Gute Nachtgeschichten | |
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Auswahl: | Verkehrte Weltverfaßt 1980 Ort der Handlung: eine Oberschule in Kaundu (Tansania), Gemeinschaftskundeunterricht Oberstudienrat Colbert, ein salopp gekleideter,
fortschrittlicher Schwarzafrikaner, diskutiert mit seiner zwölften
Klasse über wachsende gesellschaftliche Probleme, z.B. den
Süd-Nord-Konflikt; versucht, Hintergründe, Ursachen aufzuzeigen,
die harmonische Oberfläche der Geschichtsschreibung
anzukratzen. Colbert fragt sich oft, wem die Zukunft gehört, wer von ihnen unpassend ist, da Gambo oder er... ... Heute ist er mutig: "Leute, vielen von euch ist der Wohlstand in unserem Lande und den Nachbarstaaten der afrikanischen Union schon längst zur Selbstverständlichkeit geworden. Wer aber denkt daran, daß unsere äquatorländische Zivilisation und unser Lebensstandard auf dem Blut und den Tränen Orobas aufgebaut sind?! Vielen von euch kommen die Weißen träge und apathisch vor. Mercrones, wie sind Ihre Kenntnisse bezüglich der Orobas?" Mercrones: "Nun, es sind Menschen wie wir auch, vielleicht etwas triebhafter; das liegt an der anderen Mentalität, sie haben weniger Leistungswillen; aber die meisten sind ganz zufrieden, mit ihren großen Familien in ihren mittelorobischen Wellblechhütten zu leben, einige Orobas sind künstlerisch begabt, und es gibt auch gute Sportler bei ihnen...." Colbert: "ich hab's befürchtet, daß wir noch mal von vorn anfangen müssen. Was geschah also im 24. Jahrhundert unserer Zeitrechnung nach UGALU?" Sally. eine intelligente junge Afrikanerin meldet sich: Einige landeten an der Westküste Orobas, in Franconia oder Espagnola. Andere besetzten die Halbinsel Italla. Die Eingeborenen dort empfingen unsere Truppen arglos und mit einem süß-sauren Gebräu namens "Fino Roffo". Leider zerstörte dies in der Folgezeit die anfangs friedlichen Beziehungen, denn die afrikanischen Invasoren schändeten im Rausch die unschuldigen italischen Frauen und Kinder wie sie es auch auf ihrem weiteren Vorstoß jenseits des nördlichen Gebirges mit der tirolischen und bajuwarischen Bergbevölkerung taten. Sie zwangen ihnen den Glauben nach UGALU auf, und zum Erschrecken der Einheimischen hängten die schwarzen Priester- und Priesterinnen des Heeresgefolges überall in den kargen Steintempeln der Bajuwaren pralle Fruchtbarkeitssymbole und grimmige Göttermasken auf. Alle Kreuze und Kruzifixe der Einheimischen wurden unter lautem Wehklagen des einfachen Yolkes eingesammelt, zerstört oder für die afrikanischen Museen aussortiert, als abschreckendes Beispiel für die irregeleitete Religion der Kreuzesanbeter," Colbert: "Prima, Sally, können Sie uns noch etwas über die ökonomischen Hintergründe der Kolonialisierung Orobas sagen?" Sally (ohne lange zu überlegen): "Der Erzreichtum Orobas reizte
die kongolesischen Entdecker. Unsere Conquistadoren entdeckten
viele Bodenschätze, besonders in Lotringa, Ruraria und Inglandesia.
Letztere unwirtliche Insel war zuvor von den mit den Königreichen
befreundeten Mayas entdeckt und befriedet worden: die Mayas hatten
den britischen Hochadel kurzerhand unter deren Nationalmonument
Stonehenge geopfert und der herrschenden Richterkaste die Perücken
abgeschnitten; danach erlahmte der inglandesische Widerstand und
wurde nur noch indirekt ausgeübt: die Indianer, viele von ihnen
waren an knackiges Gemüse und würzige Pfefferschoten gewöhnt,
wurden von den Köchinnen und Köchen der Nebelinsel mit zerkochtem
kaltem und ungenießbarem Essen traktiert; viele Mayas siechten
dahin und zogen sich auf Irlanda, die westlichste Insel zurück, so
daß der Weg für die schwarze Flotte frei war, Colbert: "Wie ging es in der Folgezeit weiter? Mtebele, bitte!" Mtebele:"Ähh, moment, Sir, was?!" Colbert:"Ich meine den bengalischen Seekrieg, junger Mann!" Mtebele: "Es kam zu blutigen Gefechten. Der Widerstand kam
weniger von den festländischen Orobas, die für ein paar
Baumwollhemden und Bananen das für sie wertlose Erz hergaben und
ständig auf unseren Weizenfeldern - äh, den Weizenfeldern, die die
Conquistadoren angelegt hatten - schufteten. Der Angriff kam von
der bengalischen Flotte, die von Osten her nach Oroba eindrang. Colbert: "Nanette, fahren Sie fort, kämmen können Sie sich auch nach dem Unterricht!" Nanette: "Als Folge des Sieges der Vereinigten Königreiche wurde
Oroba in drei Interessengebiete aufgeteilt, die orobasischen
Trisphären wie man sie nannte. Colbert: "Ich bitte darum." Nanette: "Die nächste Zeit entwickelte sich trotz weiterer
Interessenkonflikte der drei Großmächte zu einer Blütezeit für die
Kolonien, die wertvolle Rohstoffe lieferten, während wir ihnen die
äquatorländische Kultur brachten. Colbert: "der Fachausdruck lautet "lnquisition", nicht
"Inquisation". Unsere Vorfahren gingen nicht gerade zimperlich vor bei der
Landnahme. Die Orobas wurden immer weiter zurückgedrängt, ihre Frauen geschändet und die Männer als Sklaven nach Afrika in die Kupferminen Katangas und Kinshasas verschifft. Besonders schlimm erging es den weißen Sklaven und ihren
Nachkömmlingen in den Südgebieten, im Kapland und bei den Zulus.
Sie sehen doch, daß ihre Nachfahren heute noch in den
Diamantengruben von uns Schwarzen schuften müssen,
zusammengepfercht in Slums, monatelang getrennt von ihren
Familien! Man führte überall Kisuaheli als Zwangssprache ein, riß den Orobas die wärmende Fellkleidung weg und steckte sie in dünne Ovambo - Baumwollhemdchen, unter denen ihre Kinder in den orobasischen Wintern bitterlich frierten. Die Bevölkerung, die nicht als Sklaven zur Deportation bestimmt
war, wurde von den schwarzen Geschäftsleuten, die die erste Welle
der Conquistadoren ablösten, mit Hirsebier, Palmwein und Schlägen
gefügig gemacht und samt Kindern in die Bergwerke Lotringas und Das Industrieproletariat trat an die Stelle des alten orobasischen Systems der Zünfte, bei dem jeder Oroba Arbeit und Brot hatte. Ja bitte, Watube?" Watube: "Also, ich finde, Sie stellen die Rolle unserer
afrikanischen Vorfahren zu negativ dar. Watube (unbeirrt): "Es geht ihnen doch heute schon viel besser! Im 26. Jahrhundert nach UGALU erhielten die Orobas nach Abschaffung der Sklaverei die Freiheit. Aber was haben sie aus ihrer neugewonnenen Freiheit gemacht ?! Sie sitzen in ihren Hütten, frieren, trinken Hirsebier und zetteln sinnlose Stammenkriege an, besonders die Germanianer! Ohne uns Schwarze und Braune, ohne den Zulutrust und die Indiokonzerne würden die Weißen doch wie die Fliegen verrecken! Nattirlich sehe ich auch den humanitären Aspekt.... " Colbert: "Watube, ich fürchte, Sie haben noch nicht genügend
Sensibilität für den geschichtlichen Kontext entwickelt! Auch heute noch leben die meisten Orobas unter schlimmeren Verhältnissen als unsere Hunde und Ziegen, die wir in unserem Wohlstand grenzenlos verhätscheln. Die Unabhängigkeit ist wertlos, solange der Imperialismus der Großmächte - ich denke da an Zimbabwe, Guatemala und Bangla Desh, weiter die orobasischen Länder aussaugt. Die schwarzen und braunen Staaten haben besonders in Mitteloroba und Skandinavia die riesigen Wälder abholzen lassen und stattdessen Monokulturen, riesige Kartoffelplantagen und Hopfenfelder angelegt. So kommt es, daß den Weideflächen Bavarias in den Sommern auf
den erodierten Hängen der Regen fehlt und der stolze Bergbauer
seine Alm verlassen muß, um sich als Tagelöhner in den
Hopfenfeldern der Schwarzen zu verdingen. Der Hungerlohn. den der weiße Land- oder Bergarbeiter seinen
hungrigen Kindern nach Hause schickt, reicht doch kaum für die
tägliche Kartoffelration! Colbert reicht den Schülern die Fotos, die von Bank zu Bank wandern. Sie lösen Bestürzung, Mitleid, aber auch Skepsis bei den jungen Leuten aus: "Sicher, es herrschen dort schlimme Zustände, aber liegt es nicht vielleicht doch an der Mentalität? Wer tüchtig ist, kommt immer durch!" Der Lehrer wird zornig: "So, so der Tüchtigste! Die Tüchtigsten, das sind dann wohl die weißen Profifußballspieler, die von der herrschenden Klasse als Vorzeigeobjekt gefüttert und verwöhnt werden! Neunzig Minuten Ballzauber durch Beckenbaffer, Mulla und Rummenigga in den Stadien von Munico, Gelsenkircha und Dortmunda trösten die Massen über ihr Elend hinweg; dann vergißt man in germanianischer Begeisterung den hungrigen Magen für ein Weilchen, solange bis der Bergarbeiter wieder In seiner dunklen Hütte sitzt. Am nächsten Tag, wenn der stinkende Rheinas wieder über seine Ufer tritt, die brüchigen Elendshütten unter Wasser setzt und die gefräßigen Ratten und Kakerlaken in Scharen durch die fauligen Slums ziehen, dann hängt der graue Himmel drohend über dem weißen Arbeiter und Tagelöhner, und er wünscht sich, zu sterben, aber zuerst trifft es seine geschwächten Kinder, er muß noch lange aushalten... jahrelang.... Leute, angesichts dieser Not rösten unsere Häuptlinge weiter auf, planen ihre Stammeskriege und finanzieren sie mit dem Geld, das sie aus Oroba auf formal legale, aber menschenverachtende Weise herausziehen, Soll das, kann das ewig so weitergehen ?l Sind wir nicht schon eifrig dabei, uns durch diese Politik unser eigenes Grab zu schaufeln?!" In diesem Moment ertönt der Pausengong. Man hört Stühle rücken, Bleistifte klappern, die Hirseriegel für das kleine Zwischenfrühstück werden ausgepackt, die Schüler und Schülerinnen gehen auf den Pausenhof, scherzen, diskutieren über die Basketballsaison und rätseln, welche Themen in der Klassenarbeit über analytische Geometrie drankommen werden. Die Musik-AG mit dem Drumorchester wäre viel angenehmer! Hatten wir Hausaufgaben? Bei dem schönen Wetterl Es ist ausklingende Regenzeit, die Vögel singen in den immergrünen Bäumen, wollen wir ein Eis essen oder ein Banana-shake trinken? Colbert, der junge Lehrer, ist besorgt. Im Lehrerzimmer findet er in seinem Fach eine handschriftliche Notiz vom Rektor vor: "Bitte um Rücksprache." ---? Ach, das wird sich auf die drei Elternbriefe von letzter Woche beziehen: er hatte im Unterricht von "albernen schwarzen Überlegenheitsgefühlen und "heuchlerischer Oroba - Hilfe" gesprochen, und jetzt hatten sie sich empört: "Beleidigung unserer Ahnen'" "schwarzer Nestbeschmutzer!'" "Soll er doch hingehen, wo der Hopfen wächst!", so klangen die noch eher harmlosen Anwürfe der empörten Eltern..... Seufzend geht Colbert durch den langen Korridor; am Ende des Ganges wartet die Tür des Rektorzimmers.---- Copyright Burkhard Heidkamp 1980 |
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