Gute Nachtgeschichten

Die Berufsberatung

verfaßt: 1979

"Guten Tag, ähemm; bin ich hier richtig, Berufsberatung, Zimmer 108?"

"Ob Sie ganz richtig sind, weiß ich nicht; jedenfalls ist das hier tatsächlich Raum 108. Was wünschen Sie denn?"

"Ich wünsche, berufsberaten zu werden."

"Ein schwieriges Unterfangen heutzutage, aber mal sehen, was sich tun läßt ... Hmmm, Sie waren längere Zeit arbeitslos, haben krumme Füße, schon mal schlecht. Nun, wo liegen denn Ihre Interessen und Neigungen?"

" Also, ich sammele alte Telefonbücher; aber Sie meinen wohl mehr die beruflichen Interessen?"

"Sehr richtig. "

"Ich würde gerne Buchhalter werden."

"Tja, ich weiß nicht, ob ich Ihnen bei der derzeitigen Fluktuation des Arbeitsmarktes dazu raten kann,
Der 8-semestrige Studiengang des Diplombuchhalters stellt hohe Anforderungen, besonders an Disziplin, Durchhaltevermögen und Belesenheit des Studenten. Ferner sind kräftige Armmuskeln gefragt.
Ein Buch über einen längeren Zeitraum zu halten -manchmal sind es auch mehrere Werke gleichzeitig- ist bedeutend diffiziler, als der unbedarfte Laie sich dies vorzustellen vermag,
Festkörpermechanik, Statik, Papierkunde, Allergologie, Literaturwissenschaft und viele andere Fächer kommen auf Sie zu.
Daneben werden Sie in den Semesterferien verschiedenartigsten Belastungsproben ausgesetzt sein, die Ihnen durch Bibliothekspraktika vermittelt werden.
Außerdem sind die Fortbildungsmöglichkeiten erschwert: wer einmal die gesammelten Werke Shakeapeares gehalten hat, ist auf diese Rolle festgelegt und kann schlecht zu Kleist oder Lessing überwechseln, höchstens zu Jonathan Swift oder Charlen Dickens; bei viel Glück auch zu Agatha Christie...
Spezialisten sind gefragt; das fördert natürlich das Fachidiotentum. Unter Umständen wäre ein anderer Halterberuf besser: vielleicht Federhalter oder Tierhalter?"

"Ach nein, gegen Federn und Tierhaare bin ich allergisch. Reizen würde mich natürlich die Fachausbildung zum Büsten- und Strumpfhalter, aber als Mann hätte ich da kaum Chancen, abgesehen davon, daß mich meine Familie aus moralischen Gründen enterben würde.... "

"Nun ja, es ist nicht jedermanns Sache. Strumpfhalter werden ohnehin wegen der modischen Entwicklung immer weniger benötigt, es sei denn, Sie arbeiten im Rotlichtmilieu als Straps; aber Sie können nicht erwarten, daß wir Ihnen eine solche Tätigkeit vermitteln, wirklich nicht! Was haben Sie denn eigentlich vorher gemacht?"

"Tja, ich habe einen körperlichen Beruf ausgeübt: dreijährige Lehre als Gabelstapler; hat mir sehr gelegen; niemand kannte sich mit Metallverarbeitung, Gabelbiegen und der akkuraten winkelgerechten Stapelung der Bestecke besser aus als ich; fast möchte ich sagen, daß beim Gabelstapeln eine künstlerische Ader von mir zum Vorschein kam. Aber dann haben die Affären um Uri Geller, der Schwindet mit dem telekinetischen Gabelverbiegen, die Konjunktur kaputtgemacht, nicht wahr, und nach dem Ende der Lehrzeit sind wir alle auf die Straße gesetzt worden,

"Und was haben Sie danach gemacht?"

"Danach arbeitete ich auf einer Zitrusplantage als Zitronenfalter; aber das war eine Sch... arbeit! Ich hab' die Zitronensäure nicht vertragen.
Meine Hände waren jeden Abend wund, und da hab' ich halt gekündigt.

Außerdem liegt mir das Arbeiten mit runden Objekten nicht, habe ein gespaltenes Verhältnis zur sphärischen Trigonometrie. Deswegen könnte ich zum Beispiel auch nie Kugelschreiber werden; ist schon beknackt, die ganze Sache!
Was mich noch reizen wurde, ist der Beruf des Tonabnehmers.
Aber die Aufnahmeprüfung ist sehr schwer, und bei meinem schwachen Kreislauf habe ich wohl nicht so gute Chancen.....
Die Studienplätze gehen entweder an Genies oder an Leute mit Beziehungen. Wer im Funkhaus schon einen wichtigen Ton- oder Verantvortungsträger kennt, hat die besten Karten! Überhaupt, diese arroganten Verantwortungsträger: sie verdrehen ihre Augen ob der scheinbar übermächtigen Last auf ihrem Rücken, aber wenn Du näher hinguckst , schleppen sie lediglich einen aufgeblasenen Ballon mit sich herum,... "

"Lassen Sie doch die unqualifizierten Beschimpfungen der Leistungsträger unserer Gesellschaft! Verantwortung zu tragen ist wesentlich schwieriger, als sie zu verschieben"

"Ja, was zum Kuckuck empfehlen Sie mir denn?!
Soll ich vielleicht mein ganzen Leben in einer muffigen Amtsstube als Aktenordner verbringen ?! Ich hol' mir doch eine Staublunge im Regal!!"

"Sie sollten den öffentlichen Dienst nicht so abwerten, junger Mann. Später, im Alter...."
Aber wenn Sie mehr für Abwechslung sind, den Kontakt mit jungen Menschen suchen: gut dotiert, abwechslungsreich und interessant ist die Tätigkeit als Reisewecker.
Wäre das nichts, in der Welt herumzugondeln, von Hotel zu Hotel? Es ist natürlich ein harter und zeitraubender Job - er erfordert absolute Pünktlichkeit, Genauigkeit, Taktgefühl und vor allem Durchsetzungskraft."

"Ich weiß' nicht, ob ich dazu die Nerven hätte. Jeden Tag auf Achse zu sein, immer darauf gefaßt, als Störenfried angeschrieen oder sogar geschlagen zu werden...
Außerdem bezweifele ich, daß meine Stimme die nötige Durchschlagskraft hätte.
Und dann habe ich neulich in der FAZ gelesen, daß die Digitalwecker, also die elektronischen Quäker, die Menschen bald völlig aus diesem Beruf verdrängen werden.
Und dafür dann studieren? - Nee, danke!"

"Und wie steht es mit einer Verpflichtung beim größten Arbeitgeber des Friedens, unserer Bundeswehr ?"

"Sie meinen als Düsenjäger oder Kanonenfütterer? Oder gar als Panzerfaust, Granate oder Gebirgsjäger?
Sie wissen doch selbst, wie schwer es ist, die wieselflinken Düsen zu jagen! Als Gebirgsjäger habe ich diesen Problem zwar nicht, aber wie nehme ich ein Gebirge aus; wie schaffe ich es ins Tal, nachdem ich es zur Strecke gebracht habe? Und die anderen Jobs sind mir zu aufreibend, immer stehst du kurz vor dem Platzen!"

"Und wie sieht's aus in der Kfz-Branche: als Kolbenfresser, Scheibenwischer, Motorroller oder Einspritzer?
Wir könnten Sie auch an der Lichtmaschine oder am Vergaser schulen..."

"Das ist mir alles zu unmoralisch; am Ende schicken Sie mich noch in den Auspuff! Wie soll sich der kleine Steuerzahler bei solchen Umschulungen verhalten?l. Nein, ich mache es nicht.
Ich werde auch kein Toaster, schon wegen der Krebsgefahrl"

"Langsam sehe ich bei Ihnen wirklich schwarz! "

"Ich sehe auch schwarz, obwohl ich Buntes viel mehr mag!

Moment mal, bunt .... Was ist das denn für ein Arbeitsamtinfoheft, das Sie da neben vielen anderen Broschüren auf dem Tisch liegen haben?"

"Ach, das ist fast antiquiert; die Verdienstmöglichkeiten sind in dem Job nicht sehr hoch, obwohl er zu allen Zeiten erlernt und ausgeübt wurde: es ist der altehrwürdige Beruf des Landstreichers! Zugegebenermaßen ist der Job krisenfest; in der Branche wird man/frau so gut wie nie arbeitslos."

-blätter, blätter, raschel, raschel,--

" Oooh, das ist ja toll! Diese Möglichkeiten das Land zu verwandeln!
Wie es so schön heißt: der Sprayer arbeitet an vertikalen Flächen, während sich der Landstreicher der Horizontalen widmet...."

" Ohne dabei unanständig zu sein!"

" Ja, das stimmt. Diese wunderschönen Farben: vor meinen inneren Augen entsteht eine wahre Farbsinfonie: blaue Wälder, lila Felsen, gelbe Tümpel, rosa Moosteppiche und karierter Buntsandstein. Pastellfarbene Äcker, die Kunst, sie hat mich wieder!"

" Junger Mann, ich fürchte, Sie hängen hoffnungslosen romantischen Ideen nach, wie sie auch diese sogenannten Grünalternativen vertreten.
Ich muß Sie belehren, daß Landstreicherei eine gute Kondition erfordert und wir außerdem in ein paar Jahren vielleicht gar keine Landschaften mehr haben werden.
Als Schlagworte werfe ich hier nur folgende Begriffe in die Runde: Kernkraftwerke, Radioaktivität, Verstrahlung, Kernspalterei und Neutronenzauber!"

"Aber das macht doch nichts, das ist doch gut: ich arbeite mit radioaktiven Leuchtfarben auf der Grundlage von Plutoniumdispersion. Die verlieren erst nach 2.400 Jahren die Hälfte ihrer Leuchtkraft, sind also viel besser als Persil, Dash oder Sunil! Meine Werke werden noch leuchten und strahlen, wenn es keine Lebewesen mehr gibt. Ich schreib' sofort mit Fotos an die Zentrale in Gorleben.
Landstreicherei mit Leuchtfarben, das ist doch der letzte Schrei!"

"Der letzte Schrei? In der Tat, sie haben mich überzeugt!"

Copyright Burkhard Heidkamp 1979