass wir fast in Hongkong hängengeblieben wären..

Heute wollen wir unseren Mietwagen dazu nutzen, um nach Sukawati zu fahren, das aus unserer Richtung etwa 30 km vor Ubud liegt..
Der nette alte Ruhestandsbeamte aus Bayern hatte uns erzählt, dass es dort die größte Auswahl an preiswerten Bildern gebe.
Das ist gut, dann brauchen wir nicht soweit bis nach Ubud zu fahren, dem Mekka der Künste, welches aber in den letzten Jahren immer kommerzieller und touristischer wurde..
Da es viele Galerien mit wirklich kreativen Künstlern gibt, ist es verlockend, in Bali ein oder zwei Bilder zu kaufen.

Christian nehmen wir diesmal nicht mit, sondern lassen ihn im Hotel zurück, um uns und ihm eine Tortur zu ersparen.

Der Verkehr ist wieder grauenvoll dicht.
Hinter Klungkung liegt wieder ein toter Hund auf der Straße, anscheinend fühlt sich niemand bemüßigt, den Kadaver wegzuräumen, denn er liegt auch noch auf der Rückfahrt dort.
Auch der tierische Instinkt rettet nicht vor balinesischen Road-Rowdies!

In Sukawati, etwa eine gute Stunde Fahrzeit ist es bis dorthin, ist einiges los.
Die Balinesen handeln hier untereinander mit allen denkbaren Waren, Touristen sind nicht viele zu sehen..
In einer Seitenstraße finden wir endlich einen Parkplatz.
Zunächst bestaunen wir die Auswahl eines Gemüsemarktes.
Dort erwerbe ich Vanilleschoten, die sich mein Kollege Karl-Heinz als Mitbringsel gewünscht hat.

Dann stoßen wir vor in das Dickicht der Kunstmärkte. Es sind schmale dunkle Wege, und es herrscht ein ungeheures Gedränge, so dass wir uns zwischendurch aus den Augen verlieren. In Deutschland ist es leicht, Irma wiederzufinden, aber hier wimmelt es natürlich von schwarzhaarigen, grazilen asiatischen Frauen, so dass es ein Weilchen dauert, bis wir wieder vereint sind.

Schöne Bilder oder Schnitzereien habe ich zu meiner Enttäuschung bis dahin nicht gefunden. Es herrschen grellbunte Exponate oder Massenware vor, die wir als kitschig empfinden.

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Aber wir entdecken doch noch eine Galerie, in der wir ein kleines Bild von einem Dorffest mit Barong finden.
Wir erwerben es nach dem üblichen Feilschen gleich mit geschnitztem Holzrahmen, da das Rahmen eines Bildes in Deutschland sehr viel mehr kostet und das Bild leicht transportierbar ist.
In einer anderen Galerie finden wir dann noch ein in Grün gehaltenes Bild mit Fluss- und Waldmotiv, welches mich sehr an unsere Fahrt am Fuße des Gunung Agung durch die Wälder und Dörfer in der Nähe von Rendang erinnert.
Jetzt wollen wir nicht mehr weiter stöbern, da ja Christian allein im Hotel ist.

Auf unserer Fahrt nach Hause passiert endlich das, was ich schon fast vermisst hatte: die Polizeikontrolle!

Die unterbezahlten indonesischen Polizisten versuchen gerne, von den Mietwagenfahrern etliche Rupiahs oder Dollars abzuzocken, was vor sieben Jahren nicht in diesem Ausmaße der Fall war.
Unser junger schlaksiger Polizist mit öligem Lächeln ist leicht enttäuscht, denn unsere Autopapiere sind in Ordnung, und ich habe mir vorher extra den gewünschten internationalen Führerschein in Deutschland ausstellen lassen.
So hat unser Polizist eine originelle Idee: nachdem er erfahren hat, dass wir aus Deutschland kommen, radebrecht er in gebrochenem Deutsch, dass sein Bruder in Deutschland, nämlich in München, studiere. Dem Bruder gefalle es dort sehr gut .
Er selbst sei noch nicht dort gewesen, aber wir könnten ihm einen Gefallen tun: er sammle nämlich Geldscheine aus allen Ländern: könnten wir ihm nicht einen deutschen Geldschein für seine Sammlung geben?
Nun kommt der letzte Einsatz unseres abgegriffenen Zehnmarkscheines, den schon die Schalterbeamtin am Umtauschschalter im Flughafen von Singapur ungerechterweise verschmäht hat.
Unser junger Freund ergreift den Köder, ist aber auch nicht so recht zufrieden mit dem abgegriffenen Schein. Es geht ihm anscheinend weniger um den musealen Wert als um die reale Kaufkraft, da er Zweifel äußert, ob man damit wirklich etwas kaufen könne.
Er beginnt einen Geldschein nach seinen Vorstellungen auf einen Notizzettel aufzumalen. Wir erkennen nichts, aber bevor der Polizist in die Massenproduktion von Tausendern geht, reißt Irma der Geduldsfaden.
Sie teilt dem korrupten Gesetzeshüter mit: „Mein Kind ist allein zuhause und hat Hunger!“
Ich bezweifle zwar, dass Christian in der kurzen Zeit verhungert, aber Irma hat anscheinend an ein Tabu Asiens gerührt: Kinder hungern zu lassen, widerspricht der asiatischen Elternliebe, das kann keiner Familie zugemutet werden!
Er trollt sich zu seinem Wagen, und sein Kollege winkt uns durch.

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Es würde mich schon interessieren, ob der alte Zehnmarkschein nun zusammen mit Freunden und Freundinnen aus aller Welt in einem indonesischen Geldscheinsammelalbum seine Ruhetage verbringt oder sein Besitzer auf Märkten erfolglos versucht, ihn umzuwechseln, bestraft von einer Barrikade des Misstrauens seiner Landsleute..

Nachdem Christian mit Essen versorgt ist und wir unsere neuen Schätze verstaut haben, starten wir alle drei um 14.30 nach Padangbai, um das angekündigte Tempelfest zu erleben.
Diesmal treffen wir auf keine Polizeikontrolle.

Zunächst fahren wir durch den Nachbarort Mangis.
Auf einem Hügel liegt dort ein kleines verträumtes Hotel in den Reisfeldern.
Dies fotografiere ich im Auftrag meiner Kollegin Corina, die noch öfters nach Bali reisen will und stets für gute Tipps aufgeschlossen ist.

Bald schon sind wir in Padangbai.
In dem kleinen Familienrestaurant mit der freundlichen jungen Wirtin und dem winkenden alten Mann lassen wir uns noch einmal gegrillten Fisch mit Sambal, Knoblauchpaste und Salat munden. Ich ergattere noch Christians Erdnusssauce, die er verschmäht; er will lieber die Sate-Spieße ohne Sauce essen.

Gesättigt reihen wir uns in den Pilgerstrom ein.
In bunte Sarongs gewandete Menschen ziehen den Hügel hinauf, die Frauen tragen Opfergaben auf dem Kopf, die Männer schreiten würdevoll, und die Kinder sind fasziniert von dem am Rande aufgestellten Verkaufsbuden, in denen es Näschereien und buntes Spielzeug gibt.
Irma hat sich auch einen Sarong um die Hüften geschlungen; aber in den Tempelbezirk gehen wir nicht, da wir nicht wissen, ob uns das als Fremden und Nicht-Hindus gestattet wäre.

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Im Wäldchen oben auf dem Hügel befindet sich der Tempel, in dem dichtgedrängt die Dorfbewohner und wohl auch Bewohner angrenzender Orte den Gesängen der weißgekleideten Brahmanen lauschen, die dazu die Gläubigen mit Wasser und Blumen segnen.
Schön sind die gelben und weißen Sonnenschirme anzusehen, die sich wie überdimensionale Blütenkelche über den Häuptern der Gläubigen wiegen.

Da die Szenerie gleich bleibt und wir nichts von den Gesängen verstehen, schreiten wir den Hügel wieder hinab.
An einem Stand kauft Irma gekochte Erdnüsse, die noch in der Schale sind und herausgepult werden müssen. Das erinnert sie an ihre Kindheit in Manila, wo auf den Fiestas gekochte Erdnüsse stets billig zu haben waren.

Um 17.30 Uhr sind wir zurück in Candi Dasa.
Es erfolgt die Trennung von unserem treuen Suzuki.
Zum Glück gibt es weder Nachforderungen noch Beanstandungen.
Wir machen noch einen Bummel durch Candi Dasa und kaufen ein paar Souvenirs.
Unter anderem erwerbe ich die beiden kleinen Holzmotorräder für Martin und Walter; leider ließ der Supermarkteigner nicht mit sich feilschen, wusste wohl, dass er der einzige „Motorradverkäufer“ in Candi Dasa war, denn die Harley Davidsons habe ich sonst nur in Ubud gesehen, aber nicht in Candi Dasa.

Ohne Auto gibt es wie am Anfang einen Fußmarsch durch die Dunkelheit.
Zum Glück weiß ich, wo das Loch im Bürgersteig ist, wäre aber fast wieder hineingefallen....

Abends das übliche Programm: Suppe und Hühnchen bei Nyoman, Geplauder mit ihr bei Abendwind und Kerzenschein, zwei deutsche Familien an den Nebentischen, mit denen wir aber kein Gespräch suchen; danach noch ein kleiner Streifzug durch Nyomans Kunstladen, wir kaufen noch ein paar Postkarten und schlurfen dann zum Hotel zurück.

Irma ist übel, führt dies noch auf die Seefahrt von gestern zurück......

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15. Juli 1999

Heute morgen gibt es Ärger mit Christian, weil er nicht aufstehen will. Schließlich lassen wir ihn liegen und gehen alleine zum Frühstück.

Der heutige Tag soll ein Ruhetag werden, denn heute Nacht ist die Gunung - Agung - Tour, ein Höhepunkt der gesamten Reise!
Nachts um zwei Uhr werde ich mit dem Van abgeholt; da muss ich einigermaßen fit sein!
Irma fühlt sich immer noch schlapp von der Seefahrt.
Vormittags setze ich mich auf einen Liegestuhl und schreibe 34 Ansichtskarten, jede mit einem anderen Text!

Mittags gegen 13.30 Uhr fahren wir mit dem Shuttlebus nach Candi Dasa, erledigen noch ein paar Einkäufe.

Am Ortsrand besuche ich alleine das hiesige Puri Bagus Hotel, für das sich Corina interessiert hat. Den kleinen Ableger mit dem gleichen Namen und Eigentümern bei Mangis habe ich ja schon ausgekundschaftet und fotografiert.

Ich muss ein Weilchen durch einen Palmenhain laufen, dann erhebt sich das große Hotel, das direkt am Meer liegt.
Es wird mir gestattet, kurz einzutreten.
Das Foyer wirkt elegant; das Hotel ist schön gelegen; die „Walfischinsel“ ist hier ganz nahe, bunte Auslegerboote schaukeln auf den Wellen.
Mehrere einfache Restaurants sind um den Prunkbau gruppiert.
Ich schieße ein paar Fotos und mache mich dann auf den Rückweg.

Wir laufen zurück zu unserem Hotel.
Dort bereite ich meinen Rücksack vor: die Videokamera und der Fotoapparat sollen mit, eine Flasche Wasser ist wichtig, und als Nahrung habe ich ein Büschel kleine süße Bananen als Energiespender vorgesehen.
Außerdem wird der rote Pulli eingepackt: Rot ist eine gute Signalfarbe; und in 3.000 Meter Höhe wird es auch in den Tropen ziemlich kühl, obwohl der Gunung Agung frei von Eis und Schnee ist.

Kurz vor sechs Uhr abends gehen wir rüber zu Nyoman: heute gibt es neben Reis und Hühnchen mit Curry eine extra Portion Chili für mich!
Scharf essen ist eine meiner Leidenschaften.
Indonesien hat zwar nicht so scharfe Gerichte wie Thailand oder Indien, aber die Küche ist nicht so lasch wie auf den Philippinen, wo nur in der Provinz Bikol scharf gekocht wird.

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Nyoman erzählt von ihrer Jugend: nachdem der Vater in den Wirren des Bürgerkrieges 165 als vermeintlicher Kommunist umgebracht worden war, hatte die Familie nicht viel Geld.
Sie ging als Zahnarzthelferin nach (Ost-)timor, kam dann später zurück und heiratete.
Jetzt betreibt sie mit ihrem Mann das Restaurant, das sie schon um ein paar neue Tische und Stühle vergrößert haben.
Das Ehepaar hat drei Kinder, und für die Kinder heißt es, sich anzustrengen.
Die tüchtige Nyoman vermittelt den Eindruck, mit Tatkraft, Humor und Gelassenheit, viel im Leben erreichen zu können.

Schon um 20.00 Uhr verabschieden wir uns.
Ich lege mich schon hin, kann aber vor Aufregung nicht schlafen; außerdem juckt mir das Fell, sollten dies die Chilis verursacht haben?

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16. Juli 1999

Um 24.00 Uhr bin ich nach vorherigem Dösen hellwach, will auch nicht zu schläfrig beim Aufbruch sein.
Gegen 2.30 Uhr klopft es am Bungalow: ich werde von Wayan, dem Chauffeur und Autobesitzer, abgeholt.
Schnell den Rucksack schultern und dann leise an den Bungalows und der Rezeption vorbei zum Auto.

Zu meiner Überraschung sind wir nicht allein: Wayan hat seine hübsche langhaarige Freundin mitgebracht. Gibt dies eine Bergtour zu dritt?
Durch dunkle Dörfer fahren wir über Amlapura nach Sebudi.
In diesem Ort müssen wir die Polizei aufsuchen. Ich rechne damit, dass jetzt neue Gebührenforderungen auftauchen. Aber zu meiner Überraschung muss ich mich nur in eine Liste eintragen, die mir der schläfrige Polizist hinhält.
Wie Wayan erklärt, sei die Anmeldung erforderlich, falls jemand auf dem Gunung
Agung verloren gehe. Es sei immer mal wieder jemand vermisst worden bzw. nicht zurückgekommen.
Auch in den Reiseführern steht, dass die Besteigung nicht ganz ungefährlich ist, zumal sie üblicherweise nachts erfolgt.
Grund für die nächtliche Tour ist, dass beim Sonnenaufgang kein Wolkenkranz den Gunung verhüllt und dies so ziemlich die einzige Zeit ist, während der man einen schönen Ausblick auf die darunter liegenden Dörfer, Felder und Wälder genießen kann.

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Der Bus nimmt jetzt mehrere Kehren, wir gewinnen spürbar an Höhe. Viel zu sehen ist nicht, da wir durch den Wald fahren. Andere Autos und irgendeine Form von Leben sind im Dunkel nicht zu erkennen.

Endlich halten wir an.
Wayan hatte mir vorher erläutert, dass die Besteigung von Besakih, dem Muttertempel, aus sehr weit sei und sieben Stunden dauere.
Besser sei es, den Aufstieg von einem kleinen Tempel aus zu beginnen.
Vorerst kann ich aber nichts von einem Tempel sehen.

Es ist kühl hier und absolut still.
Der Sternenhimmel wölbt sich mit ungewohnter Klarheit über uns.
Unter uns blinken Lichter, viele Dörfer liegen wie Glühwürmchen unter uns, etwa ein Drittel der Insel lässt sich ausmachen; dort, wo keine Lichter sind, liegt das Meer, der Wohnort der Dämonen, während wir uns auf den Weg zu den Göttern auf dem Bergesgipfel machen.

Wayan händigt mir eine Taschenlampe aus, nimmt seine eigene und lässt die Freundin seinen Tragerucksack schultern.
Auch wenn das Pärchen sich modern und westlich gibt: diese Art der Lastenverteilung mutet doch archaisch an!

Nachdem wir erst auf einem breiten Weg marschiert sind, geht der Weg in eine große Treppe mit vielen Stufen über, nur vom Sternenlicht beleuchtet: das ist der „stairway to heaven“ von dem Led Zeppelin singen, kommt mir in den Kopf.
Nach vielen Stufen sind wir am ersten Etappenziel: dem kleinen, höchstgelegenen Tempel Balis, der etwa 1.850 Meter über dem Meeresspiegel liegt, wie ich mich später kundig mache.

Jetzt sind noch fast 1.300 Höhenmeter zurückzulegen, denn der Gunung Agung ist 3.142 m hoch. Wie ich schon auf Bildern im Internet gesehen habe, hat der Gunung Agung (übersetzt: „Großer Berg“, wie einfach!) keinen Gipfel, sondern einen Kraterrand.

1963 brach der Gunung Agung, den man für erloschen gehalten hatte, das letztemal aus, gerade als das Jahrhundertfest „Eka-Dasa-Rudra“ gefeiert werden sollte.
Die schweren Eruptionen kosteten damals 2.500 Menschen das Leben; nur vor einem Tempel (war das vielleicht der Tempel, von dem aus ich den Aufstieg beginne?) machte der Lavastrom halt...
Das Fest wurde 1979 nachgeholt und fand anscheinend die Billigung der Götter, denn ein weiterer Ausbruch blieb aus.

Von dem kleinen Tempel ist nicht viel zu erkennen.
Anscheinend trennen sich jetzt unsere Wege.

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Wayan klopft an einen Schuppen und öffnet dann die Türe.
Dort liegen zwei Männer auf einer schmalen Pritsche. Kommt es mir nur so vor, oder lagen sie eng umschlungen da?
Wie dem auch sei: während der Bettgenosse weiterschläft, stellt sich mein persönlicher Führer Ketut vor.

Ketut hat nichts von dem yuppiehaften, leicht öligen Charme von Wayan und seiner eleganten Begleiterin. Er ist ein einfacher Mensch aus dem Volke, froh über jeden Auftrag.

Über Geld wird nicht gesprochen. Wayan hatte gesagt, die 300.000 Rupiahs deckten auch den Lohn des Trägers ab, aber wer weiß, was er dem guten Ketut gezahlt oder nicht gezahlt hat. Mein Trinkgeld werde ich davon abhängig machen, wie gut alles klappt.

Wayan und seine Freundin verabschieden sich, nicht ohne noch die Zeit für die Rückfahrt auszumachen.
Ich bin optimistisch, dass er wiederkommt, denn seine 300.000 Rupiah erhält er erst, wenn das Unternehmen abgeschlossen ist. Außerdem kann er sich bei seinen Freunden im Hotel einen Gesichtsverlust nicht leisten.-

Nun sind wir also zu zweit; Ketut, den ich auf etwa 25 Jahre schätze, trägt nur Badelatschen, während ich meine Joggingschuhe angezogen habe, weil ich weder Bergwanderschuhe besitze, noch solche schweren Treter mitschleppen wollte.
Die Wahl des Schuhwerkes war sicher ein Fehler: Der Boden ist fast immer feucht und schlüpfrig, und so rutsche ich öfters aus.

Ketut marschiert den schmalen Fußpfad durch den Wald hinauf; ich stolpere hinterher, die ungewohnte Uhrzeit und die starke Steigung von fast 45° machen mir mehr zu schaffen, als mir lieb ist.
Da ich in Deutschland viel jogge und Rad fahre, war ich von meiner Kondition überzeugt, merke aber, dass ich schon nach zehn Minuten wegen der Steigung und des strammen Marschtempos ins Schwitzen gerate und dem flinken Ketut kaum folgen kann.
Dummerweise geht noch die eine der beiden Taschenlampen von Wayan aus, obwohl der versichert hatte, die Batterien seien ganz neu, gerade gewechselt worden.

Ketut gibt mir seine Lampe, er findet den Weg auch im Dunkeln ganz gut.
„Weg“ ist eine Übertreibung, wir steigen über Baumwurzeln, Steine und Gebüsch; alleine wäre der Weg auch im Tageslicht nur schwer zu finden.
Der Gipfel oder der Kraterrand sind nicht zu erkennen; wir sind noch mitten in Wald und Buschwerk.

Vor uns blinken Lichter: eine Prozession von Balinesen windet sich den Berg hinauf, auch Frauen und Alte sind dabei, wollen Opfer bringen.

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Das ist eine willkommene Unterbrechung für mich: unser Aufstieg stockt zwangsläufig, was den jagenden Puls etwas entspannt, und ich kann mir den Schweiß abtrocknen; Luft schnappen für den weiteren Marsch.

Endlich überholt Ketut seine Landsleute in einem Hohlweg, so dass die kurzzeitige Schonung vorbei ist.
Kurze Zeit später treffen wir auf ein junges amerikanisches Pärchen, das von einem etwa 14 Jahre alten Jungen geführt wird.
Zu diesem Zeitpunkt bin ich noch stolz, dass wir die Amis passieren; allerdings holen sie uns später wieder ein, was mir einen leichten Stich versetzt, mich erstmals an mein vorgerücktes Alter von 43 Jahren denken lässt.

Etwa eine Stunde steigen wir im Wald höher und höher; ab und zu rutsche ich, aber es gibt hier keinen Abhang, von dem ich stürzen könnte, sondern höchstens Steine, auf die ich fallen oder Baumwurzeln, über die ich stolpern könnte.
Aber es geht alles glimpflich ab, lästig ist nur die Anstrengung, das Pulsjagen und die Kurzatmigkeit.
An filmen ist nicht zu denken, dafür ist es ohnehin zu dunkel.

Endlich kommen wir auf freies Gelände: Geröll, Gräser und glitschige Steine.
Ketut ermahnt mich, genau hinter ihm zu bleiben, denn manche vermeintlichen Alternativwege entpuppen sich als Sackgassen.

Wir halten kurz an, ich teile meinen Wasservorrat mit Ketut, esse ein paar Bananen.
Aber die sind im Rucksack schon ziemlich matschig geworden, später werfe ich den Rest weg.

Wir steigen und steigen; die Insel liegt unter uns, und ich bilde mir ein, dass es schon ein bisschen heller geworden ist; aber das liegt am Sternenlicht, das uns weiterleuchtet, nachdem wir den Dschungel unter uns gelassen haben.

Es geht weiter steil bergan, gelegentlich müssen wir große natürliche Stufen überwinden; aber alpinistische Leistungen werden nicht gefordert. Bei einem Sturz könnte man sich aber trotzdem die Knochen brechen, deshalb versuche ich, mich möglichst vorsichtig zu bewegen.

Nach insgesamt zwei Stunden Aufstieg gönnt Ketut uns endlich eine echte Pause, die ich in einer Mulde liegend verbringe, würde am liebsten dort liegen bleiben und ausschlafen.
Aber das ist natürlich nicht möglich, denn wir müssen im Zeitrahmen bleiben, damit wir den Sonnenaufgang am Kraterrand erleben können.

Jetzt müssen wir schon richtig kraxeln, die Steigung wird noch steiler, und das amerikanische Pärchen hat uns eingeholt; sie scheinen noch recht frisch zu sein.

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Wir bleiben als Fünfergruppe zusammen, und jetzt wird es wirklich heller.
Aber der Weg ist noch nicht zuende: nach jedem Felsüberhang merken wir, dass wir noch nicht den Krater erreicht haben, sondern, dass es noch weitergeht.

Pflanzen wachsen hier nicht mehr; Lavasteine sind zu sehen, und zwischendurch riecht es nach Schwefel, als wenn nicht die Götter, sondern der Beelzebub in der Nähe wären...

Dort, das ist der Kraterrand, noch ein paar letzte hastige Schritte:
nach 2 Stunden und 55 Minuten sind wir am Ziel, 5 Minuten früher als es das übliche Zeitlimit vorsieht.
Bei dem Aufstieg haben wir einen Höhenunterschied von 1.300 Metern in 3 Stunden bewältigt!
Jetzt bin ich erst mal fertig.----

Ketut ist zufrieden: gut gelaunt ruft er: „We climbed the Gunung Agung“, posiert auf einem Felsvorsprung und macht auch von mir Fotos, während ich erst einmal erschöpft dasitze, unter dem roten Pulli rinnt der Schweiß, und die Beine sind müde.
Neben den Amerikanern ist auch eine französische Gruppe am Krater.
Eine junge Französin feiert Geburtstag und bekommt ein Ständchen geboten.
Der Sonnenaufgang taucht den schroffen Kraterrand in ein goldenes Licht.
Ich mache vorsichtig ein paar Schritte und gucke in den Krater: gelb, ocker, rot, braun und schwarz sind die Farben auf dem Grunde, momentan ist der Schlot ohne Rauch, aber der Vulkan schläft nur, kann jederzeit wieder ausbrechen.
Es ist Sitte, etwas Geld in den Krater hineinzuwerfen, daher trenne ich mich von ein paar billigen Münzen.

Wir genießen ein paar Minuten die überwältigende Aussicht: unter uns ziehen die ersten weißen Wolken auf, aber trotzdem ist noch viel zu erkennen.

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Der grüne Dschungel wird durch winzige Dörfer unterbrochen.
Dort unten rechts, das sind die Tempel von Besakih, sehr weit entfernt.
Etwas näher liegt der Tempel, von dem aus wir aufgebrochen sind.
Auch er wirkt so klein, dass ich seine Details nur erahnen kann.

Dort drüben ist im Lichte der aufgehenden Sonne die orange schimmernde Nachbarinsel Lombok mit dem über 4.000 Meter hohen Vulkan Rinjani zu erkennen, das wäre auch eine spannende Bergtour!
Auf der anderen Seite befindet sich der niedrigere Vulkan Batur mit dem Batursee, den wir vor ein paar Tagen mit dem Auto besichtigt haben.
Eindrucksvoll ist der riesige überraschend ebenmäßige pyramidenhafte Schatten, den der Gunung Agung wirft: es ist wirklich ein ganz besonderer Berg!

Wieder blicke ich zum Krater: nein, da möchte ich nicht hinuntersteigen.
Dies ist auch nicht vorgesehen, denn Ketut drängt jetzt zum Abstieg: es ist Zeit.

Jeder, der schon in den Bergen gewandert ist, weiß, dass der Abstieg manchmal unangenehmer ist als der Aufstieg.
Ich komme zwar nicht mehr so ins Schwitzen wie auf dem Hinweg, aber dafür rutsche ich öfters aus, insgesamt etwa 20 mal; ohne Schrammen an Arm und Bein sowie Schmerzen im verlängerten Rückgrat geht es nicht ab...
Ist das die Rache der Götter dafür, dass ich sie mit ein paar läppischen Rupiahs abgespeist habe und mich nicht von DM oder $ getrennt habe?

Zum Glück hat sich Ketut meiner schon frühzeitig erbarmt und trägt auf dem Rückweg meinen Rucksack; nur aus diesem Grunde hat die Videokamera das Unternehmen heil überstanden.
Später, als wir schon wieder im Dschungel sind, bricht Ketut mir noch einen flechtenbewachsenen Wanderstock, mit dem ich mir wie ein buddhistischer Wanderer vorkomme.
Der Stock hat aber ein paar Ausrutscher gut abgefangen.

Im Hellen lässt sich der felsige, geröllbeladene Weg gut verfolgen.
Neben weiteren Franzosen, die beim Aufstieg über den langen Weg jammern, sind noch etliche Balinesen unterwegs, die langsam, aber bedächtig, den Weg hinaufschreiten.
Ich muss dabei an Indianer in den Anden denken, nur dass die Ponchos und die Lamas fehlen.

Ein ehrwürdiger alter Mann in weißem Gewande sitzt auf einem Stein.
Ich halte ihn für einen Priester.
Er spricht uns an.
Ich hoffe, wir haben uns keiner Entweihung des Ortes schuldig gemacht.
Aber unser Gespräch verläuft überraschend profan.

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Er spricht ein bißchen Englisch, fragt, wo ich herkomme.
Germany? Wo denn da?
Frankfurt?
Er erzählt, in Frankfurt lebe einer seiner Töchter.
Sie sei mit einem Deutschen namens Karl-Heinz Flügel verheiratet.
„Flügel like wing ?“ frage ich und mache dazu Flatterbewegungen.
„Yes, yes, like „wing“ antwortet der Alte eifrig.

Später habe ich mal im Frankfurter Telefonbuch nachgeschlagen: es gibt in Frankfurt einen einzigen Karl-Heinz Flügel, aber ich habe ihn nicht angerufen, um ihm mitzuteilen, dass ich seinen Schwiegervater getroffen hätte, das war mir dann doch zu merkwürdig. Wer weiß schon, wie Herr Flügel wirklich ist!

Mühsam bahnen wir uns durch die Geröllfelder den Weg nach unten.
Nach knapp zwei Stunden sind wir wieder im Dschungel.
Dort gibt es eine überraschende Essenspause: Ketut hat eine Opfergabe für die Götter entdeckt.
Anscheinend haben die nichts dagegen, wenn man ihnen das Essen wegnimmt, denn Ketut kommt mit kaltem Reis in Bananenblättern und vier gekochten Eiern zurück.
Der kalte geschmacklose Reis ist nicht so mein Fall, aber die Eier munden fast so gut wie deutsche Ostereier, um bei der Mythologie des Eis zu bleiben.

Auch wenn ich jetzt gestärkt bin, werden die Beine schwerer und schwerer.
Mit dem Wanderstock stake ich umher wie ein tapsiger Bär.
Weiter unten hat uns wieder das amerikanische Pärchen erreicht; ich hoffe, sie lachen nicht über meine gelegentlichen Rutschpartien und Flüche.

Zwischendurch hören wir noch einen interessanten Vogel schreien, den die Balinesen lautmalerisch „Kekkek“ nennen.
Aber mir ist „Kekkek“ egal: ich sehne mich jetzt nach der Zivilisation und bin erleichtert, als endlich nach zweieinhalb Stunden Abstieg die Gebäude des Tempels auftauchen, wo unser Abenteuer begann.
Jetzt heißt es Abschied nehmen von Ketut.
Er bittet mich verlegen um eine Gabe.
Ich drücke ihm 50.000 Rupiah in die Hand, was er wohl nicht erwartet hat.
Er umarmt mich und stammelt mit Tränen in den Augen: „You are good. I liked it.“
Auch mir geht der Abschied nah: oben auf dem Berg waren wir aufeinander angewiesen, es gab keine Klassenunterschiede, außer, dass Ketut mir vieles voraus hatte.
Jetzt kehre ich in eine Welt zurück, in der ich mich zurecht finde und die ihm verschlossen ist.
Ich hoffe, dass Ketut trotz allen Einschränkungen gut über die Runden kommt und wünsche ihm alles Gute!

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Die Besteigung des Gunung Agung, bei der mir Ketut so geholfen hat, war ein Wunschtraum gewesen, den ich mir erfüllt habe.
Auch wenn sich die Götter vor mir verborgen haben, war es ein großartiges Erlebnis, auf dem „Dach“ der Inel Bali zu sitzen und auf diese einzigartige Insel hinabzublicken wie ein mythischer Garuda!

Nach kurzem Suchen finde ich den Bus von Wayan.
Die Freundin ist wieder mitgekommen.
Genau wie auf der Hinfahrt bin ich müde und nicht sehr konversationsfreudig, vielleicht, weil Wayan mir auch eine Spur zu geschäftstüchtig erscheint.
Er fragt nach weiteren Touren.
Ich erzähle ihm, dass wir keine Touren mehr unternehmen und in zwei Tagen weiterreisen werden.

Aber damit kann ich ihn nicht abwimmeln, denn dann brauchen wir natürlich einen Transfer zum Flughafen.
Er nennt einen überhöhten Preis von 200.000 Rupiah, alles inklusive.
Diesmal weiß ich, dass es genug Alternativen gibt, und meine Entschlossenheit hilft mir beim Feilschen: er übernimmt nach längerem Handeln den Job für 100.000 Rupiahs; das ist billiger als wir seinerzeit für den Transfer in der umgekehrten Richtung bezahlt haben.
Nach der Einigung hat Wayan trotz der Preisabschläge gute Laune und plaudert über seine Lebensziele.
Er will Geld verdienen und eine Familie gründen.
Seine Freundin erzählt, dass sie Kellnerin ist.
Beide wollen am Tourismusgeschäft teilhaben, aber ich hege insgeheim Zweifel, ob sich die ehrgeizigen Pläne realisieren lassen, denn ich habe in Candi Dasa nur wenige Touristen gesehen, aber sehr viele Balinesen, die sich förmlich um die einzelnen Kunden stritten; mit anderen Worten: der Kuchen ist zu klein, um alle satt zu bekommen!

Um 11.30 sind wir am Hotel.
Ich komme mir vor, als würde ich auf rohen Eiern gehen: endlich ausruhen!
Es ist auch herrlich, die verschwitzte Kleidung auszuziehen und zu duschen, sich danach aufs Bett zu legen und den Auf- und Abstieg geistig Revue passieren zu lassen.
Ab jetzt ist Faulenzen angesagt!

Nachmittags werden die Muskeln im Pool gelockert; Christian hat jetzt auch ein bißchen Anschluss gefunden.

Um 17.30 Uhr erscheinen wir bei Nyoman.
Zur Feier des Tages hatte ich Ente („Bebek“) für 50.000 Rupiahs bestellt.
Ausgehungert wie ich bin, lasse ich mir den Vogel schmecken.
Die hungrige Katze, die seit ein paar Tagen um die Tische streunt, bekommt - wenn Nyoman nicht guckt - von uns ein bißchen Fleisch zugeworfen.

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Christian wird noch zu einer Mopedfahrt eingeladen: ein 11jähriger nimmt ihn auf dem Sozius mit; es wird hier alles nicht so genau genommen.

Vor dem Weggehen tauschen wir mit Nyoman noch die Adressen aus.
Sie wünscht sich eine Casette von Tracy Chapman.
Die haben wir ihr von Deutschland aus geschickt, wissen aber nicht, ob sie angekommen ist, weil wir keine Antwort aus Bali erhalten haben.

Um 20.30 Uhr gehen wir zurück.
Ich lasse mich gleich auf mein Lager plumpsen; es gilt, einigen Schlaf nachzuholen!-

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17. Juli 1999

Ich habe gut geschlafen, viel geträumt.
Schon früh gehe ich zu den Liegestühlen am Strand und lese meinen indisch-englischen Roman weiter.
Um 9.00 Uhr gehen wir frühstücken; der „Zauberer“ verabschiedet sich von den großen und kleinen Gästen.
Wir erhalten eine Einladung zum Mittagessen auf Kosten des Hotelrestaurantes, sozusagen als Treueprämie, weil wir für 11 Nächte gebucht haben.
Wir haben daher die Ehre, mittags mit Dayu zu speisen; sie ist eine der Managerinnen der Hotelanlage.

Bis zum Mittagessen vertreibe ich mir die Zeit, indem ich den Baedeker „Bali“ sowie den in Singapur erworbenen Stadtplan von Manila studiere, soweit sich ein solches Chaos wie Manila überhaupt karthografieren lässt, woran ich zweifele.

Um 12.00 Uhr sitzen wir dann tatsächlich im Hotelrestaurant, für meine Begriffe viel zu früh, denn es ist ja noch nicht lange her, dass wir uns am Frühstücksbüffet ergötzt haben.

Dayu ist eine freundliche Dame von Mitte 40 (geschätzt), gepflegt und geschminkt, wirkt aber schon ein bißchen matronenhaft.
Sie ist zweifellos eine tüchtige Frau, denn sie hat neben ihren eigenen noch zwei
Adoptivkinder aufgezogen, dazu kam ihre Berufstätigkeit....
Diesmal habe ich Fisch bestellt. Der Fisch schwimmt in einer üppigen Buttersauce, es trieft nur so; nein, Nyoman kann besser kochen.
Naja, einem geschenkten Barsch schaut man nicht ins Maul!

Nachmittags baden wir im Meer; etwas unästhetisch wirkt in diesem Zusammenhang ein toter Hahn, der ans Ufer getrieben wurde und sich nicht recht entscheiden kann, ob er am Ufer bleibt oder wieder zurück ins Meer will...

Später fahren wir noch einmal mit dem Shuttle-Bus nach Candi Dasa, erledigen unsere letzten Souvenireinkäufe und bummeln durch den Ort..

Am Ortsausgang, schon Richtung Candi-Beach-Hotel entschließen wir uns spontan zu einem Friseurbesuch.
Wir alle haben einen Haarschnitt nötig, und die Preise für Haareschneiden, Waschen und Legen usw. sind in Asien konkurrenzlos niedrig.

Die junge Friseuse namens Kadek ist 28 Jahre alt, stammt aus Padangbai (wo wir geschnorchelt sind) und beherrscht ihr Fach gut.

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Aus alten abgegriffenen Illustrierten können wir uns eine Wunschfrisur aussuchen.
Christian, der als erster an der Reihe ist, entscheidet sich nach längerem Blättern für eine freche Igelfrisur, der mit Gel zu scharfen Stacheln verholfen wird.

Ich lasse mir die Haare kurz schneiden und genieße die gleich mitgelieferte Massage der Kopfhaut.

Irma wird wie eine Madame nach allen Regeln der Kunst bedient, massiert und bekommt eine schöne halblange Frisur.
Währenddessen bestaunen uns die Kinder, während unser Blick die an der Wand herumlaufenden kleinen Geckos verfolgt, die als nützliche Fliegenfänger geduldet werden; es sei denn, eine Katze überkommt Fressgelüste..

Wir bestaunen das fertige Werk ausgiebig im Spiegel, loben es und zahlen nur 45.000 Rupiahs, umgerechnet 14 DM für uns alle drei.-

Mittlerweile ist die Sonne schon untergegangen, aber es ist nicht mehr so weit zum Hotel, und wir kennen mittlerweile schon die gefährlichen Löcher im Straßenrand und können sie vermeiden.

Heute abend ist bei Nyoman alles überfüllt, daher essen wir gegenüber in dem Restaurant, wo wenig Gäste kommen, die Besitzer tun uns schon leid.
Vorher kaufen wir dort im Laden noch eine geschnitzte Lotosblume sowie einen bunten Garuda für Christians Schreibtisch.

Die Betreiber des Restaurantes, ein ruhiges freundliches Ehepaar, plaudern mit uns, während wir draußen sitzen und Fledermäuse an uns vorbeihuschen.
Sie hoffen auf die Politikerin Megawati, schon deshalb, weil sie als Hindus wie fast alle Balinesen eine Dominanz der moslemischen Parteien befürchten; deshalb flattern auf Bali immer noch überall rote Wimpel als Zeichen der Parteinahme für die Partei PDI, deren Vorsitzende Megawati ist, die Tochter des verstorbenen Staatsgründers Sukarno.
Die Hühnersuppe mit gebratenem Knoblauch schmeckt uns ebenso wie der Hühnersalat.

Anschließend schauen wir doch noch kurz auf ein Bier und einen Zitronensaft bei Nyoman vorbei.
Wir verabschieden uns,.
Sie schenkt uns noch ein Windspiel aus klappernden Kokosnussschalen, welches wir auf unsere Terrasse hängen werden, damit es uns immer an Bali erinnert.
Auch dem hartgesottenen Christian fällt der Abschied schwer, denn Nyoman hatte immer einen Spass für ihn bereit.

So geht jede schöne Zeit vorbei....

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18. Juli 1999

Heute findet unser Weiterflug auf die Philippinen statt!
Wir haben noch nicht viel vorbereitet, deshalb nimmt die Packerei zwei Stunden in Anspruch.
Die sperrigen Schachspiele müssen ebenso verstaut werden wie die Mobiles,
die Bilder und der malaiische Dolch, der hoffentlich nicht vom Zoll beanstandet wird.

Um 8.25 Uhr nehmen wir unser letztes Frühstück auf balinesischem Boden ein, verteilen noch ein paar Trinkgelder an das Hotelpersonal und verstauen unser Gepäck im Bus von Wayan Basudi, der pünktlich gekommen ist, so wie wir es nach der Bergtour verabredet haben.

Wir brauchen die üblichen zwei Stunden für die 80 km bis zum Flughafen, ein letztesmal durch Dörfer, an Reisfeldern, Wäldern und Kokosplantagen vorbei, selamat datang, Bali!

Wayan empfiehlt wärmstens den Bungalow seines Bruders für unsere nächste Bali-Reise, sein Glauben an unsere (finanziellen) Möglichkeiten ist groß.
Auch er freut sich über ein großzügiges Trinkgeld für die zuverlässige Fahrt und hilft uns, die Koffer herauszuwuchten, als wir am Flughafengebäude eintreffen.

Wir haben fünf Gepäckstücke aufzugeben.
Ein Zöllner interessiert sich anscheinend für die mitgeführte Schokolade und will unsere Koffer näher untersuchen.
Da breiten wir unsere schmutzige Wäsche vor ihm aus und wollen ihm noch den letzten Inhalt unseres Koffers zeigen, damit er was zu tun bekommt.

Dies ist ihm anscheinend zu viel Arbeit; er merkt auch, dass Irma keine Indonesierin ist, die vor ihm Respekt hätte und winkt uns dann mürrisch durch, ohne auch nur einen Riegel Schokolade als Bestechung zu erhalten.-

Um 13.05 hebt unsere Boeing 777 ab nach Singapur; von dort geht es weiter nach Manila.
Die Strecke Denpasar-Manila liegt abseits der üblichen Routen; daher erklärt sich auch der relativ hohe Preis von ca. 600 DM für diesen innerasiatischen Flug.

Beim Start gräme ich mich darüber, dass ich die Videokamera verstaut habe:
wir können die gesamte Insel Bali im Vorüberflug erkennen.
Der von mir erkletterte Gunung Agung erhebt noch einmal sein dunkles Haupt mit Wolkenkranz; auch der Batur ist zu sehen, und die weite grüne Fläche ist der fast unbewohnte Bali-Barat-Nationalpark im Westen der Insel.
Bald taucht Java auf, und der weitere Flug erfolgt über das Meer, die Javasee.

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Wir landen nach gut 2 Stunden Flug um 15.20 Uhr in Singapur.
Den modernen Flughafen kennen wir schon gut.
Er ist sehr übersichtlich, so dass wir schon bald unseren Anschlussflieger gefunden haben.

erfolgt der Abflug.
Während des Fluges schaue ich mir den Film „True crimes“ an. Er ist ein recht eindrucksvolles Signal gegen die Todesstrafe.
Einen solchen für die Menschenrechte engagierten und dazu noch spannenden Film hätte ich von „Dirty Harry“ nicht erwartet, aber so eine Überraschung ist angenehm.

Um 20.15 Uhr landen wir nach einem Flug ohne Zwischenfälle in Manila.
Es regnet; der Regen wird uns noch die ganze Zeit unseres Philippinenaufenthaltes begleiten, soviel sei schon vorweggesagt.

Auch an der Abfertigung bei Zoll und Immigration Office merken wir, dass wir in den Philippinen gelandet sind und nicht im hochmodernen Singapur: es geht alles sehr langsam und schleppend voran.
Puuh, endlich ist es geschafft, wo ist unser Empfangskomitee in Gestalt der Familie?
Da normal sterbliche Filipinos, die nicht im Besitz eines Flugtickets sind, keinen Zutritt zum Flughafengebäude haben, ist es nicht so einfach, unter den vielen Menschen
Irmas Verwandtschaft herauszufinden.
Irma geht alleine auf Suche, während ich die Kofferträger und Taxifahrer abwimmele, die auf Kundschaft angewiesen sind, besonders in der Regenzeit, wenn sich kein vernünftiger Tourist auf die Inseln verirrt.

Glücklicherweise hat Irma ihre Familie gefunden, und bei strömendem Regen wuchten wir unser Gepäck in einen Transitbus, der der Familie unserer neuen Schwägerin Ana gehört.

Irmas Mutter und Boy, der ältere von Irmas beiden Brüdern, haben sich kaum verändert.
Neu dabei ist Ana, Boys Frau, die mit 27 Jahren 14 Jahre jünger ist als der 41jährige „Boy“, der eigentlich Fernando heißt, aber von allen nur „Boy“ gerufen wird, und er ist im Grunde der treuherzige Junge geblieben: gutmütig, hilfsbereit, aber auch unselbständig, immer von der energischen Mutter abhängig, wie Ana, die Ehefrau und Schwiegertochter, noch öfters beklagen wird.
Ana ist eine hübsche Frau, recht groß geraten (vielleicht gab es da auch einen Spanier in der Ahnenreihe?) und gut genährt, aber nicht dick.
Noch mehr als ihr wohlgeformtes Äußeres gefällt uns aber ihr aufrechtes freundliches Wesen und ihr fröhliches Lachen, das nur manchmal durch ihre Schwiegermutter und den Kampf um Boys Verhalten ihr bzw. gegenüber der Mutter getrübt wird.
Unser Weg durch das nächtliche Manila führt uns zum Holiday Inn, dem vielstöckigen Hotel an der Prachtstraße Roxas Boulevard, direkt an der Manila Bay mit Ausblick auf den Rizal-Park (eine der wenigen Grünflächen) und das Finanzministerium (!)

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Wir hatten nämlich beschlossen, zunächst einmal ins Hotel zu gehen, weil die Wohnung der Familie im Stadtteil Balintawak von Quezon City klein ist, mit Ana noch eine weitere Person dazugekommen ist und Irma manchmal von den Forderungen ihrer Mutter nach mehr finanzieller Unterstützung genervt ist.

Aber heute abend hat die Family erst einmal Grund zur Freude, denn wir haben im Koffer wie immer auch diverse Geschenke mitgebracht.

Zunächst lässt sich der eine Koffer nicht öffnen, aber Boy ist geschickt und mit einigem Ruckeln, gibt der Koffer dann doch seine Geheimnisse preis.
Irma hat hauptsächlich Kleidungsstücke als Geschenk mitgebracht. Von meinem Freund Martin, seinerzeit Handelsvertreter, haben wir preiswert Unterwäsche erworben, die neben anderen Geschenken auf Anklang stößt.

Es werden noch ein paar Fotos geschossen, dann verlässt uns die Familie und wir können uns für die nächsten drei Tage einrichten.
Vom Fenster aus erblicken wir den Rizal-Park (auch „Luneta“) genannt, der Tag und Nacht vom Verkehrsfluss umspült ist.
Auch jetzt gegen Mitternacht ziehen im Regen blitzende Jeepneys ((chromblinkende Sammeltaxis), Lastwagen und Limousinen ihre endlose Bahn durch die Tropennacht...
Mabuhay, welcome back in the Philippines!

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19. Juli 1999

Unsere erste Nacht auf den Philippinen, Irmas Heimatland.

Wir schlafen bis um 7.30 Uhr.
Frühstück haben wir für das Holiday Inn nicht gebucht, also müssen wir das selbst organisieren.
Der Regen pladdert gegen die Fensterscheiben, aber es ist trotzdem warm, so zwischen 25-30°.
Um 8.30 Uhr taucht Boy schon auf, und wir machen uns gemeinsam auf die Suche.
Die dauert nicht lange, denn Boy führt uns ein paar Schritte weiter zu Mc Donalds.

Nun ja, wir sind zwar keine Fastfood-Freunde, aber auch keine Ideologen; es ist eine lässliche Sünde, gelegentlich einen Hamburger zu essen, und da das Essen von
Mc Donalds auf dem ganzen Erdball gleich schmeckt, wissen wir, was uns erwartet und brauchen keine unliebsamen Überraschungen zu fürchten.

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Irma fällt auf, dass ihre Landsleute es modisch finden, bei den Fastfoodketten zu essen, deren Produkte aber fast so teuer sind wie in Europa und somit ein normales philippinisches Haushaltsbudget mit viel geringerer Kaufkraft ungleich mehr schröpfen als Fisch, Gemüse und Reis.
Aber vielleicht ist ja gerade dies ein Statussymbol: in unseren Breiten gilt es als chic, „beim Japaner“ Sushi zu essen, während in den Philippinen (und wohl auch in anderen Gegenden Südostasiens) es als „in“ und modern gilt, wenn man es sich leisten kann, die Doppelwhopper zu verspachteln.

Als nächstes holen wir uns Geld: wir haben neben DM in bar auch US-Reiseschecks dabei.
Die Schecks - so die Auskunft von Boy - werden von der American Express Bank mit Sitz im Stadtteil Ermita umgewechselt.

Wir besteigen ein Jeepney - endlich mal wieder den typisch philippinischen Dunst der Dieselabgase einatmen!- und sind bald darauf im nahegelegenen Ermita.

Dieser Stadtteil bildete früher das Vergnügungsviertel mit Restaurants, Discos und Bars.
Dort florierte auch der Sextourismus; die Gogobars dominierten aber nur in zwei Straßen; im übrigen herrschte auch das bunte Treiben von Geschäften, Restaurants und Souvenirläden.

In 1992 hat der damalige Polizeichef Lim (jetzt ist er meines Wissens sogar Bürgermeister von Manila) alle Bars schließen lassen.
Dies geschah nach seinem Bekunden aus Gründen der öffentlichen Moral.
Es dürften aber auch Grundstücksspekulationen eine Rolle gespielt haben; man munkelt, dass sich der Schlag vor allem gegen die von Ausländern betriebenen Bars richtete, damit die chinesischen Zuhälter das Geschäft mit der Prostitution alleine kontrollieren konnten.
So läuft jetzt wohl mehr im Untergrund ab, was damals Reeperbahn-ähnlich das Viertel Ermita geprägt hatte.

Jetzt sind die Bars zwar verschwunden; das Viertel wirkt aber nur noch grau und langweilig, weil keine andere Infrastruktur an die Stelle der Vergnügungsstätten getreten ist.
Die wenigen noch verbliebenen Restaurants gehen anscheinend schlecht; Straßen sind aufgerissen, Kabel hängen wirr herum, Bauruinen verrosten vor sich hin; gleichzeitig werden aber Hochhäuser hochgezogen; die Rohbauten weisen wie Betonmonster gen Himmel.

Irgendwo in dieser unwirtlichen Gegend finden wir die American Express Bank und tauschen unsere Reiseschecks ohne Komplikationen.
Der Kurs liegt bei etwa 38 Pesos je US $.

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Mit dem nötigen Kleingeld ausgestattet sehen wir uns in „Fiestang Filipino“ um, dem Verkaufszentrum für philippinische Kunstartikel und Souvenirs.
Es ist kaum etwas los.
Wir kaufen zwei kleine Ölbilder, die Landschaften von den Philippinen mit jeweils einer kleinen Bambushütte im Vordergrund zeigen.
Christian ruht nicht eher, bis er ein Blasrohr von der Insel Neuguinea in den Händen hält.
Die gehört zwar nicht zu den Philippinen, aber was soll’s...
Ninja-Wurfsterne bekommt Christian zu seinem Bedauern allerdings nicht.
Wir gehen auch vorbei an den Muschellampen, den teilweise riesengroßen holzgeschnitzten Adlern aus Nordluzon, den Perlmuttaschenbechern, den geflochtenen Wandbehängen und vielen anderen mehr oder weniger geschmackvollen Artikeln.

Als nächstes streben wir einem Reisebüro zu. In den zwei Wochen, die uns noch bleiben, will ich die Zeit nicht allein mit Verwandtenbesuchen zubringen, sondern es soll noch ein Abstecher zum Baden und Schnorcheln auf eine der Inseln außerhalb Luzons erfolgen.

Von der Kollegin aus der Telefonzentrale des Finanzamtes habe ich den Tipp bekommen, nach Busuanga Island zu fliegen.
Dies ist eine kleine Insel in südwestlicher Richtung, die der 400 km langgestreckten Insel Palawan vorgelagert ist.

Palawan ist eine sehr interessante Insel, auf der ich noch nicht war.
Durch einen mutigen Gouverneuer wurde dort die Regenwaldabholzung gestoppt, so dass auf der dünn besiedelten Insel noch etliche seltene Tiere und Pflanzen leben, die nur auf diesem abgelegenen Eiland vorkommen.

Busuanga Island soll ebenfalls schöne Schnorchel- und Tauchreviere besitzen, dazu bizarre und felsige Küsten sowie ein Resort, das von einem deutschen Aussteiger namens Rudolf geleitet wird.

Als billigste Fluggesellschaft wird uns im Reisebüro die „Asian Spirit“ genannt:
mit winzigen Propellerflugzeugen dauert es etwa eine Stunde bis zu Busuanga Island; schätzungsweise sind es 500 km Entfernung nach Luftlinie.
Die Flugtickets kosten für uns drei insgesamt umgerechnet 430 DM.
Eine Schiffsreise wäre zwar billiger gekommen, aber für eine einfache Fahrt würden wir einen ganzen Tag benötigen!

Schließlich suchen wir noch eine Pension für die Zeit nach unserer Rückkehr von Busuanga Island.
Aber die billigen Pensionen, die wir besichtigen, entpuppen sich als stinkende fensterlose Löcher.
So vertagen wir die Entscheidung über unsere spätere Unterkunft.

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Anschließend fahren wir mit dem Taxi zum „Domestic Airport“ (Inlandsflughafen), nachdem Boy mit dem Taxifahrer einen angemessenen Preis ausgehandelt hat.

Dort gibt es einen riesigen Dutyfreeshop, in dem wir auf Wunsch der Familie Schokolade kaufen. Die gilt anscheinend als Statussymbol und ist gut zur Pflege der nachbarschaftlichen und verwandtschaftlichen Beziehungen geeignet, denn jeder will irgendwie an dem Besuch aus Deutschland partizipieren, und Nachbarn, Freunde und Verwandte sollen „abgefunden“ werden.
Besonders Tobleroneschokolade aus Switzerland, die hier teurer ist als in Deutschland, ist beliebt.

Trotzdem legen wir auch ein paar „nützliche“ Lebensmittel in den sich immer mehr füllenden Einkaufswagen, z.B. Dosen mit Corned Beef, welches die Filipinos nicht etwa kalt essen, sondern in der Pfanne erhitzen und zu gekochtem Reis essen.

Die Schätze werden verstaut.
Dann essen wir im Einkaufszentrum mit seinen vielen Essenstheken zu Mittag: gebratenen Schweinebauch mit Kangkong; letzteres ist so eine Art Spinat.

Viele Speisen sind bunt gefärbt, eine junge Frau, die ein lilafarbenes Eis schleckte, ist mir noch in Erinnerung.
In diesem Punkt sind die Filipinos ähnlich pubertär wie ihre großen Vorbilder aus den USA: es muss bunt sein, lärmend und niedlich; z.B. ist auch Briefpapier für Erwachsene mit Zeichentricktieren mit Kulleraugen verziert.

Auf der Rückfahrt bricht zum erstenmal die Sonne durch die Wolken.
Wir holen unsere vorher bestellten Flugtickets nach Busuanga ab; alles ist o.k.

Dann fahren wir mit dem Taxi nach Quezon City zu unserer Familie.
Quezon City war ursprünglich eine eigenständige Großstadt, wurde aber 1973 von Imelda Marcos mit Manila und ein paar weiteren Städten zur Region Metro-Manila zusammengefasst.

Niemand weiß, wieviele Menschen in Metro-Manila leben; mittlerweile sind es bestimmt 10 Millionen, die sich auf einer Fläche von der Größe Westberlins zusammendrängen, und es werden ständig mehr.
Dies liegt zum einen an der hohen Geburtenrate, zum anderen an dem stetigen Zustrom aus den Provinzen und anderen Inseln.
Die Menschen versprechen sich irgendeine Arbeit und wenn sie die nicht finden, können ihnen die Verwandten, die schon in Manila leben, weiterhelfen, so hoffen sie wenigstens.
In manchen innerstädtischen Gebieten leben bis zu 100.000 Menschen auf einem Quadratkilometer; in Berlin oder Hamburg sind dies nur 4.000; d.h. die Bevölkerungsdichte ist z.T. 25 mal so hoch, ebenso die Belegungsdichte einer Wohnung.

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In Zehn oder mehr Menschen leben oft in einem Raum zusammen. Die meisten Häuser sind aus Holzlatten, Wellblech und anderen Fundstücken.

Unsere Familie ist schon privilegiert, da nur vier Menschen auf zwei Räumen verteilt leben und das gemietete Häuschen aus Stein ist.
Außerdem haben sie Anschluss für Wasser, Kanal und Strom, was viele Familien nicht besitzen.

In starkem Kontrast zu den einfachen Behausungen der Bevölkerungsmehrheit stehen die mit Mauern und Sicherheitsleuten (security guards) abgeschirmten Villenviertel der Millionäre, in die auch ein Tourist nicht hineingelangt, wenn er dort niemanden kennt.

Es wundert mich immer wieder, dass die meisten Filipinos sich so geduldig in ihr Schicksal ergeben; aber alle sind so mit dem Kampf ums tägliche Leben beschäftigt, dass keine Kraft und Zeit bleibt, sich den noch verbliebenen „revolutionären Kräften“ anzuschließen, die in der Wahl ihrer Mittel auch nicht immer nach ethischen Prinzipien vorgehen...

Es ist ernüchternd, wie wenig sich in den letzten Jahren zum Guten geändert hat.
Bescheidene Fortschritte wurden durch Korruption, Bevölkerungszunahme und Umweltverschmutzung zunichte gemacht.

Während der technokratische Präsident Ramos sich wenigstens noch um Wirtschaftsdaten und die Entwicklung eines Mittelstandes bemühte, ist sein Nachfolger Estrada, ein ehemaliger Filmschauspieler wie Reagan, ein großmäuliger Populist, der seine Entscheidungen oft nicht mit dem Parlament, sondern mit einem Küchenkabinett von Trinkkumpanen abstimmt.

Trotz Hochbahn hat sich auch der Verkehrsfluss nicht gebessert, da immer mehr Autos zugelassen werden und die Umwelt verpesten.
Die Durchschnittsgeschwindigkeit auf Manilas Straßen soll sich auf 8 km/h belaufen; da kann ein guter Fußgänger noch mithalten.

Daher ist es auch für uns schwierig, von Quezon City im Nordosten Manilas aus zu den touristisch halbwegs interessanten Plätzen im Zentrum oder Südwesten zu gelangen: je nach Verkehrsdichte dauert dies zwischen einer und zwei Stunden!

Heute haben wir Glück mit unserem Taxi: es ist nur eine gute Stunde, bis wir in Balintawak, Eulogia Drive Nr. 30, angelangt sind.

Schon die Existenz einer bezifferten Adresse spricht für einen gewissen Mindestwohlstand, da Squatter (Obdachlose und illegale Siedler) keine Adresse ihr eigen nennen können, weil ihre Behausungen und Wege nicht registriert sind.

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Es hat sich nicht viel geändert seit unserem letzten Besuch in 1993: die Hühner sind verschwunden, nach und nach im Kochtopf gelandet, dafür sind zwei Katzen und drei Katzenjunge da, die meine tierliebe Schwiegermutter Ramba, Rambi und Rambo getauft hat.
Außerdem gibt es eine Mischlingshündin namens Thalia, die angebunden draußen in einem Pappkarton lebt, jeden Fremdling anbellt, wohl auch gerne beißen würde und nur abends an der Leine eine kurze Runde um den Block macht.

Trotz dieses bedauernswerten Hundeschicksals hat Thalia noch Glück gehabt, denn meine Schwiegermutter hat sie als Welpe vor dem drohenden Kochtopf der Nachbarn gerettet, dem schon ihre Mutter zum Opfer fiel.
Hundefleisch zu essen ist zwar offiziell verpönt, zumal sich reichere und moderne Filipinos nach westlichen Maßstäben ausrichten und unsere Familie den Verzehr von Hundefleisch verabscheut; aber in manchen Provinzen ist „gebratener Köter“ durchaus noch ein gängiges Gericht, das ich unwissenderweise 1983 auf unserer Hochzeitreise in Nordluzon wohl mal selber verzehrt habe, ohne das mir dies schlecht bekommen ist.
Angeblich essen die Alkoholiker gerne gebratene Hunderippchen, wenn sie Bier oder Hochprozentiges in sich hineinschütten; schon daran merkt man, dass sich die Wertmaßstäbe wandeln und die Hundefleischesser auf der sozialen Leiter nach unten rutschen.

Irmas Vater Inocencio, jetzt 63 Jahre alt, begrüßt uns; er ist geschwächt, hat Tuberkulose gehabt und macht einen sehr müden und resignierten Eindruck.
Aber er kann nicht von seinen Zigaretten lassen; heimlich raucht er wie ein Schuljunge, wenn er mit den Nachbarn draußen auf der Bank sitzt...
Am 27.Juli hat er Geburtstag, dann wollen wir von Busuanga zurück sein und ihm die Geburtstagsfeier ausrichten.

Nach kurzer Zeit erscheint auch Christians Urgroßmutter Visitacion (kurz „Visit“), die wir 1990 seinerzeit in ihrer kleinen Hütte auf dem Berg auf der Insel Panay besucht haben.
Sie freut sich über den Enkel, scheint sich aber zu schämen, als Irma ihr ein Geldgeschenk in die Hand drückt.
Sie wohnt nebenan bei ihrer Tochter Fely (Felicitas); dies ist die Schwester von Irmas Mutter.
Der Ehemann von Fely ist der bereits in früheren Reiseberichten erwähnte dicke und habgierige Onkel Olli, der uns vorerst aus sicherem Abstand beäugt und ungewohnt bescheiden ist.
Während wir drinnen im Hause frische Mangos essen, prasselt draußen ein Tropenregen herunter.
Binnen kurzem ergießen sich draußen Sturzbäche über die Straße, Blitze zucken, und Donner hallt.
Wir wollen eigentlich bald zum Hotel zurück, aber im Moment tobt das Unwetter zu heftig.

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So überbrücken wir den Sturm auf philippinische Weise: wir essen.
Es gibt Menudo, ein Eintopfgericht, dazu Reis mit Lapu-Lapu.
Der Lapu-Lapu ist so eine Art nationaler Fisch der Philippinen, benannt nach Häuptling Lapu-Lapu, der am Strand der Insel Mactan bei Cebu mit seinen Kriegern den Weltumsegler und „Entdecker“ der Philippinen Magellan umbrachte.
Auch heute gilt Lapu-Lapu als Nationalheld, weil er einen der wenigen Siege gegen die späteren Kolonisatoren errang.
Bei uns heißt dieser Fisch Brasse, glaube ich.

Nachdem die letzte Gräte abgelutscht, das letzte Reiskorn gegessen und der letzte Tropfen Wasser getrunken ist, geht es nun doch an die Abfahrt, weil wir lieber im Hotel übernachten möchten und nicht auf eine Übernachtung bei der Familie vorbereitet sind.

Die Heimfahrt wird zum Albtraum.
Zunächst kommen wir noch einigermaßen voran.
Dann fährt Boy schon Umwege, weil es heißt, dass eine Flut die Hauptstraße überschwemmt habe.
Es kommt mir in der Folgezeit so vor, als würden die Pfützen, durch die wir preschen, immer tiefer, und das ist letztlich keine optische Täuschung.
Auf einmal ist es dann soweit: ein Riesenstau mitten in der Nacht, nichts geht mehr, und die Straße vor uns scheint sich in einen Fluss verwandelt zu haben, in dem ein paar Autos feststecken, die von tatkräftigen Anwohnern durch die Wassermassen geschoben werden.
Bei einigen ist Wasser in den Auspuff geflossen, wodurch der Motor zum Erliegen kam.

Ansonsten schreien viele durcheinander; andere waten gleichmütig durch den dreckigen Schlamm, und uns rinnt im Fond des Wagens der Schweiß den Körper hinunter.
Das geht so eine ganze Zeit lang, und ich bekomme langsam Platzangst: wo sind wir, müssen wir die ganze Nacht in dem Wagen verbringen?

Nach endlosem Warten sind die Hindernisse verschwunden, und wir fahren langsam durch die Fluten, die sich wie weiland bei Moses zu teilen scheinen.
Wir haben Glück, dass das Heck nicht tief im Wasser liegt; so schaufeln wir uns eine Bahn durch die Fluten.
Vollends begeistert bin ich, als wir wieder auf halbwegs normale Straßen kommen, in denen nur die üblichen wassergefüllten Schlaglöcher gischtsprühend zu überwinden sind.
Nach längerer Irrfahrt haben wir den Stadtteil Tondo in Hafennähe mit seinen unzähligen Hütten erreicht, die an den Gleisen und Straßen kleben.
Hier leben die Ärmsten, und jede Flut sorgt für ein neues Chaos.
Wir passieren die großen Schiffe in der Manila Bay, Container stapeln sich am Hafenrand; nun ist es nicht mehr weit bis zum Hotel.

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Wir sind heilfroh, als wir endlich am Holiday Inn eintreffen, die „erste Welt“ hat uns wieder zurück, aber nur fast, nur fast.
Wir erleben direkt vor dem Hotel noch eine merkwürdige Situation:
mit Schlägen an die Autoseite hilft uns ein Einbeiniger beim Einparken, er verdient sich auf diese Weise sein Geld.
Es ist schlimm, sich vorzustellen, dass er ausschließlich auf solche Einnahmequellen angewiesen ist – hier gibt es weder Rente noch Sozialamt....

Ich habe das Privileg, in das beleuchtete trockene Hotel gehen zu können.
Ich hätte vorhin im Stau in der Flut nicht gedacht, dass ich heute abend noch einmal in einem weichen Bett liegen darf.....

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Juli 1999

Nach dem Aufwachen fahre ich mit Christian im Fahrstuhl bis in den 5. Stock.
Dort befindet sich auf dem Dach der Hotelpool.

Es ist ungewohnt, über der Stadt hin und her zu schwimmen, wir sind momentan die einzigen Nutzer des Schwimmbades. Aber es macht Spass.
Dann heißt es Koffer packen, denn heute ist unsere letzte Nacht im Holiday Inn.

Wir essen in Ermita in einem landestypischen Restaurant, wo das Essen auf Bananenblättern serviert wird; ich habe wieder gebratenen Schweinebauch bestellt, der auf kunstvolle Weise knusprig gebraten ist.

Als nächstes suchen wir die American Express Bank, um wieder einen Scheck zu wechseln, aber es ist wie verhext: wir finden sie nicht!

Alle, die es wissen müssten, können uns trotzdem nicht weiterhelfen: ein Polizist, ein Wachmann, ein Straßenverkäufer, ein in den Philippinen lebender Deutscher: sie haben ihre Theorien, wo das Gebäude sein könnte, müssen aber doch passen.
Wir stolpern eine Weile die kaputten Bürgersteige entlang, aber die Bank bleibt verschwunden.
So bleibt uns nichts anderes übrig, als Boy herbeizutelefonieren.

Boy findet die Bank ohne Mühe, so weit ist es gar nicht; aber warum konnte uns das keiner der hier Ansässigen sagen?

Über den Roxas Boulevard, die Prachtstraße an der Küste, promenieren wir am Meer entlang zurück, Boy verabschiedet sich, will abends wiederkommen.
Mächtige Baumriesen säumen die Promenade am Meer; die Obdachlosen, die sonst hier anzutreffen sind, haben vielleicht schon woanders Schutz vor den kommenden Unwettern gesucht.
Wir beobachten die Ozeanriesen sowie Männer in kleinen Booten, die dem aufkommenden Taifun trotzen wollen.
Der Wind weht immer heftiger, die Wellen wogen, aber noch fällt der Regen nicht.
Trotz des ungewissen Wetters warten Scharen von Menschen vor der US-Botschaft: hier gibt es Eintrittskarten zum Paradies; viele fühlen sich berufen, aber nur wenige sind auserwählt.
Die Menge wartet diszipliniert und stumm.
Wer schon einen Verwandten in den USA hat, ist besser dran; aber es ist trotzdem ein weiter Weg bis zum Visum!.
Wir sind nun nicht mehr weit vom Hotel entfernt.
Die letzten paar Hundert Meter legen wir in einer Caleza, einem Pferdefuhrwerk, zurück.
Es ist eine Geste an die Nostalgie.

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Ich bewundere sowohl Pferd als auch Fuhrmann, wie sie dem Autolärm, dem Gehupe und den Abgasen stoisch trotzen.
Die Hufe klappern, als wollten sie die alte spanische Welt in Manila nochmals aufleben lassen.
Aber die Illusion endet schnell.
Schon sind wir im Hotel, viel haben wir heute nicht mehr vor.

Abends gegen 20.30 Uhr taucht Boy wieder auf; er hat seinen 32 Jahre alten Bruder Gerry (Abkürzung von „Gerardo“), den jüngsten von Irmas Geschwistern, mitgebracht sowie Marylin, dessen Frau, die uns einen Strauß Rosen zur Begrüßung überreicht.
Marylin kennen wir auch noch nicht.
Sie ist kleiner und zierlicher als Ana, nicht so direkt, wirkt quirlig und agil.
Nach unserem Eindruck haben beide Brüder Glück gehabt mit ihren Frauen.
Dies sieht auch Irma so, die als „Ate“ (ältere Schwester) nach philippinischer Sitte fast eine elternähnliche Position gegenüber den jüngeren Geschwistern hat.
Ein bisschen von dem Respekt geht auch auf mich über, denn alle nennen mich „Kuya Hardy“, wobei Kuya „geehrter älterer Bruder“ heißt und „Hardy“ mein philippinischer Spitzname ist (kaum jemand wird mit seinem Taufnamen angeredet), weil die Aussprache von „Burkhard“ für philippinische Münder ein Zungenbrecher ist.

Wir schießen noch ein paar Fotos im Foyer des Hotels.
Dann verabschieden sich die drei gegen 22.30 Uhr, weil wir ja morgen wegen unseres Abfluges nach Busuanga früh aufstehen müssen.
Wir haben schon mit der Hotelrezeption vereinbart, dass wir um 6.00 Uhr geweckt werden möchten.

Morgen beginnt wieder ein neues Abenteuer!

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21. Juli 1999

Um 6.00 Uhr werden wir pünktlich geweckt.
Wir raffen unsere Habseligkeiten zusammen und verlassen um 7.15 Uhr das Hotel.
Zum Glück finden wir ausnahmsweise einen fairen Taxifahrer, der uns zu dem von Boy genannten Preis mitnimmt.
Er ist ein Student von chinesischer Abstammung.
Kurz vor 8.00 Uhr sind wir am „Domestic Airport“.
Vor den Schaltern der Inlandsfluggesellschaften herrscht großes Gedränge. Touristen sind jetzt in der Regenzeit kaum zu sehen. Einheimische verladen riesige Kisten, die von Schnüren zusammengehalten werden.
„Asian Spirit“ ist eine der kleinen neuen Fluggesellschaften.
Um 9.45 Uhr sollen wir losfliegen.
Bei strömendem Regen hasten wir unter bereitgestellten Regenschirmen zur kleinen bunten Propellermaschine.

Das bemalte Flugzeug ist winzig klein und mutet vom Outfit her wie ein Hippieflugzeug an.
Es gibt 17 Sitzplätze, davon sind nur zwölf besetzt.
Auf meinem Ticket steht „Sitz Nr.13“; dieser Sitz ist im Flugzeug allerdings nicht zu finden, da eine entsprechende Beschriftung fehlt. Schuld an der fehlenden Bezeichnung ist wieder mal der asiatische Aberglaube!
Daher setze ich mich auf den Sitz zwischen „12“ und „14“; dies ist der richtige Sitz, der auch von keinem anderen Passagier eingefordert wird.
Falls die „Nr. 13“ Unglück bringen und das Flugzeug abstürzen sollte, würden die unbelasteten Sitznummern kaum Glück bringen, der Aberglaube ist insoweit in sich nicht schlüssig -
Später erfahren wir, dass ein paar Monate nach unserem Flug eben ein solches Flugzeug der „Asian Spirit“ abgestürzt ist und sämtliche Passagiere ums Leben kamen.
Wenn wir das gewusst hätten, wären wir vielleicht garnicht nach Busuanga geflogen!

Die Propeller drehen sich, der zierliche Vogel setzt sich in Bewegung und hebt dann schwankend vom schlammigen Rollfeld ab.
Langsam gewinnen wir an Höhe und sehen den triefnassen Moloch Manila im Regenschleier unter uns liegen.

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Der Fluss Pasig, im Sommer ein verschmutztes schwarzes Rinnsal, windet sich nun wie eine vollgefressene ockerfarbene Schlange durch das Meer der Elendshütten.
Dauert die Flut lange, steigert das die Seuchengefahr, da viele Hütten nicht an die Kanalisation angeschlossen sind!

Von weitem ragen die Wolkenkratzer des Geschäftsviertels Makati gen Himmel; es ist ein seelenloser Ort, der die Polarisierung zwischen „Arm“ und „Reich“ offenlegt.

Bald fliegen wir übers Meer Richtung Südwesten.
Böen schütteln den zierlichen Flieger durch, wir fühlen uns wie in einer Achterbahn; Regen peitscht gegen die Glasfensterchen: wir sind ein Spielball der Naturgewalten, egal, welche Nummer der Passagiersitz trägt!
Irgendwo auf der linken Seite müsste die größere Insel Mindoro unter uns liegen, auf der wir schon zweimal Badeurlaub gemacht haben.

Nach einer Stunde Schütteln und Auf und Ab nähern sich kleine grüne Inseln; die Maschine senkt sich zum Landeanflug: das große Eiland unter uns muss die Insel
Busuanga sein. Unter anderem befindet sich dort eine große Rinderfarm; wir sehen grüne Wiesen, aber keine gehörnten Herdentiere..

Bei strömendem Regen landen wir auf dem Rollfeld, welches mitten auf einer grünen Wiese liegt.
Der Flughafen ist nur eine bessere überdachte Bushaltestelle.
Ein paar Jeepneys warten schon auf Fahrgäste.
Eine kräftige Philippinin mittleren Alters, eine Repräsentantin des philippinischen Mittelstandes, erzählt uns, dass sie eine Woche Urlaub auf einem exklusiven Resort
auf der kleinen Insel Dimakya im Norden Busuangas gebucht habe; jetzt gefällt ihr das Wetter natürlich nicht.
Für uns stellt sich das Problem, dass wir erst einmal eine Unterkunft suchen müssen.
Hier in der Nähe des Flughafens gibt es keine Ortschaft; alles orientiert sich in den Süden, wo die Inselhauptstadt Coron City liegt.
Dort befinden sich auch die Strände mit bizarren Felsformationen, die Tauchreviere mit versunkenen japanischen Schiffen aus dem zweiten Weltkrieg und die geheimnisvolle Felseninsel Coron, die das Refugium der dunkelhäutigen Tagbuanas ist, die früher auf der viele größeren Insel Busuanga lebten, bis sie von den hellhäutigeren Filipinos zurückgedrängt wurden.

Uns fällt ein großes gemaltes Schild mit der deutschen Aufschrift „Kokosnuss“ auf: das ist das Resort des deutschen Aussteigers, von dem mir meine Kollegin erzählt hatte!
Aber wie kommen wir dorthin?

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Wir brauchen nicht lange zu überlegen, denn ein hübsches junges Mädchen mit einem Pferdeschwanz wedelt mit einem Pappkarton mit der Aufschrift „Kokosnuss“ und hat auch ein paar bunte Prospekte bei sich.

Das Mädchen heißt Wilma und ist Angestellte des Resorts „Kokosnuss“.
Wir besteigen mit ihr zusammen einen Jeepney, in dem noch ca. 15 andere Fahrgäste kauern, darunter eine europäische (schwedische) Familie mit einem blonden Jungen.
Die Passagiere sitzen sich gebeugt auf den beiden Sitzbänken gegenüber, die links und rechts angebracht sind.

Gerne würden wir einen Blick auf die Landschaft werfen, aber wegen des Regens sind an den Seiten Planen heruntergelassen, so dass wir nur gelegentlich Ausschnitte von grünen Wiesen, Wald und schlammiger roter Straße mit Schlaglöchern und Kieselsteinen erhaschen können.

Nach einer Dreiviertelstunde sind wir in Coron City.
Der Jeepney hält schon vor dem Anfang der eigentlichen Stadt, denn das „Kokosnuss“ liegt etwas außerhalb.

Das „Kokosnuss“ besteht aus einem Haupthaus mit Restaurant, einem Haus, in dem der Eigentümer wohnt und mehreren Gästehäusern, deren Außenwände allesamt aus Holz und im früher landestypischen Stil auf Stelzen errichtet sind. Sie haben keine Wellblechdächer, interessant, dass die traditionell aussehenden philippinischen Häuser von einem Deutschen errichtet wurden, während die Einheimischen am liebsten Steinhäuser mit Wellblechdach errichten.
Das hängt natürlich damit zusammen, dass die Holzhäuser mit ihrem Reetdach dauernd gepflegt und ausgebessert werden müssen.
Andererseits sind sie viel besser geeignet, um mit den Klimaschwankungen fertig zu werden. Durch ihre Konstruktion auf Stelzen (die die Ratten vom Hochklettern abhalten sollen), zirkuliert immer frische Luft, und unter dem Dach wird es auch nicht so brütend heiß wie unter Wellblech.

Ein paar der Häuschen sind kleine Bungalows, zwei größere wirken wie die Langhäuser der Dayaks auf Borneo.
Sie sind im Kreis um eine Wiese mit Teich und exotischen Pflanzen gruppiert.
Zwei Hängematten, zwischen Palmen gespannt, wirken jetzt trostlos verlassen im Regen, der gleichmäßig vom Himmel fällt.

Jörg führt uns zu den einzelnen Häuschen, nachdem wir unser Gepäck im überdachten Teil des Restaurants abgestellt haben.
Jörg ist der 21jährige Sohn von Rudolf, dem Besitzer, der mit einer Filipina verheiratet ist.

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Von Wilma haben wir schon erfahren, dass Fe, die Filipina, Rudolf verlassen hat und auf ihrer Heimatinsel Cebu jetzt mit einem Filipino zusammenlebt.
Sie stellt die Trennung als von der Frau verschuldet dar.
Später werden wir aus anderer Sicht noch mehr über die problematische Beziehung von Rudolf und Fe erfahren, wobei letztere wenigstens noch auf den bunten Faltprospekten des „Kokosnuss“ vor paradiesischer Landschaft zu sehen ist.

Der blonde Jörg ist kein Mischling, wie an seinem europäischen Aussehen unzweifelhaft zu erkennen ist.
Er stammt aus der ersten Ehe Rudolfs mit einer Deutschen.
Der Aussteiger hat den kleinen Sohn mit auf die Philippinen genommen, ein weiter Weg von Großkrotzenburg bei Hanau bis nach Palawan in fernen Südostasien!
Ein Problem für den jungen Mann dürfte sein, dass er weder in Deutschland noch in den Philippinen eine Ausbildung genossen hat.
Erst seit kurzem lernt er die philippinische Hauptsprache Tagalog, die auch auf Busuanga Island gesprochen wird.
Eine weitere Aussteigerin aus Deutschland ist eine alte Schäferhündin, friedlich und treuherzig.

Uns gefallen alle Hütten gut.
Die Innenwände aus Stein und die Badezimmer sind in den teureren Hütten mit bunten Gemälden verziert.
Die romantischen zart hingehauchten Bilder von Landschaften, Blumen, Schmetterlingen; Lotusteichen und leichtgeschürzten braunen Frauen wurden von einem Maler des Ortes in langer Kleinarbeit gefertigt.

Wir entscheiden uns nicht für das teuerste Haus, auch nicht für die winzigen auf zwei Personen ausgerichteten Bungalows, sondern für die Hütte im Stil eines Langhauses, wo wir einen Raum mit nach hinten gehendem gekachelten Badezimmer erhalten.
Es kostet 700 Pesos für uns drei pro Nacht; das sind etwa 35 DM insgesamt, recht erschwinglich, wie ich finde.
In den Hauptraum mit großem Doppelbett wird noch ein Bett für Christian dazugestellt.

Der Bettbezug wird gewechselt; die braunen Flecken auf dem Bettzeug sind nach Auskunft von Wilma Kot der Geckos, die sich in fast jedem Raum aufhalten und wohl gelegentlich von oben Zielschießen veranstalten.
Aber ich mag ja die kleinen putzigen Echsen gern.
Derzeit sind keine zu erspähen.
Auf der überdachten Veranda befinden sich Liegestühle, von denen aus wir - zur Untätigkeit verdammt - das trostlose Szenario beäugen können: eine verlassene Wiese mit verwaisten Hängematten in stetig stärker werdendem Regen.

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Hoffentlich klart das Wetter noch auf, denn wir wollen hier ja Badefreuden genießen, schnorcheln, Boot fahren und schwimmen....

In einer kurzen Regenpause gehen wir zur nahegelegenen Stadt Coron City, die direkt am Meer, am Südrand der Insel Busuanga liegt.

Die Stadt wirkt für philippinische Verhältnisse ziemlich sauber, hat sogar einen Umweltpreis bekommen, wie wir später erfahren.
Viele Gärtchen und Bäume würden noch angenehmer wirken, wenn der Himmel nicht so grau und düster wäre!

Am Meeresufer erheben sich zahlreiche Hütten auf Stelzen, Jachten dümpeln, und uns gegenüber liegt die Felseninsel Coron wie ein grauer riesiger Schatten im wasser; Nebel und Dunst hüllen sie ein: dieses Bild könnte auch aus Schottland stammen.

Wir kaufen ein paar gebratene Bananen; dann fährt uns ein Trycicle-Fahrer nach Hause, ein weiser Entschluss, denn der Regen setzt bald wieder mit neuer Heftigkeit ein.

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Abends serviert uns Wilma und ihre Helferin Fisch mit Curry, mir schmeckt es gut; dazu lasse ich mir zwei Fläschchen San Miguel Bier schmecken.

Rudolf begrüßt uns im Morgenmantel; er hat anscheinend den ganzen Tag geschlafen; erst später merken wir, dass nicht allein der Kummer über den Verlust der Frau, sondern auch der Genuss von philippinischem Rum und anderen harten Sachen die Ursache für seine Indisponiertheit sein dürfte.

Er erzählt uns, dass er ursprünglich drei Schäferhunde von Deutschland auf die Philippinen gebracht habe; dies habe mit allen Papieren und Schmiergeldern etwa
5.000 DM gekostet. Die zwei jüngeren Schäferhunde seien ihm vergiftet worden, nur die Mutter der beiden jungen Hunde übriggeblieben.
Bald verzieht er sich wieder in sein Haus, während wir noch ein wenig mit Jörg plaudern.

Nach dem Essen gehen Irma und ich noch ein bisschen spazieren, als der Regen mal wieder nachgelassen hat.
Die schmalen Straßen von Coron City sind überwiegend betoniert; das ist eine große Erleichterung beim Spazierengehen während der Regenzeit.

Als wir zurückkehren, ist es schon dunkel.
Dummerweise fällt noch der Strom aus, was aber nicht so schlimm ist, weil die angezündeten Kerzen im Freiluftrestaurant einen gemütlichen Schein verbreiten.

Wir können zwei andere Gäste begrüßen: Hans und Robin, Vater und Sohn, die auf „Expeditionsreise“ durch Palawan sind.
Die beiden stammen aus einem Vorort von Leipzig und sächseln, dass es eine Pracht ist.
Hans, der Vater, ein stämmiger Mann mit rundem, stets lachenden Gesicht, hat ein bewegtes Leben hinter sich.
Er war Offizier der NVA, schloss sich aber später zur Wendezeit der Bürgerrechtsbewegung an, was ihm nach seinem Bekunden viel Ärger einbrachte.

Er ist jetzt Ausbilder für schwer erziehbare Jugendliche.
Sein Hobby ist die Zoologie.
Er habe schon zu DDR-Zeiten als Beauftragter des Leipziger Zoos Reisen nach Südostasien unternommen, Schlangen gefangen, Käfer erforscht und sei ein paarmal in Pirna gewesen. Pirna in Sachsen denke ich; aber Hans meint Birma (jetzt Myanmar); das ist schon exklusiver.
Der Stolz von Hans sind seine vielen Schlangen und Schildkröten daheim in den Terrarien; aber in der freien Wildbahn gefallen ihm die Tiere noch besser.
Ab und zu macht er uns auf die großen Geckos an der Wand aufmerksam, die wir nicht so bewusst wahrgenommen haben, weil sie sich gut tarnen und stillhalten.

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Seine zweite Frau stammt aus Vietnam, ist aber in Leipzig geblieben.
Aus der ersten geschiedenen Ehe, über die Hans nicht gerne sprechen will, stammt der Sohn Robin, ein Jahr jünger als Christian, ein aufgeweckter Junge mit starkem sächsischem Dialekt, der voller Stolz erzählt, dass er Jugendmeister im Boxen ist.
Angesichts dieser harten Tatsachen lässt sich der sonst so kampfbereite Christian lieber nicht auf einen Fight gegen Robin ein!

Gegen halb zehn verabschieden wir uns und patschen durch den unter Wasser stehenden Rasen zu unserem Häuschen.
Wenigstens hat das geflochtene Dach dichtgehalten, und auch kein Gecko kackt uns von oben auf das Bett.

Wir hoffen, dass sie fleißig alle Moskitos wegfangen.
Das Moskitonetz sollte sicherheitshalber aufgespannt sein, denn die Provinz Palawan ist nicht malariafrei.

Rudolf hat uns allerdings beruhigt: Coron City und die Umgebung seien vollkommen frei von Malariamücken; die einzige Ansteckungsgefahr bestehe im Dorf „Old Busuanga“ und das sei relativ weit entfernt.
Er hat wohl recht behalten; denn wir haben uns keine Malaria geholt.

Nachts rauscht uns der Tropenregen in den Schlaf.-

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22. Juli 1999

Regen, Regen, nichts als Regen!
Wir müssen unsere Bootstour wohl verschieben, da sich ganze Wolkenbänke über der Insel entleeren.

Außerdem müssen wir uns auf die Geldsuche machen; unser Bargeld wird für die Zeit unseres dreitägigen Inselaufenthaltes nicht reichen, auch wenn wir noch so spartanisch leben. Hoffentlich können wir wenigstens über die Visakarte an die begehrten Mäuse gelangen!

Nach einem Frühstück aus Bananen und Pulverkaffee laufen wir Richtung Ortschaft, als der Regen ein bißchen nachgelassen hat.
Glücklicherweise finden wir einen Laden („Swagman’s“), in dem uns die Verkäuferin nach Vorlage der Visakarte Geld auszahlt; allerdings zu einer saftigen Gebühr von 8% der Auszahlungssumme.
Egal, dafür ist das Preisniveau auf den Philippinen nicht so hoch, und es war die einzige Möglichkeit, auf legalem Wege an Bargeld zu kommen!

Soweit der Regen es zulässt, besichtigen wir die Marktstände an der Anlegestelle, wo der frisch gefangene Fisch ausgelegt wird.
Wir finden auch etliche Tauchschulen, zum Teil von Ausländern betrieben.
Aber für einen regelrechten Tauchkurs haben wir ohnehin keine Zeit.
Wegen des schlechten Wetters verzichten wir darauf, mit dem Trycicle (dreirädriges Moped, das zwei bis drei Fahrgäste befördern kann) einen Ausflug zu den weiter entfernt gelegenen heißen Quellen zu machen.

Wir setzen uns in ein Restaurant, betrachten wehmütig die gerade erworbenen Postkarten, die blaue Lagunen mit strahlendem Himmel zeigen und vertilgen Hühnchen mit Curry-Sauce und Kartoffeln.

An einem Stand kaufe ich mir ein paar landesübliche Tsinelas (Badeschlappen aus Gummi); sie schneiden allerdings an den Zehen ein, bin nicht so abgehärtet wie die Filipinos.

Mit dem Trycicle fahren wir zurück zum „Kokosnuss“.
Dort sitzen schon Hans und Robin.
Sie haben eine Boots- und Schnorcheltour hinter sich, sind durchnässt, aber guter Laune.
Einer der Bootsbesitzer aus der Stadt befindet sich auch im Restaurant.
Er heißt Nestor, ist kaum größer als Christian, schätze ihn auf 1,50 m.
Er hat eine sehr dunkle Hautfarbe, blitzende weiße Zähne und eine Stimme, die an Micky-Maus erinnert.

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Er macht aber einen vertrauenswürdigen Eindruck und da wir nicht ohne eine Schnorcheltour zurück nach Manila fliegen wollen, verabreden wir, für den nächsten Tag sein Boot zu mieten; er wird es natürlich steuern.
Der Preis beläuft sich auf 800 Pesos (etwa 40 DM) für sechs Stunden; das liegt im Rahmen des Üblichen.

Abend spiele ich mit Robin Karten und lausche den Erzählungen von Hans sowie den Fröschen im Gartenteich, die in der internationalen Froschsprache ein stimmungsvolles Abendkonzert geben.

Dazu trinken wir ein paar San Miguel Biere.
Wir verabschieden uns schon gegen halb zehn und schlurfen mit quietschenden Badelatschen zu unserem Langhaus, das zum Glück innen trocken ist.
Auch die Moskitonetze halten ungebetene Besucher fern.

Hoffentlich wird es morgen etwas besseres Wetter geben, damit unsere Tour nicht „ins Wasser fällt“!

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23. Juli 1999

Auch heute ist der Himmel grau, aber es regnet wenigstens nicht ununterbrochen.
Wir frühstücken gut: Ei, Toast und Ananassaft, wir haben ja jetzt wieder Kleingeld!

Um 8.00 Uhr erscheint Nestor verabredungsgemäß; es ist also Verlass auf ihn.
Wir fahren mit dem Trycicle zur Pier im Hafen und betreten seine „Banca“, ein großes Auslegerboot mit Außenbordmotor.
Es ist zum Glück nicht so schmal wie das Boot in Padang Bai auf Bali, und Wasser müssen wir auch nicht schöpfen.
Vorher haben wir in einem nahegelegenen Geschäft noch Taucherbrillen und Flossen geliehen, damit wir der Unterwasserwelt einen Besuch abstatten können.

Mit lautem Knattern sticht das Boot in See, schaukelt kaum auf den Wellen.
Uns gegenüber liegt wie ein großer schwarzer Schatten die felsige Insel Coron, während die Stadt Coron City auf der viel größeren Insel Busuanga liegt, alles klar?!

Die Insel Coron hat unzählige Buchten; ein paar davon wollen wir heute erforschen.
Zwischen Coron und Busuanga sollen 11 japanische Kriegsschiffe gesunken sein.
Sie wurden 1944 von amerikanischen Bombern auf Grund gejagt, nachdem die US-Radarkontrolle entdeckt hatte, dass es sich bei den beweglichen kleinen Punkten nicht um Inseln, sondern um Kriegsschiffe des japanischen Feindes handelte.
Die Schiffe eignen sich als Tauchziel, liegen aber natürlich viel zu tief für Schnorchler.

Während wir gischtüberströmt unter einem grauen Himmel auf die Felsen der Insel Coron zusteuern, fühle ich mich eher wie ein Wikinger als wie ein Südseeurlauber.

Beim Näherkommen sehen wir, dass die Insel aus dunkelgrauem Fels besteht, der an fast allen Stellen steil ins Meer abfällt.
Wo immer es möglich ist, sind die Felsen mit Moos, kleinen Büschen und Bäumen bewachsen; das Grün der Pflanzen bildet eine attraktive Ergänzung zum Dunkelgrau der Felsen.

Die Szenerie erinnert mit zum Teil bizarr geformten kleinen Felsinseln an Südthailand oder an die chinesische Landschaft von Guilin in Südwest-China.

Der Regen peitscht jetzt wieder von oben auf uns ein, die Gischt der Wellen kommt uns von der Seite entgegen und durchnässt uns, und als nächstes wollen wir nach unten ins Wasser gehen!

In einer malerischen Bucht mit Felsnadeln und kleinen abgeteilten Meeresarmen hält Nestor zum erstenmal und lädt Christian und mich ein, hier zu schnorcheln.

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Wir brauchen uns nicht anzufeuchten, denn nass sind wir sowieso schon, müssen achtgeben, dass Filmkamera und Fotoapparat einigermaßen trocken bleiben.
Irma filmt uns, während wir vom Bootsrand aus ins Wasser platschen.

Es sind zunächst nicht so viele Fische zu sehen wie in der blauen Lagune auf Bali, vielleicht ist das Regenwetter dran schuld, oder es wird zuviel gefischt.
Aber die Korallen sind schön, und etliche bunte Fische ziehen auch hier ihre Bahn.
Außerdem ist es angenehm, unter Wasser dem Regen zu entkommen, so paradox dies auch klingen mag.

Nach einer dreiviertel Stunde klettern wir wieder an Bord (ich benutze erneut die Technik, über die Auslegerarme zu klettern), und wir setzen unsere Fahrt fort.
Es gibt auch etliche Buchten mit Sandstrand.
Die Felsbrocken im flachen Wasser sind auf alle denkbaren Arten geformt.
Ein Felsen erinnert an den „James Bond - Felsen“ bei Krabi in Südthailand, ist freilich viel kleiner .
Einen anderen taufe ich „Stegosaurus“, weil er aussieht wie ein Saurier mit Rückenplatten; ein weiterer ist die „Schildkröte“ usw.; der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.
In einer kleinen Bucht, wo auch ein ankerndes Piratenschiff vorstellbar wäre, halten wir an und gehen an Land.

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Ein schlüpfriger Weg führt einen Berg hinauf.
Es ist nicht weit bis zu einem versteckten Süßwassersee im Innern der Insel.
Der See ist eingefasst von grünbewachsenen Felsen; eine Szenerie wie im Paradies.
Bis auf Irma, die nicht schwimmen kann, stürzen sich alle in die Fluten.

Ich schwimme weit hinaus, genieße es, ganz allein auf weiter Flur zu schwimmen, in totaler Abgeschiedenheit.
Ein prasselnder Sturzregen stört nicht, verstärkt nur die zauberhafte Stimmung.
Ich frage mich, ob uns vielleicht mit Speeren bewaffnete Tagbuanas von den felsigen Anhöhen beobachten, gesehen habe ich niemanden.

Fische entdecke ich auch keine, aber Christian behauptet später, kleine störartige Fische mit langen nadelartigen Schnauzen gesehen zu haben.
Ich glaube ihm zunächst nicht; aber der Reiseführer belehrt mich, dass es in dem Süßwassersee tatsächlich (nur) zwei Sorten von Fischen gibt, und eine der Beschreibungen passt auf die Fischlein mit der spitzen Schnauze.

Wir gehen zurück zum Boot, immer auf der Hut, dass wir den schlüpfrigen Abhang nicht hinunterrutschen.
Eine Yacht geht vor Anker; aber es ist nicht die „Bounty“ mit Fletcher Christian und den anderen Meuterern, sondern Franzosen sind hier ebenfalls auf Sightseeing - Tour.
Unsere Reise geht weiter.
Wir halten noch an einem Sandstrand, und Christian und ich schwimmen zum Schnorcheln ein Stück weit hinaus.
Wir müssen hier aufpassen, denn das Riff wimmelt von Seeigeln. Ein Tritt auf die dunklen Stachelkugeln kann sehr schmerzhaft sein, und entzündete Wunden heilen nur langsam.

Wir merken, dass das Riff sehr steil in die Tiefe abfällt.
Im Grenzbereich schwimmen viele bunte Fische; es sind mehr als bei unserem ersten Stopp.
Immer wieder sind weitere Fischschwärme zu erblicken, aber Haie, Muränen, Rochen und andere Großfische sind (zum Glück) nicht darunter.

Nach einer Stunde haben wir genug, klettern wieder an Bord.
Unser nächster Abstecher führt uns zu den heißen Quellen, die gegenüber auf Busuanga Island liegen und die wir gestern auf dem Landweg wegen des schlechten Wetters nicht besucht haben.

Wir nähern uns der Küste und stellen fest, dass dies eine Mangrovenküste ist.
Das Wurzelgeflecht erscheint undurchdringlich; dies ist die Kinderstube vieler Fische, die hier vor Fressfeinden geschützt sind.

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Am Ufer entdecke ich hüpfende Schlammspringer, amphibische Fische, die an die Urzeit erinnern, an die ersten „Gehversuche“ der Fische, die sich mit ihren Flossen abstützen, um sich an Land und im Wasser gleichermaßen heimisch zu fühlen.
Während wir jetzt Raketen starten und am PC sitzen, sind die kleinen Schlammspringer auf dem Stand unserer Urahnen stehen geblieben...

Die Quellen sind zwei von Natursteinen eingefasste Wasserbecken am Strand, die warmes Wasser enthalten, so heiß wie in einer gut geheizten Badewanne.
Viele Filipinos haben es sich dort gemütlich gemacht.

Das Wasser ist mir fast zu warm, deshalb schlendere ich ein bißchen am Ufer entlang, beobachte die scheuen Schlammspringer und sehe, wie neue Pfahlwurzen keimen, sich am Boden „eingraben“.

Nestor macht uns aufmerksam, dass ein neues Unwetter droht.
Wir sind allmählich hungrig und müde und haben auch genug gesehen.
Wir sind zwar schon auf Busuanga Island, müssen aber natürlich auf dem Seeweg zurück.

Mitten auf dem Meer zwischen Busuanga und Coron bricht dann ein Taifun von einer auf die andere Minute los:
da, wo vorher ein Ausblick auf die Felseninsel möglich war, ist jetzt nur noch eine weiße Wand aus Nebel und Regen zu sehen: der Regen prasselt mit einer solchen Gewalt auf uns nieder, dass das Gesicht schmerzt und wir völlig durchnässt werden.
Ich kann gerade noch die Kamera im Rucksack unter mehreren Lagen Handtücher verstecken und hoffe, dass ihr nichts passiert.
Da das Boot jetzt schaukelt und schwankt, wird uns auch ein bißchen mulmig zumute.
Aber Nestor hat solche Unwetter wahrscheinlich schon öfters erlebt.
Der Motor rattert, und wir kämpfen uns langsam durch die aufgewühlte See.
Es dauert schier endlos, bis die Hafenpier wieder auftaucht, aber letztendlich laufen wir unbeschädigt in den kleinen Hafen ein.
Es ist etwa 14.30 Uhr.

Nestor braucht mit seinen Gehilfen eine ganze Weile, bis er das Boot an Land gezogen hat; dann schließt er sich uns an, wir laden ihn zum Essen ein.

In einem Restaurant am Hafen lassen wir uns frischen Bratfisch mit Mayonaise schmecken, während Nestor und Irma plaudern.
Sie verabreden, dass uns Nestor am nächsten Morgen vor unserer Abreise noch frisch gefangene Alimangos (Krebse) bringt, die sind preiswerter und vor allem frischer als in Manila.
Wir verabschieden uns von unserem netten Käpt’n und fahren mit dem Trycicle zurück zum „Kokosnuss“.

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Abends sitzen wir mit Hans und Robin zusammen im Restaurant des „Kokosnuss“.
Rudolf, der Eigentümer, gesellt sich zu uns.
Er ist wieder im Morgenmantel, wirkt müde, spendiert mir und Hans Bier und Tanduay, philippinischen Rum.

Er erzählt, er sei Militärtechniker gewesen und habe an der Entwicklung von Kampfjets mitgearbeitet.
Davon habe er eines Tages genug gehabt.
Er habe alles verkauft, um sich auf den Philippinen eine neue Existenz aufzubauen.
Es sei aber auf die Dauer schwer, sich mit der philippinischen Mentalität vertraut zu machen.
Es fehle zum Beispiel an einem technischen Grundverständnis.
Er erzählt, wie ein Hausmädchen einen Wasserhahn mit aller Macht habe aufdrehen wollen, dabei nicht gemerkt hatte, dass das (deutsche) Gewinde sich anders herum drehte.
Auch Arbeiter hätten ihre Freude daran gehabt, wenn ein Bohrer im Beton rot geglüht habe, sie hätten immer weiter gebohrt.
Er bezahle für philippinische Verhältnisse gut, habe aber sein Personal von acht auf zwei Leute reduziert.
Wilma und ihre Freundin, die beide von der weiter entfernt liegenden Insel Cebu stammten, der Insel seiner Frau, würden mehr leisten, als die sechs anderen zusammen, die er nicht mehr beschäftige.
Er erzählt nichts von seiner philippinischen Ehefrau.

Meine Kollegin aus der Telefonzentrale, die mit ihrem Mann mehrmals zum Tauchurlaub auf Busuanga verweilte, hat keine so gute Meinung von Rudolf.
Sie hält ihn für einen Traumtänzer und Egoisten.
Für die philippinische Geliebte verließ er seinerzeit die deutsche Ehefrau und wanderte auf die Philippinen aus.
Den deutschen Sohn aus der ersten Ehe nahm er mit, ohne ihm eine richtige Schulausbildung auf den Philippinen zu ermöglichen.
Zwischen Jörg, dem Sohn, und Fe, der neuen philippinischen Stiefmutter gab es Spannungen.
Richtig begannen die Probleme aber erst, als Vater und Sohn einen längeren Urlaub
in Osteuropa, Rußland und Kasachstan unternahmen.
Von diesem Urlaub brachte Rudolf eine junge rumänische Köchin mit.
Es blieb Fe nicht verborgen, dass die Rumänin mehr als eine Köchin war und nicht nur die asiatische Küche durch Speisen vom Balkan verdrängte, sondern auch sonst die Rolle der Hauptfrau übernahm.
Da philippinische Ehefrauen sehr eifersüchtig sein und insbesondere den Gesichtsverlust nicht ertragen können, hat Fe den untreuen Rudolf schließlich verlassen, worauf er dann in Depressionen verfiel.
Ein Teil der seinerzeit aus Cebu mitgebrachten Verwandten folgte Fe, während Wilma und ihre Freundin wohl eher Partei für Rudolf ergriffen, was auch aus ihren Bewertungen herauszuhören ist.

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Nach unserem Urlaub muss es wohl noch zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Fe und Rudolf gekommen sein; mich wundert, dass er überhaupt noch auf dem Resort verweilen kann, denn Ausländer können in den Philippinen Grundbesitz nur über die philippinische Ehefrau oder einen anderen philippinischen Angehörigen erwerben.

Nun, ich wünsche Rudolf, der eigentlich nicht unsympathisch wirkt und seinem Sohn Jörg viel Glück, bin aber skeptisch, ob die beiden in den Philippinen eine Zukunft haben.-

Später zeigt mir Hans in der Nähe des Hauses noch den Kokon einer Gottesanbeterin, aber die Besitzerin ist längst ausgezogen.
Die Frösche quaken wieder um die Wette, wieder rauscht der Regen herab.
Zum letzten Mal übernachten wir im „Kokosnuss“, am Ende der Welt, zu dem sich ein Deutscher und sein Sohn verirrt haben.

109 –

24. Juli 1999

Um 7.30 haben wir unsere Koffer gepackt und nehmen noch ein letztes Frühstück im „Kokosnuss“ in Gestalt von Ei, Toast und Pulverkaffee ein.

Und siehe: pünktlich um 8.00 Uhr trifft Nestor ein, hat einen Korb mit lebenden Krebsen dabei, denen die Scheren zugebunden sind.
Irma freut sich und entlohnt den getreuen Nestor, den wir wahrscheinlich nie mehr wiedersehen werden, genauso wenig wie Jörg, Rudolf und Wilma.
Letztere folgt uns zum Flughafen, da sie wieder nach Kunden für das „Kokosnuss“ Ausschau halten soll.

Der Jeepney hält glücklicherweise vor dem Eingang des „Kokosnuss“.
Wieder folgt eine einstündige Fahrt quer über die Insel nach Norden.
Weil es natürlich regnet, sehen wir wegen der heruntergelassenen Planen wieder nicht viel von der Landschaft der Insel.
Der Weg ist jedenfalls rot und schlammig, steckt voller Steine und Schlaglöcher.
Der PS-starke Jeepney ist wahrscheinlich eines der wenigen Beförderungsmittel, die den schlechten Boden- und Witterungsverhältnissen trotzen können.

Wir benötigen eine Stunde für die holprige Fahrt zum Flughafen.
Unter den wenigen anderen Passagieren erkennen wir die etwas beleibte Filipina wieder, die auf das exklusive Resort auf der kleinen Insel Dimakya geflogen ist.
Sie ist natürlich enttäuscht wegen des Wetters, erzählt, dass sie keinmal ins Wasser gegangen sei.

Dann verabschieden wir uns von der ruhigen hübschen Wilma und werden wie schon auf dem Hinflug gewogen, weil bei einer kleinen Propellermaschine das Gesamtgewicht genau ermittelt werden muss.
Dabei stelle ich fest, dass unsere Badezimmerwaage zuhause in Deutschland das Gewicht anscheinend um 3 kg zu günstig anzeigt.
Weitere Auskünfte werden nicht gegeben!

Ironie des Schicksals ist, dass just in dem Augenblick, als wir das kleine bunte Flugzeug besteigen, die Wolkendecke aufreißt und zum erstenmal die Sonne durchbricht!
Wie dem auch sei, wir verlassen das schöne, aber nasse Eiland und starten durch!

Auf dem Rückflug fallen wir in ein Luftloch nach dem anderen, und für uns alle ist es schwer, Toast und Ei im Magen zu behalten.
Christian schafft es nicht, entleert sich in die Kotztüte.
Irma findet den Flug bestimmt genauso schrecklich wie die Bootsfahrt in Padang Bai auf Bali, während ich versuche, mich durch Ausblicke aus dem Kabinenfenster abzulenken.

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Beeindruckend ist wieder das Meer von Häusern, Hütten und Fabriken, als die Metropole Manila unter uns auftaucht.

Um 12.30 Uhr landen wir auf dem „Domestic Airport“ von Manila; hier schüttet es wie aus Kübeln, und kein einziger Sonnenstrahl ist uns vergönnt.

Irmas Brüder Boy und Gerry sind glücklicherweise am Flughafen, lotsen uns in ein Taxi und nach 1½ Stunden Fahrt von einem Ende der Großstadt zum anderen Ende sind wir in Quezon City, Ortsteil Balintawak, Eulogia Drive.
Dort werden wir noch eine Woche bis zum Abflug im Schoße der Familie verbringen; wenn alle etwas zusammenrücken, ist dies kein Problem.

Die Frauen des Hauses haben leckeres Essen vorbereitet (wir hatten ihnen Haushaltsgeld dagelassen):
mit Schweinefleisch gekochten Kürbis, Bohnengemüse und Reis, dazu gebratenes Hähnchen, wobei anzumerken ist, dass die freilaufenden Hähnchen viel besser schmecken als das Geflügel aus den deutschen Legebatterien.
Christian verlässt das Häuschen, um zu einem „Playstation-Center“ zu gehen, das ein paar Häuser weiter gelegen ist.
Dort hat jemand drei Fernseher mit Playstation-Konsolen aufgestellt, und die Kinder drängen sich vor den Bildschirmen, auf denen es zuckt und flimmert.
Vor zehn Jahren, zur Zeit unseres letzten Besuches auf den Philippinen, war dies noch nicht der Fall.
Damals spielten die Kinder noch fantasievoll in großen Gruppen zusammen auf dem freien Platz vor den Häusern, der freilich auch verschwunden ist, weil er neuen Hütten weichen musste.

Merkwürdigerweise sind es ausschließlich Jungen im Alter zwischen 6 und 16 Jahren, die es an die Konsolen zieht.
Die Mädchen ziehen in kleineren Gruppen umher, passen auf die kleinsten Geschwister auf und wirken ruhiger und besonnener als die Jungen.

Der Besuch im Playstation-Center wird für Christian in den kommenden Tagen zur Dauerbeschäftigung.
Ich bin zwar nicht begeistert davon, aber er hat ansonsten auch wenig Alternativen zur Freizeitgestaltung, weil auch die anderen Jungen ihre Zeit nicht anders vertreiben, wenn sie nicht gerade in der Schule sind.

Er knüpft keine Freundschaften, verständigt sich mit den Jungen aber auf Englisch, so gut es geht und lädt etliche als Mitspieler ein, was die natürlich freut.
Die philippinischen Kinder sind ohnehin von Mischlingen begeistert, da helle Haut als schön empfunden wird.
Andererseits herrscht gegenüber dunkelhäutigen Menschen ein gewisser Rassismus, der die Abkömmlinge schwarzer GI’s genauso betrifft wie die „Negritos“ bzw. Aetas,

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die schwarzen Ureinwohner, die vereinzelt noch an abgelegenen Orten der Philippinen leben, sehr friedlich sind, aber als primitiv und hässlich verspottet werden.

Am späten Nachmittag setze ich mich mit Boy und Gerry zu den (männlichen) Nachbarn auf Kisten und roh gezimmerte Holzbänke und spendiere zur Pflege der sozialen Kontakte einen Kasten San Miguel Bier. Eine Abschottung würden die Nachbarn nicht verstehen, also ergreife ich sozusagen die Flucht nach vorn...

Die Nachbarn freuen sich, dass ich keine Berührungsängste zeige und finden es witzig, dass ich versuche, Tagalog zu sprechen.
Zum Bier wird „Polutan“ gereicht, das sind kleine Appetithäppchen, die nach philippinischer Sitte unbedingt gegessen werden müssen, wenn Alkohol getrunken wird.
Selbst die schlimmsten Alkoholiker halten sich an diese Grundsätze, wobei die Hardcore - Trinker gern ein paar geröstete Hunderippchen knabbern, wenn sie Bier und Whiskey zusprechen.

Heute abend gibt es zwar kein Hunde-Barbecue, dafür aber abgehackte Hühnerfüße und geröstete Hühnerdärme.
Glücklicherweise umgehe ich diese Köstlichkeiten, da der weitsichtige und zuvorkommende „Boy“ zwei Tüten Erdnüsse mitgebracht hat, an die sich der bleichgesichtige Fremde hält.

Es wird über Gott und die Welt parliert, und ein besonders aufgeweckter Gesprächspartner ist „Boy“, ein älterer Taxifahrer, der noch älter ist als „Boy“, der Bruder von Irma.

Nachdem letzterer, mein Schwager, ein paar Fläschchen San Miguel Bier getrunken hat, nimmt er seinen ganzen Mut zusammen und fragt mich, ob ich ihm einen Kredit für den Erwerb eines Taxis geben könne.
Alles werde natürlich zurückgezahlt, wenn das Geschäft erst einmal laufe.

In dem Punkt muss ich ihn leider enttäuschen.
Zum einen haben wir selber gerade eine Wohnung gekauft und uns verschuldet.
Zum anderen habe ich von etlichen Fällen gehört, in denen der Jeepney oder das Taxi nach ein paar Monaten durch Unfall oder technisches Versagen defekt waren und das unternehmerische Projekt als Rohrkrepierer endete.
Ich nenne Boy nur den ersten Grund für die Ablehnung des Kredits, was er seufzend hinnimmt.

Etwas hoffnungsvoller sehen Irma und ich die Absicht von Ana an, in Taiwan Geld zu verdienen.
Meist sind die Frauen auf den Philippinen tüchtiger und arbeiten effektiver; schon deswegen, weil sie konzentrierter arbeiten, mehr Durchhaltevermögen haben und sich weniger ablenken lassen.

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Nachdem die Klippe „Geld für ein Taxi“ mehr oder weniger taktvoll umschifft ist, wird es noch ein lustiger Abend.
Zwischendurch reichen die Frauen gebratenes Corned Beef und Mami (Nudelsuppe) heraus, da wir ja möglicherweise verhungert sein könnten.

Um 21.00 Uhr verabschiede ich mich, da unser Rhythmus sich an das frühe Aufstehen und das frühe Schlafengehen gewöhnt hat.

Mabuhay, magandang gabi („Auf Wiedersehen und gute Nacht!“)

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25. Juli 1999

Wir haben in einem durch eine dünne Holzwand abgeteilten kleinen Zimmer innerhalb des Häuschens geschlafen.

Das Doppelbett ist durchgelegen, aber es bietet wenigstens Privatsphäre, und der sich drehende Standventilator sorgt für Kühle, die nicht so aggressiv kalt wirkt, wie ich sie bei Klimaanlagen empfinde.

Ich habe heute nacht von chinesischen Schauspielern, Katzen und Dujongs (Seekühen) geträumt, kann mich aber nicht genau an den Handlungsstrang erinnern.

Das Frühstück besteht aus kleinen süßen Brötchen, Nescafe from Germany, Spiegelei und einer Käsepaste, die meine Schwiegermutter für mich aus neuseeländischem Cheddarkäse, Margarine und roten Chilistückchen gemixt hat.
Im Lauf des Tages wird auch auf Wunsch des weißen Besuchers regelmäßig eine frische Ananas vom Markt geholt, deren Süße und Saftigkeit unübertroffen ist.

Für heute haben wir einen Ausflug nach Novaliches geplant.
Dies ist ein Vorort von Quezon City, in dem wenigstens noch etwas Grün zu finden ist.
Dort lebt Irmas jüngerer Bruder Gerry mit seiner Frau Marylin im Hause von deren Schwester Judith, die zwar verwitwet ist, aber in Saudi-Arabien gearbeitet hat und nicht ganz mittellos ist.

Bevor wir aufbrechen, macht Amado, der 62jährige Polizist vom Ende der Straße, uns seine Aufwartung. Es wäre unhöflich, keine Zeit für ein kleines Gespräch zu haben.
Amado ist schon pensioniert, wirkt ruhig und verständig.
Er hat das schönste Haus und den neuesten Jeepney in der Straße; Staatsdiener haben auf den Philippinen meistens noch mehrere zusätzliche Einkommensquellen; „Gefälligkeiten“ machen sich bezahlt!

Um 11.30 Uhr machen wir uns auf den Weg; Boy hat einen Minibus organisiert, seine Frau Ana kommt auch mit.
Zum Glück müssen wir uns nicht durch Manila quälen, sondern fahren nordwestlich aus Quezon City heraus.
Um 12.30 Uhr sind wir in Novaliches.
Auch dort gibt es zwar Fabriken und Müllhalden, aber auch grüne Wiesen, Büsche, Bäume und eine aufgelockerte Bebauung.

Das Haus von Judith und ihrer Familie ist für philippinische Verhältnisse groß, hat ein Obergeschoss („up and down“)und einen kleinen Garten.

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Judith, (etwa 40 Jahre alt) wohnt mit ihren drei Kindern sowie ihrer Schwester Marylin und deren Ehemann Gerry unter einem Dach.
Außerdem gibt es da offensichtlich noch einen neuen Lebensgefährten namens Jojo, der aber nicht im gleichen Haus wohnt; Judith scheint es etwas peinlich zu sein, nicht wieder verheiratet zu sein.
Jojo hat übrigens schon für eine deutsche Firma gearbeitet, war zufrieden mit Arbeitsklima und Bezahlung.

Wir werden sehr herzlich empfangen.
Eine reich gedeckte Tafel mit kulinarischen Köstlichkeiten erwartet uns:
Hähnchen, Lechon (knuspriger Schweinebraten), Alimango (Krebs), Alimasag (Krabben), Lapulapu (Fisch), Dinuguan (Blutsuppe), Gemüse, Langka (Jackfrucht, groß und igelartig), Mangos, Pinya (Ananas) und als besondere Attraktion Äpfel und Weintrauben.
Die letzteren beiden aus philippinischer Sicht besonders exotischen und teuren Früchte sind dort ein Statussymbol: wer sich diese exquisiten, auf den Philippinen nicht wachsenden ausländischen Früchte leisten kann, muss schon Erfolg im Leben gehabt haben!

Nicht selten in besseren philippinischen Wohnstuben ist auch ein gemaltes Bild von New York (die USA sind das Traumland für fast alle Filipinos) sowie viel Nippes, künstliche Blumen und kleine bunte Kuscheltiere.

Judith erzählt, dass ihr Ehemann in Saudi-Arabien an einem Arbeitsunfall gestorben ist.
Sie hat weiter in Saudi-Arabien gearbeitet und mit dem ersparten Geld das Haus auf dem der Familie ihres Mannes gehörenden Grundstück errichtet.

Leider hat sie sich keine Eigentumsrechte eintragen lassen, und ihre missgünstige Schwiegermutter, der der Grund und Boden gehört, will sie jetzt von Haus und Hof vertreiben.
Momentan ruft der alte Drachen öfters an und versucht Judith in kleinen Dingen zu erpressen; sie soll ihr Essen liefern und andere Gefälligkeiten erfüllen; eine typisch philippinische Form der Nötigung, vieles führt über den Magen.... .

Nach dem Essen unternehmen wir einen Spaziergang, machen viele Fotos, da der Akku der Filmkamera leer ist.
Es tut gut, mal wieder frische Luft zu atmen, denn in Manila ist die Luft ansonsten immens hoch mit Schadstoffen belastet.

Zurück in der Wohnung gibt es Kaffee und süßen Kuchen.
Wir sehen einen Videofilm vom 18. Geburtstag der ältesten Tochter.
Auch in den Philippinen ist dies das Datum der Volljährigkeit.
Es ist derzeit Mode, einen Videofilm über ein privates Fest wie Hochzeit oder Volljährigkeitsfeier von einem professionellen Unternehmen drehen zu lassen.

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Die recht langatmigen Werke, begleitet von sanfter Saxofon- oder esoterischer Säuselmusik, beginnen in der Regel mit überblendeten Landschaften; eingeblendete Kinderfotos der betroffenen Personen stimmen auf das Fest ein; als nächstes werden die Personen (hier: das junge Mädchen) alleine in Gedanken versunken bei den Festvorbereitungen gefilmt.
Elegante und exquisite Kleidung wird gerne vorgeführt; die Mädchen und Frauen tragen weiße Kleider; die Männer ziehen das lange weiße philippinische Hemd, den „Barong Tagalog“ über und schreiten gravitätisch durchs Bild.

Die Volljährigkeit von Judiths Tochter wird durch 18 Rosen symbolisiert, kreisförmig angeordnet und ganz langsam von allen Seiten gefilmt; eine brennende Kerze als Zeichen des Lebenslichtes kann nicht fehlen.

Dann werden die meditativ-langsamen Bildfolgen abgelöst durch die Feier auf der Rückseite des Grundstückes: nachdem zunächst die Familienmitglieder ausführlich gezeigt werden, schwenkt die Filmkamera über jeden Gast, denn keiner darf vergessen werden.
Eine entfernte Tante in kostbarer Robe wird besonders freundlich begrüßt.
Ich muss schmunzeln, als ich erfahre, dass sie eine Art Abteilungsleiterin in der Steuerbehörde B.I.R. (B.I.R. = Bureau of Internal Revenues) ist.
Tja, wer in den Philippinen in der Steuerverwaltung arbeitet, hat ausgesorgt: es wird geschmiert und wer gut schmiert, der fährt gut; hätte der guten Tante gern ein bisschen über die Verhältnisse in unserer Finanzverwaltung vorgejammert!

Ausgiebig tauchen natürlich die kostbaren Speisen im Videofilm auf; die Filipinos lieben es, gut zu essen und zu trinken; selbst wenn die Ersparnisse draufgehen wird gefeiert; morgen könnte ja schon alles vorbei sein, und da wollen wir den heutigen Tag genießen!
Ein paar Kalorien werden hinterher sowieso abgetanzt zu amerikanischen Disco-
rhythmen.

Auf meine Frage, wieviel der 18jährige Geburtstag sie denn gekostet habe, nennt Judith mir umgerechnet eine Summe von 3.500 DM.
Verglichen mit deutschen Verhältnissen und Gehältern würde dies einen Aufwand von etwa 10.000 DM bedeuten.
Aber ein bisschen ist dieser Kraftakt auch vor dem Hintergrund der langen Trennung zwischen Mutter und Kindern zu sehen.
Es gibt viele Familien, in denen die Eltern „abroad“ (im Ausland) arbeiten und ihre Familie auf den Philippinen höchstens einmal im Jahr zu Weihnachten sehen.
Viele Ehen zerbrechen an den langen Trennungszeiten.
Die entfremdeten Kinder werden dann aus Schuldgefühlen verwöhnt, hängen aber eigentlich mehr an der Tante oder Oma vor Ort, die sie während der Abwesenheit der Mutter aufgezogen hat.

Wer aber niemanden im Ausland hat, hat meistens nur ganz geringe Einkünfte und keine Perspektiven, wenn er nicht reich geboren ist.

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Ich habe nur wenige Familien getroffen, die keinen „Stützpunkt“ im Ausland hatten; Traumland sind natürlich die USA; Europa ist nicht ganz so begehrt.
Taiwan, Singapur oder Japan sind nicht so imageträchtig; dafür leben dort aber Asiaten; es gibt Reis, und die Flüge in die Heimat sind nicht so kostspielig.

Im unteren Bereich, aber als notwendiges Übel hinnehmbar, ist der schlecht bezahlte harte Dienst auf Schiffen mit Billigflaggen anzusehen (das Los vieler Männer), und auch die Arbeit als Hausmädchen oder Krankenschwester in den arabischen Staaten gilt als schwierig, da es dort oft zu Übergriffen und Misshandlungen kommt, abgesehen davon, dass die Filipinas ihren katholischen Glauben dort nicht praktizieren dürfen.

Judith macht im übrigen nicht den Eindruck einer verschwenderischen Frau; sie ist selbst eher schlicht, zu anderen aber freigiebig und hilfsbereit, hat ihrem Schwager Gerry erst kürzlich eine schöne Armbanduhr geschenkt.
Auch das Verhältnis zu ihrer jüngeren Schwester Marylin wirkt herzlich und liebevoll.

Am Spätnachmittag verabschieden wir uns und bekommen gemäß der philippinischen Gastfreundschaft noch einen Korb mit Speisen eingepackt.

Ich weiss nicht, wie der Streit um das Haus später ausgegangen ist, habe aber gehört, dass Judith erneut in Saudi-Arabien arbeitet, sie hat also wieder Geld gebraucht.

Nach einer Stunde Fahrt sind wir wieder bei der Familie in Balintawak.
Christian verschwindet gleich wieder in der Playstation-Spielothek.

Ich lese ein bißchen, komme dann mit meiner Schwägerin Ana ins Gespräch.
Sie erzählt, dass sie früher als Verkäuferin gearbeitet, aber zu wenig verdient hat.
Sie stammt aus der Provinz Quezon im Süden von Luzon. Diese Landschaft ist von Kokosnussplantagen dominiert, bietet nicht viel Arbeitsmöglichkeiten.
Ihre Familie ist vor ein paar Jahren nach Manila gezogen, da sie sich dort mehr Möglichkeiten versprach.
Ihr Vater ist schon im Alter von 50 Jahren gestorben, weil er zuviel rauchte und zu viel Alkohol trank; nicht selten bei philippinischen Männern.
Aus diesem Grunde sieht sie es nicht gern, wenn ihr Ehemann Boy raucht oder trinkt. (Sie war sich darin mit Irma sofort einig).
Außerdem findet sie, dass Boy zwar ein lieber Mensch ist, Fähigkeiten hat, aber zu stark noch von der Mutter abhängig ist, die nicht den besten Einfluss auf ihn ausübe (auch diese Sicht wird von Irma geteilt).
Er müsse mehr Initiative zeigen und bei Streit mit der Schwiegermutter Partei für sie ergreifen.
Von ihrer Arbeit in Taiwan verspreche sie sich ein Startkapital. Sie wolle dann nur noch mit Boy, aber nicht mehr mit der Schwiegermutter unter einem Dach leben.
Mir imponiert der Mut von Ana - wie seinerzeit bei Irma - in ein fremdes Land zu gehen und dort für eine bessere Zukunft Entbehrungen auf sich zu nehmen.

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Auch Ana’s Analyse der Strukturen von Irmas Familie ist klar und logisch.
Dazu macht sie eine tatkräftigen Eindruck, hat aber auch weiche Seiten, weint manchmal, wenn die Schwiegermutter stichelt oder an ihr herumnörgelt.

Sie hat es ein paar Monate später tatsächlich geschafft, einen Arbeitsvertrag für Taiwan zu erhalten, pflegt dort zusammen mit einer gleichaltrigen Thailänderin ein gebrechliches chinesisches Fabrikantenehepaar, wird gut behandelt und fair bezahlt. Nach einem Dreivierteljahr hat sie den Kredit für die Arbeitsvermittlung und das Ticket an den Vermittler zurückbezahlt; wir wünschen ihr von Herzen alles Gute!

Abends liefern sich Boy und Ana mit Christian eine Kissenschlacht; es dauert lange, bis das Gekicher und Getuschel aufhört.--

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26. Juli 1999

Heute wollen wir einkaufen.
Nach dem Frühstück fahren wir mit Boy, aber ohne Christian in den Stadtteil Quiapo.
Dort gibt es eine Filiale von „American Express“; diesmal wechseln wir gleich zwei Schecks ein.

In Quiapo existieren große Märkte, auf denen es von Lebensmitteln über Kleidung, Taschen, Souvenirs etc. alles gibt.

Es ist alles noch viel gedrängter als es sonst im ohnehin schon geschäftigen Manila der Fall ist.
Während sie aufmerksam alle Waren begutachtet, erzählt Irma, dass sie in ihrer Kindheit oft mit den Eltern mitgefahren ist, die hier die von der Familie in Heimarbeit genähten Taschen aus Abaka (Fasern) verkauft haben.
Aber das ist schon lange her.
Anfang der 80er Jahre haben die Eltern das Geschäft aufgegeben und eine Nähmaschine nach der anderen verkauft, weil der Absatz zurückgegangen sei.
Zu diesem Zeitpunkt befand sich Irma schon in Europa; vielleicht haben sich die Eltern zu sehr auf ihre Überweisungen gestützt.

Heute kaufen wir keine Taschen, aber eine Muschellampe für meine Schwester; ein paar Deckchen; dann Untersetzer für meine Kollegen und noch die ein oder andere Kleinigkeit.

Wir haben keine Zeit mehr, die berühmte Kirche von Quiapo zu besuchen; dort wird eine dunkle Statue des Jesuskindes verehrt, und an bestimmten Tagen strömen Tausende von gläubigen Katholiken nach Quiapo, um das heilige Kind zu verehren.

Mit dem Jeepney fahren wir zurück und lassen uns den gebratenen Milchfisch (Bangus) schmecken.
Die Schwiegermutter hat die Kerosinkocher nach draußen gebracht und bereitet die Mahlzeiten neben dem Eingang zu.
So ist Platz gewonnen, und die Essensgerüche ziehen schneller ab.
Jetzt in der Regenzeit dienen Plastikplanen zum Schutz der Feuerstelle, die vom kleinen Baum vor der Tür bis zum Hausdach gespannt sind.
Auf dem Holzbänkchen neben der Eingangstüre sitzt Irmas Vater, den Kopf in die Hände vergraben.
Er ist geschwächt und sehr müde, „lebensmüde“ wirkt er, nimmt nicht viel Anteil am Leben um ihn herum.
Irma und die anderen Frauen ärgern sich über seinen Dickkopf; denn er nimmt die teuren Medikamente gegen seine Tuberkulose nicht regelmäßig, und wenn er sich nicht beobachtet fühlt, zieht er heimlich eine Zigarette aus der Brusttasche und pafft verstohlen wie ein Pennäler.

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Natürlich wird er fast immer beobachtet; aber nicht immer zur Rede gestellt.
Wir ahnen alle, dass er nicht mehr lange lebt, und dies ist sein einziges Vergnügen, was ihm noch verblieben ist.

Von den Hähnen, die im selbstgezimmerten Hühnerstall im Eingangsbereich lebten, hat er sich in den letzten Jahren nach und nach getrennt; wie die meisten philippinischen Männer liebte er den Hahnenkampf und hatte zu seinen Hähnen ein emotionales Verhältnis, streichelte und herzte sie, auch wenn er ihnen später die Kehle durchschnitt...

Nach dem Essen sitze ich still in seiner Nähe, lese und streichele Rambi, Ramba
oder Rambo, die Kätzchen.

Gegen 16.00 Uhr brechen wir auf zu „SM“ (nicht Sado-Maso, sondern „Shoe Mart“), dem Riesenkaufhaus in Quezon City, ein paar Kilometer weiter an der „EDSA“, einer der großen Ringstraßen von Metro Manila.
Während Quiapo ein traditioneller Markt ist, ist „SM“ ein gigantischer moderner, aber auch unpersönlicher Einkaufstempel in einem grauen Betonklotz.
Es ist größer als vergleichbare Einkaufspaläste in Europa.

Wir kaufen heute Kleidung für Christian, insbesondere T-Shirts, Socken und Hosen; es ist durch die hohe Kaufkraft der DM günstiger als in Deutschland.
Was auffällt, ist die hohe Zahl des Verkaufspersonals; viele stehen nur herum und unterhalten sich; anderseits werden die Angestellten nur schlecht bezahlt.
Christian erwirbt noch zwei Playstation-Spiele für umgerechnet jeweils 5,- DM; es dürften Raubkopien sein.

Ich bin froh, als wir endlich alle Sachen beisammen haben und wir um 21.00 Uhr mit unseren Taschen und Beuteln ins Taxi steigen können.

Christian hat diesmal gute Laune; er führt seine neue Kleidung vor.
Erst um 23.00 Uhr begibt er sich zur Nachtruhe.

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27. Juli 1999

Auch heute passiert nichts Spektakuläres: wieder ist Einkaufen angesagt.

Im Stadtteil Divisoria besuchen wir die Schwester von Irmas Freundin Janette, die gebürtige Chinesin ist.
Wir erkennen sie gleich, denn Conchita sieht ihrer Schwester Janette ähnlich.
Wir können ein paar Hosen und T-Shirts zu günstigen Konditionen erwerben, machen noch ein Erinnerungsfoto und erhalten freundlicherweise leckere gekochte Fleischbällchen in Teig, die uns und der Familie am Abend gut munden werden.

Anschließend stöbern wir über die offenen Märkte.
Diesmal bin ich im Schlepptau von Irma, die beim Bummel über Märkte und bei der Jagd nach Schnäppchen ungeahnte Energien entwickelt.
Ich bin froh, als wir Mittags wieder zuhause sind.

Nachmittags fährt Irma mit ihrem Vater zum Arzt; er hört wenigstens ab und zu auf die Tochter, die ja Krankenschwester ist.

Auch Irmas Mutter geht voller Tatendrang auf Einkaufstour, nachdem wir ihr ein Budget eingeräumt haben.
Sie kommt abends zufrieden mit etlichen Plastiktüten bunter Stoffe und Kleider zurück; auch ihre Fischzüge waren erfolgreich.

Ich leiste während dessen den Kätzchen Gesellschaft, von der Hündin Thalia beäugt und dem Rauschen des Regens lauschend.
Der dicke Ollie schaut von ferne; ich mache ihm jedoch keine Zeichen, vorbeizukommen, denn ich finde ihn auch sehr lästig; er ist gierig und macht auch keinen intelligenten Eindruck.
Zur Wahrung der nachbarschaftlichen Beziehungen schenken wir ihm kurz vor der Abreise ein Hemd, ansonsten treten wir diesmal nicht in engeren Kontakt, denn sein recht unbescheidener „Wunschzettel“ während unseres letzten Aufenthaltes ist uns noch in guter Erinnerung.

Abends werden die Einkäufe verglichen und die leckeren Fleischbällchen vertilgt.
Es ist mal wieder zuviel Essen im Hause, denn die Schwiegermutter und Ana haben natürlich Essen vorbereitet, und die Essensmengen werden sich noch steigern, denn morgen hat Irmas Vater Geburtstag.

Für diesen Anlass haben sich etliche Gäste aus Verwandtschaft und Nachbarschaft angesagt, denn eine Feier wird von keinem Filipino ausgelassen; aber Irma und ihre Familie haben Wert darauf gelegt, dass die Gästeliste nicht zu groß wird und sich hauptsächlich auf die Verwandtschaft beschränkt.

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Irma und ihre Mutter diskutieren noch über die Höhe der Ausgaben für das Fest, wobei die Mutter Gas gibt und Irma bremst, argumentative Hilfe von Ana erhält.

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28. Juli 1999

Heute wird Inocencio Ortega, der Tatay (Vater) von Irma und Lolo (Großvater)von Christian, seinem einzigen Enkelkind, 64 Jahre alt!

Zu diesem Zeitpunkt wissen wir noch nicht, dass es seine letzte Geburtstagsfeier wird, denn zwei Monate später ist er gestorben: er hatte nicht nur Tuberkulose, sondern auch Lungenkrebs.

Bereits um 7.15 Uhr erhält er den ersten Anruf aus Ilo-Ilo von der Insel Panay, wo die Verwandten seiner Frau leben.

Er lebt heute etwas auf, freut sich, dass seine drei noch lebenden Schwestern kommen, insbesondere seine Schwester Auring ist aus Chicago angereist.
Dort lebt ihre Tochter seit Jahren.
Diese ist auch Krankenschwester und hat einen irischstämmigen Polizisten geheiratet, der wie der buchstäbliche Cop aussieht.
Nach ein paar Jahren hat es die Tochter geschafft, dass die verwitwete Mutter in die USA nachziehen durfte; deren Traum vom gelobten Land ist somit in Erfüllung gegangen.

Die andere Schwester ist Deli, die wir (und auch Irmas Familie) für eingebildet halten.
Sie hatte seinerzeit einen chinesischen Geschäftsmann („Onkel Eddy“) geheiratet, ist in ein besseres Wohnviertel gezogen und behandelt seitdem ihre ärmeren Geschwister etwas von oben herab.

Die dritte Schwester ist Joning, die in der Mitte von Manila mit Tochter, Schwiegersohn und Enkelkindern in einer winzigen dunklen Zweizimmerwohnung lebt, aber trotz der einfachen Lebensumstände herzlich und lebensfroh ist.
Leider ist erst vor kurzem ihr ältester Sohn an Diabetes gestorben, was ihr großes Leid verursacht hat.
Auch sie ist kurz nach unserer Abreise überraschend verstorben; Irma sieht einen Zusammenhang mit dem Tod ihres Sohnes.

Aber bevor nachmittags die Gäste kommen, sind noch einige Vorbereitungen angesagt.

Mit Boy zusammen will ich zur „Spanferkelstraße“ La Loma, die berühmt für ihr knusprig gebratenes Borstenvieh ist.
Vom ursprünglichen Plan, ein ganzes Schweinchen („Lechon“) am Spieß zu rösten sind wir abgekommen, denn das wäre doch zu teuer, und es kommen auch nicht so viele Gäste, dass es sich lohnen würde.
Außerdem soll es noch andere Gerichte geben, und sogar das Fassungsvermögen philippinischer Mägen soll begrenzt sein...

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Nach einer halben Stunde Fahrt springen wir vom Jeepney ab und befinden uns schon in der Nähe von „La Loma“, die den Namen „Schinkenstraße“ wirklich verdient hätte.

Die Ferkel und Schweine hängen an Spießen, die lange Reihen bilden.
Die ganze Straße ist geprägt von gebratenen Schweinen, vom Frühstadium (rosa, nackt) über das mittlere Stadium (angebräunt und fetttriefend) bis hin zum Endstadium (dunkelbraun, kross und knusprig).
Sie tun mir leid, die armen Säue, andererseits schmecken diese Schweine, die kaum Antibiotika oder andere Zusatzstoffe in sich tragen, verdammt gut, viel besser als unser heimisches aufgeschwemmtes Borstenvieh.

Nachdem Boy und ich vor gebratenen Schweinen posiert haben, kaufen wir zwei kleine Portionen für jeweils 280 Pesos (14 DM).
Das Fleisch wird vom gegrillten Schwein abgetrennt und mit scharfen Messern zerhackt.
Voila, das Lieblingsessen der Filipinos ist vorhanden, jetzt kann auf der Party nichts mehr schiefgehen!

Schon im Jeepney gibt mir Boy eine Kostprobe von der knusprigen Haut.
Ernährungswissenschaftler und Vegetarier werden ihre schlanken Hände über dem Kopf zusammenschlagen, aber die Schweinehaut schmeckt saugut!

Ab 1 Uhr erscheinen die ersten Gäste.
Gerry und Marylin kommen von Novaliches.
Sie haben eine typisch amerikanische weiße Geburtstagstorte dabei.
Die Butterceme ist mit türkisfarbenen Glückwünschen verziert.

Dann kommen die drei schon oben beschriebenen Schwestern.
Es gibt ein Hallo und Tamtam.
Sie herzen und drücken den kranken Bruder; besonders Auring aus Chicago wirkt in ihrem violetten Outfit und ihrem lauten Lachen wie die sprichwörtliche Tante aus
Amerika, steckt an mit ihrer Herzlichkeit.
Deli ist ruhiger, ganz die vornehme Dame, während Joning bescheiden lächelnd dasitzt, mit ihren Gedanken vielleicht beim verstorbenen Sohn.

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Edwin, der Sohn von Auring, wirkt wie 30, ist 39 Jahre alt und hat schon 5 Kinder, der älteste Sohn kann ihn schon bald zum Großvater machen.
Die zwei Söhne von Deli, die noch bei ihr zuhause wohnen, sind ebenso wie Onkel Eddy nicht mitgekommen, ihr ältestes Kind, die Tochter Susan, lebt bereits seit Jahren in Kalifornien, auch sie hat es „geschafft“.
Christian steht anfangs im Mittelpunkt wegen seines hellen und daher nach der Einschätzung der Tanten sehr guten Aussehens, wird von den Großtanten zum Essen genötigt, was ihm nicht behagt, da er dem asiatischen Essen kritisch gegenübersteht.
Er verkrümelt sich bald, klagt hinterher, es sei ihm schon schlecht wegen des vielen ungewohnten Essens.

Alle lassen sich die bunten Speisen schmecken.
Der Schweinebraten, zu dem traditionell eine Lebersauce gereicht wird, ist als erstes vertilgt.
Auch die aromatischen Brathähnchen sterben ihren zweiten Tod und landen im Magen.
Lecker sind auch die roten Krebse, die Glasnudeln (Pancit), die spanischen Eintopfgerichte, das mit Fleisch gekochte Gemüse und die exotischen Früchte zum Nachtisch.

Als alle die Waffen gestreckt haben, werden die Kerzen auf der Geburtstagstorte angezündet.
Mit Mühe bläst sie der Lolo aus, wird von seiner Frau und von seiner Schwester Auring geherzt und gedrückt.
Er darf sich etwas wünschen, wünscht sich Gesundheit, ein Wunsch, der leider nicht mehr in Erfüllung gehen wird.

Anschließend verziehen sich die Männer nach draußen, wo sich auch ein paar Männer aus der Nachbarschaft hinzugesellen.
Das Geburtstagskind raucht verstohlen eine Zigarette; es wird heute nicht geschimpft.

Gerry hat freigenommen; ich hoffe, mit Zustimmung des Arbeitgebers.
Er ist bester Laune und schon ein bißchen betrunken., fragt mich nach Arbeitsmöglichkeiten in Deutschland; ich mache ihm keine Hoffnungen.-
Robert, der Sohn von Onkel Ollie, auch gut genährt, aber wesentlich cleverer als sein Vater, erzählt von einem Restaurant in Quezon City, in dem man sich für einen günstigen Festpreis eine Stunde lang den Magen vollschlagen kann („All you can eat“).
Ich höre höflich zu, bin aber satt bis zum Stehkragen.
Es wird politisiert; wie viele Filipinos fürchten auch die Nachbarn den zu großen Einfluss der reichen chinesischen Minderheit im Lande, die überall bevorzugt Chinesen einstellen würden.

Auch das große China rücke näher, da Hongkong jetzt ein Teil von Rotchina wurde, Macao folgen soll, Taiwan sich vielleicht nicht mehr lange halten kann und es bereits

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mit den Philippinen Grenzkonflikte wegen der Spratly-Inseln in der Südchinesischen See gibt.

Die Befürchtungen sind sicherlich teilweise berechtigt; nachdem ich aber mich jetzt fast 20 Jahre mit den Philippinen beschäftigt habe, halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass die Chinesen manchmal etwas tüchtiger und sparsamer sind als die gelegentlich zu Passivität und Selbstmitleid neigenden Filipinos.

Einig sind sich alle, dass Estrada kein guter Präsident sei.
Diese offene Kritik überrascht mich denn normalerweise schimpfen die Filipinos zwar gern über ihre Politiker, haben aber so viel Patriotismus, dass sie diese Kritik nicht gegenüber Ausländern äußern.

Hauptangriffspunkte gegen Estrada sind, dass er zwar ein guter Schauspieler sei, aber keine Ahnung vom Präsidentenamt habe, nur ein Showman sei, nicht richtig Englisch sprechen könne („so einen hatten wir auch schon“, denke ich) und dem Alkohol und außerehelichen Affären zuneige, was den Machos heutzutage nicht mehr so leicht verziehen wird wie zu früheren Zeiten.

Der Estrada-Kritik kann ich nicht widersprechen; er ist wieder nur ein Politiker, der keine grundlegenden überfälligen Reformen zugunsten der großen Mehrheit der Armen erwarten lässt.

Während wir plaudern, gibt es auf einmal ein großes Hallo: ein Postwagen mit zwei Riesenpaketen, den bereits früher erwähnten „Balikbayan-Boxen“ ist eingetroffen und zwar punktgenau zum Geburtstag des Schwiegervaters, was ein großer Zufall ist, da die Boxen bereits seit ein paar Monaten auf dem Seewege unterwegs waren.
Wir hatten sie Anfang Mai über einen hiesigen philippinischen Kurierdienst auf die Reise geschickt.

Die Frauen packen die Schätze in der Wohnung aus: Zahnpasta, Nudeln, Corned Beef, Dekoration, Waschmittel; es macht viel mehr her, als wenn wir ihnen den Gegenwert in bar überreicht hätten!

Wir Männer beginnen den zweiten Kasten Bier und unterhalten uns über die großen und kleinen Dinge des Lebens.

Der taxifahrende Nachbar „Boy II“, den ich schon von einem der ersten Abende her kenne, ist schon leicht beschwipst.
Er erzählt, dass er mich besonders gern mag und mir bei der Geburt seines Enkelchens das Patenamt übertragen würde.
Hierauf gehe ich nicht weiter ein; denn diese Ehre möchte ich nicht genießen, daran knüpfen sich unter Umständen materielle Erwartungen bis hin zur Finanzierung der Berufsausbildung des Sprösslings.

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Aber ich denke, „Boy II“ hat es nicht so ernst gemeint, denn der Schalk blitzt ihm aus den Augen; auch seine Gesprächsbeiträge sind witzig und durchdacht.
Das ist das eigentlich Tragische an der philippinischen Realität: viele Talente schlummern auf Hinterhöfen; die Menschen haben meist eine gute Schulbildung, aber sie können ihre Fähigkeiten nicht ausleben, da die beruflichen Perspektiven und Arbeitsstellen fehlen.

So tröstet sich mancher Mann mit Zechkumpanen, und dem San Miguel Bier und dem Tanduay (dem weißen philippinischen Rum) wird zugesprochen, während die Frauen sich darum kümmern, den Rest des Geldes zusammenzuhalten, das Haushaltsbudget überarbeiten und gemeinsam über die Männer herziehen, die wie große Kinder seien......

Die Kinder wiederum übernehmen schon früh Verantwortung, kümmern sich um die kleinen Geschwister und versuchen mitzuhelfen und Gelegenheitsjobs zu übernehmen.
Die Kinder, die in keiner intakten Familie leben (und davon gibt es täglich mehr) leben schließlich auf der Straße, sind früh Ketten rauchende Erwachsene und schlagen sich von einem Tag zum nächsten durch.

Ich prophezeihe, dass die Wohlstandsschere eher noch mehr auseinandergehen wird und der enge familiäre Zusammenhalt abnimmt.

Wer es zu etwas gebracht hat und die Früchte seiner Arbeit genießen möchte, wird es irgendwann nicht mehr einsehen, einen ganzen Clan bis hin zu entfernten Cousins, Nichten, Onkels, Neffen, Tanten etc. durchzufüttern, und auch das Zusammenleben mit den (Schwieger-)Eltern ist nicht mehr selbstverständlich wie ich am Konflikt zwischen Ana und Irmas Mutter mitbekommen habe.

Wir reden aber nicht nur über ernste, sondern auch über witzige Themen; den Humor haben sich die Menschen hier trotz schwieriger Lebenslagen erhalten, und meine Sprachkünste werden hier mit Erheiterung, aber auch einem Schuss Anerkennung quittiert.

Um 22.00 Uhr schließen wir die Veranstaltung mit den Bierkästen und der
Freiluftromantik; die Frauen brummen so etwas wie „es wird auch Zeit!“, und dann wird auch dieser Geburtstag schon zur wehmütigen Historie.---

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29. Juli 1999

Den Vormittag verbringen wir in der Wohnung; Christian „arbeitet“ an der Playstation.

Zum Mittagessen gibt es philippinisches Gemüse („Gabi“ genannt), dazu Schweinefleisch.
Um 13.00 Uhr brechen wir mit „Boy“, aber ohne Christian, zum bereits sattsam erwähnten Kaufhaus „S & M“ auf.
Diesmal kaufen Irma und ich uns Klamotten.
Da wir ohnehin nichts Besseres zu tun haben und mehr Zeit haben als in Deutschland, macht es sogar Spass, das riesige Kaufhaus zu durchstöbern und nach Schnäppchen zu jagen.
Das Preisniveau beträgt etwa die Hälfte vom deutschen Preisniveau; zu hoch für die Masse der Filipinos.
Wir hatten eigentlich vor, noch ins Kino zu gehen; aber dafür ist es zu spät, schaffen es gerade noch, die Tracy Chapman – Casette für unsere indonesische Wirtin zu kaufen, fast verirren wir uns noch..
Gegen 19.00 Uhr wanken wir dann mit unzähligen blauen Plastiktüten zum Taxi; immer noch strömen Massen von Menschen ins Kaufhaus hinein und hinaus.

Abends lese ich; Irma plaudert mit ihrer Mutter und ihrer Schwägerin; Christian beschäftigt sich mit den jungen Kätzchen.

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30. Juli 1999

Heute möchten wir zum Geschäftsviertel Makati, müssen bei „Singapore Airlines“ unseren Rückflug bestätigen.
Dies können wir mit einem Besuch bei Irmas Tante Deli (diejenige, die den chinesischen Kaufmann geheiratet hat) verbinden.
Das Viertel „Santa. Ana“, wo das Ehepaar wohnt, ist nicht weit von Makati entfernt.

Vormittags machen wir aber erst einmal einen Nachbarschaftsbesuch bei „Boy II“, dem verschmitzten Taxifahrer und Zecher, der mich zum Patenonkel seines nächsten Kindes machen wollte.
Er ist heute morgen nicht anwesend, fährt Taxi, seine Frau und die Kinder begrüßen uns freundlich.
Ein wesentlicher Zweck unseres Besuches ist die Vorführung von unseren Videofilmen aus Deutschland (z.B. von der Silvesterfeier 1998) bzw. von unserem jetzigen Trip nach Busuanga Island.

Leider gelingt es uns nicht, einen Kanal zu finden, in dem die Filme in Farbe laufen.
Daher werden unsere Filme zur „Schwarz-Weiß – Malerei“.
Alle nehmen Anteil an unserem Leben in Deutschland, obwohl ich bezweifele, dass sie sich unsere Lebensqualität und Lebensrealität vorstellen können.
Übrigens ziert auch das Wohnzimmer der Nachbarn ein buntes Bild des illuminierten New York.

Um 14.00 Uhr fahren wir zunächst mit der Hochbahn in Richtung Makati, was von Quezon City aus südwärts gelegen ist.
Boy I, unser treuer Paladin, begleitet uns.

Die Hochbahn, kurz genannt „LRT“ ist in der zweiten Hälfte der 80er Jahre mit belgischer Hilfe gebaut worden.
Sie entlastet wenigstens ein bisschen die Verkehrsfluten Manilas.
Sie verläuft in Nord-Süd-Richtung, und ich habe sie ganz gern benutzt, weil ich hier an den Stationsnamen wenigstens erkennen konnte, wo ich mich jeweils befand, was bei einer Fahrt mit den Jeepneys schwer nachzuvollziehen ist.

Kurz nach unserer Abreise sollte die zweite östliche Trasse der Hochbahn fertiggestellt werden, von Quezon City über Makati, Santa Ana und das Nobelviertel Green Belt von Nordosten nach Südwesten führend.

Aber die LRT kann nur geringe Entlastung bieten, und selbst der niedrige Fahrpreis ist für die wirklich Mittellosen kaum erschwinglich.

Aber jetzt ist diese östliche Trasse noch nicht freigegeben, und die weitere Reise wird etwas mühsam, weil wir sie mit Bus und Jeepney fortsetzen müssen, insbesondere

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auf den Bus warten wir lange, und es kann passieren, dass der Bus oder das Jeepney so mit Passagieren vollgestopft sind, dass auch mit Schieben und Drängeln niemand mehr Platz findet, so dass das Warten auf den nächsten Bus beginnt.

Wieder sind wir froh, dass wir Boy an unserer Seite haben, selbst Irma würde sich nicht mehr in Manila zurechtfinden, da ständig neue Straßenzüge entstehen, alte Gebäude abgerissen werden, und von einer Stadtplanung im mitteleuropäischen Sinn keine Rede sein kann.

Schließlich schaffen wir es doch, im Geschäftsviertel Makati anzukommen.
Hochhäuser und Bürotürme erheben sich; Straßenkinder wie vor sechs Jahren sehe ich nicht mehr; die Straßenschluchten und die kalten Fassaden der Hochhäuser scheinen alles Leben zu ersticken....

Boy zeigt uns den kurzen Weg zum Hauptbüro von Singapore Airlines, und relativ schnell bekommen wir unseren Rückflug bestätigt.

Dann schlendern wir durch Makati.
Wie lebensfeindlich ein Teil dieser Betonwüste ist, lässt sich daran ermessen, dass wir längere Zeit brauchen, um eine Art Kantine zu finden, wo wir einen Kaffee trinken können, passenderweise aus Plastikbechern und mit künstlichem Beigeschmack.

Wir wandern weiter; langsam nähern wir uns wieder verkehrsreicheren Plätzen, und da sind sie schon, die langsam vertrauten Riesenkaufhäuser : Landmark, Rustan’s: sie reizen mit den Versprechungen der ersten Welt die Menschen der „dritten Welt“; eine dünne Mittel- und Oberschicht kann sich freilich die Luxusprodukte wie Parfüm, Markenkleidung, Elektroartikel, importierte Luxusschlitten von BMW, Mercedes und Ami-Marken leisten; die dicken verwöhnten Kinder hinter sich herziehend..-

Wir kommen auch an den großen exklusiven Hotels vorbei, unter anderem am Peninsula und am Shangri-La, das noch eine Stufe luxuriöser ist.
Wir können sogar einen Blick in das Shangri-La werfen; treten ein in die Welt der Wohlhabenden.
Eine Freitreppe erinnert mich an die Treppe zum Luxusdeck der „Titanic“, aber diese Welt ist noch nicht bedroht; kein philippinischer Revolutionär ist hier zu sehen, nur gediegene gutsituierte Geschäftsleute, Ausländer und vielleicht das ein oder andere Mitglied der High Society.
Wir verschnaufen ein bisschen in den Plüschsesseln, hören weichgespülte Klänge von einem echten Pianisten an einem echten Flügel.
Schade, dass der Akku der Filmkamera leer ist, sonst hätte ich diesen Ort gerne gefilmt, Corina hat ein Faible für schöne Hotels.
Wir können nicht bleiben, Tante Deli und Onkel Eddy werden schon warten!

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In der Folgezeit sehe ich von einer Fußgängerbrücke aus ( auch ein Luxus in Manila, in Makati aber durchaus vorhanden!) einen wohlvertrauten deutschen Namen in Neon leuchten: „Schwarzwald“, so heißt hier ein deutsches Restaurant; eines der wenigen deutschen Restaurants, die ich generell im Ausland wahrgenommen habe, aber englische habe ich noch gar keine gesehen; die Hierarchie ist ähnlich wie derzeit im Fußball., „Not geht vor Elend...“...

Mittlerweile ist es dunkel.
Wir stehen an einer Ausfallstraße, und es herrscht Rush-hour.
Jede/r will heim; ein Bus nach dem anderen fährt ohne uns ab; wieder einmal sind Menschenmassen unterwegs wie ich sie in einer deutschen Großstadt noch nicht erlebt habe. Und fast alles sind junge Leute: an den vielen Kindern, Jugendlichen, Teens und Twens in Asien wird mir die schleichende Vergreisung unserer Bevölkerung bewusst.
Beides ist nicht ideal: bei uns ist der Anteil der Alten zu hoch, während Asien Probleme bekommt, die vielen nachrückenden Kinder aufzufangen...

Boy winkt aufgeregt: endlich hat er ein Jeepney aufgestöbert, welches uns mitnimmt, wir rennen, springen auf und quetschen uns auf die Sitzbank, am besten ein Lächeln auf den Lippen behalten.
Bald müssen wir wieder aussteigen, fahren mit dem Taxi weiter.
Santa Ana ist kein schlechtes Stadtviertel, dennoch ist es nicht ratsam (besonders nicht für einen weißen Touristen) im Dunkeln herumzustolpern: es gibt fast keine Straßenbeleuchtung; die Häuser liegen hinter hohen Zäunen, und in dunklen Ecken stehen schattenhafte Zeitgenossen, die sicherlich überwiegend harmlos sind.
Andererseits kann aber auch jemand mit Bier, Whiskey oder Shabu (asiatische Form von Crack) vollgedröhnt sein, reiche Beute wittern, und die Messer sitzen locker, wenn du dann mit dem Verlust der Geldbörse und anderen Wertsachen davonkommst, hast du wahrscheinlich Glück gehabt.
So fahren wir an langen Mauern, Wellblechzäunen; Müllhaufen und einem dunklen Fluss (wieder der Pasig River) vorbei, bis das Taxi endlich hält.
Am roten Eisentor und der langen Betonmauer erkenne ich die Grenze des Grundstücks von Onkel Eddy und Tita (Tante) Deli wieder.
Hier haben wir schon 1983 für drei Tage während unserer Hochzeitsreise gewohnt, bis uns die Tante etwas auf den Wecker ging (der Onkel ist sehr nett).

Wir hatten unseren Besuch nicht angekündigt, um zeitlichen Spielraum zu haben und damit keine großen Vorbereitungen getroffen werden, bin ständig auf der Flucht vor dem vielen Essen, was mir philippinische Verwandte mit liebevoller Gewalt aufdrängen....
Im übrigen ist es durchaus üblich, spontan und ohne Einladung bei Freunden, Nachbarn und Verwandten vorbeizukommen: der Gast wird freundlich empfangen, bekommt Essen und Getränke angeboten, und die neuesten Ereignisse werden beklatscht.

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Natürlich ist es herzliche Gastfreundschaft; aber ein boshafter Gedanke drängt sich auf: viele haben sowieso den Tag über nichts zu tun, und da vertreibt ein Spontanbesuch die Langeweile; die Berufstätigen sind dann halt nicht zuhause; auf einen Berufstätigen kommen aber viele Kinder, Alte, Hausfrauen und freiwillige wie unfreiwillige Müßiggänger.

Das ältere Paar empfängt uns freundlich, wobei wir in früheren Zeiten den Eindruck hatten, dass die Gefühle der Tante nicht ganz echt sind, während der dünne faltige Onkel Eddy mich gleich an sich zieht, lacht, verschwindet und dann mit diversem Krimskrams kommt, den er mir spontan schenkt: amerikanische Plätzchen, Beutel mit grünem chinesischem Tee (very healthy, very healthy !) und einen kleinen amerikanischen Seeadler aus Gummi an einer Schnur, der mir besonders gut gefällt und den ich mir vorne ins Auto an den Spiegel hängen werde, wo er während der Fahrt stoßende und kreisende Bewegungen ausführt.-
Die Tante erzählt von ihrem Besuch bei ihrer Tochter Susan in den USA.
Diese lebt mit ihrem Mann Gary und den beiden jetzt erwachsenen Söhnen in Los Angeles.
Gary ist Ingenieur. Zuerst waren sie „TNT’s“, so bezeichnen die Filipinos illegale Einwanderer, weiß auch nicht, wie sich die Abkürzung herleitet.
Mittlerweile sind sie legalisiert und wohnen mit vielen anderen Asiaten in einem asiatisch geprägten Stadtteil wie es sie in L.A. mittlerweile viele gibt.
Die Söhne spielen Basketball und überraschenderweise „soccer“, die europäische Art des Fußballs.
Die ganze Familie wirkt den Fotos nach zu urteilen sehr amerikanisiert, und darauf ist die Tante mächtig stolz.
Während wir nun Aprikosentörtchen, Fruchtcocktail aus der Dose und Schokoladenmarshmallows serviert bekommen, begrüßt uns auch Renee, der erwachsene Sohn, der mit seiner Frau und den beiden Kindern noch bei den Eltern in dem für philippinische Verhältnisse recht geräumigen Haus lebt.
Renee wirkt etwas linkisch, hat als Kind Polio gehabt und zieht deshalb das eine Bein nach sich.
Er arbeitet in einer Bank; wir unterhalten uns über Deutschland, Fußball und den Euro.
Boy schweigt während der ganzen Zeit; er fühlt sich Renee unterlegen und mag auch die Tante nicht so besonders, weil sie unsere Familie gelegentlich fühlen lässt, dass sie und ihre Kinder erfolgreicher waren. -
Nach einer Stunde Plauderns verabschieden wir uns von den dreien, besonders herzlich von Onkel Eddy, dem hageren pfiffigen Chinesen, der lange meine Hand schüttelt.

Auf der Rückfahrt wirkt das nun mittlerweile stockdunkle Viertel noch unheimlicher.
Wir passieren auch weniger bürgerliche Teile der Riesenstadt, und ich überlege, an was mich die düstere Szenerie, die Schuttplätze, die Verschläge, die dunklen Ecken,

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die vereinzelten Lampen, die gelegentlich vorbeirasenden Limousinen und die einzelnen Passanten erinnern: an Gotham City, die Stadt Batmans; dort wo der Fledermausmensch die düsteren Ecken der Stadt vom Gelichter säubert.
Da ich nicht Batman bin, bin ich froh, im Taxi zu sitzen und angenehm überrascht, dass wir für philippinische Verhältnisse gut vorankommen und auch keine neue Regenflut vom Himmel stürzt, sondern es heute kaum Niederschläge gab.

Anschließend wohne ich einer Jagd auf Kakerlaken und Mäuse bei.
Die Kakerlaken, die fast in jeder Wohnung sind, entkommen sofort; die gesichtete Maus ist ungeschickt und flüchtet in eine dunkle Ecke, wo sie verharrt.
Nun muss Miming, die Katzenmutter, heran.
Aber sie scheint sich vor der Maus zu fürchten.
Schließlich wird die Maus von Boy erschlagen; jetzt kommt auch die Katze wieder herbei und gebärdet sich als Siegerin.
Bei diesen degenerierten Katzen werden immer ein paar Mäuschen überleben!

Dann ist die Nacht doch noch nicht zuende:
Boy schleppt ein paar junge Männer aus der Nachbarschaft an, einer ist sein Schwager der Bruder von Ana.
Für unseren geplanten Ausflug zum Taal-See mit seinem Vulkan wird er freundlicherweise seinen Minibus zur Verfügung stellen.
Boy meint, wir könnten noch mal zu den Nachbarn auf der anderen Seite gehen, da gäbe es etwas besonders Gutes.
Er packt zwei Dosen von dem Corned Beef aus unseren Paketen ein, die sind das Willkommensgeschenk an die Nachbarn, und außerdem müssen alle etwas essen. Das gehört dazu, denn es gibt in einem Hinterzimmer das besonders starke Bier „Red Horse“, tatsächlich mit einem roten Gaul auf dem Label und deutlich mehr Prozenten Alkohol als es das erfrischende, aber zahme San Miguel Bier aufweist.
Das Red Horse Bier wirkt auch bei mir, dazu kommt, dass ich die Corned Beef – Scheiben verschmähe.
Boy’s Schwager fragt mich, ob ich gerne „hart“ trinken möchte, dies bedeutet in der Regel Tanduay Rum bei den einfachen Leuten und „Jim Beam“ oder „Johnny Walker“ bei denen, die es zu bescheidenem Wohlstand gebracht haben.

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Ich lehne höflich ab, da ich nicht richtig betrunken werden möchte und damit der Schwager seine kostbaren Reserven für die nächste Feier behalten kann.
Mit dem Schwager und zwei anderen jungen Männern setzen Boy und ich das gemütliche Beisammensein mit einem neuen, von mir gespendeten Bierkasten fort.
Der Versuch, unser Video vorzuführen scheitert daran, dass wir keinen geeigneten Kanal finden.
Um 22.30 Uhr treten wir den kurzen Heimweg an.
Christian erzählt aufgeregt; er habe von weitem eine Schlägerei beobachtet.
Außerdem hat er sich aufgeregt, weil Irma eine Hose an den kleinen Enkel von Tante Joning verschenkte.
Teilen beherrschen die philippinischen Kinder besser!

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31.07.1999

Auch heute wieder Dauerregen.
An einer Stelle tröpfelt er durch das Dach. Es müsste repariert werden; Boy meint, sie hätten kein Geld; es tröpfelt weiter; vielleicht lassen wir noch extra etwas dort, damit das Dach repariert werden kann. -

Ana hat Fische gekauft, die heute abend vor dem Hause gegrillt werden sollen, und Boy schleppt kurze Zeit später freudestrahlend weitere Fische sowie Tintenfisch an.
Wir haben nämlich beschlossen, nicht zu dem „All you can eat“ – Büffet zu fahren, sondern mit der Familie zu grillen. Dann können alle dabei sein, und wir gelten auch nicht als Verschwender.
Außerdem macht Boy, Ana und der Schwiegermutter das Kochen, Grillen und Braten Spass, wobei die Frauen die Topfgerichte zubereiten, während das Grillen wie fast überall auf der Welt Männersache ist.
Aber so weit ist es noch nicht, wir wollen noch ein bisschen rausgehen.
Wohin fahren wir heute ? Richtig geraten: ins „S &M“.
Dort geht es heute besonders hektisch und wild zu; es ist nämlich so eine Art Schlussverkauf angesetzt, und zu den niedrigeren Preisen kommen dermaßen viele Käufer/innen, dass alle Etagen des Kaufhauses schwarz von Menschen sind und man sich regelrecht voranschieben und –drängeln muss.
Irma möchte für Ana ein Kleid und eine Bluse kaufen; aber Ana ist dies peinlich; sie sagt, wir hätten schon genug für sie getan.
In ihrer Bescheidenheit ist sie das Gegenstück zu ihrer Schwiegermutter, die immer jammert, dass sie sehr arm sei und dringend etwas neues braucht...
Endlich scheinen die letzten Einkäufe getätigt zu sein; Irma möchte nach Hause.
Wir anderen: Boy, Ana, Christian und ich wollen auf meinen Wunsch noch zu einer Grünanlage in Quezon City, wo wir vor sieben Jahren auch schon einmal waren.

Dort gibt es auch einen kleinen Zoo, der aber sehr verwahrlost wirkt wie fast alle Zoos in den ärmeren Ländern Asiens.
Äffchen hocken in einem winzigen Käfig; Schildkröten und Krokodile haben ebenfalls kaum Platz, liegen lethargisch in einer Dreckbrühe herum, und die Vögel mit gestutzten Schwingen hängen wie Zombies auf den Stangen.
Der „Deutsche Schäferhund“, der vor sieben Jahren noch in einem Zwinger hauste, ist verschwunden, starb wahrscheinlich an einem genetisch geprägten Heimweh nach Deutschland, wo er bestimmt nie gewesen war.

Weniger traurig ist ein Gang durch den Park.
Auch wenn der Park nur sehr klein ist, sind grüne Wiesen und ein paar Bäume mitten in der Stadt eine Rarität, die ich ansonsten Im Meer der Häuser und Hütten von Manila vermisse.
Es gibt auch einen kleinen See dort; in einer Hütte am Ufer wird anscheinend ein Kindergeburtstag gefeiert, da wollen wir nicht stören.

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Wir sind zwar mit dem Jeepney gekommen, laufen aber zurück zu „S & M“.
Christian kommt auf die Idee, getragen zu werden, ein Rückfall in seine Infantilphase.
Ana lässt es sich nicht nehmen, derweil meinen Rucksack mit Kamera zu tragen.

Noch einmal streifen wir durch das klimatisierte Riesenkaufhaus.
Da wir Christian dabei haben, kommen wir nicht um den Kauf weiterer Playstation-Raubkopien herum, die freilich spottbillig sind.
Um 19.00 Uhr fahren wir nach Hause.
Wir finden einen Bus, in dem wir gerade noch stehen können.
Zum Glück können wir trotz Nichterreichens der Haltegriffe nicht umfallen, so dicht gedrängt stehen die Passagiere!

Zuhause erwartet uns ein leckeres Essen.
Schon am Vormittag haben die Frauen Bangus (Milchfisch) mit Gemüse vorbereitet; als Gewürz kann ich dazu zu meiner Freude kleine Chilischoten verzehren und den Saft von Kalamansi (kleine kugelige grüne Zitrusfrüchte, die nach Zitrone schmecken) auf den Fisch träufeln.
Der fleißige Boy hat derweil vor dem Haus einen einfachen Holzkohlegrill angeworfen, und nun brutzeln die Kalamaris („Pussit“ auf Tagalog) und die übrigen Fische im würzigen Rauch des Holzkohlenfeuers.

Die gegrillten Fische sind lecker; besonders aber mundet mir der zarte Tintenfisch; ich lobe Boy für seine gute Grillkunst, was ihn sehr erfreut.
Weil er schon zwei Biere getrunken hat, wird er sentimental und meint ein paarmal : „Kuya („großer Bruder“) Hardy, I will miss you“, I will really miss you-„

Dazu lassen wir uns das gute, bereits geschilderte „Redhorse - Bier“ schmecken.
Da es hier draußen warm ist und diesmal kein Regen fällt, ist es richtig gemütlich.

Gegen 21 Uhr kommt Anas Bruder mit zwei Kumpels vorbei; sie bringen auch noch etwas zu trinken mit.

Während des gemütlichen Plauderns schlagen die Neuankömmlinge vor, noch zu einem Nachtclub zu fahren. Auch Boy ist Feuer und Flamme
Mittlerweile bin ich nicht mehr ganz so kritikfähig und finde es eine lustige Idee, bin nicht abgeneigt, weil es mir in der kleinen Wohnung und bei den vielen Einkaufstouren mittlerweile etwas langweilig geworden ist.
Boy verplappert sich aber bei den drei Frauen im Haus, und selten sind sich Irma, ihre Mutter und Ana so einig wie jetzt: viel zu gefährlich, unmoralisch, viel zu spät...
Dies bringt mich auch zur Besinnung: zum einen weiß ich nicht, ob die drei oder vier „Leibwächter“ ausreichen, denn anders als Hongkong oder Singapur empfinde ich Manila nicht als ungefährlich.
Außerdem ist der Vorschlag, der von Anas Bruder kam, sicher nicht ganz uneigennützig, denn der Tissoy (Weiße) würde die anderen wahrscheinlich freihalten sollen.

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Und außerdem haben wir tatsächlich einen Ausflug vor.
Ich bleibe also in der Wohnung und erkläre, dass ich zu müde sei, um noch mitzukommen.
Boy schleicht wie ein begossener Pudel nach draußen, um seinen Kumpels mitzuteilen, dass aus dem schönen Männerplan nichts wird, weil die Frauen mal wieder alles durchschaut und unterbunden haben.
Tja, das ist philippinische Realität, da muss schon ein „Redhorse“- Bier her, um sich damit abfinden zu können, good night!

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01.08.1999

Für heute war ein Ausflug geplant.
Wir wollten gen Süden zum Taal – Lake fahren.
Dies ist ein See, in dem ein noch gelegentlich aktiver Vulkan liegt; der letzte Ausbruch war 1965; es gab damals auch Tote.
Da das Gewässer im Krater einen weiteren kleinen See enthält, ist er ein beliebtes Fotomotiv und hat den Vorteil, dass man in einer Tagestour hin- und zurückfahren kann.

Aber es passiert nichts.
Mit stoischer philippinischer Gleichmütigkeit lassen alle die Zeit verrinnen, während ich die Chance, mal wieder aus dem Haus rauszukommen, ohne das Kaufhaus zu sehen, schwinden sehe.
Ich gebe Irma den Auftrag, zu recherchieren.
Sie delegiert dies an Boy, und der meldet dann, Anas Bruder habe den Minibus heute für seine Arbeit benötigt.
Ich glaube, dies war eher eine Retourkutsche für die geplatzte Tour zum Nachtclub und da mich dies ärgert, teile ich diese Vermutung Irma mit, die sie prompt an ihre Mutter weitergibt.
Leider hat dies zur Folge, dass die Mutter ihrer Schwiegertochter Ana wegen deren Bruder Vorwürfe macht, was alle dann wieder der Mutter übel nehmen, weil Ana in Schluchzen ausbricht.
Zu allem Überfluss erzählt mir Irma, dass Boy aus eigenem Verschulden seinen letzten Job als Fahrer verloren hat, weil er ein paar Tage unentschuldigt von der Arbeit ferngeblieben ist, und so ist die Laune auf dem Tiefpunkt,
So kann es kommen: gestern Abend beim Grillen war es noch so gemütlich, und heute brechen alte Konflikte auf.

Glücklicherweise schaffen sie es aber, ein Ersatzauto aufzutreiben, ein größeres Taxi, was dem netten älteren Polizisten von dem Haus an der Ecke gehört.
Allerdings zahlen wir ihm etwas, ist aber o.k.

Jetzt kommt sogar die Sonne durch, als wir uns gegen 10.00 Uhr gen Süden in Bewegung setzen: Boy, Ana, Marylin, Irma, Christian und ich, mithin die jüngere, höchstens mittlere Generation.

Wie immer, wenn es nach Süden oder Westen geht, müssen wir erst den anstrengenden Weg durch Manila hinter uns bringen.
Die Beschreibung der Fahrt durch das verstopfte Manila schenke ich mir.
Der erste Ort, wo die Bebauung etwas aufgelockerter ist, ist Baclaran.

Dann halten wir in dem weiteren Vorort Las Pinas.
Dort befindet sich eine recht berühmte Bambus-Orgel.

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Sie ist über 200 Jahre alt und wurde von einem deutschen Orgelbauer restauriert.
Wir haben das Glück, sie auch zu hören, denn es findet gerade die Sonntagsmesse dort statt.
Das Instrument mit seinen schönen Bambus-Orgelpfeifen hat einen feierlichen Klang; auch der Gesang der Gläubigen in der weichen wohlklingenden Sprache Tagalog ist ästhetisch.

Nächstes Ziel ist Bacoor in der Provinz Cavite.
Dort haben wir vor sechs Jahren ein kleines Grundstück zu einem niedrigen Preis erworben, welches wir der Mutter zur Altersvorsorge geschenkt haben.
Mittlerweile ist es im Preis deutlich gestiegen; aber wir haben nicht das Geld, es zu bebauen, was sich Irmas Mutter erhofft.
Die Gegend dort ist nicht spektakulär; aber immerhin gibt es dort neben zersiedeltem Gebiet auch grüne Wiesen, Bäume und Pferdeweiden.
Dort wo schon die ersten kleinen Häuser gebaut wurden, sind saubere Wege und der ein oder andere Garten vor der Türe.
Wir halten kurz am Grundstück, wo am Rande jemand etwas Schutt abgeladen hat.
Einen Alterssitz kann ich mir dort auf dem Grundstück aber nicht vorstellen; auch ein nahegelegenes Zentrum der „Sieben Tage Adventisten“ trägt zur Abschreckung bei!

Weiter geht es in Richtung Dasmarinas.
Die Gegend ist flach, Büsche, Felder, Wälder, Siedlungen, Marktstände, Gartenbau; hier in der Region soll auch Hanf angebaut werden, was offiziell verfolgt wird.

Leider wird es immer nebliger, je weiter das Gelände ansteigt.
Am nebligsten ist es an unserem Zielort: dem Ort Tagaytay, von wo aus grundsätzlich ein herrlicher Ausblick auf den Taal-Lake mit seinen Vulkankratern inmitten des Sees möglich ist.

Heute lässt sich dies alles nur erahnen.
Trotzdem sind viele Besucher gekommen und lassen sich vor der Nebelwand ablichten.
Auch unsere Damen stellen sich in Pose, lachen und freuen sich.
Im nahegelegenen Jollibee-Restaurant holen wir Hähnchen und verspeisen sie im Taxi, weil es wieder zu regnen anfängt.

Auf der Rückfahrt sind alle müde und gesättigt.
Wir halten noch einmal an, um frische Ananas zu kaufen, die auf einem riesigen Ananasberg liegen.
Meine Lieblingsfrucht ist dort ein Allerweltsgut, nicht zu vergleichen mit den begehrten Äpfeln und Weintrauben, an die wir seit langem gewohnt sind.
Des weiteren kaufen die Frauen die riesige aromatische Jackfruit, lange orangefarbene Papayas (sollen gut für die Verdauung und den Mineralienhaushalt sein) und natürlich auch Buko (junge Kokosnüsse), deren frischer Saft außer dem Leitungswasser zu den philippinischen Standardgetränken zählt.

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Bald erreichen wir die Vororte Manilas, kommen wieder durch Baclaran, und bei einsetzendem heftigen Regen quälen wir uns durch den Stadtteil Paco, wo Irma geboren ist und Tante Joning mit Schwiegertochter und Enkeln in einer kärglichen dunklen Behausung lebt.
Irma holt die Shorts zurück, deren Verlust Christian beklagt hat, insbesondere, weil es seine Lieblings-Shorts aus Bali waren und Irma ihn vor der Weitergabe nicht gefragt hat.
Mich beschämt der Vorgang etwas, vertraue aber auf Irmas Taktgefühl.
Tatsächlich gibt es auch keine Schwierigkeiten; die freundliche Tante Joning gibt die Hose wieder zurück.
Kurze Zeit nach unserer Abreise ist sie gestorben und ihrem Bruder, Irmas Vater, nur ein kurzes Stück vorausgegangen.

Abends kommen Marylin und Gerry.
Sie überreichen uns noch eine Kopie ihres Hochzeitsvideos.
Boy hat auch noch einen Auftritt: vor laufender Kamera verspeist er „Balut“, ein Entenei, dem die Filipinos alle möglichen Kräfte nachsagen, hauptsächlich solle es Kraft in den verschiedensten Lebenslagen geben, insbesondere den Männern.
Die für uns Europäer ungewöhnliche Tatsache ist, dass es sich bei „Balut“ um ein fast ausgebrütetes Entenei handelt; es wird also kein Eidotter, sondern ein fast fertiges Küken vertilgt.
Vor sieben Jahren habe ich dies in alkoholisiertem Zustand auch einmal geschafft, die mehlige Masse mit Bier heruntergespült, aber heute bin ich lieber Zuschauer.

Als wir eigentlich wegen unserer morgigen Abreise schlafen gehen wollen, erscheint noch ein später Besucher: es ist Tito Eddy (Onkel Eddy), aber nicht Tante Delis chinesischer Ehemann, sondern der jüngste Bruder von Irmas Mutter.
Er lebt noch nicht lange in Manila, ist erst vor kurzem aus der Provinz (Insel Panay) zugezogen, was man ihm anmerkt.
Er schämt sich anscheinend vor mir als „hochgestelltem“ Besucher, hat sich etwas Mut angetrunken wie Irma später erläutert.

Wir unterhalten uns über Kinder; er erzählt von seiner Familie; „ We have only (!) six children.“
Er ist ruhig und nett, das Dumme ist nur, dass er vom Biere beflügelt langsam seine schüchterne Art ablegt und seinen Erzählfluss nicht mehr stoppen kann.
Meine beiden Schwager komplimentieren ihn schließlich höflich hinaus und zwinkern mir zu: selbst für die gastfreundliche Familie war er zu lange hier....

Ein weiteres Highlight des Abends ist eine fliegende Kakerlake („Ipis“ auf Tagalog), die sich aber nicht fangen lässt, sondern wieder ins Dunkel zu ihren Komplizen verschwindet.

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Langsam macht sich Wehmut breit; denn wir fliegen morgen ab und wissen nicht, wann wir uns wiedersehen.
Um Irmas Vater machen wir uns Sorgen, der weiterhin müde und ausgebrannt wirkt; er klagt über Übelkeit, hat keinen richtigen Lebensmut mehr.
Irma und Ana unterhalten sich über Anas Zukunft in Taiwan; gerade Irma, die auch damals alleine nach Spanien in eine fremde Umgebung gegangen ist, kann ihr da vielleicht einige Tipps geben.
Boy und Gerry weichen nicht von meiner Seite; nur Christian freut sich auf zuhause; ihm ist die ständige Anwesenheit so vieler Menschen auf kleinem Raum langsam
aber sicher lästig, und er hat auch die Angst, wir würden zuviel an die Verwandten verschenken....

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02.08.1999

Heute ist der Tag der Rückreise!

Da unser Flugzeug erst abends fliegt, ist morgens noch Zeit, die letzten Tagebuchaufzeichnungen vorzunehmen.
Christian und Irma sind noch einmal unterwegs; richtig, es gibt da so ein großes Kaufhaus...
Irmas Mutter bekommt noch einmal eine gute Stange Haushaltsgeld, rennt gleich auf den Markt, um noch einmal Fisch für das Abschiedsessen zu kaufen.
Als niemand zuguckt, schiebe ich auch Inocencio, meinem kranken Schwiegervater, ein paar Scheine zu.
Er hatte sich nämlich im stillen darüber beklagt, dass seine Frau ihm alles Geld abnehme (wahrscheinlich, damit er sich keine Zigaretten mehr kaufen sollte).
Da ich glaube, dass der alte Mann nicht mehr lange leben wird (was sich bewahrheiten soll), seien ihm die letzten Zigaretten vergönnt.
Er quittiert dies mit einem freundlichen Blick und bedankt sich.

Einen Teil der Einpackerei haben wir gestern schon erledigt; so bleibt Zeit für ein paar Abschiedsgespräche und für letzte Tagebuchaufzeichnungen.

Um 14.15 Uhr fahren wir los.
Boy hat sich wieder einen Kleinbus ausgeliehen.
Es steht uns noch der lange, mühsame Weg durch fast ganz Manila bevor, denn sowohl der Flughafen für die philippinischen Inseln: „Domestic Airport“, als auch der internationale Flughafen „Benigno Aquino“, benannt nach dem ermordeten Ehemann der späteren Präsidentin Cory Aquino liegen am anderen Ende der Metropole, im Südwesten Manilas.

Unglücklicherweise bricht jetzt ein Wolkenbruch der schlimmste Sorte über Manila hernieder.
Die Straßen verwandeln sich wieder in kleine Sturzbäche; der stockende Verkehr staut sich vollends.
Am Anfang nehme ich dies nicht so tragisch; wer länger als drei Tage in Manila Aufenthalt hat, lernt zwangsläufig Geduld.
Aber als es nach einer Viertelstunde immer noch nicht weitergeht, rührt sich doch leichte Panik: ich will nach Hause, zurück ins sonnige, staufreie, menschenleere Deutschland mit seiner frischen klaren Luft; wann geht es endlich weiter ?!!!

So schnell geht es nicht weiter, aber dann lässt der Regen nach, und die Fahrzeugkolonne setzt sich wieder langsam in Bewegung; psychologisch ist eine langsame

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Bewegung immer noch eher zu ertragen als ein Dauerstau mit der Ungewissheit, ob es jemals weitergehen wird...

Irgendwie tun mir alle leid, die jetzt in Manila zurückbleiben müssen; der Sonnenschein, der in der Trockenzeit und in der Übergangszeit ein freundlicheres Licht auf die vielen Schattenseiten Manilas wirft, fehlt und dadurch wirkt die Stadt trist und nicht mehr bunt:
Regenzeit bedeutet drei bis vier Monate grauer Himmel und ständige Schauer...

Zum Glück hatten wir noch einen Zeitpuffer, und so kommen wir noch rechtzeitig zum Einchecken, allerdings bleibt nicht mehr viel Zeit zum Verabschieden
Wir umarmen uns alle, und in solchen Minuten, wenn jeder weiß, dass wieder eine jahrelange Trennung bevorsteht, sind auch die Meinungsverschiedenheiten vergessen.
Alle bis auf den kranken Vater sind noch einmal mitgekommen: Irmas Mutter, Irmas Brüder Boy und Gerry sowie ihre Frauen Ana und Marylin.

Dann müssen wir uns losreisen, winken uns gegenseitig noch lange zu, als wir unsere Kofferkulis in den für Nichtpassagiere abgesperrten Flughafenbereich schieben.
Irma sollte noch eines ihrer Patenkinder treffen, welches sie jahrelang nicht gesehen hat: die junge Frau arbeitet jetzt am Flughafen.
Aber es bleibt keine Zeit mehr; sie telefonieren nur kurz miteinander, wir müssen schon zum Gate.

Um 18.00 Uhr donnert die Boeing 747 über die regennasse Rollbahn; es herrscht „heavy weather“: Regen peitscht dem Riesenvogel entgegen, als er sich in die schwarze Nacht erhebt.
Dort unten werden irgendwo Boy, Gerry und die anderen vielleicht gerade nach Eulogia Drive zurückkehren, und die kleine Wohnung wird ihnen auf einmal groß und leer vorkommen...

Unser Jet hat schwer mit dem Taifun zu kämpfen.
Wir rasen durch Luftlöcher; die Maschine vibriert und zittert.

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Es ist ein ungemütliches Gefühl, dass das dunkle südchinesische Meer unter uns lauert, gerade vor ein paar Tagen ist eine kleinere Maschine im Taifun zwischen Djakarta und Singapur abgestürzt.

Aber wir haben noch einmal Glück; nach dreieinhalb Stunden Gerüttel und Luftlöchern landen wir in Singapur.

Den recht übersichtlichen Flughafen dort kennen wir schon, haben das Gate für den Anschlussflug nach Deutschland bald gefunden.

In einem Buchladen gibt es sogar deutsche Zeitungen, kann mich über die Krise der Nationalelf und den Reformstau in der deutschen Gesellschaft informieren; der Alltagsfrust holt uns wieder ein.
Um 23.35 Uhr Ortszeit fliegen wir weiter; die Turbulenzen sind nicht mehr so stark.

Aber anscheinend hat mich das Reisefieber gepackt, wie auf den meisten Flügen bin ich hellwach und könnte sowieso nicht einschlafen.
Ich schaffe es, während des langen Rückfluges 4 ½ Filme zu sehen, u.a. die „Comedian Harmonists“.

So vergeht die Zeit buchstäblich wie im Fluge, während wir über die asiatischen Steppen und Hochländer hinwegbrausen und die anderen Passagiere sich in ihren engen Sitzen winden und in Schlaf und Halbschlaf versuchen, sich in eine angenehmere Lage zu bringen.

Gegen morgen gibt es natürlich wieder Essen; das weckt die Lebensgeister der Schläfer; langsam werde ich jetzt etwas müde.
Jetzt müssten wir schon in Italien sein; das winzige weiße Flugzeug auf dem Bildschirm schlägt den Weg Richtung Alpen ein, die als kleine braune zentimetergroße Barriere uns noch von der Heimat trennen.

Um 6.00 Uhr landen wir in Frankfurt; es scheint die Sonne, ein seltsamer Anblick, denn auf den Philippinen war sie meist hinter den grauen Monsunwolken verschwunden!

Wir haben keine Probleme bei der Einreisekontrolle; der EU-Pass öffnet die Türen.
Dafür dauert es ein Weilchen, bis wir unser Gepäck auf dem Förderband finden; man hat immer das Gefühl, als letzter dranzukommen..
Endlich ist alles verstaut; wir wuchten es die Treppen zur S-Bahn herunter; Taxifahren wollen wir nicht, die 70 DM können wir uns sparen.
In der S-Bahn ist wenig Platz für uns und unser Gepäck, fast fühle ich mich an Manila erinnert.

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Aber es ist nicht Manila: es ist Frankfurt; auf einmal finde ich die Stadt wunderschön; herrlich auch das zarte Grün der Blätter im Wald rechts und links der S-Bahn-Strecke; ein Fenster ist geöffnet: welch würziger Waldduft; und die Straßen: so wenig Autos sind unterwegs; ich glaube, wir sind in der Provinz...
Es kommt eben immer auf den Vergleichsmaßstab an!

Im Zuge treffe ich noch Angelika, eine alte Bekannte von meinem früheren Stammtisch.
Sie hat vor kurzem geheiratet und zieht jetzt von Offenbach nach Höchst.
Endlich hält der Zug in Mühlheim.

Ich laufe voraus, hole das Auto, werfe vorher noch einen Blick in die Wohnung: niemand ist eingebrochen; die Pflanzen sind von unserer Freundin Ivana gut gegossen worden, und bis auf einen haben alle Fische im Aquarium überlebt, na prima.

Ich hole meine müde Familie ab, und wir genießen es, dass wir kurze Zeit später die Tür hinter uns zumachen können.
Jetzt ist Ausruhen angesagt, bevor wir uns wieder in die Alltagskämpfe stürzen!

--------------Ende -----------------

copyright 1999 Burkhard Heidkamp