Gute Nachtgeschichten

Das Lachvirus

verfaßt 1995

(mit freundlicher Genehmigung entnommen aus einem Populärwissenschaftlichen Aufsatz in der Zeitschrift "Nature", Ausgabe August 1998

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Wann das Lachvirus zum ersten Mal aufgetreten ist, läßt sich nicht mehr genau ermitteln.

Es könnte aber ein bayerisches Wirtshaus gewesen sein, in dem zum ersten Mal die Spuren des Virus dingfest gemacht wurden: der Wirt "Zum goldenen Ochsen", sonst ein grantiger Bärbeißer, brach während eines Frühschoppens an einem Aprilsonntag 1996 plötzlich in unmotiviertes Gelächter aus, scherte sich nicht um die staunten Blicke der fast ausschließlich einheimischen Gäste, klatschte sich mehrfach wiehernd auf die Schenkel, grölte, fiel mit Tränen in den Augen zu Boden, zuckte konvulsivisch, griff sich dann röchelnd an den Hals; der zufällig anwesende Dorfarzt konnte nur noch den Tod - Herzschlag aus großer seelischer Erregung - feststellen.

Dies war der erste "Lachtote", wie die Opfer der rätselhaften Seuche später im Volksmund bis zum heutigen Tage genannt werden.

Im gesamten Bundesgebiet und auch im grenznahen Ausland wurden in der Folgezeit unnatürliche Todesfälle, die jedes Mal von Lach- und Erstickungsanfällen ausgelöst wurden, bekannt und aufgelistet.

Bei den Opfern wurde nach Monaten vergeblichen Forschens von einer jungen Wissenschaftlerin Anomalien in der statistischen Verteilung der Aminosäuren entdeckt , offensichtlich hervorgerufen durch ein Virus auf molekularer Ebene.

Als die Biologin das Resultat ihrer Forschungen ihrem Professor vortrug, kicherte dieser, prustete los - und vier Wochen später war er tot. (Im Gegensatz zu seiner Untergebenen hatte er die Reagenzgläser ohne Gummihandschuhe angefasst).

Das Virus war also so klein, daß es auch unter dem Elektronenmikroskop kaum zu identifizieren war,

Forschungen ergaben, dass es offenbar nicht durch Körperkontakte, sondern durch das Erzählen schlechter Witze übertragen wurde.

Spektakulär war der Tod mehrerer Parlamentarier in der vorletzten Reihe des Bundestages anlässlich der Haushaltsdebatte im Oktober 1996. Ein Parlamentsdiener wurde mit Anzeichen einer schweren Lachvergiftung ins Godesberger Bundeswehrkrankenhaus eingeliefert und erzählte, dass sich die Parlamentarier einen Frauenarztwitz erzählt hatten. Er selber habe nur mit halbem Ohr hingehört und ihn auch nicht besonders lustig gefunden. Vermutlich rettete ihm dies das Leben.

Bis heute nicht geklärt sind die Umstände einer Serie von Todesfällen in süddeutschen Klöstern.

Die Todesfälle traten interessanterweise kurz nach Erscheinen der neuesten päpstlichen Enzyklika über "Keuschheit, Demut und einfaches Leben im 21. Jahrhundert" auf.

Die Infizierung mit dem Lachvirus führte nicht in jedem Fall zum Tod. Manche Infizierten leben bis zum heutigen Tage mit dem Virus und lachen nicht mehr als andere Zeitgenossen auch.

Bei anderen Infizierten wird die Infektion von den Angehörigen und Arbeitskollegen sogar als durchaus positiv gewertet: Die Betroffenen seien geistreicher geworden, würzten ihre Sätze durch intelligente Pointen, wurden zu Stimmungskanonen und seien insbesondere auf Jubiläen und Geburtstagen sehr gefragt,

Allerdings kippte der vorher durchaus stabile Zustand bei etwa 20% der Patienten und wurde nunmehr als negativ empfunden.

Von Mal zu Mal sei das Verhalten der Patienten störender geworden, ihre Witze geschmackloser, die Pointen abgedroschener und das Lachen hysterischer.

Viele wussten nicht mehr, warum sie überhaupt lachten.

In den schweren Fällen wurden die Heiterkeitsausbrüche komisch bzw. chronisch.

Die lachfreien Zeiten wurden kürzer und einige verloren den Arbeitsplatz. Zum Teil fühlten sich die Vorgesetzten durch das ständige Lachen und Kichern hinter ihrem Rücken vergackeiert, besonders wenn düstere Statistiken mit wieherndem Gelächter quittiert wurden. Aber auch die wohlmeinenden Chefs, die um den Ernst der Lachseuche wussten, sahen sich. "aus Rücksicht auf die gesunde Belegschaft und den störungsfreien Betriebsablauf" nicht mehr in der Lage, das Dienst - bzw. Arbeitsverhältnis fortzusetzen.

"Das ständige Lachen und zwanghafte Witze erzählen trägt Unruhe in den Betrieb und erhöht durch häufige Fehlzeiten der Lachkranken die Arbeitskosten. Dies ist auf die Dauer für das Unternehmen nicht zu verkraften, zumal das Ausland sich ohnehin über unsere hohen Fehlzeiten kaputt lacht",
so Dr. Siedentopf, BMW München.in seiner Presseerklärung vom 6. Juli 1997.

Zumindest im letzten Halbsatz täuscht sich Dr. S., da im Ausland bisher nur sehr wenig Fälle aufgetreten sind,

Wissenschaftler führen dies darauf zurück, daß das Lachvirus im besonderen "deutschen Xumor" sehr günstige Lebensbedingungen vorfindet. Der Deutsche lacht über andere Witze als der Italiener oder Franzose, und das Virus ist anscheinend -noch - spezialisiert. "Humor" heißt ja nichts anderes als "Feuchtigkeit', und nur in den Sumpfblüten des hiesigen Humors kann das Virus offenbar überleben und sich insbesondere bei einer Konzentration schlechter Witze rasend schnell vermehren.

Interessant ist, dass zu zwei Dritteln Männer erkrankt sind, wahrscheinlich wegen der Sehweineigeleien bei sexistischen Witzen.

Therapien gegen die Lachseuche sind noch nicht bekannt. Versuche, mit chemischen Mitteln die Gehirnsynapsen zu beeinflussen, sind bislang ohne signifikante Wirkung geblieben.

Der Ausbruch der Krankheit kann aber durch diätetische Maßnahmen verzögert werden: die Patienten sollten sich vom Genuss von Limonen, Zitronen, grünen Äpfeln und eingelegten Gurken fernhalten ("sauer macht lustig!").

Der Konsum von zu viel Zucker führte jedoch nicht zum Erfolg, sondern verursachte bei mehreren Patienten Diabetes.

Wie gehe ich als Angehöriger oder Kollege mit der Krankheit eines nahestehenden lachkranken Menschen um?

Vor allen Dingen sollte in der Gegenwart des Kranken wenig gelacht oder gescherzt werden.
Witze oder miserable Humorsendungen sind Gift! Der "Komödienstadel"hat schon etliche Lachkranke auf dem Gewissen.

Um sich nicht selber bei einem Lachanfall zu infizieren, sollte bei der Versorgung schwerer Erkrankter die Pflegepersen sich stets Oropax in die Ohren stecken und Blickkontakt mit dem/der Kranken vermeiden.

Wenn die Lachanfälle fast stündlich eintreten, ist ein abgesonderter stationärer Aufenthalt erforderlich.

Fachkräfte sind besser gegen die gängigen geschmacklosen Witze sowie gegen Lachattacken gewappnet.

Vor allen Dingen sollte keine hysterische Furcht vor einer Eigeninfizierung aufkommen.

Nicht jeder spontane Lacher oder jedes Kichern ist ein Zeichen für eine Infektion mit dem Lachvirus, sondern kann ein ganz spontaner Ausdruck einer natürlichen Fröhlichkeit sein.

Nicht umsonst sagt der Volksmund sogar: "Lachen ist gesund!"

Warnzeichen sind erst dann zu sehen, wenn Sie über Dinge lachen, über die Sie früher nicht gelacht hätten oder wenn Sie kichern, ohne zu wissen warum,

Meiden Sie Alkohol, Partys und Drogen!
Wenn Sie unbedingt humorvolle Lektüre genießen wollen: lesen Sie philosophische Werke, keine plumpen Witzbücher oder Albernheiten.

Falls sich trotz der guten Ratschläge - siehe auch Diät! - keine Besserung ergibt, dann ist es Zeit, zur Apotheke zu gehen und sich dem sogenannten Lachmuss-Test zu unterziehen.

Stecken Sie sich beim nächsten Lachanfall ein Lachmuß-Papier unter die Zunge, und wenn sich der Streifen blau verfärbt, dann haben Sie bald nichts mehr zu lachen: sie müssen dann lachen, lachen, lachen, es ist schrecklich, aber verlieren Sie nicht den Mut.

Es gibt in jeder größeren Stadt bereits Selbsthilfegruppen, in denen anonym und hemmungslos gelacht werden kann, ohne dass dies als unpassend oder störend empfunden oder mitleidig belächelt wird.

Die Lachforschung ist unermüdlich aktiv, Heilmittel zu finden, dies wird aber dadurch erschwert, dass sich das Virus geschickt anpasst und angesichts der medialen Reizüberflutung durch immer mehr und immer schlechteren Humor und Klamauk stets neue Nischen schafft.

Aber die Wissenschaft hat Pest und Cholera in den Griff bekommen; sie wird auch über das Phänomen des Lachens obsiegen.

Epilog

Im Jahre 2004 lasen die letzten Deutschen diesen Text und schütteten sich vor Lachen aus; auch in den Nachbarländern hatte die Seuche um sich gegriffen.

Wegen der guten Flugverbindungen hatten sich bereits in entlegenen Regenwäldern und auf Südseeinseln viele Einheimische totgelacht; das Lachvirus hatte sogar schon Haustiere befallen.

Katastrophal hatte sich die Verbreitung geschmacklosen Humors über das "Internet" ausgewirkt; lediglich die US-Amerikaner waren bislang einigermaßen von der Krankheit verschont geblieben, weil sie meistens weder Witz noch Pointe verstanden.

Sie litten dafür unter dem Bakterium der Ignoranz, das ihre Darmzellen verwüstete.

So scheint die Natur die geistigen Höhenflüge des Menschen höchstselbst zu begrenzen -giftige Abfallprodukte des geistigen Stoffwechsels -

"Das ist ja alles lachhaft! Schluß damit, hihi, hihi, hohohoho, grmmpf..."

Copyright: Burkhard Heidkamp 1995