Gute Nachtgeschichten

Das Baumritual

verfasst 2001

Bericht einer Expeditionsgruppe aus dem System Epsilon Eridani

Die Erdlinge haben wahrlich seltsame Rituale, töten die großen grünen Wesen.
Sie tun dies nicht, um sie zu essen, sondern um sie in ihren Höhlen ein paar Tage neben sich stehen zu haben.

Dann zünden sie sie an, wahrscheinlich um die Wohnhöhle zu beheizen , dafür spricht auch, dass sie das Baumopfer immer dann darbieten, wenn die Strahlen der Zentralsonne den Planeten in den nördlichen Regionen nur unzureichend erwärmen.

Allerdings kann Heizen nicht der alleinige Zweck des Baumopfers sein, da sie den Baum nicht richtig verbrennen.
Die Kerzen aus Rindertalg, Insektenwachs oder Kunststoff mit Metallfäden sorgen für nur geringe Wärme, scheinen eher für Beleuchtungszwecke gedacht zu sein.
Es verwundert allerdings, dass die Erdlinge ihre viel effektiveren Beleuchtungssysteme während des rituellen Baumbeleuchtens sogar abschalten...

Wenn tatsächlich aber einmal ein Baum effektiv verbrennt, dann stürmen nach kurzer Zeit rotgewandete Erdlinge mit Schutzhauben auf den Köpfen mit viel Lärm, Geschrei und Geräten herbei und ersticken den gerade erst eingeleiteten Verbrennungsprozess mit weißen Mineralien oder mit der hier sehr häufig vorkommenden flüssigen Verbindung H2O, die für unsereins bekanntlich ein schwaches Nervengift ist, das auf unseren Schuppen Juckreiz hervorruft.

Und warum hängen sie Dinge an den toten Baum, die jeglicher Funktion ermangeln?....
Vielleicht dienen die roten Bälle dazu, Vögel vom Herauspicken der Nüsse aus den ebenfalls angehängten Gebäckstücken abzuhalten, aber auch diese These enthält Schwachstellen, da nicht jeder Baum mit Gebäckteilen behängt wird und die Erdlinge den getöteten Baum ja auch innerhalb ihrer ohnehin vogelgeschützten Erdhöhle aufrichten.

Dann reden sie von einem „Ständer“. Unsere Wissenschaftler können sich nicht einigen, ob dies ein Ersatzfuss für das getötete Baumwesen ist oder es sich um das aktivierte Sexualorgan eines Erdmännchens handelt.

Schließlich besingen sie den Baum.
Es bedarf noch weiterer Forschungen, ob sich die Anrufung unmittelbar an den getöteten Baum richtet, quasi als Entschuldigung für das vorangegangene Schlachten des Opfers, oder ob eine höherstehende immaterielle Gottheit angerufen wird.

Eine Auffälligkeit, die besonders den noch juvenilen Erdlingen zu eigen ist, ist der Austausch von Gaben, die vorher durch Einwickeln in Zelluloseprodukte unkenntlich gemacht werden, wahrscheinlich um einen Überraschungseffekt auszulösen..

Diese Gaben werden bewundert, hinterher aber oft weggeworfen.

Das Ritual geht über in das gemeinsame Verzehren eines anscheinend rituellen Mahles .
Sehr oft werden hierzu getötete, geröstete Vögel beachtlicher Größe gemeinsam verspeist.
Die beleibten Vögel werden vermutlich nur zu diesem Zweck gezüchtet und nicht rituell besungen, zumindest sind diesbezüglich keine Berichte bekannt.

Gerne nehmen die Erdlinge während des rituellen Mahles Lösungen aus flüssigem Äthylalkohol zu sich.
Bei übermässigem Genuss des Äthylakoholes kommt es dann schließlich vereinzelt doch noch zu einer Besingung der Vogelreste, gelegentlich sogar zu agressivem Verhalten der Erdlinge untereinander.

Schließlich aber, spätestens nach Verlöschen der Baumlichter, kommen die Erdlinge zur Ruhe, verstauen die Geschenkgaben in ihren Depots und verziehen sich in ihre Schlafstellen.

Das Ritual des Baumfestes wiederholt sich in abgewandelter Version noch während der Folgetage, bis der dann fast entnadelte Leichnam des Baumes in eine Entsorgungsstelle gebracht wird.
Über ein gesondertes Begräbnis des Baumes ist nichts bekannt.

Danach finden keine Baumaufstellungen mehr statt, bis der Sonnenlauf wieder die exakt gleiche Position hat, die durch Priester und andere Würdenträger berechnet wird.

Dann wiederholt sich das Ritual auf geheimnisvolle Weise von neuem.

Merkwürdig, die Menschlinge...>

copyright 2001 Burkhard Heidkamp