Sonntag, 29. März
2601 Meilen nach Mekka!
Diese Anzeige blinkt uns zusammen mit einem martialischen Adler,
Symbol der Gulf-Air, auf der Videotafel in der Boeing 767 entgegen,
in der wir Platz genommen haben, um einer nicht minder heiligen
Stadt entgegenzufliegen.
Es ist Sonntag, der 29. März 1998, gegen 11.30 Uhr vormittags im
Frankfurter Flughafen, Terminal 1.
Eigentlich ist es erst 10.30 Uhr, aber just in der Nacht, bevor
sich unser stählerner Vogel gen Süden erhebt, war die Umstellung
auf die Sommerzeit.
Zum Glück haben wir das einbezogen, es wäre eine große Hektik
geworden, sich in allerletzter Minute einzuchecken.
Die (britischen) Stewardessen in ihren orientalischen Kostümen mit
Fez und Schleier muten an wie Feen aus tausendundeiner Nacht oder
wie die „bezaubernde Jeannie“ aus der Kultserie der 60er Jahre. Ob
sie durch Augenzwinkern zaubern können, bleibt uns verborgen...
Unser Ziel für drei Tage und vier Nächte ist Rom, die uralte und
zugleich immer junge Stadt, verknüpft wie keine zweite andere mit
dem Geschick des Abendlandes.
Von hier errichteten die Römer ihr riesiges Jahrhunderte währendes
mediterranes Reich, und von hier aus regierten die Päpste die
Geschicke von Reichen, Imperien und besonders die Herzen von
Millionen Gläubigen, segensreich, aber auch verderblich.
Und auch heute ist der Einfluß des Stellvertreters Christi im
Vatikan zwar geschmälert, aber immer noch mächtig.
Diese Stadt, die ich als Rucksacktourist mit Tragezelt per
Mitfahrgelegenheit und Eisenbahn in 1982 in glühender Sommerhitze
nach bestandener Laufbahnprüfung bereist habe, wollte ich unbedingt
wiedersehen, vielleicht deshalb, weil ich zum Abschied eine Münze
in den Trevi - Brunnen geworfen habe, was nach einem alten
Aberglauben die Rückkehr nach Rom verheißt.
Meine bessere Hälfte, Irma, war ebenfalls begeistert davon, nach
Rom zu fliegen.
Obwohl allen Vorschlägen der Eltern gegenüber grundsätzlich
kritisch eingestellt, mußte unser neunjähriger Sohn Christian sich
uns anschließen; wir konnten ihn mit dem Hinweis auf den Fernseher
im Hotel und andere Vergünstigungen locken.
Unser Reisetroß wird komplettiert durch meine reiselustige Kollegin
Corina und ihren Ehemann Peter, der sich noch als hervorragender
Kartograph und Fährtensucher erweisen sollte.
Unsere Akten im Amt werden jetzt eine Zeitlang verweisen, aber es
wird nichts anbrennen, da unser routinierter Kollege Karl - Heinz
die „Stellung halten“ wird, wobei der militärische Jargon beim
täglichen Kampf um die Steuergelder durchaus seine Berechtigung
hat.
Aber das Finanzamt entschwindet unseren Sinnen, als der Riesenvogel
aus Titan jetzt Anlauf nimmt und sich bei einer Abflugtemperatur
von 16° in die Lüfte schwingt.
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Auf der Videotafel werden in regelmäßigen Abständen die
Flughöhe, die Geschwindigkeit, die Entfernung vom Startflughafen
und die Wegstrecke bis zum Zielflughafen in Meilen (1.609 Meter hat
die Landmeile bekanntlich) angezeigt und natürlich die auf dem
Monitor langsam schrumpfende Entfernung zur heiligen Stadt Mekka
.
Unser Flugzeug erscheint als kleines Symbol auf dem Bildschirm und
hinterläßt eine ruckelnde rote Linie, die bisher zurückgelegte
Strecke.
Es erinnert mich an eins von den Computerspielen, wo feindliche
Flugobjekte mittels Joystick oder Maustaste abzuballern sind. Würde
sich auf diesem Monitor ein Zweitobjekt nähern und mit unserem zu
einem Leuchtpunkt verschmelzen, wäre dies auf dem Monitor nur ein
Blitzen, wir würden aber aus mittlerweile 33.000 Fuß den freien
Fall erproben..., nun aber genug der morbiden Gedanken, die mir
seinerzeit schon beim Golfkrieg gekommen waren!
Da es sich um ein anständiges islamisches Flugzeug handelt, hoffen
wir gar nicht erst auf Wein oder Bier, es ist ja auch erst Mittags.
Obwohl wir jetzt das Reich der Bajuwaren überqueren , fliegen uns
auch keine Schweinshaxen oder Leberknödel ins Maul, sondern es gibt
ein paar weiche Sandwichs mit undefinierbarem mayonaiseartigem
Belag; es könnte auch ein bißchen Thunfisch drin sein, aber wir
haben es überlebt.
Nach etwa 35 Minuten überfliegen wir schon die noch
schneeverhangenen prächtigweißen Gipfel der Alpen, die phantastisch
klar zu erkennen sind.
Der Gardasee leitet über zur flachen Poebene, bis die Hügel der
Toskana und Umbriens zeigen, daß der italienische Stiefel sehr
gebirgig ist.
Pisas Turm wird wohl auch weiterhin stehen, ebenso wie der David
Michelangelos in Florenz, wunderschöne Städte, von denen wir
allerdings auf unserem Flug mit dem riesigen fliegenden Teppich
nichts zu Gesicht bekommen außer kleinen Kreisen auf dem Monitor.
Wir fliegen jetzt fast 10.000 Meter hoch und mit der
Spitzengeschwindigkeit von 590 Meilen pro Stunde.
Aber der Flieger senkt sich schon wieder langsam, und er fliegt
auch keine Warteschleifen über Rom wie es unserer Chefin bei ihrer
damaligen Romreise erging.
Um 13.26 Ortszeit (MEZ) setzen wir sanft auf dem Rollfeld des
International Airport Leonardo da Vinci auf, noch ca. 30 Kilometer
von Rom entfernt.
Es ist warm, aber nicht heiß.
Unseren neuen Koffer entdecken wir schnell auf dem Laufband; er ist
allerdings ziemlich zerkratzt, anscheinend wird mit dem Gepäck
nicht zimperlich umgegangen.
Wir sind uns schnell einig, daß wir weder mit Bus, noch mit der
Bahn zu unserem Hotel in der Innenstadt fahren möchten, sondern
nehmen uns eine der Taxen vor dem Flughafen.
Der erste Fahrer würde uns zwar am liebsten auf zwei Autos
verteilen, aber wir können ihn davon überzeugen, daß vier Leute auf
die Rückbank passen und im Kofferraum auch genug Platz für unsere
Habseligkeiten ist.
Zunächst kommen wir an grünen Feldern, unterbrochen durch einzelne
industrielle Anlagen und Städte vorbei.
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Dann wird der Verkehr dichter, die Häuserzeilen rücken enger
zusammen, und wir merken, daß wir auf friedliche Weise Rom betreten
haben, anders als unsere Urururur....ahnen: Totila, der Westgote,
Odoaker, der Ostgote und ganz zu schweigen vom Vandalenkönig
Geiserich, die alle mit ihren Heeren einrückten und das
zivilisierte Rom plünderten (Irmas Urururur...ahnen sind zu der
Zeit wahrscheinlich noch im Regenwald auf Jagd gegangen..)
Dort, der Bau mit den romanischen Fensterhöhlen, das ist das
Marcellus - Theater, und dort, dieser weiße Monumentalbau ist die
sog. Schreibmaschine, das vielgescholtene pathetische Monument zum
Andenken an Viktor Emmanuel II., den ersten König des wie
Deutschland in 1871 endlich vereinigten italienischen
Nationalstaates.
Ich kenne den alten König zwar nicht, da er aber wie ich am 14.März
Geburtstag hat, will ich weder an ihm, noch an seinem Monument
herummäkeln, es eignet sich zumindest als guter Orientierungspunkt,
denn es ist leicht zu identifizieren, und die Piazza Venezia, an
der es liegt, ist der Verkehrsknotenpunkt Roms, wo Tag und Nacht
die Autos, Vespas und Mopeds Jagd auf Fußgänger machen.
Jetzt ist es nicht mehr weit bis zum Hotel Centro, unserem Domizil
für vier Nächte, das auf dem klassischen Hügel Viminal liegt, nicht
weit vom Zentralbahnhof („Termini“), sowie in der Nähe der
berühmten„Spanischen Treppe“ und des Trevi - Brunnens.
Wir haben das Hotel schon in Deutschland gebucht, und das
Doppelzimmer kostete 89,- DM (nach meiner Erinnerung) zuzüglich der
Kosten des Zustellbettes für Christian, für den wir natürlich kein
extra Zimmer angemietet haben. Corina hatte dies alles sehr gut
organisiert!
Das Hotel Centro liegt in der Via Firenze, einer ruhigen
Seitenstraße, die in die lebhafte Via Nazionale mündet. Ganz in der
Nähe ist auch die Metrostation „La Repubblica“.
Die U-Bahn werden wir noch oft benutzen, besonders dann, wenn wir
zum Vatikan fahren.
Ganz in der Nähe unserer Herberge ist auch die Oper, die aber allen
Reiseführern zufolge nur Provinzniveau hat und nicht mit der
Mailänder Scala zu vergleichen ist.
Dies ist uns allerdings egal, denn wir haben sowieso nicht vor, in
die Oper zu gehen....
Der Taxifahrer wird mit 80.000 Lire (umgerechnet 80 DM) entlohnt,
wobei auch noch die anteiligen Kosten seiner Rückfahrt mitzuzahlen
sind.
Obwohl alle Taxifahrer dieser Welt Schlitzohren sind, ist unser
Fahrer wohl kein Gauner, denn lt. Corinas Reiseführer ist dies ein
realistischer Preis, was uns auch der Hotelmanager an der Rezeption
bestätigt.
Der Manager spricht Deutsch und Englisch sowieso.
Wir erhalten im Gegenzug zur Übergabe unserer Pässe den
Zimmerschlüssel und einen Safeschlüssel, schlurfen über den roten
Teppich und wuchten unsere Koffer in den Aufzug.
Corina und Peter haben das Zimmer 210 zur Straße hin.
Ihr Nachteil ist, daß von der Straße her Baustellenlärm zu hören
ist, aber die Belästigung hält sich in Grenzen.
Unser Zimmer 206 liegt zum Hinterhof hin, ist ein bißchen dunkel,
aber wirkt gepflegt und sauber.
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Das Badezimmer enthält Toilette, Badewanne mit Dusche und ein
Bidet.
Zum Glück passen die Stromanschlüsse an unsere Stecker, so daß ich
den Akku der Filmkamera aufladen kann.
Im Vorraum befindet sich der Kleiderschrank nebst kleinem Safe, in
den unsere Wertsachen und insbesondere die Rückflugtickets
wandern.
Im eigentlichen Zimmer steht das wegen seines glänzenden
Messingrahmens prächtig wirkende Doppelbett und in rechtem Winkel
davor die Zustelliege. Sie gefällt Christian nicht so sehr, nach
unseren Märschen an den folgenden Tagen schläft er trotzdem tief
und fest darauf.
Für ihn ist besonders wichtig, daß das Zimmer einen kleinen
Fernsehapparat anzubieten hat. Neben öffentlich-rechtlichen und
privaten italienischen Programmen gibt es darauf einen Musiksender,
ein englisches Programm und SAT 1. Diesen Sender mögen wir alle
nicht so besonders, aber es ist für unseren das Fernsehen liebenden
Sohn besser als nichts.-
Frischgemacht treffen wir uns um ca. 16 Uhr wieder und starten
unseren ersten Stadtbummel, per Pedes, wie schon der Lateiner
sagte.
Wir haben uns für heute die Erkundung unseres Viertels und der
nördlich daran anschließenden Fußgängerzone vorgenommen.
Zunächst einmal geht es entlang der Via Quattro di Fontane rauf und
runter. Rom ist tatsächlich auf Hügeln erbaut worden, deren es aber
nicht nur sieben, sondern ein Dutzend und mehr gibt. Die Straße
mutet an wie das Auf und Ab in San Francisco.
Wir kommen an gepflegten Villen, kleinen Läden und Mietshäusern
vorbei. Ab und zu blicken wir in groteske Gesichter, kleine in
Stein gemeißelte Figuren, die alle einen Bezug zur Antike
haben.
Bei jedem Fußgängerüberweg gilt es, schnell zu sein, um der
heranrasenden Blechlawine aus Autos, Mopeds und Motorrollern zu
entfleuchen. Wichtig ist, nicht zu zögern und innezuhalten, sondern
nervenstark, den Fahrer aus den Augenwinkeln fixierend schnellen
Schrittes die Straße zu überqueren. Es ist so ähnlich wie
Raubtierdressur, dieses Wechselspiel zwischen motorisiertem und
nichtmotorisierten Zeitgenossen. Aber wer Bangkok, Jakarta und
Manila überlebt hat, meistert auch die Verkehrsfluten Roms!
Die Via Quattro di Fontane geht über in die Via Sistina, und
dahinten erhebt sich im Schein der warmen Nachmittagssonne schon
die doppeltürmige Kirche St. Trinita dei Monte. Vor ihr steht einer
der vielen ägyptischen Obelisken, von denen es in Rom nur so
wimmelt. Wir sehen hier an der Metrostation Piazza di Spagna die
Spanische Treppe von oben.
Sie wimmelt von Menschen; die Jugend ist weit in der Mehrheit und
kommt von überall her. Mich erinnert die fröhlich - heitere
Atmosphäre an Mont Martre mit der Kirche Sacre - Coeur in Paris.
Von der Brüstung aus können wir auf die Dächer der in Brauntönen
gehaltenen Villen in der Nachbarschaft der Spanischen Treppe
blicken.
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Die Spanische Treppe hat ihren Namen davon, daß sich seit dem
17. Jahrhundert an diesem Platz die spanische Botschaft befand.
Die mit den Spaniern rivalisierenden Franzosen, denen das Land um
die Kirche St. Trinita dei Monti gehörte, nannten einen Teil des
Platzes den französischen Platz und forderten spezielle
Wegerechte.
Die Treppe ist ein Werk des Architekten Francesco de Sanctis und
wurde 1726 fertiggestellt. Da sie mit dem Geld des französischen
Botschafters finanziert wurde, findet man hier die Lilien aus dem
Wappen der französischen Bourbonenkönige.
Es gab also damals schon europäische Eifersüchteleien, wobei
spätabends nach der Einnahme diverser, meist flüssiger Rauschmittel
bei den Jugendlichen nationale und andere Schranken eher
wegfallen.
Aber noch ist es Nachmittag, und es geht gesittet zu.
Wir besichtigen die schon erwähnte doppeltürmige Klosterkirche
Trinita dei Monti, die 1502 von den Franzosen erbaut wurde.
Sie ist schlicht und angenehm kühl.
Dann machen wir uns an den Abstieg. Die Treppe ist nicht
symmetrisch.Überall sitzen Leute. Der Spanische Platz am Fuße der
Treppen ist schwarz von Menschen, selten habe ich solche
Menschenansammlungen in Europa gesehen!
Unten auf dem Platz ist anscheinend gerade ein Umzug oder eine Demo
zu Ende gegangen; Polizei ist auch zu sehen, aber es scheint alles
friedlich gewesen zu sein.
Auf dem Platz scheint ein weißes Schiff zu schwimmen: es ist der
Brunnen Fontana della Barcaccia, der die Form einer Gondel hat. Der
Brunnen wurde im 17. Jahrhundert vom berühmten Barockbaumeister
Bernini errichtet, nachdem bei einer Tiberüberschwemmung eine
hierher getragene Barke auf dem Platz zurückgeblieben war. Das
Wasser ist kühl und klar; alle öffentlichen Brunnen haben
Trinkwasserqualität, wir haben es aber nicht ausprobiert, sondern
im Zweifel lieber Wein getrunken (solche Brunnen fanden wir
allerdings nicht!).
Übrigens begibt sich jedes Jahr am 8. Dezember der Papst auf die
Piazza di Spagna. Er reicht dann den Feuerwehrmännern eine
Girlande, mit der sie die Madonnenstatue oben auf der Säule
schmücken. Die Gläubigen legen zu Füßen der Säule Blumen
nieder.
Glauben wird hier in Rom noch überall sichtbar praktiziert, sei es
nun durch andächtig betende Nonnen oder durch die Erscheinung der
Benediktinermönche in braunen Kutten an der Bushaltestelle.....
Wir wenden uns weltlicheren Dingen zu und schlendern die elegante
Geschäftsstraße Via Condotti hinab, die zum Fußgängerbereich
nördlich und westlich des Piazza di Spagna gehört. Obwohl alle
eleganten Läden geschlossen sind, macht es den überwiegend jungen
Leuten Spaß, in der Frühlingssonne zu flanieren, zu schauen und
selbst gesehen zu werden. Schwarz scheint die neue Modefarbe zu
sein. Die jungen Römer sehen mit ihren schwarzen Sonnenbrillen, den
kurzen Haaren und den tollen Klamotten wie echte Machos aus.
Die jungen Römerinnen sind stärker geschminkt als die deutschen
Frauen, meistens schlank und zierlich und wirken mit ihren langen
Haaren und ihrem dunklen Teint sehr attraktiv.
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Peter entdeckt einen Anzug im Schaufenster, der 2.000.000 Lire
kostet (2.000 DM), aber
wohl das Geld wert ist. Auch unsere Frauen kriegen Stielaugen, wenn
sie die elegante Markenmode und den Schmuck in den Vitrinen
erblicken. Etwas boshaft merke ich an, daß Sonntag mit den
geschlossenen Läden sicherlich der beste Tag für einen
Schaufensterbummel mit den Ehefrauen sei...
In den malerischen engen Nebengassen laufen kaum Menschen, alle
drängen sich in den Hauptstraßen zusammen.
Nach einiger Sucherei finden wir das berühmte, 1760 eröffnete Café
Greco in der Via Condotti, in dem schon Wagner , Goethe, Stendhal,
Modigliano, Toscanini, Berlioz und sogar der Westernheld Buffalo
Bill verkehrten.
Wir gucken nur mal kurz rein: es erinnert an ein Wiener Kaffeehaus,
überall hängen alte Meisterwerke, und die Kellner laufen vornehm im
schwarzen Frack herum.
Wir lenken unsere Schritte nun Richtung Tiber (Tevere).
In der Nähe des Flusses erhebt sich der riesige Rundbau des
Augustus-Mausoleums.
Der wohl berühmteste römische Kaiser Augustus, in dessen
Regierungszeit (27 v. Chr. - 14 n. Chr.) die Geburt Jesu fiel,
regierte das römische Weltreich auf dem Höhepunkt seiner Macht.
Berühmt ist sein Ausspruch, er habe Rom als Stadt der Ziegelsteine
vorgefunden und wolle es als Stadt des Marmors zurücklassen. Dies
hat er auch durch eine kluge und nicht despotische Regierung
erreicht.
Sein Grabmal ließ er - wie damals üblich - bereits Jahrzehnte vor
seinem Tod für sich und seine Familie erbauen.
Der einst mit Marmor verkleidete Ziegelbau mit einem Durchmesser
von 87 Meter trug einen mit Zypressen bepflanzten Erdhügel, auf dem
sich das Bronzestandbild des Herrschers erhob. In Umkehrung seines
vorzitierten Spruches ist jetzt der Marmor verschwunden, und die
Ziegelsteine sind wieder zum Vorschein gekommen, ein Gleichnis für
die Vergänglichkeit des Lebens und dafür, daß auch Herrscher nicht
ewig leben......
Der riesige Rundbau diente zeitweise als Amphitheater für
Stierkämpfe, und Anfang des 19. Jahrhunderts hatte hier das
berühmte Orchester dell`Augusteo seinen Sitz. Das letzte Konzert
fand 1936 statt, bevor das baufällige Gebäude hierfür nicht mehr
geeignet war.
Auch jetzt ist ein Betreten des Mausoleums nicht möglich, wie ein
Schild am höhlenartigen Eingang verkündet.
Die 44 Meter hohe Anlage ist heute völlig schmucklos, mit
Grünpflanzen überwuchert, wirkt aber in ihrer Größe und Klobigkeit
immer noch sehr beeindruckend.
Wir marschieren weiter entlang der Via del Corso gen Norden bis
zum Piazza del Popolo.
Hier am Piazza del Popolo kurz nach Passieren der aurelianischen
Stadtmauer bot sich dem vom Norden her kommenden Fremden der erste
Blick auf die Stadt.
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Bestimmend für den Platz sind die im 17. Jahrhundert unter
Aufsicht von Reinaldi, Bernini und Fontana erbauten
Zwillingskirchen Santa Maria in Monte Santo und Santa Maria di
Miracoli (nichts zum Essen!), die ihnen gegenüberliegende Santa
Maria del Popolo und der terassierte Treppenaufgang zum Monte
Pincio.
Der 24 Meter hohe Obelisk in der Mitte des Platzes stand im Circus
Maximus, bevor er 1586 hierher versetzt wurde.
Delikat ist, daß der Straßenbelag am Piazza del Popolo angeblich
mit Steuern finanziert wurde, die von Prostituierten erhoben
wurden.
Einst fanden hier auch Hinrichtungen statt.
Heute ist der Platz oft Endpunkt von Demonstrationen.
Wir drehen um und tauchen wieder in die Fußgängerzone ein. Auf dem
Weg zum Trevi-Brunnen besuchen wir noch zwei Kirchen.
Es soll immerhin 800 (katholische) Kirchen in Rom geben, insgesamt
werde ich auf der Reise etwa ein Dutzend besichtigen. Es geht ja
nicht darum, Rekorde zu brechen...
Unvermittelt stehen wir plötzlich vor dem berühmten Brunnen, den
Anita Ekberg 1959 in Fellinis Klassiker „La Dolce Vita“ berühmt
gemacht hat.
Das „blonde Gift“ nahm damals ein erfrischendes Bad im Brunnen und
obwohl voll bekleidet sorgte sie damals in den prüden 50ern für
ziemlich viel Aufsehen.
Claudia Schiffer hat diese Szene 1995 nachgestellt.
Trotz des Massenandrangs vor dem Brunnen auf dem ziemlich engen
Platz wagt es niemand, im Wasser herumzuwaten, denn das sehen die
Ordnungshüter wohl nicht so gern.
Der von Nicola Salvis von 1732 - 1751 geschaffene Brunnen zeigt
Neptun auf einer Muschel stehend, die von Meeresgöttern gezogen
wird, umgeben von allegorischen Figuren der Gesundheit und des
Überflusses.
Der Brunnen erstrahlt nach seiner Restaurierung in blendendem Weiß,
ist im Grunde ziemlich kitschig, aber er zählt zu den Wahrzeichen
Roms.
Am letzten Tag wollen wir wieder herkommen und eine Münze mit der
rechten Hand über die linke Schulter werfen, dann kommen wir wieder
nach Rom zurück.
Ein Aberglauben, aber immerhin bin ich seit 1982 tatsächlich nach
Rom zurückgekehrt.
Allmählich werden wir müde und lenken unsere Schritte zurück zum
Hotel.
Unterwegs gibt es noch Spezialitätenläden, Handtaschen, Spielzeug,
Antiquitäten usw. in den Auslagen der Geschäfte in den engen Gassen
zu bestaunen. Besonders beeindruckend: ein Schwein in der
Auslage!
Wo werden wir heute abend essen?
Eine Trattoria in einer Straße mit einigen Bars bietet sich an, wir
wollen aber noch weitersuchen.
Peter und ich finden in der Nähe der Via Palermo eine urwüchsige
„Bottigleria“, eine Kneipe, die eher schlicht wirkt und in der sich
viele Einheimische aufzuhalten scheinen.
Dies interpretieren wir als gutes Zeichen, denn da, wo die Römer
hingehen, kann es nicht wirklich schlecht sein.
Die Frauen stimmen uns dann schließlich zu.
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Im Hotel meint Christian, er wolle nun wirklich nicht mehr
laufen.
Da Irma ihm vorher Hamburger in einem hier nicht näher
spezifizierten Fastfood - Restaurant mit internationaler Reputation
gekauft hat, ist er nicht mehr hungrig, und wir gehen gerne auf
seinen Vorschlag ein.
Dann können wir nämlich ungestört speisen, ohne daß ein
gelangweilter und müder Christian uns ständig zum Aufbruch
drängt.
Diese Lösung bewährt sich auch an den folgenden Abenden. Seine
Lieblingssendung an den Abenden ist „Glücksrad“ von Sat 1,
Hauptsache, es gefällt ihm!
In der Bottigleria angekommen, stellen wir fest, daß die Kneipe
viel größer ist als angenommen und sich über mehrere Räume
erstreckt.
Wir finden noch einen Platz, da es jetzt gegen acht Uhr ist, die
meisten Einheimischen aber erst später zu Abend essen.
Peter und ich haben beschlossen, kein Menü zu bestellen, sondern
gemeinsam mehrere Speisen zu ordern, die wir dann austauschen.
Corina und Irma sind nicht so experimentierfreudig, gucken lieber
auf ihren eigenen Teller.
Wir bestellen eine Vorspeisenplatte (Antipasto Misto) mit
luftgetrockneter Wurst, Schinken, Oliven und anderen
Köstlichkeiten, dazu verschiedene pikante Käse, Pizza und vor allem
Vino (rosso e bianco). Wein ist hier ungleich günstiger zu bekommen
als Bier, obwohl der edle Gerstensaft im Wege der Angleichung der
Kulturen auch in Italia auf dem Vormarsch ist. Brot wird gesondert
gereicht und ebenso wie das Gedeck auch gesondert bezahlt. Das
Essen schmeckt vorzüglich und wird mit mehreren Grappa abgerundet.
Dieser Tresterschnaps aus Weintraubenschalen wird bekanntlich von
den Rodgau Monotones in „die Hesse komme!“ urkundlich erwähnt: „Was
will`n da de Babba mim Grabba da....“
Je später der Abend, desto voller werden die Kneipe und zumindest
die männlichen Teilnehmer unserer Viererrunde (obwohl es Corina
ist, die aus Versehen fast vom Stuhl fällt). Sogar Irma nippt ein
wenig vom Rotwein, was für sie schon fast einem Exzess
gleichkommt!
Da wir am Ende des Abends alle schon recht angeheitert sind,
verzichten wir auf ein nächtliches Flanieren durch Rom und gehen
plaudernd zum Hotel, das nur ein paar Straßen entfernt ist.
Für morgen haben wir den Besuch des Vatikans und seiner Museen
vorgesehen. Christian schläft schon friedlich, und uns fallen nach
der Lauferei auch schnell die Augen zu.
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Sonntag, 30. März
Wir haben gut geschlafen. Viertel nach acht schaffen wir es, zum
Frühstücksraum zu kommen, in dem Peter und Corina schon sitzen und
die italienischen Brötchen verspeisen.
Das Frühstück, das für die Italiener üblicherweise sehr karg
ausfällt, ist hier im Hotel Centro nicht schlecht: es gibt ein
Buffet mit Brötchen, Weißbrot, Marmelade, Käse und Wurst, dazu
können wir Kaffee (mit viel Milch wird er hier serviert),
Cappucino, Kakao und Fruchtsäfte trinken.
Frisch gestärkt und mit Stadtplan versehen können wir uns jetzt bei
morgendlicher Kühle, aber strahlender Sonne auf den Weg machen.
Heute wollen wir schon früh zum Vatikan und seinen umfangreichen
Museen und haben entdeckt, daß wir mit der roten Linie der Metro
von „La Republicca“ bis nach „San Ottaviano“ fahren können und dann
nur noch eine Straße bis zum Petersplatz hinunterlaufen
brauchen.
Wir begeben uns also in den Untergrund und versuchen, eine
Tageskarte zu ergattern.
Bei dem modernen Fahrkartenautomaten haben wir das Procedere
schnell verstanden, nur spuckt er unsere Geldscheine stets wieder
aus.
Glücklicherweise ist ein älterer Bahnbediensteter in der Nähe. Da
unsere Italienischkenntnisse sehr limitiert sind, machen wir ihm
auf Deutsch unser Problem klar und siehe da: an einem noch
moderneren Fahrkartenautomaten funktioniert es!
Das Geheimnis lag darin, daß der Automat nur Wechselgeld bis zu
einer bestimmten Höhe herausgibt. Da unsere Geldscheine auf einen
zu hohen Betrag lauteten, weigerte sich das sich an seine
Vorschriften haltende Gerät, diese zu akzeptieren.
Umgerechnet kostet unsere Tageskarte, mit der wir auch die
städtischen Busse benutzen können, etwa 6 DM je Person, ein fairer
Preis!
Wie immer ist die Metro ziemlich voll; während der nachmittäglichen
Rush-hour ist es sogar manchmal unmöglich, einen Stehplatz zu
ergattern, was wir noch erfahren werden.
Die Metro rattert durch die Unterwelt, und nach etwa einer
Viertelstunde Fahrt sind wir an der Station San Ottaviano
angelangt.
Jetzt müssen wir nur noch die Via San Ottaviano hinunterlaufen,
passieren die Piazza de Risorgimento mit den ersten religiös
verbrämten Andenkenläden, kommen dann auf die Via P. Angelica und
haben dann schon die Grenze des kleinsten Staates der Welt, des
Vatikanstaates erreicht.
Wir überlegen, was wir zuerst tun sollen: Peterskirche oder
Vatikanische Museen?
Da unsere romkundige Chefin uns von dem Andrang bei den Museen
berichtet hat und es noch relativ früh ist, entschließen wir uns,
mit den Museen zu beginnen.
Dort, diese Menschenschlange wartet wahrscheinlich auch schon. Wir
versuchen, den Beginn der Schlange zu finden. Dies gelingt aber
nicht, denn die Schlange geht an der
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Vatikanmauer entlang um die nächste Ecke und auch um die
übernächste Ecke.
Es ist die längste Menschenschlange, die wir je gesehen haben,
dicht an dicht warten sie auf das Öffnen des Eingangstores.
Vordrängeln und von der Seite her in die Schlange einfädeln wollen
wir nicht. Das wäre erstens unmoralisch, und zweitens würden da die
friedlichsten Rompilger zu wütenden Hyänen. Deshalb beschließen
wir, den Museumsbesuch später nachzuholen und vorerst den
Vatikanstaat zu umrunden, da wir ohnehin schon um ein paar Ecken
der langen Mauer herumgekommen sind.
Es geht steil bergauf; der Bürgersteig ist sehr schmal, und wir
freuen uns auf das Experiment, den Umfang eines ganzen Staates
abzulaufen.
Der Vatikanstaat ist mit 0,44 qkm (Bundesland Hamburg im Vergleich:
755,31 qkm!, Fürstentum Monaco: 1,95 qkm)) und 500 Einwohnern (sind
da auch Frauen dabei?) der kleinste souveräne Staat der Welt.
Der Papst besitzt die oberste legislative, exekutive und judikative
Gewalt.
Im Mittelalter war der Kirchenstaat eine große Provinz, zu der
große Gebiete in Oberitalien zählten.
1870 wurde der Kirchenstaat durch den Einmarsch des neu formierten
italienischen Heeres in Rom gegen eine schwache französische
Verteidigungsarmee des Papstes aufgelöst.
Wie es heißt, kamen die letzten drei Gefangenen aus den Verliesen
der Inquisition frei.
Die weltliche Souveränität des Papstes war erst einmal vorbei.
Da half es dem Heiligen Vater auch nicht, daß 1864 (also erst in
der Neuzeit!) das Unfehlbarkeitsdogma beschlossen worden war.
Nachdem Anfang der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts der
faschistische Diktator Mussolini nach seinem Marsch der
Schwarzhemden auf Rom an die Macht gekommen war, bemühte er sich um
gut Beziehungen zum Heiligen Stuhl, um seine Machtposition im
erzkatholischen Italien zu stärken.
So kam es am 11.Februar 1929 zu den Lateranverträgen (benannt nach
der Basilika St. Giovanni Laterano).
Diese Verträge gaben dem Papst die Souveränität über ein eigenes
Staatsgebiet, nämlich den Vatikan.
Hierzu zählen neben dem eigentlichen Vatikanstaat auch die (neben
dem Petersdom) übrigen drei großen Patriachalbasiliken Roms,
nämlich die vorerwähnte Basilika San Giovanni in Laterano, San
Paolo fuori le Mura und Santa Maria Maggiore sowie der päpstliche
Sommersitz Castel Gandolfo und der Palazzo della Cancelleria.
Mussolini schlug in das Häusergewirr vor dem Petersplatz eine große
Schneise die Via Concilione (Straße der Versöhnung), um einen
repräsentativen Anblick des Petersdomes zu bieten.
Die Lateranverträge hatten insoweit eine unselige Auswirkung, als
der Papst (Pius XII.), wohl um die Allianz zwischen Staat und
Kirche zu wahren, zu den Judenmorden im zweiten Weltkrieg schwieg,
siehe hierzu auch das Drama „Der Stellvertreter“ von Rolf
Hochhuth.
Auch nach Ende des zweiten Weltkrieges verhalf der Vatikan vielen
Nazis zur Flucht nach Südamerika, von der Rolle des Papsttums im
Mittelalter (Kreuzzüge) und in der beginnenden Neuzeit (Inquisition
und Hexenverfolgungen) ganz zu schweigen.
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Es ist eine Frage der religiösen und politischen Einstellung, zu
beurteilen, ob der Vatikan heute eher segensreich oder verderblich
auf die ca. 900 Millionen Gläubigen und das Weltgeschehen einwirkt.
Möglicherweise findet ein Umdenken auch erst mit dem nächsten Papst
statt, obwohl die Kurie (der Machtapparat der Kirche) sicherlich
Acht haben wird, daß der nächste Papst nicht an den Grundfesten des
bisherigen katholischen Selbstverständnisses rüttelt.
Einige Besonderheiten: der Vatikanstaat gibt eigenes Geld heraus
und verfügt über alle modernen Kommunikationsmittel wie Eisenbahn,
Post, Radio und Zeitung .
Der 1861 gegründete „Osservatore Romano“ (der „Römische
Beobachter“) erscheint in der Vatikanstadt und ist Mitteilungsblatt
des Heiligen Stuhls.
Auch im Internet ist der Vatikanstaat präsent, wie ich mich selbst
überzeugen konnte: über den Großrechner mit dem passenden Namen
„ChristusRex“ lassen sich die Vatikanischen Museen anwählen, und
unter andrem läßt sich das Rosenkranzgebet in dreißig gängigen
Weltsprachen abrufen...
Aber den virtuellen Rundgang durch die riesigen vatikanischen
Museen habe ich nicht unternommen, um die Telefonrechnung am
häuslichen PC nicht in astronomische Höhen zu treiben.
Ebenso verfügt der Vatikan über zwei Postämter und eigene
Briefmarken:
es stimmt, was im Reiseführer steht: die vatikanische Post arbeitet
schneller und zuverlässiger als die italienische: die Postkarten,
die wir noch im Vatikan in den Briefkasten einwarfen, waren
schneller am Ziel als die, die wir bei einem anderen römischen
Postamt aufgaben. -
Bald haben wir nach steilem Anstieg den Vatikan umrundet, und es
geht wieder bergab, Richtung Petersplatz.
An einem Nebeneingang der für Touristen nicht passierbar ist, sehen
wir von weitem zwei farbenprächtig gewandete Schweizer
Gardisten.
Hierbei handelt es sich um die traditionelle Leibwache des Papstes,
die an ihren bunten, angeblich von Michelangelo entworfenen
Trachten und den langen Hellebarden erkennbar ist.
Sicherlich haben die Schweizer Garden im Ernstfall noch modernere
Waffen, man denke nur an die Gefährdung des Papstes durch
Attentate...
Die Schweizer können den Dienst beim Papst anstelle des
Wehrdienstes ableisten, sicherlich keine schlechte Alternative zum
Heeresdienst in der Schweiz.
Natürlich findet ein strenges Ausleseverfahren statt.
Noch ein letztes mal um die Ecke gebogen, und schon liegt das
weite Rund des Petersplatzes vor uns, der sich vor dem Dom
erstreckt!
Der Petersplatz (Piazza San Pietro) besteht aus zwei Plätzen: einer
bis 340 Meter langen und bis 240 Meter breiten Ellipse und einem
trapezförmigen Platz, der Piazza Retta, die zur Peterskirche hin
auf feierlichen Stufen zwischen den Statuen der Apostelfürsten
Petrus und Pasulus ansteigt und sich zugleich verbreitert.
- 14 -
Beide Plätze legte der Barockbaumeister Bernini von 1656 bis
1657 im Auftrage Papst Alexanders VII. vor der bereits
fertiggestellten Petersbasilika an.
Das Oval umgab Bernini mit vier Reihen von insgesamt 284 Säulen und
88 Pfeilern aus Travertin, den berühmten Kolonnaden, auf denen 140
Heiligenfiguren thronen.
Links und rechts rauschen die Wasserfontänen zweier 8 Meter hoher
Brunnen mit riesigen Granitschalen, der rechte wurde 1613 von
Maderna, der linke 1673 von Bernini errichtet.
Im Pflaster geben zwei weiß markierte Punkte rechts und links die
Brennpunkte der Ellipse an, von der aus die vier Säulenreihen
hintereinander als eine einzige erscheinen.
Ich habe dies ausprobiert und mich auf die weißen Punkte gestellt.
Es ist tatsächlich so wie beschrieben, aber so außergewöhnlich
finde ich es nicht.
Die Piazza, in deren Pflaster weiße, auf das Zentrum zuführende
Streifen eingelassen sind, fällt zur Mitte leicht ab.
Dort ragt der 25,50 Meter hohe Obelisk in die Höhe, der auf einem
Fundament aus vier Bronzelöwen steht. Die Säule ließ der
berüchtigte Kaiser Caligula im Jahre 39 aus dem ägyptischen
Heliopolis nach Rom transportieren und in seinem Circus aufstellen
.
Angeblich ist im Fuße des Obelisken die Asche Cäsars und in seiner
Spitze eine Kreuzesreliquie aufbewahrt. So sind Antike und
Christentum symbolisch miteinander verbunden.
Auf dem Platz stehen schon viele Sperrgitter, die Osteransprache
des Papstes (eine Woche später) mit seinem berühmten Segen „Urbi et
Orbi“ („der Stadt und dem Erdkreis“) rückt näher.
Wir haben auch vor, an einem öffentlichen Gottesdienst mit dem
Papst teilzunehmen,
wissen, daß der Termin hierfür stets Mittwochs ist und wir eine
Eintrittskarte für den
Freiluftgottesdienst auf dem Petersplatz benötigen.
Allerdings finden wir das hierfür benötigte Pilgerbüro nicht, statt
dessen aber die sehnlich erwarteten vatikanischen Toiletten, auf
denen das Wappen des Papstes prangt.
Das Papstwappen zeigt die Tiara (die dreifache Krone des Papstes
als Anspielung auf Priester-, Hirten- und Lehrgewalt) und die
Schlüssel des Himmelreichs, die Jesus dem Apostel Petrus
anvertraute: „Du bist der Fels, auf dem ich meine Gemeinde
baue“.
Jetzt ist es Zeit, den Dom zu betreten, an dessen Fassade ein
riesiges Gerüst zur Renovierung gebaut ist.
Wir sind „anständig“ gekleidet, tragen weder Miniröcke noch kurze
Hosen, so daß wir keinem Sittenwächter Grund zur Beanstandung
geben.
Die Kirche ist riesig. In ihr herrscht Halbdunkel, durch einzelne
Kuppeln fallen Lichtstrahlen, die direkt aus dem biblischen Himmel
zu stammen scheinen.
Überall ist wertvoller Carraramarmor, überlebensgroße Statuen von
Putten und Heiligen lächeln uns geheimnisvoll zu, alte
Kirchenmänner und Päpste aus Stein winken gebieterisch oder
segnend, verharren dabei reglos.
Flüstern, Schritte, Schlurfen, ab und zu das Klicken von Blitzlicht
und das Surren von Filmkameras.
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Das Innere der Kirche nimmt schon durch seine Ausmaße
gefangen:
Sie ist 186 Meter lang, im Hauptschiff 46 Meter, im Kuppelraum 119
Meter hoch.
Auf einer Grundfläche von rund 15.000 Quadratmetern können rund
60.000 (!) Menschen Platz finden.
Der Eindruck von der unglaublichen Weite des Hauptschiffes wird
durch das Fehlen der Bestuhlung noch erhöht. In den Seitenschiffen
sind allerdings Stuhlreihen für die Gläubigen abgetrennt.
Sonnenstrahlen fallen wie aus einer jenseitigen Welt und wie vor
400 Jahren auf die Betenden.
Der von Bernini gestaltete Glorienschein über der „Cathedra Petri“
leuchtet golden.
Die Cathedra Petri ist der goldbeschichtete Holzstuhl, auf dem
Petrus seine erste Predigt gehalten haben soll, er schwebt auf
wunderbare Weise über den Händen von vier Kirchenvätern, und über
ihnen wacht die Heilige Dreifaltigkeit.
Auch die mit Marmor, Gold und Edelsteinen verzierten Altäre und der
Mosaikfußboden sind beeindruckend.
In der ersten Kapelle des südlichen Seitenschiffs steht die
berühmte „Pieta“ von Michelangelo, ein Jugendwerk des Künstlers,
das er im zarten Alter von 22 Jahren erschuf.
Es handelt sich um eine weiße Marmorskulptur mit der lebensgroßen
Darstellung der Mutter Gottes, die den toten Jesus im Arm hält.
Das Original hatte ein Kardinal 1498 bei Michelangelo bestellt, als
dieser sich zum erstenmal in Rom aufhielt.
Der Vertrag sah vor, „daß es das schönste in Rom bis dato
existierende Werk“ werden sollte.
Michelangelo soll wütend geworden sein, als man die Statue einem
anderen Künstler zuschrieb und habe eines Nachts seinen Namen in
den Mantelgurt der Mutter gottes gemeißelt. Es handelt sich
jedenfalls um das einzige signierte Werk des Künstlers.
Die Madonna erscheint ebenso jung wie ihr Sohn. Michelangelo war
sichtlich bemüht, makellose ideale Schönheit zu schaffen, was ihm
zweifellos gelungen ist.
Die Skulptur mußte 1972 durch eine Kopie ersetzt werden, nachdem
ein Geistesgestörter die Madonna mit einem Hammer stark beschädigt
hatte..
Die Kopie befindet sich jetzt hinter Panzerglas.
Ganz auffällig ist der 29 Meter hohe Baldachin in der Mitte der
Kirche, der sog. „Baldacchino“, den der Baumeister Bernini
gestaltet hat.
Dieser riesige Baldachin überspannt auf gedrehten Bronzesäulen den
heiligsten Bereich der Kirche - das Grabmahl des heiligen
Petrus.
Die gewundenen Säulen, die mich an die Ausstattung eines
heidnischen Tempels in einem Monumentalfilm erinnern, sind Repliken
der Säulen, an die sich Christus im Salomon-Tempel gelehnt haben
soll.
Bernini fügte als schmückende und symbolhafte Elemente Rebenblätter
und Bienen (die Wappenzeichen der Barberini) hinzu.
Das Material für den Baldachin entnahm der damalige Papst
kurzerhand aus dem
antiken Pantheon-Tempel, der somit seines Goldes beraubt wurde.
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Beeindruckend sind auch die zahlreichen Beichtstühle, die in
verschiedenen Sprachen auf die Möglichkeit des Bekennens der Sünden
hinweisen; einzelne Beichtstühle enthalten auch einen Hinweis auf
die verschiedenen Mönchsorden.
Sie sind aufgereiht wie monströse Kleiderschränke. Wer weiß, was
dort alles schon mit stockender Stimme oder mit Erleichterung
gebeichtet wurde und ob der jeweilige Priester Mitleid, Hoffahrt,
Lüsternheit oder Entsetzen dabei empfand!
Noch etwas zum geschichtlichen Hintergrund:
Die Peterskirche wurde auf den Grundmauern der alten
Konstantinsbasilika aus dem Jahre 324 errichtet, die wiederum auf
einer Stätte gebaut wurde, die in der Nähe des Circus der
Christenverfolger Caligula und Nero liegt.
In diesem Circus starben der Überlieferung nach zahlreiche Christen
den Märtyrertod, indem sie gekreuzigt oder mit Pech übergossen
wurden, so daß sie als lebende Fackeln verbrannten, während es bei
heutigen Historikern umstritten ist, ob auch im Kolosseum Christen
umgebracht wurden.
Die Konstantinsbasilika wurde über das Grab Petri gebaut. Das Grab
des seinerzeit mit dem Kopf nach unten gekreuzigten Petrus soll
auch jetzt noch unter dem Petersdom liegen.
Die ursprüngliche Basilika Konstantins besaß die typische
Basilika-Form: ein lateinisches Kreuz aus Mittel- und Querschiff
und Seitenschiffen.
1506 begann der Renaissancebaumeister Bramante unter Papst Julius
II. die Arbeiten an einer neuen Kirche in Form eines griechischen
Kreuzes. Bramante war damals ein Star unter den Architekten.
Das war auch ungefähr die Zeit, in der der Ablaßprediger Tetzel zur
Finanzierung der Kirche durch die Lande zog und jedem Sünder Erlaß
der Sünden versprach, wenn er nur ordentlich zahlte: „Wenn das Geld
im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegfeuer springt...“ Das war
also damals schon eine Vorform des „Sponsorings“, und da viele
Menschen ein schlechtes Gewissen hatten, kamen etliche Dukaten,
Heller, Peseten und Lire in die Kästen.-
Der brave thüringische Mönch Martin Luther war damals so erbost
über den Ablaßhandel, daß er ungewollt, eine Kirchenspaltung
einleitete! (Allerdings soll die Geschichte mit den 95 Thesen zu
Wittenberg nur eine Erfindung sein)
Nach dem Tod von Bramante nahmen Raffael, Sangallo und Frau
Gioconda die Planung in die Hand, was wieder einen Schwenk in
Richtung lateinisches Kreuz bedeutete.
!546 plädierte der Maestro Michelangelo wieder für das griechische
Kreuz, bis Papst Paul V. befand, das lateinische Kreuz sei doch am
angemessensten.
Maderno und Bernini vollendeten schließlich im Jahre 1629 den
Bau.
Es ist die größte und bedeutendste Kirche der Christenheit.
Da sie so groß ist, wirkt sie trotz aller Pracht nicht
überladen.
Wenn sich der Blick an die Decke richtet, werden die Augen vom
goldenen Licht des Himmels geblendet, aus den vielen Kuppeln
entströmt.
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Damit die Proportionen innen wie außen harmonisch wirken, ist
die Kuppel zweischalig.
Das was als Endpunkt der Kuppel erscheint, ist bei genauer
Betrachtung nur der Ausgangspunkt einer neuen sich verjüngenden
Kuppel, die dem Himmel noch näher zu sein scheint.
Die größte Kuppel ist die Kuppel des Michelangelo, die sich als
Krönung über dem Grab des Petrus erhebt.
Diese Kuppel hat einen Durchmesser von 42,34 Metern und ist somit
etwas kleiner als die Kuppel des Pantheon, des antiken heidnischen
Tempels, der auch noch bis heute erhalten geblieben ist. Insgesamt
ist die Kuppel 119 Meter hoch.
Sie kann auch betreten werden. Das werden wir später in die Tat
umsetzen.
Zunächst einmal steigen wir in die Tiefe, besuchen die
Schatzkammer des Vatikan.
Gleich hinter dem Eingang befindet sich ein Abguß der schon vorher
erwähnten Pieta.
Eindrucksvoll ist auch das Grab des Papstes Bonifaz VI.
Der Papst ruht in Gestalt seiner steinernen Nachbildung auf dem
Sarkophag.
Der Steinsarkophag ist verziert mit Darstellungen der weiblichen
Musen der Wissenschaften.
Neben der Trigonometria, der Algebra, der Musica, der Astronomia
usw. zählt auch die Astrologia nach damaligem Weltbild zu den
Wissenschaften..
Prunkvoll sind die goldenen Monstranzen, Kreuze aus Bergkristall
protzen neben Siegelringen mit Smaragden, Reliquienschreinen und
verblichenen Papstgewändern.
Die Kirche war nie Verächterin des Glanzes und des Prunks,
vielleicht abgesehen von den Franziskanern, den „geringen Brüdern“,
die im Mittelalter so etwas wie die ersten Alternativen
darstellten.
Eher unbequem erscheint dagegen der hölzerne durchgesessene
Papststuhl. Und auch das stille Örtchen wird für den heutigen
Zeitgenossen angenehmer aufzusuchen sein, als für jeden damaligen
Papst oder Bischof.
Nach der langen Zeit im Dunkeln streben wir wieder zum
Licht.
Jetzt möchten wir die Hauptkuppel besteigen.
Der Eingang zur Kuppel. befindet sich an der Außenseite des
Domes.
Wir möchten gerne den Rundblick von der Kuppel aus genießen.
Vorher kauft Irma in einem Laden aber noch diverse Rosenkränze als
Mitbringsel für ihre philippinischen Freundinnen ein und kommt
dabei ins Gespräch mit einer Nonne aus ihrem Heimatland.
Endlich ist sie fertig und wir reihen uns in die Schlange beim
Eingang ein.
Es kann entweder der Fahrstuhl oder die Treppe benutzt werden.
Wir nehmen den Fahrstuhl und steigen auf halber Höhe aus.
Die Basis der Kuppel im Inneren ist ein Rundgang durch ein
Flüstergewölbe: jedes Wort wird im Echo zurückgeworfen.
Tief unter uns sehen wir durch ein Gitter die ameisengleich
wandelnden Menschen unten in der Kirche; wieder wird deutlich, wie
riesig der Dom ist.
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An der Wand der Kuppel befinden sich kunstvolle Mosaike mit
Engelsgesichtern, die in eine andere Welt zu schauen scheinen.
Jetzt gilt es, schmale Wendeltreppen nach oben zu steigen.
Es wird immer enger und enger, so daß einen eher als Höhenangst ein
Gefühl der Platzangst überkommt.
Aber schließlich haben wir es geschafft und atmen wieder frische
Luft.
Wir sind am Rande der großen Kuppel, dort, wo wir noch vorhin mit
der Kamera hingezoomt haben und kleine Bündel von winzigen
winkenden Menschen erspähten.
Es herrscht ein dichtes Gedränge hier oben im Rund, und wir bahnen
uns mühsam einen Weg zur Brüstung.
Tief unter uns liegen die ockerfarbenen Häuser Roms, aufgelockert
durch grüne Hügel und die Kuppeln der zahlreichen Kirchen und
Prunkgebäude.
Der Tiber mit seinen Brücken sucht sich wie ein Rinnsal seinen Weg,
und ganz nah liegen die vatikanischen Gärten.
Wir sehen im Domizil des Papstes eine Gartenlandschaft mit lustig
plätscherndem Sprungbrunnen.
Vor einem palastartigen Gebäude ist das Papstwappen riesengroß im
Rasen abgebildet.
Der Sendeturm des Radios Vatikan reckt sich wie ein mahnender
Zeigefinger gen Himmel.
Zypressen, Weiden und Pinien lassen manch lauschiges Plätzchen
erahnen, unter dem der Heilige Vater Ruhe und Entspannung suchen
wird. Vielleicht ist auch schon manches konspirative Gespräch in
der Stille der vatikanischen Gärten geführt worden, es wird sich
für immer unserer Kenntnis entziehen..
Es wird warm, und langsam bekommen wir Hunger.
Ich benutze mit Christian anstelle des Fahrstuhles für den Abstieg
die Wendeltreppen, und wir kommen fast zur gleichen Zeit mit den
anderen dort unten an.
Vor dem Besuch der vatikanischen Museen wollen wir uns noch
stärken.
Wir verlassen vorerst den kleinsten Staat der Welt, da der
Museumseingang an der Außenmauer liegt..
Nachdem wir gestern in einer Snackbar einen billigen Imbiß
eingenommen haben, hoffen wir, eine ähnliche Einkehr zu finden.
Christian winkt und ruft: er hat anscheinend ein günstiges Lokal
entdeckt.
Ein wohlbeleibter Italiener im grauen Anzug steht am Eingang und
preist lautstark und mit großer Geste die Vorzüge gerade dieses
Restaurantes.
Wir hören auf den Schreihals, marschieren rein und bestellen uns
die leckeren Sachen aus der Vitrine: Lasagne, Rigatoni, Mozarella,
Salat und als Besonderes gebratene Aubergine, die spaßigerweise mit
einem Knödel gefüllt ist.
Es schmeckt vorzüglich, nur nehmen wir nicht bewußt wahr, wie teuer
die Speisen tatsächlich sind, insbesondere dann, wenn sie im Sitzen
verzehrt werden.
Es gibt nämlich noch eine extra Sitzplatzsteuer in Italien, und
unsere einfache gefüllte Aubergine kostet zum Beispiel 18.000 Lire,
umgerechnet 18 DM, so daß wir insgesamt 140.000 Lire bezahlen
müssen, was die Paare hälftig unter sich aufteilen.
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Es ist das einzigemal während unseres Aufenthaltes in Rom, daß
wir das Gefühl haben, eine überteuerte Rechnung begleichen zu
müssen.
Nach dem Essen warten Corina, Peter und ich eine halbe Stunde auf
Irma, die unseren anspruchsvollen Sohn Christian bei der T - Shirt
- Suche begleitet. Im Grunde soll er ja auch zu seinem Recht
kommen, weil ein Städteurlaub für einen Neunjährigen nicht so ganz
toll ist.
Endlich kommen sie zurück, und wir können zu den Vatikanischen
Museen pilgern.
Die Musei Vaticani, die einen großen Teil des Vatikanischen
Palastes einnehmen, sind eine der berühmtesten und bedeutendsten
Kunstsammlungen der Welt.
Sie entstanden, als Papst Julius II. im Jahr 1506 begann, den
Idealen der Renaissance folgend, alte Kunstwerke zu sammeln. Hierzu
zählten auch wertvolle Kunstwerke der Antike, die man bei
Entdeckungen oder Ausgrabungen im Gebiet des Kirchenstaates fand.
Jeder Papst war interessiert daran, den Reichtum zu mehren und mit
neuen Ausstellungsstücken zu renommieren.
Fast wichtiger als die eigentlichen Sammlungen sind jedoch die
Kunstwerke, die für den Vatikanischen Palast oder auf Wunsch der
Päpste geschaffen wurden, etwa die Gemälde der Sixtinischen Kapelle
oder die Gemälde in den Stanzen (Räumen) des Raffael.
Der Eintritt in die Museen beläuft sich für Erwachsene auf je
15.000 Lire.
Auf dem Weg zu den Kartenschaltern lernt man den 1932 geschaffenen
Spiralaufgang, die Simonetti - Treppe, kennen, die an ein
Schneckenhaus erinnert.
Ich stelle fest, daß ich nicht in der Lage bin, dem Weg des
Aufganges von unten oder oben zu folgen.
Dies ist auch nicht leicht, denn es handelt sich tatsächlich um
eine Doppelspirale. Wer nach Rom fährt, kann es ausprobieren und
sich ebenfalls schwindlig schauen...
Es gibt mehrere Rundgänge, die mit Buchstabensymbolen
gekennzeichnet sind, wobei aber fast immer ein Hinweis auf die
Sixtinische Kappelle enthalten ist.
Es ist schwer, den idealen Rundweg zu finden.
Generell wirkt die Vielzahl der Exponate fast erdrückend. Du
möchtest Dir alles genau anschauen, aber dann rennt die Zeit davon,
und wie eine Schafherde folgen schon die nächsten
Besuchergruppen.
Es fällt mir schwer, aus der Erinnerung alles richtig
wiederzugeben, so vielfältig sind die Eindrücke.
Wir gehen durch lange Gänge mit kostbarem Fußboden aus Carrarra -
Marmor in verschiedenen Farben. Schon an den glänzenden
geometrischen Mustern im Marmor kann man sich nicht satt sehen!
Anfangs säumen antike römische und griechische Figuren den Weg. Ich
erkenne den flötespielenden Hirtengott Pan oder war es der römische
Cupido, der schelmische Gott der Liebenden? Die Scharen trotten
durch die Gänge......
Unverwechselbar ist die vielbrüstige weiß strahlende Diana von
Ephesus. Der Diana - Tempel (Bei den Römern hieß die Göttin
Minerva). In Kleinasien war ja seinerzeit eines
der sieben Weltwunder der Diana-Tempel zu Ephesus. (Auch heute ist
für viele wieder eine Göttin namens Diana existent...).
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Herrlich sind die Kasettendecken in Gold, Blau und rot mit den
diversen Papstwappen. Gemerkt habe ich mir, daß die Bienen die
Zeichen der Barberini - Dynastie sind.
Der Gang führt weiter zu den Landkartenfresken.
Als Landkartenliebhaber gefallen mir die phantasievoll gezeichneten
Karten mit grünen Wäldern, roten Städten, wandernden Heeren, blauen
Meeren, Windgöttern, Meeresungeheuern und kreuzenden Segelschiffen
ausnehmend gut.
Es läßt sich erkennen, daß die einzelnen Landschaften Italiens
mosaikweise dargestellt sind, Auf einer großen Landkarte am Ende
des Ganges ist der ganze italienische Stiefel mit allen Provinzen
zu erkennen.
Zwischendurch sind überall Hinweisschilder auf die Stanzen Raffaels
angebracht.
Die Stanzen Raffaels wurden 1508-1520 von dem so jung gestorbenen
Renaissancekünstler Raffael für Papst Nikolaus V. ausgemalt.
Unter den Fresken Raffaels in den Stanzen sind die berühmte
„Disputation über das Heilige Sakrament“ und „ Die Schule von
Athen“ hervorzuheben.
In dem ersteren Werk finden wir die Gestalten des christlichen
Glaubens einschließlich Kirchenvätern, Evangelisten, Propheten,
Päpsten, Bischöfen, Kirchenlehrern, Heiligen, Theologen, den
Dichter Dante sowie Christus, Maria und Gottvater.
Bei der „Schule von Athen“ geht es um die weltlichen Wissenschaften
und die Philosophie. Dort tummeln sich Platon, Aristoteles, und
Sokrates für die Philosophie, Bramante für die Architektur,
Xenophon für die Historie, Archimedes, Pythagoras und Euklid für
die Mathematik und auch der Künstler Raffael selbst für die
Malerei.
Weitere Räume, die Loggien Raffaels, sind mittlerweile für die
Besucher aus Sicherheitsgründen gesperrt, da sie sich zu dicht an
den Privatgemächern des Papstes hier im Vatikanischen Palast
befinden.
Es geht nun in labyrinthischen Winkeln um die Ecke, und ohne die
Buchstaben und den immer wiederkehrenden Hinweis auf die
Sixtinische Kappelle hätten wir schon fast die Orientierung
verloren.
Jedenfalls sehen wir neben großformatigen Gemälden mit religiösen
Szenen (Märtyrer, biblische Handlungen, Heiligengestalten,
Madonnen) auch monumentale wandgroße Gemälde von Schlachten und
Kampfgetümmel, bunt und blutrünstig.
Nach einem weiteren Schwenk passieren wir die Gänge zu der
Vatikanischen Bibliothek.
Zu den eigentlichen wertvollen Büchern und Schriften aus dem
Mittelalter gelangt man nur mittels Sonderausweis.
Aber auch so sind die ausgestellten schweren Folianten
beeindruckend; immer wieder sehen wir auch wertvolle Gewänder,
Gemälde, Vasen, Monstranzen, Kelche, Fresken, Kasettendecken,
Säulen, Marmor, Weltkugeln usw. usw.
Endlich führt eine Treppe zu dem absoluten Höhepunkt der
Vatikanischen Museen, der Sixtinischen Kappelle!
Sie gilt als das Meisterwerk der Renaissancekunst schlechthin, und
während wir den halbdunklen Raum betreten, sehen wir schon die
herrlichen Gemälde an der Decke leuchten.
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Die Kapelle ließ der Renaissance - Papst Sixtus IV. von 1473 -
1484 im Vatikanischen Palast einrichten.
Sie ist ein einfacher Raum von 40,50 Meter Länge, 20,70 Meter
Breite und 13,20 Meter Höhe mit großen Wand- und Deckenflächen.
Die Kirche ist gleichsam die päpstliche Hauskapelle und wird vom
Papst für Gottesdienste und bei feierlichen Anlässen genutzt.
Nach dem Tod eines Papstes findet hier das Konklave statt, um das
neue Oberhaupt der katholischen Kirche zu wählen.
Die Seitenwände zwischen den Fenstern sind von großformatigen
Fresken bedeckt, die Sixtus von den berühmtesten italienischen
Malern seiner Zeit ausführen ließ und die biblische Szenen auf dem
Hintergrund der ihnen bekannten Landschaften der Toskana
und Umbriens schufen.
Die berühmten Fresken an der Decke hat Michelangelo vom Herbst 1508
bis zum August 1510 im Auftrag von Papst Julius II., des großen
Renaissance - Fürsten, zumeist eigenhändig ausgeführt.
Die Arbeit im Liegen auf einem Gerüst war quälend anstrengend.
Der Künstler selbst hat sich darüber beklagt und seine
bedauernswerte Lage in einer Zeichnung festgehalten.
Nachdem er am Rande der totalen Erschöpfung stand, legte er
1511/1512 letzte Hand an.
Es ging ihm um nichts weniger als darum, die Erschaffung der Welt
nach biblischem Verständnis darzustellen.
Berühmtestes Motiv ist die Erschaffung Adams: Gottes Finger und
Adams Finger berühren sich, während Gott bereits Eva als künftige
Begleiterin Adams bereithält.
Es folgen der Sündenfall, die Vertreibung aus dem Paradies durch
die Cherubim mit dem Flammenschwert, das Opfer Noahs, die Sintflut,
die Trunkenheit des Noah.
Die Mittelfelder sind umrahmt von den mächtigen Einzelgestalten der
Propheten und Sybillen (Wahrsagerinnen), die vor Christus die Juden
und die Heiden mit der Botschaft Gottes vertraut machten.
Darüber befinden sich die „Ignudi“, nackte Figuren, die aus
Papstsymbolen und Medaillons gewobene Girlanden tragen.
Ende der 80er Jahre restaurierten Japaner die Deckenfresken, und
die Experten waren überrascht, als sehr kräftige Farben
aufleuchteten, nachdem alte Rußschichten entfernt worden waren. Ein
paar Kunstkritiker sprachen von Verfälschung, aber es existieren
keine Zeitzeugen mehr, die sagen könnten, wie Michelangelo die
Fresken damals wirklich gemalt hat.
Er würde sich wahrscheinlich von dem Besuchergetümmel mit Grausen
abwenden, weil er ein ziemlicher Eigenbrötler war.
Selbst wenn wir nicht alle Allegorien und biblischen Szenen
verstehen, sind wir doch sehr beeindruckt von den farbenprächtigen
und kontrastreichen Szenen.
Als 59jähriger malte Michelangelo unter Papst Paul II. an der
Altarwand das Fresko „Das Jüngste Gericht“, mithin ein Gegenpol zur
„Erschaffung der Welt“.
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Wie ein mächtiger jugendlicher Gott erscheint Jesus Christus auf
den Wolken des Himmels, umgeben von Maria, den Aposteln und anderen
Heiligen.
Die Gerechten (links) und die Verdammten (rechts) sind in
turbulentem Auf- und Abstieg begriffen.
Unten vollzieht sich die Auferstehung der Toten aus den
Gräbern.
Der Totenschiffer Charon aus der griechischen Mythologie
(Namensgeber für den Mond des Planeten Pluto) treibt die entsetzten
Sünder in sein Reich.
In der Mitte rufen die Engel mit Posaunen alle zum Gericht herbei;
oben tragen Engel die Leidenswerkzeuge Christi im Triumph.
Den 391 Figuren hat Michelangelo athletische Gestalten gegeben und
manche mit leicht erkennbaren Einzelheiten versehen: Petrus mit dem
Schlüssel, den Märtyrer Sebastian mit den Pfeilen, den Märtyrer
Laurentius mit dem Rost, auf dem er gegrillt wurde, die Märtyrerin
Katharina mit dem Rad, auf das sie geflochten wurde und den
heiligen Bartholomäus mit seiner abgezogenen Haut, die das Antlitz
Michelangelos trägt.
Es ist nicht gerade ein friedlicher Anblick!
Das vielbewunderte Fresko erregte seinerzeit auch Unwillen:
Aretino fand, es passe besser in eine Badestube oder Kneipe.
Der Künstlerkollege El Greco schlug gar vor, es zu ersetzen.
Die schamhaften, die Nacktheit verhüllenden Draperien wurden bald
nach Vollendung von Daniele da Volterra hinzugemalt.
Wir verharren vor dem Monumentalwerk, bis uns schon der nächste
Besucherstrom aus der Kapelle hinausspült.
Es ist jetzt 16.15 Uhr. In der Nähe der großen Weltkugel im
begrünten Innenhof der Vatikanischen Museen beratschlagen wir über
den weiteren Tagesablauf.
Wegen Hitze und Müdigkeit wollen die anderen vier zum Hotel zurück,
um sich für den Abend frisch zu machen.
Ich bin noch zu aufgekratzt, um mich von den Kunstschätzen zu
trennen, obwohl ich ein leichtes Ziehen in der Herzgegend spüre.
Vielleicht ist es aber nur der Rücken bzw. das
Halswirbelsäulensyndrom, das ausstrahlt. Nach Rom mit seinen
Gewaltmärschen und den vielen Treppenstufen habe ich zuhause keine
Beschwerden mehr verspürt.
Es ist kein Problem: die anderen Vier marschieren los, während
ich noch ein bißchen in den Seitenbereichen des Museums stöbern
will. Hatte ich nicht vorhin ägyptische Sarkophage gesehen?
Das ägyptische Museum enthält Kunstwerk der Dynastien vom 3.
Jahrtausend bis zum 6. Jahrhundert vor Christus. Überall in Rom
stehen ja insbesondere vor großen Kirchen die ägyptischen Obeliske:
„Beutekunst“ schon vor Schliemann`s Troja und der Roten Armee!
Stein- und Holzsarkophage künden von weit vergangenen Tagen.
Zwei Mumien liegen flach ausgestreckt auf ihren Särgen. Die eine
ist schwarz getrocknet und wirkt mit ihren schiefem Mund und den
noch erhaltenen Zähnen recht unheimlich.
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Nachts möchte ich weder mit dieser Mumie noch mit einem
Versicherungsvertreter hier eingeschlossen sein!
Das etruskische Museum erstreckt sich immerhin auch über 18
Säle.
Die Ausstellungsgegenstände sind nicht so spektakulär wie bei den
Ägyptern oder in den großen Sälen. Aber dieses geheimnisvolle Volk
hat den Aufstieg der Römer erst vorbereitet.
Zu den Etruskern ein kleiner Literaturhinweis: „Turms der Etrusker“
ein Roman des Finnen Waltari, der auch den erfolgreichen Roman
„Sinuhe, der Ägypter“ geschrieben hat, einen Klassiker der
spannenden historischen Romane.
In der griechischen Abteilung passiere ich endlose Reihen von Vasen
und Amphoren mit Motiven, die mich an die Illustrationen meines
längst vergessen geglaubten Lateinbuches erinnern.
Bei den Römern gefällt mir besonders die Lorbeerkranzsammlung: gar
zu gern hätte ich davon ein paar, die verdienten Mitarbeiter/innen
der Finanzverwaltung anläßlich von Beförderungen oder als
Leistungszulage verliehen werden könnten.
Erwähnen muß ich noch die „Laokoon-Gruppe“ im Hof des Museo Pio
Clementino.
Sie zeigt den Trojaner Laokoon mit seinen Söhnen im Kampf auf Leben
und Tod gegen zwei mächtige Schlangen, die der Meeresgott Poseidon
gegen ihn ausgesandt hatte, um ihn zu bestrafen.
Etwass abweichend von den übrigen Skulpturen ist auch der Inhalt
der „Sala degli animali“: wie der Name schon andeutet, geben sich
hier viele steinerne Tiere aus Marmor oder Alabaster ein
Stelldichein , auffällig die Statue des Meleagros mit Hund und
Wildschweinkopf.
Während des Rundganges gelange ich ungeplant noch einmal zur
Sixtinischen Kapelle, die ich mir nun in Ruhe betrachte, weil jetzt
auch der Besucherstrom schon nachgelassen hat.
Eine Stunde bin ich jetzt hier allein durch die Säle gewandert und
nehme nun schweren Herzens Abschied von den Kostbarkeiten des
Vatikanischen Museums.
Als ich den Vatikanstaat verlasse, liegen Jahrhunderte, Schätze und
versunkene Welten hinter mir, aber schon der Anblick von
kuttenverhangenen Dominikanermönchen an der Bushaltestelle zeigt,
daß zumindest die römisch - katholische Kirche in ihrem absolutem
Zentrum, nämlich Rom, noch durchaus sehr lebendig ist.
Die Kirche nimmt in vielen Ländern ja noch sehr stark Einfluß auf
das Leben der Menschen, was hierzulande die Diskussion über die
Abtreibung, das Laienpriestertum, den Zölibat und die Frauenrechte
bestimmt.
Wie gelange ich jetzt zum Hotel?
Da ich noch einiges sehen möchte, beschließe ich, den Weg zum
Hotel, etwa 5- 6 Kilometer, zu Fuß zurückzulegen. Der Weg durch Rom
ist nämlich sehr spannend und
abwechslungsreich, und es ist auch nicht mehr so heiß wie am frühen
Nachmittag.
Mein erstes Ziel, noch diesseits des Tiber, wird die Engelsburg
sein.
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Vorher will ich aber noch etwas wichtiges klären, nämlich das
Büro finden, indem es die Zugangskarten für den Papstgottesdienst
am Mittwoch auf dem Petersplatz gibt.
Daran wollen wir nämlich gerne teilnehmen, wenn wir schon mal in
der „Heiligen Stadt“ sind.
Das Büro soll bei den Kolonnaden sein. Ein netter Polizist von der
Polizeistation verweist mich an die Schweizer Garde am rechten
Nebeneingang zu den Palästen.
Mit ihren Hellebarden und dem unnahbaren Gesichtsausdruck wirken
die Gardisten respekteinflößend.
Ohne groß nachzudenken, spreche ich den buntgewandeten Wächter auf
englisch an.
Im besten Schwyzerdütsch antwortet er und teilt mir mit, wir
könnten morgen kostenlose Eintrittskarten im Pilgerbüro im Palast
erhalten, er zeigt auf eine Treppe, die rechts zum ersten Stockwerk
führt.
Schön, das wäre nun auch geklärt.
Sechs Wochen später hat ein Gardist seinen Kommandanten erschossen,
sei es nun wegen einer nicht erhaltenen Beförderung oder wegen
politischer Wirren, ich hoffe nur, es war nicht der freundliche
Wächter, mit dem ich ein paar Worte gewechselt habe.
Aber Verbrechen machen nicht vor heiligen Orten halt, vielleicht
werden sie von Machtzentren sogar besonders angezogen.
Jetzt kann ich den Heimweg antreten, aber bei dem herrlichen
Sonnenschein will ich noch nicht zum Hotel zur Siesta zurück,
sondern die Zeit noch auskosten.
In der Engelsburg soll es eine schöne Waffensammlung, dunkle Gänge
und alte Kanonenkugeln geben, dies ist ein Ort, der auch Christian
gefallen könnte und den ich deshalb auskundschaften will.
Zunächst schlendere ich die Via Concilione hinab, die breite, von
den Faschisten angelegte Straße, in der sich ein
Devotionaliengeschäft ans andere reiht.
Dann kurz vor dem Tiber geht es nach links, dort erhebt sich schon
der kreisrunde Klotz, die Engelsburg.
Auf dem Weg dorthin hat sich am Straßenrand und an der
Tiberpromenade ein buntes Völkchen niedergelassen: afrikanische
Händler, die Masken, Holzfiguren, Ledertaschen, Imitate,
Portemonnaies, kleine Kolosseen und allerhand Kunst und Kitsch
feilbieten.
Jetzt ist die Zeit, während der die Reisebusse halten, da gilt es,
die für den täglichen Daseinskampf entscheidenden Geschäfte zu
machen, immer sprungbereit, falls vielleicht eine Kontrolle
stattfindet und die Aufenthaltsgenehmigung nicht ausreicht.
Auf der Engelsbrücke stehen sie sogar in zwei Reihen, die weißen
großen Marmorskulpturen, Engel in Verzückung, scheinen sich in
ihrem entrückten Zustand nicht an dem bunten geschäftstüchtigen
Treiben zu stören, sie lächeln verklärt und werden dies auch dann
noch tun, wenn alle Händler abgezogen sind...
In Rom, besonders in den Mietskasernen der Vorstädte leben viele
Immigranten, und die neofaschistische Partei macht dies gern zum
Wahlkampfthema, eine Problematik wie sie fast überall in Westeuropa
existiert.
- 25 -
Die Engelsburg („Castel Sant`Angelo“) ist ursprünglich ein
Grabbau, den Kaiser Hadrian (117-138 n. Chr.) in den letzten Jahren
seiner Regierungszeit als Mausoleum für sich und seine Nachfolger
beginnen und Kaiser Antoninus Pius (139 n. Chr.) vollenden
ließ.
Als Rom durch die Einfälle der Germanen von Norden her gefährdet
wurde und im 3. Jahrhundert unter Kaiser Aurel eine neue Stadtmauer
erhielt, wurde das Mausoleum des Hadrian in die Befestigungsanlagen
einbezogen und dank seiner strategisch günstigen Lage am Tiber zur
bewährtesten Festung Roms ausgebaut.
Seinen Namen Engelsburg bekam das Mausoleum, als im Jahr 590 Papst
Gregor der Große in einer Vision einen Engel sah, der dem Papst das
Ende der damals wütenden Pestepidemie ankündigte.
Die Bronzestatue eines Engels (von 1753) auf der Spitze erinnert
daran.
1277 verband Papst Nikolaus III. die Burg mit dem Vatikanischen
Palast durch eine „Passetto“ genannte Mauer, in der ein teils
geschlossener, teils bedeckter Gang verläuft.
Alexander VI. (1492-1503), der Borgia-Papst, sicherte diesen Gang
und befestigte das Kastell weiter mit vier Eckbastionen.
In drohenden Situationen suchten die Päpste Zuflucht in der
Engelsburg, so Papst Gregor VII. (1084) vor Heinrich IV. und Papst
Klemens VII. vor den Landsknechten Kaiser Karls V. beim „Sacco di
Roma“.
Dies war ein Raubzug deutscher Landsknechte: am 6. Mai 1527
erstürmte die Armee Kaiser Karls V. die Mauern Roms, fiel im
Stadtteil Trastevere ein und überquerte den Tiber über die Brücke
„Ponte Sisto“.
Der Papst schloß sich in der Engelsburg ein und gab Rom der
Plünderung preis.
Der Papst hatte sich auf die „falsche Seite“ gestellt, nämlich auf
die des französischen Königs Franz I. , des Erzrivalen von Karl
V.
Schließlich flüchtete auch Papst Pius VII. vor den Truppen
Napoleons.
Berühmte Gefangene, berüchtigte Hinrichtungen haben die Mauern
der Engelsburg gesehen; in der Oper „Tosca“ dienten sie als Kulisse
des dritten Aktes.
Zeitweilig nahmen sie die päpstliche Schatzkammer und das
Geheimarchiv auf.
Das Mausoleum des Hadrian erhob sich als Rundkörper mit dem
stattlichen Durchmesser von 64 Metern und einer Höhe von 20 Metern
über einem quadratischen
von 83 Metern Seitenlänge und 15 Metern Höhe.
Auf dem Gesims der aus Travertin - und Tuffquadern gefügten Mauer
standen Statuen, auf dem höchsten Punkt eine Quadriga aus Bronze:
der Streitwagen des Kaisers, gezogen von vier schnaubenden Rossen,
ähnlich der Quadriga auf dem Brandenburger Tor.
In der Nachmittagssonne wirkt das Gebäude eher friedlich: auf
der Wiese vor dem Burgtor spielen Jugendliche Fußball,
Besuchergruppen verlassen die Burg.
Was für ein schöner Zufall: während dieser Woche ist der Eintritt
frei!
- 26 -
Im Innern empfängt mich ein kühles Gewölbe. Ein breiter düsterer
Rundgang führt den Besucher langsam nach oben. Die dicken Mauern
lassen ahnen, daß niemand den Kerkern dieser Festung entweichen
konnte.
Die Kargheit der Engelsburg steht in Kontrast zur Pracht des
Petersdomes.
Auf halber Höhe geht es nach draußen und auf einem Rundgang läßt
sich das Panorama Roms genießen: der Tiber, die vielen Brücken, der
Petersdom, die begrünten Hügel mit Schlössern und Villen, die
Kirchen Roms....
Ein kleines Café lädt zum verweilen ein, aber ich will noch weiter
hinauf.
Von oben fällt der Blick auf einen abgesperrten Teil der Festung,
wo neben den Geschützen fein säuberlich wie vom Zuckerbäcker
hergestellt weiße steinerne Kanonenkugeln aufgerichtet sind. Ob sie
wohl jemals noch zum Einsatz kommen werden?
Die Waffensammlung finde ich heute nicht, das Innere der Gebäude
ist trotz schöner Wandfresken und Kasettendecken bei weitem nicht
so beeindruckend wie im Petersdom oder den Vatikanischen Museen,
aber es ist nun einmal eine Festung, da geht Funktionalität vor
Schönheit.
Ich verlasse die Engelsburg und überquere den Tiber.
Ich freue mich schon auf den Weg quer durch das alte Rom mit seinen
gewundenen Gassen, den großzügigen Plätzen, alten Tempeln und
plätschernden Springbrunnen.
Zunächst einmal aber verlaufe ich mich, lande wieder am Tiberufer
anstatt an der Piazza Navona, da ich nur einen kleinen
unvollständigen Stadtplan dabei habe und fast 16 Jahre seit meinem
ersten Rombesuch vergangen sind.
Aber dann konzentriere ich mich besser und kann mich nach den
braunen Schildern richten, die jeweils Fußwege zu den touristischen
Attraktionen angeben.
So kann ich dem Verkehrsgewühl entkommen und durch kleine Gassen
zunächst zum Pantheon finden.
Das ist der große Tempel des Agrippa, der bis in die heutige Zeit
überdauert hat, weil er in der christlichen Zeit zur Kirche
umfunktioniert wurde.
Die Piazza Navona, meinen Lieblingsplatz in Rom, habe ich auch mit
Freuden wiedergesehen, und bald bin ich auch schon am
Trevi-Brunnen.
Aber die Schönheiten der Innenstadt beschreibe ich dann am morgigen
Tag, wenn wir mit der ganzen Gruppe einen Stadtbummel machen.
Außerdem bin ich jetzt tatsächlich spät dran, will mich nicht
nochmals verlaufen und den Start ins gemeinsame Abendprogramm: gut
und reichlich essen! - nicht verpassen.
Interessant ist vielleicht noch, daß in einer Seitenstraße große
Absperrungen sind, schwarze Limousinen vorgefahren sind und
auffällig unauffällige Bodyguards herumlungern. Wer da wohl kommt?
Der Papst beim Stadtbummel? Claudia Schiffer auf dem Weg zum
Trevi-Brunnen? Helmut Kohl auf dem Weg zu einem Gipfel? Die Mafia,
Sodom und Camorra? Oder vielleicht sogar der Meister, Guildo Horn
persönlich?
Aber dessen Stern wird erst ein paar Wochen später hell
erstrahlen..
- 27 -
Egal, ich bin froh, als kurz vor halb sieben wieder im Hotel
bin.
Alles ist normal: Irma hat für Christians Abendessen im
Fastfood-Restaurant gesorgt, nach Kostümen und Taschen Ausschau
gehalten und kuriert jetzt ihre Fußschmerzen aus.
Christian erklärt kategorisch, er wolle wieder im Hotel bleiben und
die geile Sendung „Glücksrad“ von SAT 1 sehen.
Wir sind nicht allzu traurig darüber.
Heute abend wollen wir gemütlich in Trastevere speisen.
Trastevere, wie schon der Name andeutet, ist das Viertel jenseits
des Tiber, also auf der Seite des Vatikanstaates, das berühmt ist
wegen seiner ursprünglichen Atmosphäre und der vielen kleinen
Lokale, egal ob sie nun in die Kategorie Osteria, Trattoria;
Pizzeria oder Ristorante fallen. So ein großer Unterschied besteht
zwischen diesen Gattungen nicht .
Um 19.30 Uhr brechen wir gemeinsam - aber ohne Christian - auf,
steigen an der Station „Repubblica“ in die Metro und halten an der
Station „Colosseo“, wo wir das angestrahlte Kolosseum und den weiß
leuchtenden Konstantinsbogen bewundern.
In der Nähe schlummern jetzt die Überreste aus antiker Zeit auf dem
„Forum Romanum“, dem großen Trümmerfeld aus Roms glorreicher
Vergangenheit.
Der antiken Geschichte wollen wir uns morgen widmen.
An der Piazza Venezia, dem zentralen Verkehrsknotenpunkt Roms,
müssen wir aufpassen, nicht unter die Räder zu geraten.
Von weitem schimmert die weiße Trajanssäule herüber. Auf ihr hat
Kaiser Trajan seine Eroberungsfeldzüge reliefartig
festgehalten.
Noch ein paar Minuten Weg, und schon sind wir wieder am Tiber.
Vor uns ruht, einem großen Schiff gleich, die Tiberinsel (Isola
Tevere) im dunklen Wasser. In der nächtlichen Ruhe wirkt sie wie
ein Bild aus alter Zeit.
Auf der Insel befindet sich ein Krankenhaus, die Kirche San
Bartolomeo und diverse Trattorien, Wohnungen und Geschäfte.
Davon sehen wir heute abend nichts, aber wir haben auch schon
langsam Hunger.
Das Viertel Trastevere ist viel ruhiger, als ich erwartet habe.
Aber anscheinend sind wir noch in der Vorsaison. Es wird auch etwas
zu kühl sein, um draußen zu sitzen.
Schön sind die weinüberwucherten Häuser, die kleinen Nischen und
Plätze, hier mal ein Springbrunnen, dort ein kleiner alter
Handwerksladen, weiter weg mal das Aufheulen eine Mopeds, das
Brummen einer Vespa, Jugendliche, die in kleinen Gruppen unterwegs
sind, verirrte Touristen wie wir....
Heute gucken die beiden Frauen ein kleines Lokal aus.
Sie plädieren dafür, ein komplettes Menü zu bestellen anstelle der
kunterbunten Zusammenstellungen quer durch die Speisekarte, wozu
Peter und ich aus Experimentierfreudigkeit neigen.
Voller Erwartung betreten wir die ausgewählte Osteria, die innen
schon ziemlich gefüllt ist, so daß wir eine Treppe hinuntersteigen
und in einem gemütlichen kleinen Speiseraum landen.
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Eine auch nach Urteil der Frauen sehr hübsche sanfte Kellnerin
bedient uns und bringt natürlich zuerst den Wein; ich glaube, wir
haben mit Rotwein angefangen und mit Weißwein weitergemacht oder
war es umgekehrt? Aber wegen des weiten Heimwegs trinken wir
diesmal nicht so viel.
Das Menü beginnt mit einer Nudelvorspeise. „Penne arrabiata“ sind
dicke Nudeln mit einer scharfen Sauce; ich bin ganz begeistert, daß
mich die italienische Küche mit einem mir noch nicht bekannten
scharfen Gericht überraschen konnte. Die andere Alternative für die
Vorspeise ist Buccattini Matriciana („wie bei Muttern“); Nudeln mit
Speck und Ei, einfache Zutaten, aber lecker und raffiniert
gemacht.
Fast sind wir schon nach der Vorspeise satt.
Danach folgt zusammen mit Weißbrot das Hauptgericht: ein Schnitzel
mit Weinsauce, auch ein Gaumenkitzel.
Als weiteres wird ein knackiger gemischter Salat , der berühmte
„Salato Misto“ serviert, und zum Nachtisch gibt’s wahlweise Kaffee
oder ein Stück Tiramisu.
Schade, wir drei hätten das Tiramisu anstelle des Kaffees wählen
sollen: die Kostprobe von Irmas Teller war ein Gedicht, und sie
wird von gierigen Mäulern umlagert!
Auch an diesem Abend genießen wir das Dolce Vita der italienischen
Lebensart.
Zwei Stunden später sind wir an der Straßenbahnhaltestelle und
überlegen, wie wir am günstigsten zurückfahren können.
Die einzelnen Stationen kennen wir, aber wir wissen nicht so genau,
ob wir in diese oder in die entgegengesetzte Richtung müssen.
Egal, die Tram kommt, und wir steigen ein, immerhin sind wir
allesamt erfahrene Weltenbummler.
Schön, daß wir bald im Hotel sind, der Tag war anstrengend und nach
dem guten Essen und dem Wein haben wir die richtige
Bettschwere.
Komisch, daß jetzt gar nichts mehr in der Innenstadt los ist, nicht
mal die angestrahlte Piazza Venezia nehmen wir wahr.
Die Fahrt dauert auch schon recht lang, und es werden immer weniger
Mitreisende.
Langsam dämmert uns etwas: wir sind in die falsche Richtung
gefahren und werden gegen Mitternacht am Arsch der Welt
aussteigen!
So ist es: die Endstation ist ein düsteres Vorstadtviertel,
irgendwo ist ein dunkler Park, soll das unser Nachtquartier werden?
Was passiert mit Christian, was wird er sagen, wenn Papa und Mama
zum Frühstück noch nicht zurück sind?
Wir stehen ein paar Minuten unschlüssig am Wendeplatz.
Dann kommt die Rettung: es fährt noch ein Bus in die Innenstadt
zurück, Bus 640, schön, daß es ihn gibt!
Der treue Bus fährt auf seiner Route bis in die Nähe des
Hotels.
Diesmal passen wir auf, springen zur rechten Zeit aus dem Bus und
freuen uns darauf, endlich schlafen und ausruhen zu können, ciao,
ciao bis morgen.-
- 29 -
Dienstag, 31.März
Genüßlich schlürfen wir unseren Morgenkaffe mit viel Milch und
knabbern an den knusprigen Brötchen. Heute ist wieder ein schöner
Tag, es wird noch 25 Grad warm werden.
Wir wollen nach dem „christlichen Rom“ des gestrigen Tages heute
das „antike Rom“ studieren, sprich: Forum Romanum, Kolosseum,
Konstantinsbogen, das Pantheon...
Nach dem Frühstück fahren wir mit der Metro aber zunächst wieder
zum Vatikan.
Dort wollen wir uns im ersten Stock des Palastes die
Eintrittskarten für den morgigen Freiluftgottesdienst mit dem Papst
auf dem Petersplatz abholen.
Etliche Bittsteller warten dort schon. Sowohl die Nonne in
schwarzer Tracht als auch der indische Geistliche vor uns haben
irgendwelche Empfehlungsbriefe bei sich, die sie dem hinter seinen
Brillengläsern väterlich-streng hervorlugenden Monsignore
präsentieren.
Ob wir so ein dekoratives Schreiben auch brauchen?
Aber nein, der freundliche ältere Herr überreicht uns die
kostenlosen Eintrittskarten in Leuchtorange, und zufrieden ziehen
wir von dannen.
Wo der Heilige Vater wohl seine Privatgemächer hat? Die Flure und
Gänge sind jedenfalls für Besucher nicht zugänglich.
Jetzt wollen wir als ganze Gruppe die Engelsburg besichtigen, die
ich gestern schon ausgekundschaftet habe.
Die schwarzen Händler sind nicht so zahlreich vertreten wie gestern
nachmittag, die Afrikaner haben ihren Tagesablauf auf das Kommen
der Touristenbusse abgestimmt, jetzt ist es noch zu früh für einen
guten Umsatz!
Wir haben bald den Tiber erreicht.
Christian und ich steigen die Stufen zum Flußufer hinab. Es riecht
sehr streng, es ist nicht ratsam, im Tiber zu baden.
Im Mittelalter und in der Antike roch es hier bestimmt noch
schlimmer, ich stelle mir vor, wie tote Schweine und ggf. auch tote
Gladiatoren hier vorbeitrieben.
Das Wort Kloake ist im übrigen abgeleitet von „Cloaca Maxima“, dem
von den Römern gestalteten Abwasserkanal.
Die Römer hatten ein bemerkenswert gut funktionierendes
Wasserverteilungssystem erdacht und in die Tat umgesetzt. Jeder
Asterixleser und minderbegabte Lateinschüler kennt die Aquädukte,
die das Wasser kilometerweit über die auf Bögen ruhenden
Wasserrinnen in die Ballungszentren leiteten. In der Antike hatte
Rom ja bereits über 1.000.000 Einwohner, die sich zum Teil in
großen Mietskasernen zusammendrängten.
Da war es wichtig, daß die Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln
sichergestellt war.
Auch eine primitive Abwasserentsorgung gab es.
Nicht ganz unschädlich waren die Bleirohre und die bleiernen
Trinkgefäße, durch die sich die Römer schleichende Bleivergiftungen
zuzogen. Im Mittelalter sackte die Einwohnerzahl dann übrigens auf
ca. 50.000 Menschen, ein Zwanzigstels des Wertes der Antike,
ab.
- 30 -
Kehren wir zurück zum mächtigen Rundbau der Engelsburg.
Auch heute spielen die Kids Fußball vor dem drohenden Eingangstor
der Festung. Zusätzlich sind etliche Schulklassen unterwegs.
Während der Kulturwoche bei kostenlosem Eintritt nutzen die Lehrer
und Lehrerinnen die Gelegenheit, den Kindern die römische
Geschichte nahezubringen.
Wieder betreten wir den breiten spärlich erleuchteten Rundgang im
Innern der Engelsburg und schrauben uns langsam auf ein höheres
Level.
Auf dem Rundweg kommen wir wieder zu der Stelle, von der aus wir
die weißen Kanonenkugeln als ordentliche Häuflein sehen können.
Diesmal finden wir auch den Eingang zur Waffenkammer: die Sammlung
ist nicht riesig, aber ganz interessant: Uniformröcke und Bajonette
aus dem letzten Jahrhundert, Flinten, „Räuberpistolen“, Degen,
Säbel, Dolche, weiter zurück in die Vergangenheit: Römer- und
Etruskerhelme.....
Nachdem wir noch der luxuriösen Toilette am Eingang der
Engelsburg einen Besuch abgestattet haben, überqueren wir den Tiber
.
Es macht Spaß, in den Gassen und lauschigen Plätzen mit den
sonnendurchglühten ockerfarbenen Häusern herumzustöbern. Selbst im
Verfall wirkt Rom noch romantisch.
Antiquitäten in den Schaufenstern könnten lange Geschichten von
alten Zeiten erzählen, auf bunten Märkten preisen die Marktfrauen
frisches Gemüse und Obst an, und wie in alten Zeiten flattern ganz
oben auf der gespannten Wäscheleine bunte Wäschestücke in der
lässigen italienischen Weise, die der Mitteleuropäer schnell als
liederlich abtut..
Wir gönnen uns ein Eis und ruhen uns auf einem Bänkchen vor der
Eisdiele aus.
Die italienischen Eisdielen haben eine riesige Auswahl an Sorten,
sei es nun Pistazie, Aprikose, Straziatella, Kastanie, Kokosnuß,
Melone, Amaretto, Yoghurt-Johannisbeere, Apfel, dunkle Schokolade,
weiße Schokolade und..und.. und.....
Die Erfrischung hat gut getan. Jetzt sind es nur ein paar
Schritte zum schönen Platz „Piazza Navona“.
Die Piazza Navona ist einer der lebhaftesten Plätze Roms. Es
wimmelt von Touristen, und auch die Römer halten sich hier gern
auf.
Porträtmaler, Straßenmusikanten, Andenkenverkäufer und Schwärme von
Tauben verleihen dem Platz ein malerisches Flair.
Dem Volksmund nach kommt „Navona“ von Navis, weil die Gestaltung
der Piazza mit ihren halbrunden Schmalseiten an ein Schiff erinnern
soll.
Etymologen glauben jedoch, daß es sich um eine Verballhornung von
„Agnese in Agone“ handelt, dem Namen einer der beiden Kirchen.
Die geschlossene Anlage des Barock ist für den Autoverkehr
gesperrt und so ganz dem Flanieren der Fußgänger überlassen.
Noch heute folgen Paläste und Kirchen um den Platz herum den
Begrenzungen, die Kaiser Domitian (81 - 96 n. Chr.) in der Antike
einem langgestreckten Stadion von 240 x
- 31 -
65 Metern gab.
Zeitweise vergnügte man sich auf diesem Platz mit Wasserspielen und
Pferderennen.
Im Barock kam die prachtvolle Ausschmückung durch den Baumeister
Borromini hinzu.
Er schuf Paläste und Kirchen, unter anderem die Kirche St.
Agnese.
Sein Rivale Bernini gestaltete von 1647 - 1651 den
Vier-Ströme-Brunnen (Fontana die Quattro Fiumi) in der Mitte des
Platzes.
Damals war Australien noch nicht entdeckt, und deswegen ging
Bernini von vier Erdteilen aus. Die vier männlichen Figuren stellen
allegorisch die vier Weltströme Ganges (für Asien), Donau (für
Europa), Rio de la Plata (für Amerika) und den Nil (für Afrika)
dar.
Die vierte dieser Personifikationen um den zentralen Obelisken, die
Figur des Nils, hat verbundene Augen: angeblich, weil zur Bauzeit
des Brunnens die Quellen des Flusses noch nicht entdeckt waren.
Nach einer anderen Interpretation soll der Künstler den Flußgott
blind und mit erhobener Hand gestaltet haben, weil gegenüber das -
nach Berninis Ansicht - „grauenhafte Werk“ seines Konkurrenten
Borromini, die Kirche Sant` Agnese in Agone stehe, deren drohenden
Einsturz der Nil abwehre.
Die Fontana die Fiumi wird ergänzt durch die Fontana del Moro
(Mohrenbrunnen) vor dem Palazzo Pamphilii, dem einstigen
Stadtpalast der Familie Pamphilii, heute Sitz der brasilianischen
Botschaft und der Fontana del Nettuno (Neptunbrunnen) am anderen
Ende des Platzes.
Beide reichen künstlerisch nicht an den Vier-Ströme-Brunnen heran,
um den sich tagsüber die Porträtmaler und Andenkenverkäufer
scharen.
Die von Borromini erbaute Kirche Sant Agnese erinnert an die
christliche Römerin Agnes.
Während der Zeit der Christenverfolgungen unter Domitian wollten
die Häscher sie auf diesem Platz dem Volk nackt vorführen, doch ihr
wuchsen durch ein Wunder lange Haare, mit denen sie ihre Blöße
bedecken konnte.
Allerdings weiß ich nicht, ob sie nicht doch hingerichtet
wurde...(ich wäre lieber nackend entkommen, als schamhaft bedeckt
getötet zu werden).
Wir lustwandeln ein Weilchen auf der Piazza Navona und richten
unsere Schritte dann nach der guten Beschilderung Richtung
Pantheon.
Das Pantheon liegt ein paar Hundert Meter weiter an der Piazza
Rotonda.
Läßt sich ein einfacherer Bau denken als das Pantheon?
Ein Zylinder mit einer Halbkugel darauf, das ist alles.
So genial - und uralt in der Baugeschichte der Menschheit - war die
architektonische Idee des Pantheons, daß der Bau alle bewegten
Zeiten Roms überdauerte und das bedeutendste und besterhaltene,
kaum veränderte Bauwerk der römischen Antike wurde.
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Wer es erbauen ließ, steht über dem Eingang: Marcus Agrippa,
Schwiegersohn des Kaisers Augustus.
Er wollte im Jahr 27 v. Chr. den Tempel den allerheiligsten
Planetengöttern „Pantheon, dem Allgöttlichen“, weihen.
Darauf deutet das Firmament der Kuppel mit der Öffnung für die
Sonne.
Das erste Pantheon wurde schon im Jahre 80 n. Chr. durch einen
Brand beschädigt, so daß ein Neubau unter Kaiser Hadrian von 120
-125 notwendig wurde.
Das Ziegelmauerwerk der damaligen Zeit weist auf die großen
technischen Fähigkeiten der Römer hin.
Im Lauf der Jahrhunderte erlitt das Pantheon weitere Schäden durch
Plünderungen, Erdbeben und Überschwemmungen.
735 ließ Papst Gregor III. die vergoldeten Bronzeziegel der Kuppel
abnehmen und Urban VIII. im 17. Jahrhundert den 25 Tonnen schweren
Bronzebeschlag der Vorhallendecke für den Baldachin des Bernini in
der Peterskirche einschmelzen.
Aus dieser Zeit stammt der geflügelte Spruch : „Was die Barbaren
nicht zerstörten, holten die Barberini nach“, eine Anspielung auf
den skrupellosen Papst aus dem Hause der Barberini.
Der Kuppelbau des Pantheons hat als architektonisches Vorbild vor
allem die Künstler der Renaissance beeinflußt, so Bramante und
Michelangelo für den Neubau von
St. Peter.
Die ersten christlichen Kaiser verboten den Kult in dem heidnischen
Tempel.
Geöffnet wurde das Pantheon wieder, als Papst Bonifaz IV. es 609 n.
Chr. der Madonna und allen Märtyrern weihte.
Im Pantheon sind die italienischen Könige Viktor Emmanuel II. (der
erste König des vereinigten Italiens), Umberto I. (ermordet 1900)
und der Renaissancemaler Raffael begraben.
Der kreisrunde Innenraum hat einen Durchmesser von 43,2 Metern, die
Höhe weist das selbe Maß von 43,2 Metern auf.
Am Boden sieht man Markierungen für eine Sonnenuhr.
Die Kuppel im Innern wird durch Kassetten gegliedert.
Sein Licht erhält der Raum allein durch eine neun Meter breite
runde Öffnung in der Mitte der Kuppel. Die Kuppel ist sogar
geringfügig größer als die Hauptkuppel des Petersdomes.
Das Pantheon beeindruckt durch seine Schlichtheit und
Monumentalität.
Der Brunnen auf der Piazza Rotonda vor dem Pantheon ist
malerisch.
Ein Trupp Carabinieri in Gala-Uniform marschiert vorbei, als wir
die Piazza Rotonda verlassen.
Eine Ecke weiter sehen wir einen kleinen steinernen Elefanten,
der einen ägyptischen Obelisken auf dem Rücken trägt.
Das freundliche Rüsseltier aus Marmor wurde ebenfalls von Bernini
gestaltet.
- 33 -
Die Inschrift am Sockel des Elefanten besagt, daß es einer
robusten Kraft bedürfe, um die Weisheit zu tragen.
Er steht vor der Kirche „Santa Maria sopra Minerva“, die ihren
Namen vom Minervatempel aus römischer Zeit übernommen hat (Minerva:
die römische Version von Diana, der griechischen Jagdgöttin).
Es wird heißer, auch im Frühling kann die Sonne in Rom schon
südliche Hitze verströmen.
Piazza Venezia: wir schenken dem Monumentalbau an Roms
Verkehrsknotenpunkt nur einen flüchtigen Blick.
Die auffälligen weißen Marmorsäulen in antikem Stil säumen das
Nationaldenkmal, das zu Ehren des bereits erwähnten Königs Vittorio
Emmanuele II. errichtet wurde.
Es ist ein Prunkbau im Stil des letzten Jahrhunderts, das
Heldenaufmärsche, Prachtbauten und imperialen Glanz so
schätzte.
Die Römer selbst nennen das Nationaldenkmal mit leisem Spott: „die
Schreibmaschine“.
Junge Leute liegen im Gras vor dem Denkmal und genießen die
Sonne.
Wenn wir schon hier an zentraler Stelle sind, wollen wir dem
Kapitolshügel einen Besuch abstatten und von außen einen Blick auf
das römische Rathaus werfen.
Der Kapitolshügel war den Römern seit jeher heilig.
Hier stand der Jupiterhügel.
Am Kapitol schnatterten seinerzeit die Gänse und warnten dadurch
die Römer vor dem Angriff der Gallier. Asterix und Obelix waren
damals nicht dabei und da die Gallier keinen Zaubertrank hatten,
retteten die lärmenden Vögel die Stadt.
Die von Michelangelo Buonarotti entworfene feierliche
Rampentreppe führt auf den Kapitolsplatz.
Zwei ägyptische Löwen aus Basalt wachen unten.
Oben stehen wie Wächter die Zwillingsbrüder Castor (nicht
radioaktiv!) und Pollux, die sogenannten Dioskuren.
Castor und Pollux waren Söhne des Zeus und halfen den Römern
angeblich in der Frühgeschichte der Stadtgründung beim Sieg über
die gegnerischen Tarquinier.. Außerdem sind die beiden noch als
Sternbild erwähnt.
Die Piazza del Campidoglio ist der Platz vor dem Rathaus mit dem
schönen Sternenmuster von Michelangelo, welches bei Luftaufnahmen
noch eindrucksvoller wirkt.
In der Mitte des Platzes erhebt sich die Reiterstatue von Marc
Aurel, dem römischen Kaiser aus dem dritten Jahrhundert, dem man
stoische Gemütsruhe nachsagte.
Marc Aurel sorgte für die Errichtung einer mächtigen Stadtmauer, da
Rom in dieser Zeit bereits von Barbarenüberfällen (unter anderem
von unseren germanischen Vorfahren) bedroht wurde.
Das einst vergoldete Reiterstandbild stand früher vor der
Laterankirche.
Es überdauerte die Zeitläufe, da die spätere christliche Generation
es für ein Standbild
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des den Christen wohlgesonnenen Kaisers Konstantin hielt und
somit nicht antastete.
1538 ordnete Papst Paul III. die Aufstellung auf dem Kapitolsplatz
an.
Die kapitolinischen Museen besuchen wir nicht, sie enthalten unter
anderem folgende Kunstwerke: die 12 Meter hohe Statue des bereits
erwähnten Kaisers Konstantin, der im 4. Jahrhundert dem Christentum
den Weg zur Staatsreligion ebnete, den Dornauszieher (beliebtes
antikes Motiv eines nackten Jünglings), den sterbenden Gallier, die
Büste des Cäsarmörders Brutus und Herkules mit dem Löwenfell.
Aber die Skulptur der Wölfin, die Remus und Romulus säugte, sehen
wir außen an der Seite des Gebäudes, wenngleich das Werk recht
klein ist.
Bei Romulus und Remus vermischen sich Sage und Wirklichkeit: Rom
wurde tatsächlich um 753 gegründet ( 7 - 5 - 3 : Rom kroch aus dem
Ei!).
Der Sage nach ernährten sich die beiden Knäblein von nahrhafter
Wolfsmilch.
Später ging es nicht mehr so idyllisch zu: Romulus erschlug (wie
Kain den Abel) den Bruder Remus, weil dieser über eine Linie in
Romulus` neuer Stadt gehüpft war, was anscheinend als Begründung
für einen Brudermord ausreichte...
Jedenfalls hat der Mörder und nicht das Opfer der Stadt den Namen
gegeben.
Ein Treppenwitz der Geschichte ist, daß der letzte römische Kaiser
auch Romulus hieß, genauer: Romulus Augustulus (Verkleinerungsform
von Augustus, wahrscheinlich eine Verspottung) .
Im Jahr 476 mußte sich Romulus Augustulus dem Germanenfürst Odoaker
unterwerfen, die Unabhängigkeit Roms war dahin, schön beschrieben
von Friedrich Dürenmatt in seinem Drama „Romulus der Große“ (im
Stück ist er eher ein Wicht).
Vom Kapitol, das kein Berg ist, sondern nur ein Hügel, haben wir
zum einen den Ausblick auf die Piazza Venezia mit der
„Schreibmaschine“.
Viel eindrucksvoller ist aber der Ausblick auf das Forum Romanum,
das Trümmerfeld mit den Resten antiker Tempel, Säulen und
Triumphbögen.
Im Mittelalter, noch zur Zeit der Reise des Dichterfürsten Goethe,
lagen die antiken Relikte unter Schutt, das Forum Romanum diente
als Kuhweide, nachdem in den Jahrhunderten zuvor das Gelände als
Steinbruch benutzt wurde.
Auch wenn kaum noch ein Gebäude ein Dach hat und viele Säulen
abgebrochen ist, kommt es uns so vor, als wehe der von unserem
Bundeskanzler so oft beschworene “Atem der Gechichte“ zu uns
herüber.
Neugierig machen wir uns an den Abstieg ins Tal.
Unten lungern neben vielen Besuchern auch drei antike Römer herum:
in roten Togen und goldenen Rüstungen, wie aus dem Asterixheft .
Sie lassen sich gerne gegen einen kleinen Obolus fotografieren, was
wir aber nicht in Anspruch nehmen.
Eintritt müssen wir nicht bezahlen. Händler bieten kleine Kolosseen
und anderen Nippes an.
Ein Forum gehörte damals zu jeder römischen Stadt. Rom hatte viele
Foren, Plätze auf denen sich das öffentliche Leben abspielte.
Dort standen Tempelbauten, für Jupiter & Co, später kamen
öffentliche Bauten, Behörden, Theater und Markthallen dazu.
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Auf den Foren fanden die großen Versammlungen statt. Heutzutage
nennen wir sie schlicht „Fußgängerzone“, obwohl die Begriffe nicht
so ganz deckungsgleich sind.
Als erstes steuern wir auf den großen weißen Triumphbogen des
Septimius Severus zu.
Triumphbögen wurden bekanntlich nach gelungenen Feldzügen vom
Feldherrn durchschritten, die Gefangenen im Schlepptau hinter sich
her führend.
Ein hinter dem Triumphator hertrottender Diener hatte die Aufgabe,
dabei dem Feldherrn ins Ohr zu flüstern, “Bedenke, daß du nur ein
Mensch bist“.
Größenwahn war nämlich schon damals eine verbreitete Krankheit. Der
übersteigerte Größenwahn der römischen Kaiser wurde Cäsarenwahn
genannt und Nero (hat er nun die Stadt angesteckt oder nicht?) und
Caligula (ließ sein Pferd zum Konsul wählen) waren davon besonders
infiziert.
Wir wären gern mal im Triumphgefühl durch den Bogen des Septimius
Severus marschiert, aber der ist gesperrt, soll ja auch nicht von
Krethi und Plethi durchquert werden..
Der Triumphbogen wurde dem Kaiser Septimius Severus und seinen
beiden Söhnen Caracalla und Geta in 203 nach Christus nach
siegreichen Feldzügen gegen die aufmüpfigen Parther, Araber und
Assyrer errichtet,.
Nach Caracalla wurden übrigens die Caracalla-Thermen benannt. Wie
bei Romulus und Remus hatte auch Caracalla einen Bruderkomplex: er
meuchelte Geta, um sich in der Erbfolge zu verbessern, was ihm ja
auch gelang.
Der Name des Opfers Geta wurde auf der Säule getilgt: die
Geschichte kennt keine Moral, sondern nur die Namen der
Sieger.-
Besonders eindrucksvoll finde ich die als Säulenwand erhaltenen
acht Säulen des Saturntempels.
Saturn, der damals noch kein Kaufhaus in Frankfurt-Bornheim besaß,
entstammt vermutlich dem etruskischen Götterolymp, wurde aber auch
von den Römern verehrt, die den zweitgrößten Planeten des
Sonnensystems nach ihm benannten.
Wie Mahnmale der Vergänglichkeit streben die Säulen im ionischen
Baustil gegen den blauen Frühlingshimmel, der schon mehr als 2.000
Mal zurückgekehrt ist: der Tempel wurde bereits vor 2.495 Jahren in
der republikanischen Zeit errichtet.
Zu Ehren des bärtigen Saturn wurden jährlich die Saturnalien
gefeiert: dann wurde der Herr zum Sklaven und der Sklave zum Herrn,
ein Ventil zum Dampf ablassen, ähnlich wie der Karneval, den die
Kirche dem Volk im Mittelalter und bis zur heutigen Zeit
zugesteht.
Auch die bereits erwähnten Zeussöhne Castor und Pollux hatten einen
eigenen Tempel, von dem aber nur drei Säulen erhalten sind.
Die Säulen sind aus weißem Stein und tragen ein korinthisches
Kapitell
Zur Auffrischung der Kenntnisse in Kunstgeschichte: es gibt ja drei
antike Baustile, die an der Säulenform abzulesen sind:
dorisch: spartanisch - schlicht,
ionisch: athenisch - klassisch und
korinthisch: korinthisch - verschnörkelt.
- 36 -
Sehr gut und als Gebäude im Ganzen erhalten sind diejenigen
antiken Bauten, die später in christlichem Sinne genutzt wurden:
zum Beispiel die Curia und der Tempel des Antoninus und der
Faustina.
Die Kurie (Curia) ist ein einfacher, ziemlich kompakter
Ziegelbau.
Sie war der Versammlungsort der römischen Senatoren. Hier
spazierten also die damaligen Volksvertreter in weißen Togen und
Tuniken umher und hielten ihre weitschweifigen Reden, die
Generationen von geplagten Lateinschülern in späteren Generationen
zum Alptraum wurden!
Durch Brände und Verwüstungen waren immer wieder Neubauten der
Kurie notwendig, so unter Sulla und Cäsar sowie den Kaisern
Diokletian und Julian Apostata (Julian, der Abtrünnige).
Im 7. Jahrhundert n. Chr. wurde die Kurie schließlich in eine
Kirche umgewandelt und blieb deshalb erhalten.
Der bereits schon öfter erwähnte Barockbaumeister Borromini
verwendete ihre bis dahin unangetasteten Bronzetore für das
Hauptportal der Lateransbasilika.
Die Kurie gab dem Verwaltungsapparat der katholischen Kirche ihren
Namen!
Der Tempel des Antoninus und der Faustina wurde 141 n. Chr.
zunächst zu Ehren der vergöttlichten Kaisergemahlin Faustina
errichtet; nach dem Tod des Kaisers Antoninus wurde er auch dem
Antoninus gewidmet.
Von dem Heiligtum sind die sechs Säulen der Front mit korinthischen
Kapitellen und mehrere Säulen der Längsseite gut erhalten.
Im 12. Jahrhundert n. Chr. wandelte man den gesamten Tempel in die
Kirche „San Lorenzo in Miranda“ um.
Der Tempel befindet sich unweit der Ruinen des alten Cäsartempels,
den der Kaiser Augustus im Jahr 29 v. Chr. An der Stelle
errichtete, an der im März 44 Cäsars Leichnam verbrannt worden
war.
Es wimmelt hier also von geschichtsträchtigen Orten, und nicht
alles haben wir bewußt wahr genommen.
Zum Beispiel hätte ich gerne den „Lapis niger“ gesehen, einen
schwarzen Stein, der angeblich das Grab des Stadtgründers Romulus
anzeigen soll.
Wir sind auch ahnungslos an den Überresten der Rostra
vorbeigelaufen, der Rednertribüne des Forum Romanums.
Ihren Namen Rostra hat die Rednertribüne von den Schiffsschnäbeln
(Rostra) erhalten, die von besiegten feindlichen Schiffen entfernt
und hier zum Zeichen des Triumphes an der Rednertribüne angebracht
waren.
Neben der Rednertribüne stand einst der goldene Meilenstein
(Miliarum Aureum), den Kaiser Augustus auf dem Höhepunkt der
römischen Macht im Jahr 20 v. Chr. aufstellen ließ und an dem die
Via Sacra und alle römischen Konsularstraßen begannen und
endeten.
Auf ihm waren in goldenen Ziffern die Entfernungen von Rom zu den
verschiedenen Provinzstädten des Römischen Reiches angegeben.
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Basilika Julia: Südöstlich des Saturntempels zeigen Fundamente
und Säulenstümpfen an, daß sich hier eine große Basilika ausdehnte:
die 101 Meter lange und 49 Meter breite Gerichtshalle , die Julius
Cäsar (genau, der Cäsar!) von 54 bis 44 vor Christus hier errichten
ließ.
Unverkennbar ist in der Mitte des Forum Romanums der
Vesta-Tempel, wenn auch von ihm nur einzelne Säulen erhalten
sind.
Vesta war die Göttin des Herdfeuers. Das Bewahren des Feuers war ja
schon in vorgeschichtlicher Zeit eine besonders wichtige Aufgabe im
Überlebenskampf, und bis in die heutige Zeit schätzen wir
bekanntlich das behagliche Knistern des Kaminfeuers.
Die Priesterinnen der Vesta, die Vestalinnen, lebten meist vom 10.
- 40. Lebensjahr im Tempel, bewahrten das Feuer und vor allem ihre
Keuschheit. Wurden sie bei einem Übertreten des Keuschheitsgebotes
erwischt, wurden sie lebendig eingemauert, reichlich unangenehme
Folge eines kurzen Vergnügens. Es ist nicht überliefert, wieviele
Vestalinnen ein solches Schicksal hatten, aber die Gesetze der
islamischen Scharia in Saudi-Arabien oder Iran sind auch nicht
freundlicher...
Aus heutiger Sicht erscheint der Dienst im Vesta-Tempel daher nicht
allzu attraktiv, selbst wenn die Damen ein paar Privilegien
besaßen: das Image als immateriellen Wert, die materielle
Versorgung und das Vorrecht, im Kolosseum auf bevorzugten Plätzen
zu sitzen und auf einem besonderen Wagen in der Stadt herumfahren
zu dürfen (Dienstwagenprivileg...)
Wenn sie mit 40 Jahren den Dienst quittierten, durften sie sich den
Freuden des Leibes hingeben, spät, um Nachwuchs in die Welt zu
setzen, aber nicht zu spät, um noch etwas Spaß zu haben...
Wenn man die Phantasie etwas bemüht (beflügelt durch
Asterixlektüre und Lateinunterricht), erheben sich für einen Moment
wieder die prächtigen Säulentempel aus dem Boden, weißbärtige
Redner deklamieren, würdige Senatoren schreiten erhobenen Hauptes
heran, Sklaven hasten mit Wassereimern vorbei, Phönizier breiten
ihre Handelswaren aus, schmutzige Straßenkinder huschen um die
Ecke, Bettler pflegen ihre Geschwüre, getretene Hunde jaulen, der
Wagen der Vestalinnen bahnt sich seinen Weg durch die
Menschenmenge, ein Trupp Legionäre verdrängt die Marktfrauen, ohne
sie eines Blickes zu würdigen und eine Truppe gefesselter Barbaren
(unser Ururururururururur----großvater ?) ist auf dem Weg zum
Sklavenmarkt, der Preis ist gefallen, eine schöne Gelegenheit zum
Spekulieren!
Wir verlassen das Forum Romanum durch den Titusbogen.
Der Titusbogen ist etwa niedriger und kleiner als der Bogen des
Septimius Severus, aber noch besser erhalten.
Er befindet sich ganz im Osten des Forums schon in Richtung des
Kolosseums.
Er ist der älteste der römischen Triumphbögen, nach dem Tod des
Kaisers Titus von seinem Nachfolger Domitian im Jahre 81 errichtet.
Er stellt eine Erinnerung an den
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Feldzug gegen das jüdische Volk dar.
Der Feldherr Titus, Sohn des Soldatenkaisers Vespasian, hatte im
Jahre 70 n. Chr.
wie von Jesus prophezeit, den Tempel in Jerusalem schleifen lassen
und die letzten Widerständler in der Festung Massada am toten Meer
belagert.
Die jüdischen Verteidiger von Massada begingen damals einen
Massenselbstmord, woraufhin die israelischen Soldaten bei ihrer
Vereidigung dieses Ereignisses jetzt jedesmal mit dem Schwur „Nie
wieder Massada!“ gedenken.
Titus vertrieb die Juden in aller Herren Länder, der Beginn des
langen Exils bis zur Rückkehr nach Palästina im 20.
Jahrhundert.
Der Gedanke an die damalige Niederlage ist es, der orthodoxe Juden
bis zum heutigen Tag davon abhält, den Titusbogen zu
durchschreiten.
Wir sehen jetzt schon den riesigen Koloß des Kolosseums, nomen
est omen!
Wegen seiner kolossalen Größe erhielt das Kolosseum im Mittelalter
seinen jetzigen Namen, den auch eine gute Jazz-Rock-Gruppe in den
70er Jahren wählte.
Ursprünglich war das Kolosseum als „das Flavische Theater“
bekannt.
Im Jahre 72 n. Chr. ließ der Kaiser Vespasian aus dem Geschlecht
der Flavier das Monumentaltheater errichten; sein Sohn Titus
erhöhte die Ränge der Arena um das vierte Geschoß und feierte im
Jahre 80 triumphal Eröffnung.
Die Festspiele dauerten damals 100 Tage!
Die Flavier wollten die Erinnerung an den verhaßten Kaiser Nero,
ihren Vorgänger durch den Bau dieses Prachtgebäudes tilgen und
entfernten hierzu die Bauwerke Neros, unter anderem eine 20 Meter
hohe Kolossalstatue des Kaisers.
Die charakteristische Form des Kolosseums ist das Wahrzeichen Roms
und Vorbild für moderne Arenen auf der ganzen Welt.
Verkaufstische offerieren das Kolosseum in allen Materialien,
Größen und Farben.
Auch hier spazieren „antike Römer“ in „Gold“ und Rot,
Pferdekutschfahrten sind möglich, und Touristen ergehen sich in
Bewunderung der Bausubstanz.
Von Nahem wirkt der Bau noch gewaltiger.
Das Gebäude, in dessen 78 Meter langer und 46 Meter breiter Arena
Gladiatoren, Festspiele, Zirkusdarbietungen und sportliche
Veranstaltungen stattfinden konnten, war 186 Meter lang, 156 Meter
breit und 57 Meter hoch. Es war also nicht rund, sondern oval.
Die Zuschauerränge wurden so klug angelegt, daß 50.000 Menschen in
wenigen Minuten zu ihren Plätzen gelangen oder das Theater
verlassen konnten.
Die mit Bögen versehenen Gewölbe im Erdgeschoß bildeten 80 Eingänge
für die Menschenmassen; alle waren numeriert, damit man die Sitze
besser finden konnte.
Das Amphitheater bot allen Gesellschaftsschichten Platz: im ersten
Stock dem kaiserlichen Hof und den Staatsbeamten, Priestern und
Priesterinnen (vgl. die Ausführungen über die Vestalinnen!).
Im zweiten Stock zeigten sich die vornehmen Familien, im dritten
und vierten das gemeine Volk, zu dem sicherlich unsere heutigen
Arbeitnehmer gehört hätten.
- 39 -
Außen treten aus den Ziegel- und Travertinmauern Halbsäulen
hervor, die im ersten Geschoß der dorischen, im zweiten der
ionischen und im dritten der korinthischen Form nachgebildet
sind.
Statuen schmückten die Rundbögen, die das Gewicht der Sitzreihen
trugen.
Von der Mauer des obersten Stockwerkes konnte von 240 Masten aus
ein Zelt gespannt werden. Die Plane wurde zum Schutz vor der
prallen Sonne aufgespannt.
Bei nächtlichen Veranstaltungen wurde ein massiver Eisenleuchter
über der Arena aufgehängt.
Das Kolosseum konnte sogar zum Nachspielen von Seeschlachten unter
Wasser gesetzt werden!
Unter der Arena lagen die Ankleidekabinen und Trainingsräume für
die Gladiatoren, Käfige für die wilden Tiere und Magazinsäle.
Diese Mauern sind gut sichtbar, weil der Fußboden der Arena
eingestürzt ist.
Versteckte Aufzüge und Falltüren ließen Tiere wie Menschen
plötzlich der Erde entsteigen.
Die Römer waren nicht so kopfbetonte Philosophen wie die Griechen,
dafür aber gute Techniker!
Mit dem Kolosseum wollten die Kaiser den Wunsch der Römer nach
Unterhaltung (Circenses) erfüllen: „Panem et Circenses“ „Brot und
Spiele - (für die Massen)“ hat sich als geflügeltes Wort bis heute
erhalten. So sehr haben sich die Menschen in ihrer Sensationslust
nicht verändert: bis in die Gegenwart ist eine sehenswerte Show
gefragt, auch wenn es dabei Grausamkeiten und Blutvergießen gibt,
im Gegenteil, das heizt den Mob noch an!
Die Gladiatoren wurden in der Regel erst kurz vor Kampfesbeginn
zum Kolosseum gebracht, um Ausbruchsversuche zu vermeiden.
Der Unterlegene fand meist den Tod - Daumen nach unten! - wurde
aber nach tapferem Kampf oder bei besonderer Großzügigkeit
verschont - Daumen nach oben.
So war es bittere Wahrheit, der Gruß der Gladiatoren: „Ave Cäsar,
morituri te salutant: Heil Cäsar, die Todgeweihten grüßen
dich.“
Standardkampf war der Auftritt eines Kämpfers mit Schild und
Kurzschwert gegen einen Ungepanzerten mit Netz (zum Einfangen) und
Dreizack (zum Abstechen).
Bei den großen Kämpfen standen sich Hunderte von Gegnern
gegenüber.
Es wurden Unmengen von Sklaven und gefangenen Tieren
umgebracht.
Bei den Seeschlachten (Naumachien) kämpften Schiffsbesatzungen
gegeneinander!
Fraglich ist allerdings, ob im Kolosseum tatsächlich Christen in
größerer Zahl umgebracht wurden (im Stadion des Domitian
sicherlich).
Jedenfalls soll ein Bronzekreuz in der Arena an das Schicksal der
christlichen Märtyrer erinnern.
Während Corina und Peter die Arena umrunden, döse ich im ersten
Stock auf einem harten Sitzplatz vor mich hin und versuche, mir das
Schlachtgetümmel der damaligen
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zeit in der Phantasie lebendig werden zu lassen:
muskelbepackte Körper, Schweiß, Verzweiflung, Todesmut,
blutgetränkter Sand, Flüche in unbekannten Idiomen, hungrige
Leoparden, Ausfallschritte, Fanfarengeschmetter, blasierte Damen
auf der Tribüne, ein gelangweilter Kaiser, Bestien im Blutrausch,
das Klirren von Metall auf Metall, unterdrückte Schreie, das Fallen
von Körpern, Todesröcheln, Süßigkeitenverkäufer, banale Gespräche
über Grundstückspreise und Olivenöllieferungen , weit unten
Sterbende, Nashörner, blutende Elefanten mit zitternden Flanken,
Sägemehl, Daumen, Lorbeeren, die sinkende Sonne am Nachmittag, der
Abzug der Süßigkeitenverkäufer, Mondschein, unruhiger Schlaf,
Katzen, Ratten, der Lauf der Jahrhunderte.........der Lauf der
Jahrhunderte....................
Autoabgase, Busladungen von Touristen, verkleidete Gladiatoren,
Andenkenverkäufer, Ruinen, banale Gespräche, Postkarten, Weitwinkel
und Zoom, die sinkende Sonne am Nachmittag., der Abzug der
Verkäufer, Mondschein, huschende Tiere.....
Wo sind Peter und Corina? Haben wir uns verfehlt?
Wir gehen wieder ins Erdgeschoß.
Vor dem Kolosseumseingang sind wir wieder vereint.
Es ist noch nicht allzu spät, erst gegen 15.00 Uhr, und wir
kommen auf die Idee, die Katakomben vor den Toren der Stadt zu
besichtigen, paßt auch irgendwie thematisch zum Kolosseum.
Vielleicht können wir einen Bus nehmen, wir haben ja unsere
praktische Tageskarte für alle öffentlichen Verkehrsmittel.
An der Haltestelle beim „Circus Maximus“ gibt es vielleicht einen
Bus, der uns mitnimmt.
Auf unserem Weg kommen wir zunächst beim Konstantinsbogen
vorbei.
Dieser Bogen ist der größte und besterhaltenste der römischen
Triumphbögen.
Er ist 21 Meter hoch, 25,70 Meter breit und 7,40 Meter tief,
leuchtend weiß und Kaiser Konstantin gewidmet, dem römische Kaiser,
der sich zum Christentum bekehrte und dessen Weg zur Staatsreligion
ebnete, mit allen segensreichen, aber auch verhängnisvollen
Folgen.
Der Bogen wurde erst im Jahr 312 n. Chr. errichtet.
Die Baumeister waren nicht mehr auf der künstlerischen Höhe der
Antike.
Zur Ausschmückung des dreiteiligen Bogens wurden daher Reliefs
älterer Bauwerke benutzt.
Deshalb zeigen die Darstellungen auch Motive, die mit Konstantin
und seinen kriegerischen Leistungen wenig zu tun haben.
So finden wir eine Eberjagd und eine Opferfeier für den Gott Apoll
von einem Jagdmonument Kaiser Hadrians, Szenen aus der
Herrschaftszeit des Kaisers Trajan und jener des Kaisers Mark
Aurel.
Ebenfalls an Kaiser Konstantin erinnern die Ruinen der Maxentius
- oder Konstantinsbasilika, 306 von Kaiser Maxentius begonnen, bis
312 weitergeführt und 330
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von Kaiser Konstantin vollendet. Damals dachte man halt über
eine Legislaturperiode hinaus!
Rechterhand auf unserem Weg zur Metrostation am „Circus
Maximus“erhebt sich der Palatin mit alten kaiserlichen Gebäuden:
Rom ist immer gegenwärtig mit seiner Geschichtlichkeit, die
Jahrhunderte senden uns ihre Signale aus den Tiefen der
Vergangenheit, während neben uns der kurzlebige Autoverkehr aus der
Jetztzeit vor allzu tiefem Abgleiten in Traumwelten bewahrt.
Rechts, diese Wiese mit sandiger ovaler Bahn, das muß der alte
römische Circus sein:
hier, wo schicke Joggerinnen in kurzen Hosen und T-Shirts ihre
Runden ablaufen, junge Leute in Grüppchen auf dem Rasen sitzen,
ältere Herrschaften ihren Köter spazieren führen, dort, ja dort
rasen die römischen Streitwagen Runde um Runde, Lenker vom Schlage
eines Ben Hur dreschen auf heißblütige Rennpferde ein, Sand
spritzt, Achsen knirschen, der Pöbel kreischt, Bauchläden bieten
Pistazienkerne und kleine Fladen an, Wasserverkäufer reichen
Erfrischungen, in den oberen Rängen werden wichtige Termine
vereinbart, und dort hinten muß einer der ägyptischen Obelisken
gestanden haben, die als Wendemarken dienten.
Danach Triumph: the winner takes it all! Lorbeerkränze,
fachmännische Kommentare, das Bad in der Menge, Jubel über
gewonnene Wetten, Ärger, daß der lahme Gaul, auf den du gesetzt
hast, nicht gewonnen hat.. - Schnitt -
Gegenwart. Ein friedlicher Nachmittag; die Umrisse der Rennbahn
sind noch klar erkennbar, aber es ist nur noch eine gemütliche
grüne Weise im Zentrum Raum, ein Stückchen grüne Lunge in der
heißen, stickigen Stadt.
Es gelingt uns nicht, einen Bus zu finden. Obwohl sie nicht
klagen, machen Irma und Christian nicht den Eindruck, als ob sie
noch sehr unternehmungslustig seien.
Ich schlage ihnen daher vor, sie könnten doch schon Richtung Hotel
gehen, um sich auszuruhen.
Das trifft ganz ihre Vorstellungen. Sie verabschieden sich mit
einem Blick der Erleichterung.
Wir drei Verbleibende mit guter Wanderkondition laufen jetzt an
den Caracalla -Thermen vorbei
Das war so eine Art antikes Freizeitzentrum, vom bereits erwähnten
Brudermörder Caracalla errichtet.
Die Römer hatten dort Schwimmbäder mit heißem und kaltem Wasser,
Gymnastikräume mit Fußbodenheizung, Gärten, Bibliotheken und
aufwendige Konferenzräume. Wunderschöne bunte Wandmosaiken,
kostbarer vielfarbiger Marmor und anmutige Fresken schmückten
Fußböden und Wände auf einer Grundfläche von 330 Metern im
Quadrat.
- 42 -
Aber wir haben keine Zeit, die Überreste der Bäder zu
besichtigen. Denn wir wollen ja zu den Katakomben, die an der „Via
Appia Antica“ liegen.
Bald haben wir die Appia Antica erreicht.
Das ist die alte Römerstraße, auf der jetzt Vespas, Busse, Taxen
und Limousinen an uns vorbeidonnern.
Die Via Appia begann in altrömischer Zeit wie alle wichtigen
Fernstraßen auf dem Forum Romanum.
Sie war dadurch noch besonders hervorgehoben, daß sie in einem Teil
die Via Triumphalis, den Weg der siegreichen Feldherrn, abgab.
Die Via Appia Antica wurde von dem Zensor Appius Claudius Caecus
vor 312 vor Christus als Verbindung nach Süden bis zur Stadt Capua
angelegt und um 190 vor Christus bis nach Brindisi verlängert.
So entstand ein Schnellweg in den wirtschaftlich wichtigen Südosten
Italiens und vom Hafen Brindisi aus -gegenüber vom heutigen
Albanien gelegen - über das Mittelmeer in den östlichen Raum des
wachsenden römischen Reiches.
Nahe der Via Appia verliefen vor der Stadt Rom kilometerlang
Aquädukte einer Wasserleitung, deren Ruinen noch zu sehen sind.
Links und rechts der Via Appia errichteten sich die vornehmen
römischen Familien Gräber.
Damit befolgten sie das Zwölftafelgesetz aus dem Jahr 450 v. Chr.,
daß besagte, daß die Toten nicht innerhalb der Stadtmauern
bestattet werden durften.
Die Grabmäler waren entsprechend dem Ruhm und Reichtum der Familien
prunkvoller oder bescheidener, größer oder kleiner, je nachdem, wie
man die hinausziehenden oder hereinkommenden Händler und Soldaten,
Fremden und Römer beeindrucken wollte.
Die Gräber, Grabhäuser und Gedenksteine charakterisieren heute die
Via Appia.
Davon ist am Anfang unseres Weges noch nicht viel zu bemerken, da
der Autoverkehr sehr stark ist. Immerhin gefallen uns die grün
überwucherten Gärten mit den alten Villen, die in den Gärten
liegen.
Die eigentliche Via Appia Antica beginnt erst bei dem Tor „Porta
San Sebastiano“.
Der von mächtigen, zinnengekrönten Türmen flankierte Torbogen wurde
gegen
400 n. Chr. als Teil der Aurelianischen Stadtmauer errichtet, um
die Barbaren auf Distanz zu halten.
Innerhalb der Porta San Sebastiano steht der Drususbogen, kein
Triumphbogen, wie man meinen könnte, sondern Teil einer im 3.
Jahrhundert angelegten Wasserleitung zu den Caracalla -
Thermen.
Auf schmalem Bürgersteig wandeln wir jetzt auf den Spuren des
Apostel Petrus.
Der bekannteste Jünger Jesu soll hier auf der Via Appia nach seiner
von Freunden initiierten Befreiung aus dem römischen Gefängnis aus
Angst vor dem Märtyrertum auf der Flucht gewesen sein.
Da erschien ihm einer Legende zufolge der wiederauferstandene
Christus. Auf die Frage des Apostels hin „Domine quo vadis ? -
Herr, wohin gehst du?“ soll Christus geantwortet haben: „Ich gehe
nach Rom, um mich ein zweitesmal kreuzigen zu lassen.“
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Dies beschämte Petrus, und er ging zurück in die Stadt, wo er
den Märtyrertod fand.
Er wurde der Überlieferung nach mit dem Kopf nach unten gekreuzigt.
An seiner Grabstätte erbt sich heute - der Petersdom!
Die Legende inspirierte den polnischen Autor Henry Sienkiewicz zu
seinem Roman „Quo vadis?“, der sowohl als Buch wie auch als Film
ein Riesenerfolg wurde.
An der Stelle, an der Petrus seine Erscheinung gehabt haben soll,
errichteten die Christen im 9. Jahrhundert ein Kirchlein.
Rechts von der Kirche zweigt die Via Ardetiana ab, sie führt nach
etwa 1 km zum Erinnerungs- und Grabmal für die 1944 von den
Deutschen als „Vergeltung“ für Partisanenüberfälle erschossenen 335
italienischen Zivilisten. Der verantwortliche
SS- Offizier war Herbert Kappler. Ihm glückte 1977 wahrscheinlich
mit Hilfe des italienischen Geheimdienstes die Flucht aus dem
Gefängnis; er starb kurze Zeit später in Deutschland.
Auch die Römer jüdischen Glaubens wurden 1944 von den Nazis in die
Vernichtungslager deportiert, nachdem sie vorher von den Nazis noch
belogen und betrogen worden waren: für jeden jüdischen Einwohner
hatte der Judenrat einen hohen Betrag in Gold gezahlt, um die
Menschenleben zu retten.
Aber die Deutschen hielten sich nicht an ihr Versprechen und
brachten die Juden trotzdem in die Vernichtungslager, eine
Parallele in der Geschichte hatte es bei Inka Atahuallpa und den
spanischen Conquistadoren gegeben. Diese Episode zeigt, daß das
Nazi-Regime nicht nur grausam, sondern auch verlogen war, so wie
alle vermeintlichen Tugenden sich als Phrasen erwiesen, die sie
insbesondere der Jugend eingetrichtert hatten. ...
Wir möchten wenigstens eine der Katakomben, der unterirdischen
Begräbnisstätten, besichtigen.
Katakomben gibt es nicht nur an der Via Appia, sondern auch in
Kirchen (Laterankirche) und anderen Plätzen Roms.
Aber hier an der Via Appia gibt es die meisten und berühmtesten
Katakomben, so zum Beispiel die Calixtus-Katakombe und die
Domitilla-Katakombe, die die größte unterirdische Grabanlage Roms
ist.
Beide Katakomben werden wir uns aus Zeitgründen nicht ansehen
können, wir entscheiden uns für die nähergelegene Calixtus -
Katakombe.
Nachdem wir uns an einer kleinen Bar mit Thunfischsandwiches und
Softdrinks gestärkt haben, legen wir den letzten Weg zurück.
Es ist eine liebliche grüne Hügellandschaft, die keine Katakomben
erahnen läßt.
Corina erinnert sie an ihre Heimat im Vogelsberg, während mich die
Umgebung an meine Heimatstadt Bad Hersfeld erinnert, mit Ausnahme
der Pinien und Zypressen,
die der Landschaft das Mittelmeerflair verleihen.
Endlich sind wir - nach etwa 6 Kilometern Fußweg vom Circus Maximus
an gerechnet -an der Calixtus-Katakombe (Catacombe di San
Callisto).
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Busse speien Besuchermassen aus, anscheinend sind alle
Schulklassen Roms auf
Wandertag zu den Katakomben. Ob wir da jemals hereinkommen
können?
Wir kaufen Eintrittskarten und reihen uns dann in die Schlange der
englischsprachigen Besucher ein. Die Katakombe darf nämlich nur mit
Führung betreten werden und da die Engländer vor den Deutschen dran
sind, nutzen wir die Gunst der Stunde.
Endlich erscheint die Führerin und wir quetschen uns durch den
Eingang und steigen hinab in die kühle Tiefe der Grabkammern.
Während das Tageslicht langsam verblaßt und wir durch die Gänge
stolpern, erklingt auf einmal sphärischer Gesang und zwar in
deutsch. Sind dies Engel oder läuft ein Tonband?
Weder noch, es handelt sich um eine christliche Jugendgruppe, die
an historischem Ort Lieder singt, wie sie vielleicht in ähnlicher
Weise von den frühen Christen vor knapp 2000 Jahren hier gesungen
wurden.
Es klingt jedenfalls sehr klar und stimmungsvoll, und eine kleine
Gänsehaut stellt sich ein.
Es geht nun durch endlose gewundene Gänge.
Es war durchaus nicht so, daß die Katakomben in erster Linie
Zufluchtsort verfolgter Christen waren. Sie waren hauptsächlich
Begräbnisstätte.
Die Calixtus - Katakombe geht dem Namen nach auf Papst Calixtus I.
zurück.
Er ließ die Katakomben im Jahr 217 erweitern; das verzweigte
unterirdische System von Gängen und Kammern wurde im 3. und 4.
Jahrhundert auf eine Fläche von insgesamt 10 km ausgedehnt und
birgt vier Stockwerke tief etwa 17.000 (!) Grabstellen.
Uns fällt auf, daß die Mulden und Vertiefungen oft sehr klein sind
, dies erklärt die Führerin damit, daß sehr viele kleine Kinder und
Säuglinge bestattet wurden; die Säuglingssterblichkeit war damals
sehr hoch.
Knochen und Schädel liegen hier natürlich nicht mehr herum. Das
wäre zwar gruselig, widerspräche aber dem Gedanken der Pietät,
wiewohl es mir eigentlich egal wäre, wenn meine Überreste nach
zweitausend Jahren von Touristen bestaunt würden....so weit, so
makaber...
Die Katakomben bestehen aus weichem dunklem Tuffstein und sind
tatsächlich so verwinkelt, daß niemand von uns gerne hier allein
herumlaufen würde, vor allem nicht nachts, zitter....
Bis jetzt sind erst etwa 20 Kilometer der Gänge erforscht!
In der „Krypta der Päpste“, zu der man auf 35 Stufen
heruntersteigt, sind die meisten Märtyrerpäpste des 3. Jahrhunderts
begraben, was aus den griechischen Inschriften ersichtlich ist. Wir
wissen es aber nur, weil es die Führerin gesagt hat.
Links neben der Papstkapelle ist die Kammer der heiligen Cäcilia
mit Wandfresken; Cäcilia ist die Märtyrerin, die allen
Mordversuchen widerstand, bis sie schließlich enthauptet wurde. Ihr
Grab ist heute in der Kirche Santa Cecilia in Trastevere.
Die Katakomben verbreiten eine geheimnisvolle Stimmung.
Ich versuche, sie mir vorzustellen, wie sie früher genutzt wurden,
ohne Besuchermassen: verhüllte Gestalten, Huschen, Heimlichkeit,
Füßetrappeln, vielleicht auch das Klirren römischer Schwerter,
Fackeln, Lichter, kleine Bündel aus Tüchern, lateinische Gebete,
Kienspäne, Grabtäfelchen, Segenssprüche, Klagelieder oder
vielleicht freudige Gesänge
- 45 -
wegen der Jenseitshoffnung, letzte Erinnerungen, die für immer
mitbegraben wurden, Warten auf die Auferstehung des Fleisches,
Warten auf die Wiederkunft des Erlösers.. Warten durch die
Jahrhunderte ....... Jahrhunderte.......Jahrhunderte....
Wir sind trotz oder gerade wegen des tiefen Eindruckes, den die
Katakomben auf uns hinterlassen, froh, als wir wieder das Licht der
Nachmittagssonne sehen.
Wir streben zum Bus und sind wieder in der Masse
untergetaucht.
Mit dem bald eintreffenden Bus der Linie 218 fahren wir zur U- Bahn
- Haltestelle bei der Kirche San Giovanni in Laterano
(Laterankirche).
Dann zwängen wir uns in die U - Bahn, was diesmal viel
Durchsetzungsvermögen verlangt.
Endlich sind wir wieder im Hotel.
Irma und Christian haben die Zeit auf die ihnen genehme Weise
genutzt.
Sie sind zuerst zum Fastfood gegangen (Christian hat dort sein
Stammessen) und danach ins Hotel.
Christian hat dann im Hotelzimmer gefaulenzt und sich am
Nachmittagsprogramm von SAT 1 delektiert, während Irma sich der
Mode widmete und sich ein schönes hellblaues Kostüm gekauft hat,
was auch Corina gut gefällt.
Abends gehen wir wieder aus.
Wir wollen irgendwo im Gewirr der Altstadtgassen in der Nähe der
Piazza Navona essen gehen.
Wir suchen eine Weile.
Dann setzen wir uns in ein Straßencafe, in dem es so ausgefallene
Sachen wie Wildschweinpastete oder Trüffeln gibt.
Leider finden wir keine normalen Menüs auf der Speisekarte, während
wir schon Platz genommen haben und der Kellner die Garnituren
auflegt.
Es dämmert uns, daß wir hier als Touris abgezockt werden. Flucht,
nichts wie weg!
Ehe der verdutzte Kellner etwas mitkriegt, haben wir schon das
Hasenpanier ergriffen und uns davon gemacht, hatten ja noch nichts
bestellt.
Wir stöbern durch die romantischen Gassen mit alten Häusern, Wein
und Efeu, und langsam wächst der Hunger.
Da stoßen wir auf eine unscheinbare Trattoria: „Ozwaldo“ in der
Nähe der Piazza Navona.
Eine dicke Wirtin, die klassische italienische „Mamma“ mustert uns,
und wir scheinen ihren Anforderungen zu genügen.
Schnell wird die weiße Tischdecke ausgebreitet, und wir schmökern
wieder in der Speisekarte:
Ich habe es aufgegeben, mich auf Italienisch verständigen zu
wollen, es geht mir alles zu schnell.
Mein passives Wissen aus vierjähriger Lektüre des
„Berlitz-Taschenkalenders „Italienisch“ reicht aber immerhin aus,
um geschriebene Texte wie diese Speisekarte zu
- 46 -
verstehen, ähh, eigentlich doch nicht ganz, so genau verstehe
ich genau dieses Wort
nicht......, und auf Verdacht bestellen? Es könnten Eingeweide
sein, Kutteln, Pansen, Nieren, Milz, Bauchspeicheldrüse... die
römische Küche ist berüchtigt für ihr großzügige Verwendung von
Innereien!
Immerhin, wir schaffen es doch, die Köstlichkeiten aus der
Bauchhöhle verstorbener Tiere zu umgehen.
Wir bestellen wieder Menüs, angefangen mit „Penne arrabiata“,
meinem Lieblingsnudelgericht mit der scharfen Peperonisauce, danach
gibt es ein Beefsteak mit Käse, und die anderen laben sich u.a. an
einem Paillardensteak, was weder mit Leopard noch mit Ente (wie ich
vermutet hatte) etwas zu tun hat.
Paillarden, das sind Käsestreifen. Etwas Wein ist meist in den
Fleischsaucen, was Irma nicht so mag, aber nach kurzer
Gewöhnungszeit den mitteleuropäischen Gaumen erfreut.
Anschließend reicht man Salat und Käse, und wieder rinnen Rotwein
und Grappa
(in Maßen, nicht in Massen) unsere erwartungsfrohen Kehlen hinab.
Hier läßt sich’s wohl sein! Goethes Faust kommt mir in den Sinn „Oh
Augenblick, so mögest du verweilen...“
Während des Tafelns füllt sich das Lokal, ein schwarzgewandeter
Priester mit Schulklasse fällt auf. Es ist eben alles so richtig
italienisch hier, fehlt nur noch der Kaffee-Italiener : „Isch `abä
doch keine Auto, Signora“.
Wir „`aben jetzt langsam färtisch“ und zahlen der Mamma noch ein
gutes Trinkgeld.
Wie kommen wir nach Hause?
Am besten fahren wir mit der U-Bahn von der Haltestelle beim
Vatikan aus.
Es ist schon fast Mitternacht, und es ist nicht mehr viel los auf
den Straßen und Plätzen.
Eigentlich sind wir alle verdammt müde.
Irgendwie kommen wir nach einem Blick auf die Karte zum Schluß, daß
die U-Bahn - Station Lepanto etwas günstiger liegt. Zum
Kartenlesen: das ist stets Männersache, unsere Frauen bekommen
schon aus der Ferne beim Anblick von Straßenkarten stets Migräne,
Ohrensausen, Schwindelgefühl und Übelkeit; oder ist es so, daß wir
Männer uns immer vordrängeln und diese letzte Domäne des
steinzeitlichen maskulinen Fährtensuchers eifersüchtig wie den
Gralsschatz hüten?
Die Antwort überlasse ich lieber dem Leser als der Leserin....
Jedenfalls wird unser auf die Kartenlesekünste der Steinzeitjäger
gestützter Marsch durch das nächtliche Rom wieder zu einer Odyssee
und als wir um 0.30 Uhr endlich an „Lepanto“ angelangt sind, harrt
unser wieder eine böse Überraschung: die U-Bahn-Station ist
vergittert: die letzte Bahn ging schon gegen Mitternacht, und
Landstreicher und unaufmerksame Touris haben nach Mitternacht in
den U-Bahn-Schächten nichts mehr zu suchen!
Anscheinend suchen wir unbewußt die nächtlichen Abenteuer, anders
ist es nicht zu erklären, daß wir uns ausgerechnet spät in der
Nacht immer verlaufen und mit einemmal wieder stocknüchtern
sind!
- 47 -
Jedenfalls schieben wir unsere müden, wie Felsklötze an uns
hängenden Beine Schritt vor Schritt voran, halten ergebnislos nach
Taxen Ausschau und schleppen uns über die Tiberbrücke.
Der grün angestrahlte Justizpalast am Tiber, dessen imperiale
Prächtigkeit wir vorhin bewunderten, scheint uns jetzt seelenlos in
kalter Verachtung anzuglotzen.
Ein Königreich für ein Taxi!
Plötzlich hat Peter eines dieser wundersamen Gefährte erblickt. Wir
rudern mit den Armen, um es heranzuwinken, und der Fahrer hat
tatsächlich ein Erbarmen. „Swing low, sweet chariot, coming to
carry us home..“ das alte Gospellied vom Himmelswagen, der uns zur
Seligkeit fährt, kommt mir in den Sinn.
Die Taxe fährt zügig, normale Menschen scheinen um diese Zeit nicht
mehr unterwegs zu sein, und so zahlen wir gerne die 40.000 Lire
(ca. 40 DM), als uns der Samariter der Straße nach etlichen
Straßenzügen am Hotel Centro aussteigen läßt.
War doch klar, daß wir ohne Probleme wieder zurückgekommen sind,
wir sind doch alte Globetrotter, nicht wahr?!!
- 48 -
Mittwoch, 1. April
Wir verzichten darauf, uns gegenseitig in den April zu schicken,
eine Sitte, die es so ähnlich auch in Italien gibt.
Heute ist noch einmal „Kirchentag“: Höhepunkt wird der
Freiluftgottesdienst mit dem Papst auf dem Petersplatz sein, und
dann wollen wir wenigstens noch die berühmten Basiliken „San
Giovanni in Laterano“ und „Santa Maria Maggiore“ besichtigen.
Wir tunken heute zum letztenmal die Frühstückshörnchen in
römischen Kaffee, denn für morgen haben wir schon für 5.00 Uhr eine
Taxe bestellt.
Da unser Flugzeug laut Plan um 8.05 zurückfliegt und es 30
Kilometer Distanz vom Hotel zum Flughafen „Leonardo da Vinci“ sind,
haben wir morgen keine Zeit zu verlieren und werden nicht mehr im
Hotel frühstücken können.
Heute machen wir uns wieder auf den Weg zur U - Bahn, lösen die
üblichen Tagestickets, steigen bei San Ottaviano aus und pilgern
zügigen Schritts zum Petersdom.
Schön, daß wir den Mittwoch im Reiseverlauf eingeplant haben,
denn nur an diesem Tag finden die öffentlichen Gottesdienste mit
dem Papst statt: entweder in der großen Audienzhalle oder - bei
schönem Wetter - auf dem Petersplatz.
Der Gottesdienst heute ist eigentlich so etwas wie eine
Generalprobe für den österlichen Segen: knapp vierzehn Tage später
wird Johannes Paul II. Auf der Brüstung der Peterskirche stehen und
„Urbi et Orbi“ - „dem Erdkreis und der Stadt“ seinen Segen
erteilen.
Dann ist der Petersplatz wahrscheinlich schwarz von ameisengleichen
Menschen!
Auch jetzt sind schon zahlreiche Pilger und Schaulustige
eingetroffen.
Japanische Fototouristen trippeln im Gänsemarsch über den Platz,
heftiges Sperrfeuer aus den Fotoapparaten abgebend.
Dort marschiert eine fröhliche singende Gruppe Fähnchen
schwingender Gläubiger: den slawischen Lauten nach handelt es sich
um polnische Mitbrüder und Mitschwestern: bei ihnen hat Karol
Woytila immer ein Heimspiel, der erste nichtitalienische Papst seit
ein paar Jahrhunderten und ohnehin der erste Pole auf dem Heiligen
Stuhl. Auch die Berufung eines Papstes aus einem Land des Ostblocks
- 1978 - hat sicher zur Erosion des Sowjetreiches beigetragen, denn
die Autorität der Kirche ist gerade im tiefgläubigen Polen nicht zu
unterschätzen: Polen, Irland und die Philippinen dürften die
katholischsten Länder des Erdkreises sein!
So leicht ist es aber nicht, nach vorne zu den Stuhlreihen zu
gelangen, wir müssen uns in
eine Schlange einreihen und hoffen, daß unsere orangefarben
leuchtenden Tickets Zauberkraft besitzen und uns den Weg
öffnen.
- 49 -
Immerhin ist nicht zu vergessen, daß der Papst 1981 Opfer eines
Attentates wurde.
Er hat seinem bulgarischen Attentäter Ali Agca verziehen. Was aus
Agca wurde?
Seine Spuren verlieren sich, eine der Personen aus der Menge, die
fast die Geschichte umgeschrieben hätten: ein österreichischer
Anstreicher und ein georgischer Schuhmacher waren da auf makabere
Art und Weise „erfolgreicher“.
Nachdem unsere Rucksäcke ohne Beanstandung gefilzt wurden und
unsere Damen anscheinend auch züchtig genug gekleidet sind, strömen
wir mit den anderen Besuchern zu den Stuhlreihen und finden
tatsächlich noch Platz in einer der hinteren Reihen.
Die Kunststoffstühle sind schmucklos und hart, aber das trübt
unsere Spannung nicht.
Durch die Zoomfunktion der Kamera kann ich das Podest vor dem
Eingang der Peterskirche näher heranholen.
Etliche Würdenträger haben schon auf dem Podest Platz genommen.
Die schwarzgekleideten würdigen Herren mit den pinkfarbenen
Käppchen (sehr avantgardistisch!) sind Kardinäle, außerdem gibt es
noch Geistliche mit weißen Käppis, in schwarzen und braunen Kutten
und etliche Prominenz, die direkt auf dem Podium sitzen darf,
wahrscheinlich eine Mischung aus einflußreichen Leuten aus Kirche,
Wirtschaft und Politik, vielleicht angereichert mit ein paar
„Helden des Alltags“.
Rund um uns ist ein Schwärmen wie in einem Bienenschwarm kurz vor
dem Abflug: erwartungsfrohes Gemurmel, aufgeregte Stimmen, Lachen,
Gesang und Trompetenklänge.
Anscheinend sind verschiedenste Reisegruppen aus aller Herren
Länder organisiert angereist, an ihren Fähnchen, Wimpeln und
manchmal auch Uniformen erkennbar,
vor allem junge Leute sind anwesend: es könnte auch ein
Pfadfindertreffen, eine fröhliche FDJ - Veranstaltung , ein
Rockkonzert oder ein Football-Spiel von Frankfurt Galaxy sein.
Dazu passen auch die Tröten und die kurzen Musikeinlagen, die die
überall auf dem Platz an unterschiedlichen Stellen versammelten
mitgereisten Kapellen intonieren: hier ein Intro von flotter
Blasmusik, dort pathetische Posaunen, dann ein kurzer (polnischer?)
Gesang, Anfeuerungsrufe: es geht nicht weihevoll, sondern fröhlich
zu, fast kommt Volksfeststimmung auf.
Aber ist dies so verwunderlich? Es sind junge Leute in einer
Großveranstaltung zusammen, es ist sonniges Frühlingswetter, wir
sind alle herausgehoben aus dem Alltag und harren der Show, die
folgen wird.
In unserer unmittelbaren Umgebung hinter uns sind italienische
Familien. Die kleinen Mädchen sind in weißen Rüschenkleidern
herausgeputzt wie zu einer Hochzeit. Vielleicht ist es eine
altehrbare Mafiafamilie oder Industrielle oder Normalos, die sich
nur für den wichtigen Tag besonders fein gemacht haben?!
Die Spannung wächst. Die einzigen, die vollkommen ruhig bleiben,
sind die steinernen Statuen auf den Kolonnaden des Petersplatzes:
sie haben schon so viele Päpste kommen und gehen sehen, so viele
würdevolle, sanfte, fanatische, eindringliche, langweilige ,
inbrünstige Predigten und Gebete gehört, es kann sie nichts mehr
überraschen, auch der
- 50 -
steinerne Petrus bewahrt Contenance: niemand wird ihm die
Schlüssel nehmen dürfen, die ihm der Herr alleine verliehen
hat:
„Du bist der Fels, auf den ich meine Kirche baue“, fast zweitausend
Jahre sind seitdem vorbei: nur ein Wimpernschlag bei 4,6 Milliarden
Jahren Erdgeschichte und 3.000 Jahren ägyptische Hochkultur bis zur
Geburt Christi, aber dennoch eine lange Zeit für die Kirche: so
viele Generationen von Gläubigen kamen und gingen, das Wort Gottes
wurde gepredigt, verunstaltet, ausgelegt, bis zur Unkenntlichkeit
verzerrt, dann wieder in neuem Licht erkannt, und bis zum heutigen
Tage ringen die Gläubigen um die „Wahrheit“, nur allzuoft vergessen
sie dabei, daß Jesus vor allem auch gesagt hat:
„An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“.
Was für eine geistige Kraft wäre die christliche Kirche, wenn sie
sich nicht immer wieder mit den Mächtigen verbrüdert, sondern dem
Leben Jesu nachgeeifert hätte: Franziskus von Assisi ging den
mühsamen Weg, ebenso Bartholome de las Casas, der sich dem
Völkermord an den Indianern entgegenstellte, dazu etliche Märtyrer
und Märtyrerinnen im „Dritten Reich“, leider immer viel zu wenig,
die nicht auf dem breiten Weg wandelten...
Und jetzt warten wir alle auf den aktuellen Nachfolger Petri: wo
wird Er erscheinen, aus welchem Seitengang wird Er auftauchen?
Es brandet Jubel aus der polnischen Ecke auf, aber nein, nur ein
Fehlalarm, Er war es noch nicht.
Aber dann verdichtet sich neuer Jubel zur Woge der Begeisterung: Er
muß jetzt unter uns sein! Alle erheben sich von den Sitzen und
versperren sich gegenseitig die Sicht.
Tatsächlich, da schwebt ein weißer Kopf über der Menschenmenge! Er
schwebt tatsächlich, den Johannes Paul II. steht auf einem weißen
Geländewagen und da der Wagen nur zu erkennen ist, wenn man sich
auf die Zehenspitzen stellt, scheint nur der helle Kopf mit dem
weißen Käppi zu schweben, in eleganten Kurvenbewegungen, je
nachdem, wie sich das weiße Mobil seinen Weg durch die jubelnde
Menge bahnt.
Kurze Zeit später ist der Winkel günstiger, und wir können schon
mehr vom Heiligen Vater und seinem schneeweißen Gefährt erkennen:
es ist nicht das klobige Pappamobil, das Er auf Seinen Reisen ins
Ausland verwendet, sondern ein schnittiger Jeep.
Er hält sich fest, wird von einem Geistlichen gestützt, während er
mit der rechten Hand winkt und die Gläubigen segnet.
Die Menschen sind begeistert. Mir fällt auf, daß sie versuchen, ihn
zu berühren, diese Symbolik der Heilung durch Nähe ist ja auch
immer wieder bei Jesus in den Evangelien erkennbar.
Zu uns, die wir etwas ungünstig in der Mitte des Platzes sitzen,
findet das Papstmobil nicht seinen Weg, sondern der Wagen umfährt
den Platz bei den Säulenkolonnaden und erklimmt dann eine Rampe,
hält auf dem Podium, und der Papst wird zu seinem Thron auf dem
Podium geleitet.
Aber noch bleibt der Papst passiv, er wird erst später zu der Menge
sprechen.
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Ein Geistlicher begrüßt die anwesenden Würdenträger.
Auch der umstrittene Fuldaer Bischof Johannes Dyba, ein Hardliner
des rechten Flügels der Kirche, ist anscheinend anwesend, ebenso
ein paar Bundestagsabgeordnete, über deren dienstlichen Reiseanlaß
sich rätseln läßt.
Dann werden die einzelnen Gruppen aus den verschiedenen Nationen
begrüßt. Es ist, als ob der halbe Erdball versammelt ist, sogar
Gruppen aus dem protestantisch - säkularen Dänemark sind gekommen,
ebenso Briten und viele US-Amerikaner.
Jede Gruppe erhebt sich fähnchenschwingend, aus irgendeiner Ecke
des riesigen Petersplatzes brandet kurz eine Jubelwoge auf und
verebbt wellenförmig: mir fallen da Nervenzellen des Gehirnes ein,
Neuronen, die kurz blitzen und dann verebben: jedes Neuron hat
seine Identität und ihr Zusammenspiel ergibt ein höher
organisiertes Ganzes, so abwegig ist mein Vergleich nicht, denke
ich.
Der meiste Jubel herrscht bei den Gruppen aus Polen und Italien,
kleine Musikständchen werden angespielt und verlieren sich schon
Sekunden später im Wind, wenn die nächste Gruppe angesagt
ist...
Die Deutschen sind - als Weltmeister auch des frommen Reisens -
überproportional stark vertreten. Von den Regionen her sind
natürlich die bodenständigen katholischen Gemeinden aus dem
Rheinland und Bayern besonders zahlreich, aber immerhin ist auch
eine Abordnung der katholischen „Herz-Jesu-Gemeinde“ aus
Obertshausen anwesend, von der Gemeinde hat unsere Kollegin Inge
Schmidt öfters mal erzählt.
Und jetzt liest Er die Messe: es ist eine Passage aus dem
Matthäus - Evangelium, unter anderem der berühmte Missionsbefehl,
der im Laufe der späteren Jahrhunderte Segen, aber auch viel Leid
über die Völker brachte.
Mit schleppender brüchiger Stimme, zusammengesunken in seinem
Sessel, liest der Papst die Passagen vom Blatt in verschiedenen
Weltsprachen ab. Zuerst auf Latein, dann noch auf Italienisch,
Spanisch, Englisch, Französisch und Deutsch, habe mir nicht mehr
alles merken können.
Sein Alter und seine Schwäche sind ihm anzumerken.
Mein Vater, Jahrgang 1921 und somit ein Jahr jünger, wirkt da
wesentlich kraftvoller. Aber zu bewundern ist, daß Johannes Paul
II. bei seinem riesigen Reiseprogramm und seinem ausgefüllten
Terminkalender überhaupt noch so fit ist und seinen Verpflicht
-ungen nachkommen kann. Er muß ja ohnehin ein Sprachgenie sein, und
seine Amtszeit ist mit nunmehr 20 Jahren (1978 wurde er als
Nachfolger des so früh verstorbenen Johannes Paul I. gewählt!) eine
der längeren in der Geschichte der Päpste.
Aber heute wirkt der Papst müde und gebrechlich, bestimmt haben die
Nachfolge -kämpfe schattenhaft und lautlos innerhalb der Kurie
schon begonnen, vielleicht wird ja zum ersten Mal ein Papst aus
einem „3.Welt- Land“ gekürt. Unter Umständen trüge dies zu mehr
Gerechtigkeit bei, falls es nicht wieder ein erzkonservativer
Nachfolger wird.
- 52 -
Anschließend folgt eine kurze Predigt des Papstes, die sich aber
auch wegen der verschiedenen Übersetzungen in die Länge zieht.
Zwischendurch erhält er immer wieder Applaus, es ist tatsächlich
eine lebhafte, jugendliche Veranstaltung, und der fröhlichen
Atmosphäre kann man sich nicht entziehen, selbst wenn man die
Dogmen der Amtskirche nicht unbedingt teilt.
Gegen 11.15 Uhr, nach fast zwei Stunden seit Eintreffen auf dem
Petersplatz, ist der Gottesdienst zuende.
Die Menschenmassen zerstreuen sich, alle waren zufrieden, die Reise
hat sich spirituell gelohnt.
Auch für uns war die Veranstaltung ein Höhepunkt der Reise, wir
waren an einem geschichtsträchtigen Platz für kurze Zeit mit einer
geschichtlichen Persönlichkeit zusammen, waren selber für kurze
Zeit am „Nabel der Welt“.
Leider können wir nicht nochmals den Petersdom betreten, da
natürlich überall noch Barrieren und die Rednertribüne stehen.
Deswegen verlassen wir den Petersplatz, nicht ohne, daß ein
freundlich lächelnder japanischer Tourist ein Erinnerungsfoto von
uns Fünfen gemacht hat.
Aber ganz fertig sind wir mit dem Vatikan noch nicht:
Wir besuchen die Vatikanische Post am Rande der Peterskirche,
stellen uns kurz in eine Schlange und erhalten dann die begehrten
vatikanischen Briefmarken, mit denen wir unsere schnell
hingekritzelten Postkarten verzieren.
Unser nächstes Ziel ist die Lateranbasilika.
San Giovanni in Laterano ist die Bischofskirche des Papstes, also
die Kathedrale des Bischofs von Rom, der zugleich Oberhaupt der
katholischen Kirche ist.
Das macht seit der Gründung der Basilika im 4.Jahrhundert ihren
Rang aus.
Mit der Inschrift an der Hauptfassade „Mater et caput omnium
ecclesiarum urbis et orbis“ erhebt San Giovanni in Laterano den
Anspruch „Mutter und Haupt aller Kirchen der Stadt und des
Erdkreises“ zu sein.
Schon im Jahr 313, kurz nach dem Sieg Kaiser Konstantins über
Maxentius begann man auf dem Grundstück der Laterani (daher der
Name) und einer Reiterkaserne mit dem Bau einer großen, dem Erlöser
geweihten Kirche.
Den Beinamen „San Giovanni in Laterano“ erhielt die Basilika von
Johannes, dem Täufer und Johannes, dem Evangelisten.
Immer wieder fanden wichtige Konzilien im Mittelalter in dieser
Kirche statt, und die berühmt - berüchtigten Lateranverträge, die
Aussöhnung der Kirche mit dem (faschistischen ) Staat im Jahre 1929
- mit der Folge des späteren Schweigens der Kirche angesichts der
Judenverfolgungen der Nazis - wurde ebenfalls in diesen heiligen
Mauern beschlossen.
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1993 ließen Terroristen eine Bombe explodieren, wobei Teile der
Kirche sowie das Baptisterium und die Nordfassade beschädigt
wurden.
Die Laterankirche gehört zu den vier berühmten Patriarchalbasiliken
Roms, d.h. den berühmtesten Kirchen der katholischen
Christenheit:
Petersdom, Laterankirche, Santa Maria Maggiore und San Paolo fuori
le Mura („Sankt Paul außerhalb der Mauern“).
Als einziger unserer kleinen Reisegruppe habe ich alle vier Kirchen
besichtigt, davon drei am heutigen Tag, aber davon später!
Sie gehören alle zum Territorium des Vatikans.
Nachdem wir den 31 Meter hohen, vom Circus Maximus stammenden
Obelisken auf dem Vorplatz passiert haben, betreten wir die Kirche
durch das Haupttor, welches die Originaltür der antiken römischen
Kurie des Forum Romanum ist.
Stille und Kühle empfangen uns.
Die Laterankirche wirkt in ihrer klassisch - strengen
Renaissancefassade und ihren Pastellfarben im Innern des Bauwerkes
kühler als die Peterskirche, zu kühl, meint Corina, für die der
Besuch des Petersdomes einer der Höhepunkte der Romreise war.
Mir gefällt die Laterankirche ausnehmend gut, gerade weil die
verwendeten Farben : Gold, Blau, Hellgrau.... etwas von den
himmlischen Sphären erahnen lassen, der irdischen Schwere
entrückt.
Der gotisch wirkende schmale Baldachin über dem Altar scheint in
seiner filigranen Zerbrechlichkeit aus jenseitigen Welten zu
stammen.
Hinter schmiedeeisernen verzierten Gittern erblühen in Nischen
Kandelaber mit geheimnisvoll leuchtenden Kerzen, Maria lächelt als
Statue verklärt, und ein riesiger Engel hält seit Jahrhunderten
Wacht mit dem Schwert.
Über 4 Meter hohe Apostelfiguren sinnen stumm über Sünde, Gebet und
Vergebung nach.
Erwachen nachts, unbeobachtet, alle diese Figuren zum Leben?
Golden glänzt die Orgel vom Seitenschiff; die metallenen Pfeifen
der Orgel sind diszipliniert nebeneinander aufgereiht, in meiner
Fantasie höre ich sie, die Königin der Instrumente, klingen.
Borromini hat das fünfschiffige Kirchenschiff für das Heilige Jahr
1650 gestaltet.
Wunderschön ist auch die schon aus dem 16. Jahrhundert stammende
Holzdecke.
An die düsteren Seiten des lateinischen Glaubens gemahnen die
dunkelbraunen Beichtstühle, drohend auf flüsternde, raunende,
ängstliche gestammelte Worte wartend, Dramen, die gestanden,
verarbeitet, verdrängt, beschönigt, verzerrt, sublimiert werden.
Wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein!
Ein Priester kniet andächtig auf einer Bank, ich ziehe mich zurück,
um seine Andacht nicht zu stören...
Christian wirft mit italienischen Gläubigen zusammen Münzen in eine
Vertiefung, wahrscheinlich soll dies Glück bringen, hell klingen
die Münzen beim Aufprall auf den Marmorfußboden.
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In der Kirche sollen auch die Köpfe von Petrus und Paulus als
Reliquien aufbewahrt worden sein.
Wir bekommen sie nicht zu sehen.
Ebenso entgeht uns die Scala Santa - die Heilige Treppe.
Die Kirche mit der Heiligen Treppe soll gegenüber der Hauptfassade
der Laterankirche liegen.
Sie umschließt die ehemalige päpstliche Privatkapelle des
Lateranpalastes und eben die „Scala Santa“ - die Heilige Treppe: 28
heute mit Holz verkleidete Marmorstufen, die nach der Überlieferung
aus dem Palast des Pilatus zu Jerusalem stammen und von der
heiligen Helena im 4. Jahrhundert nach Rom gebracht wurden.
Es ist frommer Brauch, daß die Gläubigen in Erinnerung an die
Leiden Christi für ihr Seelenheil auf Knien (und nur auf Knien!)
diese Teppe erklimmen.
Fromme Leute sprechen auf jeder der 28 Stufen ein Gebet.
Wir sehen in der Nähe der Laterankirche zwar auch eine Kirche mit
goldenem, byzantinisch wirkendem Mosaik und Marmorstufen, da aber
niemand diese Treppe auf Knien heraufrutscht, habe ich meine
Zweifel, ob es sich dabei um die Scala Sancta handelt.
Wir verlassen die Kirche und besuchen noch den schönen Kreuzgang
außerhalb des Gebäudes.
Es fällt nicht schwer, sich mittelalterliche Mönche vorzustellen,
wie sie schweigend die Gänge auf und ab wandeln und in Meditation
versunken sind.
Wir möchten als nächstes zur nächsten Patriarchalbasilika, der
Santa Maria Maggiore, nicht weit von unserem Hotel entfernt.
Peter hat schon herausgefunden, daß wir am besten am Bahnhof
(Station Termini) aussteigen.
Aber außer den spirituellen Wünschen haben wir auch ganz handfeste
leibliche Bedürfnisse: Hunger, Durst, Müdigkeit, und eine Toilette
müßte auch bald auftauchen!
In einer einfachen Gaststätte am Bahnhof stillen wir unseren
Hunger mit großen Pizzastücken, die italienische Pizza ist besser
als ihr Ruf!
Dann machen wir uns zu Fuß auf den Weg zur Basilika, die
eigentlich gar nicht weit entfernt sein müßte.
Es wimmelt von Vesparollern.
Am Busbahnhof müssen wir aufpassen, nicht unter die Räder der Busse
zu geraten.
Wie dem auch sei: wir entdecken an der übernächsten Ecke, daß wir
falsch gelaufen sind und umkehren müssen.
Langsam werden die Beine schwer.
Nach zwanzig Minuten erreichen wir glücklich einen weiten Platz mit
Obelisken.
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Und dieses Gebäude mit zwei runden Kirchenschiffen, das muß die
Basilika Santa Maria Maggiore sein!
Aber welche Enttäuschung: die Eingänge sind verschlossen, die
Vortreppe abgesperrt.
Haben wir uns umsonst müde gelaufen?
Aber wir brauchen die Kirche nur zu umrunden, dann merken wir, daß
der Vordereingang auf der anderen Seite liegt, und der ist nicht
abgesperrt.
Zahlreiche Jugendliche sitzen auf den Treppenstufen und genießen
die Sonne des frühen Nachmittags.
Ein Brunnen erhebt sich auf dem Vorplatz.
Bettlerinnen verlangen am Eingang der Kirche einen Obolus.
Wir freuen uns, als wir im stillen schattigen Inneren der Kirche
sind.
Wie schon erwähnt zählt Santa Maria Maggiore zu den vier
klassischen Basiliken des Episkopats.
Sie wurde im 5. Jahrhundert unter Papst Sixtus III. auf den
Grundmauern eines Vorläuferbaus errichtet.
Der 1377 errichtete romanische Glockenturm ist mit 75 Metern der
höchste Roms!
In Santa Maria Maggiore wurde als einziger römischer Kirche seit
dem 5. Jahrhundert ohne Unterbrechung täglich die Messe
gefeiert.
Über die Gründung der Kirche berichtet die Legende, dem Papst
Liberius und dem Priester Johannes sei in der Nacht zum 5. August
des Jahres 352 die Gottesmutter Maria erschienen und habe ihnen
aufgetragen, dort eine Kirche zu bauen, wo am nächsten Morgen (im
August!) Schnee fallen werde.
Es habe tatsächlich geschneit - daraus ist das kirchliche Fest
Maria Schnee entstanden -, auf dem Esquilin-Hügel, noch dazu in den
Umrissen einer Basilika!
Vom reich verzierten Marmorfußboden über die vergoldete,
mattglänzende Kasetttendecke bis zu dem runden leuchtenden
Kirchenfenster über dem Eingang wirkt diese Kirche nicht so
monumental wie der Petersdom und nicht so kühl-prächtig wie die
Laterankirche, sondern wie eine Kirche zur Andacht für die
Gläubigen.
Irma zündet dann auch eine Kerze an.
Der Kirchenraum ist dreischiffig, mit 36 Marmor- und vier
Granitsäulen und mit wunderschönen Mosaiken an der Hochwand, den
ältesten Roms aus dem 4. oder 5. Jahrhundert.
Im rechten Querschiff, der Cappella Sistina, sollen sich Reliquien
der Krippe Jesu aus Bethlehem befinden, eine goldene Figur des
Jesuskindes strahlt und steht in Kontrast zur ärmlichen Herkunft
des Jesuskindes.
Der Baldachin über dem Papstaltar wird von vier Porphyrsäulen aus
der Villa des Kaisers Hadrian (vgl. Engelsburg!) in Tivioli
getragen, immer wieder hat die katholische Kirche also antike
Substanz verwendet und eingebaut, ebenso wie sie im geistlichen
sinne Elemente aus heidnischen Religionen übernommen hat, zum
Beispiel in Lateinamerika oder auch germanische Feste und
Bräuche.
Wir ruhen uns ein paar Minuten still in derKirche aus und treten
dann wieder in die blendene Sonne hinaus.
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Anscheinend bin ich -obwohl ich der Älteste bin - der einzige,
der jetzt am Nachmittag noch unternehmungslustig ist.
Die anderen zieht es zum Ausruhen ins Hotel, aber ich will die Zeit
noch nutzen, um zumindest den „Mund der Wahrheit“ im Südwesten der
Stadt zu sehen.
Worum es sich dabei handelt, verrate ich später.
Zunächst einmal fahre ich mit der Metro Linea B zum Circus Maximus,
der gut als Ausgangspunkt für meine Exkursion geeignet ist.
Diesmal schlendere ich gemütlich über den uralten römischen
Festoplatz, dessen Umrisse sich bis heute erhalten haben.
Wenn ich länger in Rom bliebe, würde ich auch ein paar Runden um
die Arena joggen wie es jetzt viele Römer und Römerinnen tun.
Faszinierend, daß hier vor knapp 2000 Jahren feurige Rennpferde um
das Oval galoppiert sind!
Nach Überquerung der großen grünen Rasenfläche komme ich an
malerischen alten Mietshäusern vorbei, an denen Wäsche baumelt, wie
aus italienischen Filmen der 50er Jahre mit Gina Lollobrigida und
Sophia Loren.
Noch ein paar Minuten bin ich an einem verkehrsbelebten Platz am
Tiber und kann rechts die Tiberinsel sehen, hinter der auf der
anderen Seite das Viertel Trastevere liegt.
Der Platz heißt heute Piazza della Boca della Verita.
Früher war dies das alte Forum Boarium, der Rindermarkt.
Dort mündete die Cloaca Maxima, der zentrale Abfluß der römischen
Kanalisation, in den Tiber.
So konnte der Fluß den Unrat und die Abfälle des Viehmarkst gleich
aufnehmen.
Heute stinkt es hier nicht mehr nach Kot und Kuhhaufen, sondern
nach Autoabgasen...
Die Kirche „Santa Maria in Cosmedin“ am Süden des Platzes
erhielt ihren Namen wahrscheinlich von Byzantinern nach einem Platz
in Konstantinopel.
Daher wird der Beiname „Cosmedin“ auf das griechische Wort „Cosmos“
(Schmuck) zurückgeführt.
Der siebengeschossige Campanile (Kirchturm) läßt die schlichte
Kirche typisch italienisch wirken.
Das Innere ist nicht so prunkvoll, eher einfach, was für Geist und
Auge fast eine Erholung ist nach der geballten Prachtentfaltung des
Petersdoms, der Laterankriche und der Santa Maria Maggiore.
In der Krypta soll sich ein Eingang zu Gräbern von Christen und den
Fundamenten eines heidnischen Tempels befinden.
Mich interessiert aber in erster Linie die hinter einem Eisengitter
an der Vorhalle der Kirche aufgestellte große Steinmaske: der „Mund
der Wahrheit“, der Bocca della Verita. Es ist ein großes rundes
Steingesicht mit aufgerissenen Augen, archaisch-düsterem Blick und
einem schmalen Mund, einer Öffnung in der Scheibe.
Dort - so die Überlieferung - mußten in der Antike verdächtige
Sünder die Hand hineinlegen.
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Sprachen sie die Wahrheit, konnten sie sie unbehelligt wieder
hinausziehen.
Hatten sie jedoch gelogen, biß der Mund zu und zerfleischte die
Hand des Lügners.
Es gab also damals schon Lügendetektoren!
Die zierlichen japanischen Touristinnen in einer langen Reihe vor
dem Bocca degla Verita haben anscheinend alle ein reines Gewissen,
als sie eine nach der anderen sich gegenseitig bei der Mutprobe
ablichten.
Nach kurzem Zögern stecke ich meine Hand dem Ungeheuer ins Maul: es
zwickt etwas, aber die Hand ist gerettet, ungelogen, aua!
Mit zwei unversehrten Händen trete ich den Rückweg zur
Metrostation am Circus an.
Ich will immer noch nicht zum Hotel zurück.
Jetzt kann ich mit der Metro entweder noch zur Cestius-Pyramide
oder zur vierten Patriarchalbasilika, der Kirche San Paolo fuori le
Mura fahren, die weiter entfernt, eben „außerhalb der Mauern“
gelegen ist. Ich werde es nicht mehr schaffen, beide Ziele zu
besichtigen.
Die Cestiuspyramide an der Porte San Paolo (nicht zu verwechseln
mit der Basilika San Paolo) ist das Grab des römischen Offiziers
Gaius Cestius (12 n. Chr.).
Er hatte in Ägypten gedient und war von der ägyptischen Kultur so
angetan, daß er sich eine kleine Pyramide als Grabstätte bauen
ließ.
Die Römer waren -schon die vielen Obelisken zeigen dies - von der
uralten ägyptischen Kultur fasziniert, unsere Klassiker Goethe,
Schiller und Winkelmann schwärmten vom antiken Rom und unsere
Kulturpäpste verehren die Klassiker im „kulturlosen“ Zeitalter von
Pay-TV, McDonalds und Coca Cola. Vielleicht empfinden unsere
Nachfahren ja das 20. Jahrhundert als kulturelle Hochblüte...
Das nennen wir das Fortschreiten der Zivilisation im Laufe der
Menschheitsgeschichte!
Ich beschließe, der Pyramide gedanklich Lebewohl zu sagen und
doch die dritte Basilika des heutigen Tages, die Kirche San Paolo
fuori le Mura, zu besuchen.
In der U-Bahn ist es jetzt ziemlich eng, Feierabendbetrieb!
Es sind jetzt nochmals sechs oder sieben Stationen bis zur
Basilika, hoffentlich verirre ich mich nicht und komme nicht zu
spät zum letzten gemeinsamen Abendessen!
An der Station San Paolo fuori le Mura angekommen, sehe ich
zunächst keine Kirche, dabei müßte es sich doch um einen Riesenbau
handeln!
Aber es gibt ein einfaches Mittel, den Weg zu finden: einfach dahin
gehen, wo die Touristenbusse zu finden sind!
Und nach ein paar Minuten, nur einmal um die Ecke gegangen, habe
ich die Basilika entdeckt, wahrhaftig eine gigantische Kirche! Die
Park in der Nähe der Kirche mit seinen rosa blühenden Bäumen mutet
fast japanisch an, nicht zuletzt wegen der vielen japanischen
Touristinnen und Touristen...
Wie immer, anscheinend ist dies auch eine milde Ausprägung des
Murphy`schen Gesetzes, befindet sich der Eingang der Kirche an der
anderen Seite.
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Bei dieser Basilika ist der Außeneindruck etwas Besonderes:
afrikanisch wirkende Palmen erheben sich vor der Fassade mit
Goldmalerei, komme mir vor wie vor einer koprischen Kirche in
Ägypten oder Äthiopien!
Die Kirche wurde vor den Toren Roms im 4. und 5. Jahrhundert von
christlichen römischen Kaisern zum Gedenken an den Apostel Paulus
errichtet.
In der Nähe soll in 67 n. Chr. Paulus enthauptet worden
sein.
Der Legende zufolge sei das Haupt des Paulus nach der Enthauptung
dreimal auf dem Boden aufgesprungen und dadurch seien an diesen
Stellen drei Quellen entsprungen.
Der Ort heißt deshalb „Tre Fontane“ (drei Quellen).
Die Kirche San Paolo war bis zum Neubau des Petersdomes im 16.
Jahrhundert die größte Kirche der Christenheit.
Schon der alte Bau wurde mehrfach durch Erdbeben und Brände
beschädigt.
Zur Katastrophe kam es jedoch am 15. Juli 1823: die Kirche brannte
vollständig ab, vermutlich verursacht durch Fahrlässigkeit eines
Klempners (frei nach zwei vermischten Liedern von Reinhard Mey:
„Der Täter war immer der Klempner...“)
Durch großzügige Spenden war der Wiederaufbau nach dem alten
Original schon in 1854 abgeschlossen, aber Tatsache ist, daß die
Bausubstanz dadurch nicht so alt ist wie bei den anderen großen
Kirchen.
Das Innere der Kirche unterscheidet sich ebenfalls von den drei
anderen Hauptbasiliken: es ist eine riesige Säulenhalle, viel
weniger geschmückt als die anderen Kirchen.
Umsomehr kommt der polierte gelbliche Marmorfußboden zur
Geltung.
In der weiten Halle empfindet sich der Besucher wie ein Staubkorn ,
zusätzlich eingeschüchtert durch den Hinweis, daß Filmen und
Fotografieren verboten sei.
Deswegen verstecke ich mich beim Filmen lieber hinter einer Säule;
Gläubige werden dadurch sicher nicht belästigt, zumal sich die
wenigen Menschen in der großen Halle sehr verteilen.
Es stehen insgesamt 80 Säulen in dem fünfschiffigen Kirchenraum,
der 120 Meter lang, 60 Meter breit und 23 Meter hoch ist.
Vorne erhebt sich über dem Altar der Triumphbogen mit einem
kunstvollen Mosaik.
An den Wänden befinden sich golden eingerahmt diekreisrunden
Porträtmedaillons aller Päpste von Petrus bis heute. Nach neueren
Erkenntnissen soll es ja im 9. Jahrhundert eine als Mann
verkleidete Päpstin namens Johanna gegeben haben, aber davon ist
auf den Medaillons nichts zu sehen, und eine Päpstin wird man/frau
sicher auch niemals in der Geschichtsschreibung der Kurie
finden...
In der Abendsonne fahre ich mit vielen Mitpassagieren zurück in die
Kernstadt.
- 59 -
Meine mitreißenden Mitreisenden im Hotel sind alle ausgeruht und
erfrischt.
Nach kurzer Pause ziehen wir los, (noch) nicht zum Essen,
sondern zum Essen kaufen.
Wir wollen den Urlaub nicht verstreichen lassen, ohne wenigstens
ein paar italienische Spezialitäten mit nach Germania zu bringen,
so wie auch unsere germanischen Vorfahren von ihren Beutezügen
leckere Sachen mit in die germanischen Urwälder brachten.
Wir erwerben in einem kleinen, aber gerammelt vollen Laden
Parmaschinken, harte pikante Würstchen sowie Parmesan- und anderen
Hartkäse.
Corina und Peter kaufen ähnliche Spezialitäten ein.
Zumindest bei uns hat es nicht lange gedauert, bis die Fressalien
nach der Rückkehr aus Italien vertilgt waren!
Am Trevi-Brunnen werfen wir die obligatorischen Münzen und
geloben, noch einmal nach Rom zu kommen.
Lange halten wir es am Brunnen nicht aus, es sind uns zu viele zum
Teil recht laute Jugendliche dort, und wir wollen heute ja etwas
früher essen, da wir am nächsten Morgen schon sehr früh zum
Flughafen müssen .
Gegen 20.00 Uhr finden wir ein kleines Restaurant und bestellen
uns wieder ein Menü.
Bei mir ist es wieder „Penne arrabiata“, das scharfe Nudelgericht,
dazu gebratenes Hähnchen, Salat und Bier vom Faß´(„Bierra ala
Spina“). Auch Peter mag diesmal lieber den Heimatgefühle weckenden
Gerstensaft, während die Frauen bei Wein und Wasser bleiben.
Mittlerweile ist Bier auch ein verbreitetes Getränk in Italien, wie
Deutsche Wein trinken und Pizza mögen, allerdings ist Wein
vergleichsweise viel preiswerter.
Über Essen und Trinken läßt sich auch hier nicht klagen.
Bei einer von Tisch zu Tisch ziehenden ambulanten chinesischen
Händlerin erwerben wir als Mitbringsel für unseren Kollegen
Karl-Heinz ein kleines Feuerzeug in Gestalt einer winzigen
Porzellantoilette, so etwas habe ich in unseren Breiten noch nicht
gesehen...
Danach gibt es zum Abschluß nur ein Ziel: die Piazza Spagna mit
der spanischen Treppe!
Dort waren wir am Ankunftstag zuerst gewesen, und so wird sich
der Kreis schließen.
Der Platz wimmelt von Menschen, du kommst dir vor wie am Nabel der
Welt, wenn du die Jugendlichen aus allen Ländern siehst!
Spanierinnen singen „Eviva Espagna“, Deutsche und Engländer trinken
Dosenbier, Italiener fahren mit ihren Vespas um den Platz, und es
herrscht mitten in der Nacht eine ausgelassene
Karnevalsstimmung.
- 60 -
Wir fast schon älteren Semester schauen bedächtig auf den oberen
Stufen der Treppe (Vorsicht, rollende Bierdosen!) dem munteren
Treiben der Jugend zu und genießen den Augenblick.
Der ganze Platz ist in warmes gelbes Licht getaucht, es ist ein
südlicher Himmel, der über uns scheint.
Auch am Brunnen mit der weißen zerbrechlichen Barke pulsiert das
Leben, der Maronenverkäufer preist seine Ware an, Japaner
schlendern mit ihren Kameras vorbei, ebenso Teil der Szenerie wie
die jungen Römer, die auch jetzt um diese Zeit noch Sonnenbrillen
tragen.
Viva Roma, es war ein wunderschöner Urlaub!
Alles Schöne in diesem Leben hat ein Ende und nach unserem
letzten Fußmarsch über die Höhen und Tiefen des Hügels Viminale
(„Klein - San Francisco“)sind wir dann doch froh, ins weiche
Hotelbett sinken zu können.
- 61 -
Donnerstag, 2. April
Arrividerci, Roma!
Heute ist schon unsere Rückreise.
Wir schaffen es tatsächlich, schon um vier Uhr morgens wach zu
werden, eine halbe Stunde vor dem vereinbarten telefonischen
Weckruf.
Christian ist nicht gerade begeistert von der unchristlichen
Weckzeit.
Zum Glück haben wir gestern schon das meiste gepackt. Solche
Situationen sind ja gut geeignet, um Familienkräche zu produzieren,
wenn die große Hektik einsetzt.
Auch Corina und Peter sind als Reiseprofis schnell mit dem Packen
fertig.
Wir wünschen dem Menschen an der Rezeption noch „bon giorno!“ und
steigen dann schon in die riesige metallic glänzende Limousine vom
Fabrikat eines Untertürkheimer Motorwagenherstellers ein.
Der Chaufeur in schwarzem Mantel mit gelbem Schal wirkt wie ein
echter Italiener: stilvoll, seriös, Marke älterer südländischer
Filmschauspieler.
Unsere Taxe ist wirklich groß genug: drei Sitzreihen und auch genug
Platz für die Koffer.
Mit ein bißchen Smalltalk -schleppend wegen unserer Verschlafenheit
- kutschiert der Herr der Limousine uns durch das erwachende Rom.
Ein letztesmal blicken wir auf Ruinen, Monumente, alte Mietshäuser,
Plätze, wuselnde Vesparoller, Kioskverkäufer.....
Um 6.00 Uhr sind wir plangemäß am Flughafen Leonardo da
Vinci.
Jetzt können wir uns in aller Ruhe einchecken, vielleicht noch im
Duty-free-shop einkaufen, ein bißchen frühstücken, ein bißchen
bummeln...
Aber daraus wird nichts: der Schreck fährt uns in die
Glieder!
Als Abflugzeit ist nämlich 7.05 Uhr angegeben, nicht 8.10 Uhr wie
auf unserer Reisebestätigung vermerkt.
Das Reisebüro hat bei der Buchung anscheinend nicht die kurz vor
der Reise erfolgte Umstellung auf die Sommerzeit bemerkt!
Es ist fast wie bei Jules Verne „In 80 Tagen um die Welt“, nur
umgekehrt.
Aber wir schaffen es noch.
Es war gut, daß Peter drauf gedrungen hat, das Taxi für 5.30 Uhr
und nicht erst für 6.00 Uhr zu bestellen, die Zeit hätte uns sonst
gefehlt!
Es gibt keine Probleme beim Einchecken.
Wieder bewundern wir die orientalischen Kostüme der Stewardessen,
wieder erhalten wir ein undefinierbares Sandwich, und wieder
erfahren wir, wie weit es in jedem
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Augenblick nach Mekka ist. Waren es saudiarabische Potentaten,
die ein Flugzeug mit drehbarem Sessel haben, so daß der Sessel sich
immer nach Mekka dreht?!
Den Flug über die Alpen mit ihren noch verschneiten Gipfeln
genießen wir.
Jetzt um diese Zeit hat gerade eine „Dienstbesprechung“ angefangen,
die wir schwänzen können, sehr schön.....
Um 8.45 landen wir, nicht in Mekka, sondern in Frankfurt (so
absurd wäre der Gedanke in den 70er Jahren gar nicht gewesen, denke
man nur an die Flugzeugentführungen zurück..)
Wie bei jeder Reise mischen sich Erleichterung über die
glückliche Landung, die Neugier auf Zuhause (war der Herd, das
Licht, der Wasserhahn,... wirklich aus?), Wehmut (daß auch diese
Reise jetzt Vergangenheit ) ist und der Abschied von unseren
Reisegefährten (es hat wirklich Spaß gemacht, zusammen zu
verreisen) zu einem Konglomerat widersprüchlicher Gefühle.
Aber wir waren ja beim Trevi - Brunnen und haben die Münzen
vorschriftsgemäß mit der richtigen Hand rückwärts über die richtige
Schulter geworfen.
Das heißt, eines Tages kehren wir nach Rom zurück.
Normalerweise glaube ich solche Sachen zwar nicht, aber das mit dem
Trevi-Brunnen soll angeblich auch funktionieren, wenn man nicht
dran glaubt.
Irma hat schon im Flugzeug gesagt, sie wolle gerne wieder nach Rom,
so schnell hat das Brunnenwasser schon gewirkt...
Egal wann wir zurückkommen, laßt uns auf Rom anstoßen:
mit Vino Rosso, Martini, Grappa, Sambuca und allen anderen Heiligen
der Cucina Italiana: Salute, Salute!
copyright 1998 Burkhard Heidkamp