Gute Nachtgeschichten

Vier Träume

DIE VERWANDLUNG

ein Traum

verfaßt 1985

Ich gehe in Frankfurt die Zeil entlang, überall herrscht Geschäftigkeit, Eile und Kommerz.

Plötzlich verändert sich die Szenerie: an den Kaufhäusern zur linken Seite flattern überall bunte Wimpel. Nach rechts zu verschwinden die Häuser und machen einem weißen Sandstrand Platz. Die Straße, auf der ich gehe, verwandelt sich in eine Strandpromenade. Sanfte grüne Wellen plätschern.
Fliegende gestikulierende Händler bieten bunte Ware an. Als ich ein paar Schritte weiter-gegangen bin, treffe ich auf eine Gruppe blumengeschmückter junger Frauen aus aller Welt, die einen gemeinsamen Tanz auffuhren.
Ich kenne niemand außer einer Malaysierin aus unserer Südostasiengruppe.

5ie laden mich freundlich ein, an ihrem Tanz teilzunehmen. Ich bin ganz verlegen: so viele Deutsche sind auf der Straße, und noch dazu sehe ich keine Männer an dem Tanz teilnehmen. Aber dann gebe ich mir einen Ruck und reihe mich ein: in einer langen Polonaise ziehen wir die Strandpromenade entlang; meine zuerst schüchternen Bewegungen werden immer sicherer, wir lachen. Ich bin glücklich, und was die anderen denken, ist mir egal.

DER PALAST

ein Traum

verfaßt 1985

Ich bin der Agent irgendeines Landes.
Ich habe einen Äuftrag zu erledigen, der mich in den Orient führt.
In einen geheimnisvollen arabischen Palast soll ich eindringen und einem Verschwörer eine geheime Botschaft überbringen.
Die Botschaft ist so geheim, daß ich sie selbst nicht kenne..-

Der Palast liegt in goldenem Abendlicht vor mir. Rings um den Palast erstreckt sich die endlose Sandwüste.
Der Palast ist von ei.ner glänzenden weißen Mauer umgeben, die die Form eines riesigen Rechteckes hat.
Das Tor zum Eingang wird von zwei mächtigen schwarzen Affen aus Gußeisen flankiert.
Sie - die Wächter des Tores - sind ungefähr 30 m hoch und tragen ein kaltes schwerfälliges Leben in sich.

Ich renne auf sie zu, ihre Reaktion ist so langsam, daß sie mich offensichtlich gar nicht bemerken, als ich an ihnen vorüberhusche.

Nachdem ich sie passiert habe, merke ich, daß mich noch eine weite staubige Fläche vom eigentlichen Palasteingang trennt.

Von weitem funkeln die Zinnen, Erker und Minaretts des Palastes zu mir herüber.

In schnellem Schritt lege ich auch diese Strecke im Schein der letzten goldenen Sonnenstrahlen zurück.

Außer einer kleinen Kamelkarawane, die keine Notiz von mir nimmt, ist niemand zu sehen.

Im Palast angekommen erblicke ich im Innenhof mit maurischen Säulen viele anmutige junge Menschen, Mädchen und Jünglinge.
Springbrunnen wirbeln kleine Fontänen mit klarem Wasser hoch.

Da die Gefahr des Entdecktwerdens groß ist, verkleinere ich mich durch einen Taschen-spielertrick auf 30 cm Größe und setze mich in ein kleines grünes Aufziehauto, welches plötzlich da ist.
Rasend schnell flitze ich durch die langen glatten Gänge eines labyrintischen Gebäudes, rechts, links, um Ecken herum, an kostbaren Türen mit Schnitzwerk und metallischen Schnörkeln vorbei, so schnell, daß mich niemand fangen kann, selbst wenn er mich bemerken könnte.

Sie haben ein anderes Zeitempfinden, schießt es mir durch den Kopf, durch all die Jahrhunderte hat sich ihr Zeitgefühl verlangsamt..,

Plötzlich bin ich in der Palastküche angelangt. Kessel brodeln und schäumen, aber sogar die Dampfblasen scheinen langsamer aufzusteigen,
Der Koch mit der hohen weißen Mütze, der neben dem größten Kessel steht, das ist der Verschwörer, der mir zublinzelt. Ein goldener Dolch ist unter seinem Gewand versteckt.
Diesem Manne überbringe ich die geheime Botschaft.
Meine Mission ist erfüllt.

TIEF UNTER DER ERDE

ein Traum

verfaßt: 1985

Eine Untergrundanlage in einer großen europäischen Stadt:
es kann Paris sein. Die Szenerie ähnelt entfernt der Frankfurter B-Ebene, nur viel verworrener, verzweigter und verwahrloster.

Fahles Neonlicht beleuchtet ausgedehnte zugige Gänge, alte Metroschächte und tote Fabriken.

Hier leben Penner, Freaks, Anarchos und Künstler, vor allem Maler und Musiker.

Ich bin halb-bürgerlich, lebe mit Mutter und Großmutter in einer armseligen Wohnung am Rande der Untergrundanlage und gehe in die unterirdischen Schächte, um mit meinen Freunden Musik zu machen.

So ganz wohl fühle ich mich eigentlich nicht, weil es eine Art sozialen Abstieges bedeutet, in den Gewölben der Metro zuhause zu seine

Gefürchtet sind die Polizisten, die Razzien nach Illegalen, Rauschgift, Pennern und angeblichen Terroristen vornehmen und dabei mit äußerster Brutalität vorgehen.

Eines Nachts will ich noch einmal nach unseren Instrumenten sehen, die wir in einer schummrigen Kneipe in der unterirdischen Ebene abgestellt haben.

Da fällt mir ein herumstreifender Penner auf, die Rotweinflasche noch in der Rand.

Plötzlich tauchen drei Polizisten auf. Sie beginnen den Mann mit gezogenen Maschinenpistolen vor sich her zu hetzen, die Rolltreppe hinauf und hinunter; sie genießen die Jagd, lassen ihm immer wieder etwas Vorsprung und feuern absichtlich daneben.

Ich bin zu weit entfernt, um einzugreifen, weiß auch nicht, ob ich es tun würde, bin der einzige Zeuge des Geschehens.

Fast sieht es so aus, als könne der Mann entkommen, da setzt der vorderste Polizist einen gezielten Schuß an, und in den Rücken getroffen, sinkt der Flüchtende zusammen.

Die Polizisten grinsen, sie werden dem Opfer eine Waffe in die leblose Hand drücken und als Ursache "Verteidigung gegenüber einem Einbrecher, reine Notwehr" angeben.

Ich weiß, ich bin den Polizisten intellektuell überlegen; ich könnte dem Gericht genau den Ablauf des Vorfalles schildern, aber lohnt sich das Risikop sich mit der allmächtigen brutalen Polizei anzulegen?

Soll ich nicht lieber an meine eigene Zukunft denken?

Am nächsten Tag verlasse ich die Untergrundanlage, um mir in einem anderen Stadtviertel eine Wohnung zu suchen.

Es regnet, und verliebte Pärchen ziehen unter großen Regenschirmen an mir vorbei.

VON MÄUSEN UND MENSCHEN

ein Traum

verfaßt 1985

Ich wohne in Paris in einem schäbigen Appartment.
Meinen Lebensunterhalt bestreite ich dadurch, daß ich Mäuse züchte, die an Mäuserennen teilnehmen und auch ein kleines Wettbüro unterhalte, in dem auf die Sieger der Mäuserennen gewettet werden kann.

Eines Tages besuchen mich meine Eltern und meine Schwester Bettina, die eine lange Autoreise hinter sich gebracht haben.

Während meine Mutter und Bettina in der Küche ein Abendessen zusammenbrutzeln und mein Vater im einzigen anderen Raum, dem Wohn- und Schlafzimmer, auf meinem Sperrmüllsofa Platz genommen hat, befinde ich mich in einer prekären Lage:

Meine beiden von mir geliebten Rennmäuse sind -weiß der Teufel wie - auf den Kleiderschrank ( 2 Meter hoch) gelangt und rasen nun in Panik darauf kerum.

Das Schlimme ist: sie werden von meiner kleinen schwarzen Ratte gejagte die pötzlich auch auf dem Schrank ist und sich aus dem lieben anschmiegsamen Tierchen in einen brutalen Mäusejäger verwandelt hat.

"Papa hilf' mir, wir müssen sie wieder einfangen!" rufe ich und klettere schon auf einen Stuhl.

Vater klettert sofort auf einen zweiten Stuhl, um ebenfalls die Decke des Schrankes zu erreichen und den Mäusen den Weg zu versperren und hat noch Zeit, mich zu emahnen: *Laß' deine Mutter aus dem Spiele, sie wird sich darüber nur aufregen, und auch Bettina soll nichts davon mitkriegen; sie wird zu weinen beginnen, wenn Blut fließt....

Blut? Meinen Mäusen darf nichts geschehen, und außerdem würde ich ohnmächtig werdenl

Die Viecher huschen hin und her; es sieht so aus, als träten die Mäuse sogar zu einer Gegenoffensive an und stürzen sich vereint auf die Ratte.......

Bevor Schlimmeres geschehen kann, haben wir ihnen mit unseren Armen den Weg abgeschnitten, fangen sie ein und setzen sie in ihre Boxen zurück.

Doch bei der Aktion hat sich Vater zu weit nach vorn geneigt und nicht auf die Balance geachtet: der Sperrmüllstuhl neigt sich und Vater kracht in den Schrank hinein, der sofort splittert, weil es sich nur um minderwertiges Sperrholz handelt. Mit solchen Möbeln muß ich auskommen!

Halb im Schrank sitzend strahlt er trotzdem, weil wir die Rennmäuse einfangen konnten und den Tierlein nichts passiert ist, auch nicht der Ratte.

Wegen des Krachs kommen Mutter und Bettina hereingestürzt. Mutter ist entsetzt: "hhhhhhhhh kindernochmal....... Rudolf!!!!!"
Bettina ist außer sich, allerdings vor Zorn: "Tierquälerei, die Mäuse und die Ratte auf den Schrank zu setzen und gegeneinander zu hetzen! Und Vater mit seinem kriegsversehrten Arm auf den Stuhl klettern zu lassen! Burkhard, ich hasse dich!"

Alle drei fahren noch am selben Abend nach Deutschland zurück.-

Am nächsten Morgen gehe ich zu meinem Wettbüro.
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Das Geschäft floriert nicht so recht, die Anfangseuphorie der Kunden für Mäuserennen ist geschwunden, außerdem gibt's zuviel Konkurrenz.
Und meine eigenen Rennmäuse: sie haben sich sowieso nie vorne plazieren können, und der Schock auf dem Schrank wird sie seelisch um Monate zurückwerfen.........

Aber das Leben wird weitergehen.-

Copyright: Burkhard Heidkamp 1985