Gute Nachtgeschichten | |
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Auswahl: | Lunatic Asylum![]() verfaßt 1980 (Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten sind zufällig, aber gewollt) "Guten Morgen, Herr Minister, wie war die Fahrt ?" "Tja, Herr Professor, angenehm, wirklich angenehm, ein guter Dienstwagen, dieser Diesel. Hoffentlich wird unsere Besichtigungstour hier auch angenehm....." "Aber sicherlich! Wir freuen uns darauf, einen Repräsentanten
der Öffentlichen Hand hier bei uns begrüßen zu können und denken,
Sie werden von unseren fortschrittlichen und gleichzeitig
kostensparenden Therapien angenehm überrascht sein. Er holt einen Schlüsselbund hervor, zwei stämmige Pfleger in weißen Kitteln schließen sich der Ministereskorte an. Sie halten vor einer gummigepolsterten Türe, der Professor schließt auf; sie stehen vor einer zweiten Tür, Schreie sind hörbar. Nach Öffnen der zweiten Türe durchqueren sie einen langen Gang. Rechts und links Gestalten, die sich auf dem Boden wälzen. Über ihnen Pfleger mit elektrischen Schlagstöcken. Minister (entsetzt): "Was ist denn das hier, das ist ja, ähemm, schrecklich...." Professor:"Sicher, für den Laien ist so etwas ungewöhnlich. Aber
ich kann Sie beruhigen: das ist nur die Ambulanz; ein paar leichte
Fälle, die bei einer Demonstration gegen Atomkraftwerke erwischt
wurden. Minister:" Ach so, jetzt verstehe ich; entschuldigen Sie meine Überreaktion, es kam so unvermittelt.... " Professor (lächelt nachsichtig): "Keine Ursache, wir haben ja auch mehr Erfahrung auf diesem Gebiet, aber lassen Sie uns nun zur geschlossenen Abteilung gehen." Er schließt wiederum zwei Türen auf, wendet sich dann nach rechts und öffnet die dritte Tür, eine Stahltüre. Professor: "O, das ist hier einer von den Sanften, ein harmloser Typ, aber unterschätzen Sie ihn nicht; er gehört hierher, schon deshalb, weil seine Krankheit leicht auf willensschwache Personen übergreifen kann." Minister tritt ein, zögernd, wirft einen Blick auf die Mitte des Zimmers. Dort sitzt ein ca. 60jähriger schmächtiger Mann mit schütterem Haar auf dem Fußboden und liest. Einer der Wärter entreißt dem Patienten blitzschnell das kleine Buch: "Hat der Schlingel schon wieder im Johannesevangelium gelesen, was ihn doch noch mehr krank macht!" Minister schaut fragend zum Professor, der antwortet: Der Mann hier -der Name tut nichts zur Sache- galt jahrelang als
braver unauffälliger Staatsbürger. Wir schalteten also die Steuerprüfung, assistiert von unseren Sicherheitskräften, ein. Und was unsere Kräfte dabei ans Licht brachten, war
ungeheuerlich: dieser unscheinbare Typ, der kein Wässerchen trüben
konnte, hatte jahrelang den größten Teil seines Einkommens an
karitative und humanitäre Organisationen verpraßt! Stellen Sie sich vor: er hatte die Aufwendungen noch nicht mal als Sonderausgaben von der Steuer abgesetzt! Und das jahrelang....... Und als Erklärung kam immer nur dieses metaphysische Gebrabbel von Nächstenliebe und Aufgabe; na, jetzt kann er sich hier auskurieren." Er gibt dem Mann einen freundlichen Klapps auf die Schulter. Sie
gehen, der Minister schüttelt seufzend den Kopf. Sie öffnen die Tür. Drinnen sitzt ein ca. 35jähriger gutaussehender Mann, der gedanken-verloren an die Decke starrt. Professor (raunt) : "Wir vollen ihn jetzt nicht stören. Tatsache ist, daß wir ihn vorher sehr unterschätzt haben." Minister:"Was ist denn mit dem Patienten hier?" Professor: "Es fing ganz harmlos an. Er arbeitete an einem Datensichtgerät in der Verwaltung, machte vorher nie Ärger, sicherer Job; aber eines Tages wurde er unzufrieden, lamentierte etwas von Selbstverwirklichung, Kreativität; murmelte manchmal leise das Wort "Kündigung", kurz und gut - genauer: kurz und schlecht -:die Arbeitsproduktivität ließ nach. Darauf hin wurde er zu uns zur Beobachtung eingewiesen. Bei einer Routineuntersuchung stellten wir dann fest, daß der
Betreffende neben anderen Persönlichkeitsstörungen noch ein
abnormes Sexualverhalten an den Tag legte. "Nicht doch, das ist ja kaum zu glauben!" "Aber es ist Fakt, Merr Minister; hier macht man was mit! Der Professor wirft noch einen geringschätzigen Blick auf den Patienten, geht dann hinaus, Minister trottet hinterher. "So, Herr Minister, jetzt zeige ich Ihnen eine der Therapiegruppen; Therapie wird bei uns großgeschrieben. Sehen Sie hier, das ist unsere Agressionstrainingsgruppe. Da lernen unsere Gäste Einübung in ein gesundes egoistisches Verhalten. Durch ständige tägliche Provokationen und Demütigungen sowie
durch ein wissenschaftlich ausgearbeitetes Intrigenprogramm für den
Kontakt untereinander (z.B. üble Nachrede und Rhetorik) haben wir
bereits gute Erfolge beim Aufbau eines Agressionspotentiales
erzielt. Neulich wurde ein dicker Brillenträger sogar von den
übrigen zusammengetreten.... Aber solche Spontanheilungen sind
nicht an der Tagesordnung. Ach, schauen Sie den nicht so genau an, der gehört mit seinem abscheulichen Ekzem eigentlich gar nicht hierherl" "Was hat er denn? " "Stellen Sie sich vor, der ekelt sich vor Geld und bekommt
Ausschlag, wenn man nur davon spricht. Wir sprechen umsomehr über
Wirtschaft, die optimale Geldanlagen, Gewinnmaximierung und alle
herrlichen Dinge, die sich für Geld kaufen lassen.... Sie besuchen noch mehrere Zellen, in denen Patienten mit den unterschiedlichsten Symptomen sitzen, kauern oder liegen. Im überfüllten Frauentrakt ergibt sich ein ähnliches Bild. Der Minister wird müde, der Gang durch das Irrenhaus widert ihn langsam an, und er freut sich auf die Heimfahrt zu seiner Villa. "So, hier wollen wir noch rein..." meint der Professor und öffnet wieder eine weiße Tür. Die Gestalt in der Mitte des Zimmers richtet sich auf, stutzt und eilt dann freudig herbei: "Ottokar, Ottokar, Mensch, daß du mich besuchen kommst, das hätte ich nie gedacht!" Minister, erst verwirrt, dann erkennend: "Eberhard, du? Es hieß doch, du hättest dich ins Privatleben zurückgezogen, und jetzt bist du hier ?!" (zum Professor): "Einer meiner Parteifreunde, nach der Niederlage in seinem Landtagswahlkreis hieß es, er wolle sich nicht mehr politisch betätigen und seinen Lebensabend auf seinem Landgut verbringen." Professor, nickt verständnisvoll; Eberhard nickt bitter: "Aber jetzt haben sie mich hier hineingesteckt, und du? Haben sie dich jetzt auch abgeschossen?" Minister:"Iwo, ich sollte hier nur einen Kontrollbesuch aus dienstlichen Gründen machen; aber ich geh' gleich wieder." Professor: "Sind Sie sich dessen so sicher?" Er gibt den zwei kräftigen Pflegern einen Wink, Ottokar wird -
schwuppdiwupp- an beiden Armen gepackt und in eine Zwangsjacke
gesteckt. "Aber nein, die Staatssekretäre waren schuld, ich hab' doch nur aus Schusseligkeit unterschrieben, ein winzigkleiner Blackout.." "Eben, wegen Ihrer Schusseligkeit sind Sie hier im psychiatrischen Krankenhaus. Und jetzt erregen Sie sich nicht weiter, gleich kommt der gute Onkel Pfleger mit der Beruhigungsspritze, Sie werden gut schlafen, sie sind krank - - - Die Pfleger stoßen den Ex-Minister auf den Fußboden, verlassen dann zusammen mit dem Professor den Raum. Die schwere Tür klappt zu. Copyright Burkhard Heidkamp 1980 |
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