Gute Nachtgeschichten

Rom - die ewige Stadt

verfasst 1998

2601 Meilen nach Mekka

Sonntag, 29. März - 3 -

Montag, 30. März - 11-

Dienstag, 31. März - 29-

Mittwoch, 1. April - 48-

Donnerstag, 2. April -61-

Sonntag, 29. März

2601 Meilen nach Mekka!

Diese Anzeige blinkt uns zusammen mit einem martialischen Adler, Symbol der Gulf-Air, auf der Videotafel in der Boeing 767 entgegen, in der wir Platz genommen haben, um einer nicht minder heiligen Stadt entgegenzufliegen.
Es ist Sonntag, der 29. März 1998, gegen 11.30 Uhr vormittags im Frankfurter Flughafen, Terminal 1.
Eigentlich ist es erst 10.30 Uhr, aber just in der Nacht, bevor sich unser stählerner Vogel gen Süden erhebt, war die Umstellung auf die Sommerzeit.
Zum Glück haben wir das einbezogen, es wäre eine große Hektik geworden, sich in allerletzter Minute einzuchecken.
Die (britischen) Stewardessen in ihren orientalischen Kostümen mit Fez und Schleier muten an wie Feen aus tausendundeiner Nacht oder wie die „bezaubernde Jeannie“ aus der Kultserie der 60er Jahre. Ob sie durch Augenzwinkern zaubern können, bleibt uns verborgen...
Unser Ziel für drei Tage und vier Nächte ist Rom, die uralte und zugleich immer junge Stadt, verknüpft wie keine zweite andere mit dem Geschick des Abendlandes.
Von hier errichteten die Römer ihr riesiges Jahrhunderte währendes mediterranes Reich, und von hier aus regierten die Päpste die Geschicke von Reichen, Imperien und besonders die Herzen von Millionen Gläubigen, segensreich, aber auch verderblich.
Und auch heute ist der Einfluß des Stellvertreters Christi im Vatikan zwar geschmälert, aber immer noch mächtig.
Diese Stadt, die ich als Rucksacktourist mit Tragezelt per Mitfahrgelegenheit und Eisenbahn in 1982 in glühender Sommerhitze nach bestandener Laufbahnprüfung bereist habe, wollte ich unbedingt wiedersehen, vielleicht deshalb, weil ich zum Abschied eine Münze in den Trevi - Brunnen geworfen habe, was nach einem alten Aberglauben die Rückkehr nach Rom verheißt.
Meine bessere Hälfte, Irma, war ebenfalls begeistert davon, nach Rom zu fliegen.
Obwohl allen Vorschlägen der Eltern gegenüber grundsätzlich kritisch eingestellt, mußte unser neunjähriger Sohn Christian sich uns anschließen; wir konnten ihn mit dem Hinweis auf den Fernseher im Hotel und andere Vergünstigungen locken.
Unser Reisetroß wird komplettiert durch meine reiselustige Kollegin Corina und ihren Ehemann Peter, der sich noch als hervorragender Kartograph und Fährtensucher erweisen sollte.
Unsere Akten im Amt werden jetzt eine Zeitlang verweisen, aber es wird nichts anbrennen, da unser routinierter Kollege Karl - Heinz die „Stellung halten“ wird, wobei der militärische Jargon beim täglichen Kampf um die Steuergelder durchaus seine Berechtigung hat.
Aber das Finanzamt entschwindet unseren Sinnen, als der Riesenvogel aus Titan jetzt Anlauf nimmt und sich bei einer Abflugtemperatur von 16° in die Lüfte schwingt.

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Auf der Videotafel werden in regelmäßigen Abständen die Flughöhe, die Geschwindigkeit, die Entfernung vom Startflughafen und die Wegstrecke bis zum Zielflughafen in Meilen (1.609 Meter hat die Landmeile bekanntlich) angezeigt und natürlich die auf dem Monitor langsam schrumpfende Entfernung zur heiligen Stadt Mekka .
Unser Flugzeug erscheint als kleines Symbol auf dem Bildschirm und hinterläßt eine ruckelnde rote Linie, die bisher zurückgelegte Strecke.
Es erinnert mich an eins von den Computerspielen, wo feindliche Flugobjekte mittels Joystick oder Maustaste abzuballern sind. Würde sich auf diesem Monitor ein Zweitobjekt nähern und mit unserem zu einem Leuchtpunkt verschmelzen, wäre dies auf dem Monitor nur ein Blitzen, wir würden aber aus mittlerweile 33.000 Fuß den freien Fall erproben..., nun aber genug der morbiden Gedanken, die mir seinerzeit schon beim Golfkrieg gekommen waren!
Da es sich um ein anständiges islamisches Flugzeug handelt, hoffen wir gar nicht erst auf Wein oder Bier, es ist ja auch erst Mittags. Obwohl wir jetzt das Reich der Bajuwaren überqueren , fliegen uns auch keine Schweinshaxen oder Leberknödel ins Maul, sondern es gibt ein paar weiche Sandwichs mit undefinierbarem mayonaiseartigem Belag; es könnte auch ein bißchen Thunfisch drin sein, aber wir haben es überlebt.
Nach etwa 35 Minuten überfliegen wir schon die noch schneeverhangenen prächtigweißen Gipfel der Alpen, die phantastisch klar zu erkennen sind.
Der Gardasee leitet über zur flachen Poebene, bis die Hügel der Toskana und Umbriens zeigen, daß der italienische Stiefel sehr gebirgig ist.
Pisas Turm wird wohl auch weiterhin stehen, ebenso wie der David Michelangelos in Florenz, wunderschöne Städte, von denen wir allerdings auf unserem Flug mit dem riesigen fliegenden Teppich nichts zu Gesicht bekommen außer kleinen Kreisen auf dem Monitor. Wir fliegen jetzt fast 10.000 Meter hoch und mit der Spitzengeschwindigkeit von 590 Meilen pro Stunde.
Aber der Flieger senkt sich schon wieder langsam, und er fliegt auch keine Warteschleifen über Rom wie es unserer Chefin bei ihrer damaligen Romreise erging.
Um 13.26 Ortszeit (MEZ) setzen wir sanft auf dem Rollfeld des International Airport Leonardo da Vinci auf, noch ca. 30 Kilometer von Rom entfernt.
Es ist warm, aber nicht heiß.
Unseren neuen Koffer entdecken wir schnell auf dem Laufband; er ist allerdings ziemlich zerkratzt, anscheinend wird mit dem Gepäck nicht zimperlich umgegangen.
Wir sind uns schnell einig, daß wir weder mit Bus, noch mit der Bahn zu unserem Hotel in der Innenstadt fahren möchten, sondern nehmen uns eine der Taxen vor dem Flughafen.
Der erste Fahrer würde uns zwar am liebsten auf zwei Autos verteilen, aber wir können ihn davon überzeugen, daß vier Leute auf die Rückbank passen und im Kofferraum auch genug Platz für unsere Habseligkeiten ist.
Zunächst kommen wir an grünen Feldern, unterbrochen durch einzelne industrielle Anlagen und Städte vorbei.

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Dann wird der Verkehr dichter, die Häuserzeilen rücken enger zusammen, und wir merken, daß wir auf friedliche Weise Rom betreten haben, anders als unsere Urururur....ahnen: Totila, der Westgote, Odoaker, der Ostgote und ganz zu schweigen vom Vandalenkönig Geiserich, die alle mit ihren Heeren einrückten und das zivilisierte Rom plünderten (Irmas Urururur...ahnen sind zu der Zeit wahrscheinlich noch im Regenwald auf Jagd gegangen..)
Dort, der Bau mit den romanischen Fensterhöhlen, das ist das Marcellus - Theater, und dort, dieser weiße Monumentalbau ist die sog. Schreibmaschine, das vielgescholtene pathetische Monument zum Andenken an Viktor Emmanuel II., den ersten König des wie Deutschland in 1871 endlich vereinigten italienischen Nationalstaates.
Ich kenne den alten König zwar nicht, da er aber wie ich am 14.März Geburtstag hat, will ich weder an ihm, noch an seinem Monument herummäkeln, es eignet sich zumindest als guter Orientierungspunkt, denn es ist leicht zu identifizieren, und die Piazza Venezia, an der es liegt, ist der Verkehrsknotenpunkt Roms, wo Tag und Nacht die Autos, Vespas und Mopeds Jagd auf Fußgänger machen.
Jetzt ist es nicht mehr weit bis zum Hotel Centro, unserem Domizil für vier Nächte, das auf dem klassischen Hügel Viminal liegt, nicht weit vom Zentralbahnhof („Termini“), sowie in der Nähe der berühmten„Spanischen Treppe“ und des Trevi - Brunnens.
Wir haben das Hotel schon in Deutschland gebucht, und das Doppelzimmer kostete 89,- DM (nach meiner Erinnerung) zuzüglich der Kosten des Zustellbettes für Christian, für den wir natürlich kein extra Zimmer angemietet haben. Corina hatte dies alles sehr gut organisiert!
Das Hotel Centro liegt in der Via Firenze, einer ruhigen Seitenstraße, die in die lebhafte Via Nazionale mündet. Ganz in der Nähe ist auch die Metrostation „La Repubblica“.
Die U-Bahn werden wir noch oft benutzen, besonders dann, wenn wir zum Vatikan fahren.
Ganz in der Nähe unserer Herberge ist auch die Oper, die aber allen Reiseführern zufolge nur Provinzniveau hat und nicht mit der Mailänder Scala zu vergleichen ist.
Dies ist uns allerdings egal, denn wir haben sowieso nicht vor, in die Oper zu gehen....
Der Taxifahrer wird mit 80.000 Lire (umgerechnet 80 DM) entlohnt, wobei auch noch die anteiligen Kosten seiner Rückfahrt mitzuzahlen sind.
Obwohl alle Taxifahrer dieser Welt Schlitzohren sind, ist unser Fahrer wohl kein Gauner, denn lt. Corinas Reiseführer ist dies ein realistischer Preis, was uns auch der Hotelmanager an der Rezeption bestätigt.
Der Manager spricht Deutsch und Englisch sowieso.
Wir erhalten im Gegenzug zur Übergabe unserer Pässe den Zimmerschlüssel und einen Safeschlüssel, schlurfen über den roten Teppich und wuchten unsere Koffer in den Aufzug.
Corina und Peter haben das Zimmer 210 zur Straße hin.
Ihr Nachteil ist, daß von der Straße her Baustellenlärm zu hören ist, aber die Belästigung hält sich in Grenzen.
Unser Zimmer 206 liegt zum Hinterhof hin, ist ein bißchen dunkel, aber wirkt gepflegt und sauber.

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Das Badezimmer enthält Toilette, Badewanne mit Dusche und ein Bidet.
Zum Glück passen die Stromanschlüsse an unsere Stecker, so daß ich den Akku der Filmkamera aufladen kann.
Im Vorraum befindet sich der Kleiderschrank nebst kleinem Safe, in den unsere Wertsachen und insbesondere die Rückflugtickets wandern.
Im eigentlichen Zimmer steht das wegen seines glänzenden Messingrahmens prächtig wirkende Doppelbett und in rechtem Winkel davor die Zustelliege. Sie gefällt Christian nicht so sehr, nach unseren Märschen an den folgenden Tagen schläft er trotzdem tief und fest darauf.
Für ihn ist besonders wichtig, daß das Zimmer einen kleinen Fernsehapparat anzubieten hat. Neben öffentlich-rechtlichen und privaten italienischen Programmen gibt es darauf einen Musiksender, ein englisches Programm und SAT 1. Diesen Sender mögen wir alle nicht so besonders, aber es ist für unseren das Fernsehen liebenden Sohn besser als nichts.-
Frischgemacht treffen wir uns um ca. 16 Uhr wieder und starten unseren ersten Stadtbummel, per Pedes, wie schon der Lateiner sagte.

Wir haben uns für heute die Erkundung unseres Viertels und der nördlich daran anschließenden Fußgängerzone vorgenommen.
Zunächst einmal geht es entlang der Via Quattro di Fontane rauf und runter. Rom ist tatsächlich auf Hügeln erbaut worden, deren es aber nicht nur sieben, sondern ein Dutzend und mehr gibt. Die Straße mutet an wie das Auf und Ab in San Francisco.
Wir kommen an gepflegten Villen, kleinen Läden und Mietshäusern vorbei. Ab und zu blicken wir in groteske Gesichter, kleine in Stein gemeißelte Figuren, die alle einen Bezug zur Antike haben.
Bei jedem Fußgängerüberweg gilt es, schnell zu sein, um der heranrasenden Blechlawine aus Autos, Mopeds und Motorrollern zu entfleuchen. Wichtig ist, nicht zu zögern und innezuhalten, sondern nervenstark, den Fahrer aus den Augenwinkeln fixierend schnellen Schrittes die Straße zu überqueren. Es ist so ähnlich wie Raubtierdressur, dieses Wechselspiel zwischen motorisiertem und nichtmotorisierten Zeitgenossen. Aber wer Bangkok, Jakarta und Manila überlebt hat, meistert auch die Verkehrsfluten Roms!

Die Via Quattro di Fontane geht über in die Via Sistina, und dahinten erhebt sich im Schein der warmen Nachmittagssonne schon die doppeltürmige Kirche St. Trinita dei Monte. Vor ihr steht einer der vielen ägyptischen Obelisken, von denen es in Rom nur so wimmelt. Wir sehen hier an der Metrostation Piazza di Spagna die Spanische Treppe von oben.
Sie wimmelt von Menschen; die Jugend ist weit in der Mehrheit und kommt von überall her. Mich erinnert die fröhlich - heitere Atmosphäre an Mont Martre mit der Kirche Sacre - Coeur in Paris. Von der Brüstung aus können wir auf die Dächer der in Brauntönen gehaltenen Villen in der Nachbarschaft der Spanischen Treppe blicken.

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Die Spanische Treppe hat ihren Namen davon, daß sich seit dem 17. Jahrhundert an diesem Platz die spanische Botschaft befand.
Die mit den Spaniern rivalisierenden Franzosen, denen das Land um die Kirche St. Trinita dei Monti gehörte, nannten einen Teil des Platzes den französischen Platz und forderten spezielle Wegerechte.
Die Treppe ist ein Werk des Architekten Francesco de Sanctis und wurde 1726 fertiggestellt. Da sie mit dem Geld des französischen Botschafters finanziert wurde, findet man hier die Lilien aus dem Wappen der französischen Bourbonenkönige.
Es gab also damals schon europäische Eifersüchteleien, wobei spätabends nach der Einnahme diverser, meist flüssiger Rauschmittel bei den Jugendlichen nationale und andere Schranken eher wegfallen.
Aber noch ist es Nachmittag, und es geht gesittet zu.
Wir besichtigen die schon erwähnte doppeltürmige Klosterkirche Trinita dei Monti, die 1502 von den Franzosen erbaut wurde.
Sie ist schlicht und angenehm kühl.
Dann machen wir uns an den Abstieg. Die Treppe ist nicht symmetrisch.Überall sitzen Leute. Der Spanische Platz am Fuße der Treppen ist schwarz von Menschen, selten habe ich solche Menschenansammlungen in Europa gesehen!
Unten auf dem Platz ist anscheinend gerade ein Umzug oder eine Demo zu Ende gegangen; Polizei ist auch zu sehen, aber es scheint alles friedlich gewesen zu sein.
Auf dem Platz scheint ein weißes Schiff zu schwimmen: es ist der Brunnen Fontana della Barcaccia, der die Form einer Gondel hat. Der Brunnen wurde im 17. Jahrhundert vom berühmten Barockbaumeister Bernini errichtet, nachdem bei einer Tiberüberschwemmung eine hierher getragene Barke auf dem Platz zurückgeblieben war. Das Wasser ist kühl und klar; alle öffentlichen Brunnen haben Trinkwasserqualität, wir haben es aber nicht ausprobiert, sondern im Zweifel lieber Wein getrunken (solche Brunnen fanden wir allerdings nicht!).
Übrigens begibt sich jedes Jahr am 8. Dezember der Papst auf die Piazza di Spagna. Er reicht dann den Feuerwehrmännern eine Girlande, mit der sie die Madonnenstatue oben auf der Säule schmücken. Die Gläubigen legen zu Füßen der Säule Blumen nieder.
Glauben wird hier in Rom noch überall sichtbar praktiziert, sei es nun durch andächtig betende Nonnen oder durch die Erscheinung der Benediktinermönche in braunen Kutten an der Bushaltestelle.....
Wir wenden uns weltlicheren Dingen zu und schlendern die elegante Geschäftsstraße Via Condotti hinab, die zum Fußgängerbereich nördlich und westlich des Piazza di Spagna gehört. Obwohl alle eleganten Läden geschlossen sind, macht es den überwiegend jungen Leuten Spaß, in der Frühlingssonne zu flanieren, zu schauen und selbst gesehen zu werden. Schwarz scheint die neue Modefarbe zu sein. Die jungen Römer sehen mit ihren schwarzen Sonnenbrillen, den kurzen Haaren und den tollen Klamotten wie echte Machos aus.
Die jungen Römerinnen sind stärker geschminkt als die deutschen Frauen, meistens schlank und zierlich und wirken mit ihren langen Haaren und ihrem dunklen Teint sehr attraktiv.

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Peter entdeckt einen Anzug im Schaufenster, der 2.000.000 Lire kostet (2.000 DM), aber
wohl das Geld wert ist. Auch unsere Frauen kriegen Stielaugen, wenn sie die elegante Markenmode und den Schmuck in den Vitrinen erblicken. Etwas boshaft merke ich an, daß Sonntag mit den geschlossenen Läden sicherlich der beste Tag für einen Schaufensterbummel mit den Ehefrauen sei...
In den malerischen engen Nebengassen laufen kaum Menschen, alle drängen sich in den Hauptstraßen zusammen.
Nach einiger Sucherei finden wir das berühmte, 1760 eröffnete Café Greco in der Via Condotti, in dem schon Wagner , Goethe, Stendhal, Modigliano, Toscanini, Berlioz und sogar der Westernheld Buffalo Bill verkehrten.
Wir gucken nur mal kurz rein: es erinnert an ein Wiener Kaffeehaus, überall hängen alte Meisterwerke, und die Kellner laufen vornehm im schwarzen Frack herum.
Wir lenken unsere Schritte nun Richtung Tiber (Tevere).
In der Nähe des Flusses erhebt sich der riesige Rundbau des Augustus-Mausoleums.
Der wohl berühmteste römische Kaiser Augustus, in dessen Regierungszeit (27 v. Chr. - 14 n. Chr.) die Geburt Jesu fiel, regierte das römische Weltreich auf dem Höhepunkt seiner Macht.
Berühmt ist sein Ausspruch, er habe Rom als Stadt der Ziegelsteine vorgefunden und wolle es als Stadt des Marmors zurücklassen. Dies hat er auch durch eine kluge und nicht despotische Regierung erreicht.
Sein Grabmal ließ er - wie damals üblich - bereits Jahrzehnte vor seinem Tod für sich und seine Familie erbauen.
Der einst mit Marmor verkleidete Ziegelbau mit einem Durchmesser von 87 Meter trug einen mit Zypressen bepflanzten Erdhügel, auf dem sich das Bronzestandbild des Herrschers erhob. In Umkehrung seines vorzitierten Spruches ist jetzt der Marmor verschwunden, und die Ziegelsteine sind wieder zum Vorschein gekommen, ein Gleichnis für die Vergänglichkeit des Lebens und dafür, daß auch Herrscher nicht ewig leben......
Der riesige Rundbau diente zeitweise als Amphitheater für Stierkämpfe, und Anfang des 19. Jahrhunderts hatte hier das berühmte Orchester dell`Augusteo seinen Sitz. Das letzte Konzert fand 1936 statt, bevor das baufällige Gebäude hierfür nicht mehr geeignet war.
Auch jetzt ist ein Betreten des Mausoleums nicht möglich, wie ein Schild am höhlenartigen Eingang verkündet.
Die 44 Meter hohe Anlage ist heute völlig schmucklos, mit Grünpflanzen überwuchert, wirkt aber in ihrer Größe und Klobigkeit immer noch sehr beeindruckend.

Wir marschieren weiter entlang der Via del Corso gen Norden bis zum Piazza del Popolo.
Hier am Piazza del Popolo kurz nach Passieren der aurelianischen Stadtmauer bot sich dem vom Norden her kommenden Fremden der erste Blick auf die Stadt.

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Bestimmend für den Platz sind die im 17. Jahrhundert unter Aufsicht von Reinaldi, Bernini und Fontana erbauten Zwillingskirchen Santa Maria in Monte Santo und Santa Maria di Miracoli (nichts zum Essen!), die ihnen gegenüberliegende Santa Maria del Popolo und der terassierte Treppenaufgang zum Monte Pincio.
Der 24 Meter hohe Obelisk in der Mitte des Platzes stand im Circus Maximus, bevor er 1586 hierher versetzt wurde.
Delikat ist, daß der Straßenbelag am Piazza del Popolo angeblich mit Steuern finanziert wurde, die von Prostituierten erhoben wurden.
Einst fanden hier auch Hinrichtungen statt.
Heute ist der Platz oft Endpunkt von Demonstrationen.
Wir drehen um und tauchen wieder in die Fußgängerzone ein. Auf dem Weg zum Trevi-Brunnen besuchen wir noch zwei Kirchen.
Es soll immerhin 800 (katholische) Kirchen in Rom geben, insgesamt werde ich auf der Reise etwa ein Dutzend besichtigen. Es geht ja nicht darum, Rekorde zu brechen...

Unvermittelt stehen wir plötzlich vor dem berühmten Brunnen, den Anita Ekberg 1959 in Fellinis Klassiker „La Dolce Vita“ berühmt gemacht hat.
Das „blonde Gift“ nahm damals ein erfrischendes Bad im Brunnen und obwohl voll bekleidet sorgte sie damals in den prüden 50ern für ziemlich viel Aufsehen.
Claudia Schiffer hat diese Szene 1995 nachgestellt.
Trotz des Massenandrangs vor dem Brunnen auf dem ziemlich engen Platz wagt es niemand, im Wasser herumzuwaten, denn das sehen die Ordnungshüter wohl nicht so gern.
Der von Nicola Salvis von 1732 - 1751 geschaffene Brunnen zeigt Neptun auf einer Muschel stehend, die von Meeresgöttern gezogen wird, umgeben von allegorischen Figuren der Gesundheit und des Überflusses.
Der Brunnen erstrahlt nach seiner Restaurierung in blendendem Weiß, ist im Grunde ziemlich kitschig, aber er zählt zu den Wahrzeichen Roms.
Am letzten Tag wollen wir wieder herkommen und eine Münze mit der rechten Hand über die linke Schulter werfen, dann kommen wir wieder nach Rom zurück.
Ein Aberglauben, aber immerhin bin ich seit 1982 tatsächlich nach Rom zurückgekehrt.

Allmählich werden wir müde und lenken unsere Schritte zurück zum Hotel.
Unterwegs gibt es noch Spezialitätenläden, Handtaschen, Spielzeug, Antiquitäten usw. in den Auslagen der Geschäfte in den engen Gassen zu bestaunen. Besonders beeindruckend: ein Schwein in der Auslage!
Wo werden wir heute abend essen?
Eine Trattoria in einer Straße mit einigen Bars bietet sich an, wir wollen aber noch weitersuchen.
Peter und ich finden in der Nähe der Via Palermo eine urwüchsige „Bottigleria“, eine Kneipe, die eher schlicht wirkt und in der sich viele Einheimische aufzuhalten scheinen.
Dies interpretieren wir als gutes Zeichen, denn da, wo die Römer hingehen, kann es nicht wirklich schlecht sein.
Die Frauen stimmen uns dann schließlich zu.

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Im Hotel meint Christian, er wolle nun wirklich nicht mehr laufen.
Da Irma ihm vorher Hamburger in einem hier nicht näher spezifizierten Fastfood - Restaurant mit internationaler Reputation gekauft hat, ist er nicht mehr hungrig, und wir gehen gerne auf seinen Vorschlag ein.
Dann können wir nämlich ungestört speisen, ohne daß ein gelangweilter und müder Christian uns ständig zum Aufbruch drängt.
Diese Lösung bewährt sich auch an den folgenden Abenden. Seine Lieblingssendung an den Abenden ist „Glücksrad“ von Sat 1, Hauptsache, es gefällt ihm!

In der Bottigleria angekommen, stellen wir fest, daß die Kneipe viel größer ist als angenommen und sich über mehrere Räume erstreckt.
Wir finden noch einen Platz, da es jetzt gegen acht Uhr ist, die meisten Einheimischen aber erst später zu Abend essen.
Peter und ich haben beschlossen, kein Menü zu bestellen, sondern gemeinsam mehrere Speisen zu ordern, die wir dann austauschen.
Corina und Irma sind nicht so experimentierfreudig, gucken lieber auf ihren eigenen Teller.
Wir bestellen eine Vorspeisenplatte (Antipasto Misto) mit luftgetrockneter Wurst, Schinken, Oliven und anderen Köstlichkeiten, dazu verschiedene pikante Käse, Pizza und vor allem Vino (rosso e bianco). Wein ist hier ungleich günstiger zu bekommen als Bier, obwohl der edle Gerstensaft im Wege der Angleichung der Kulturen auch in Italia auf dem Vormarsch ist. Brot wird gesondert gereicht und ebenso wie das Gedeck auch gesondert bezahlt. Das Essen schmeckt vorzüglich und wird mit mehreren Grappa abgerundet. Dieser Tresterschnaps aus Weintraubenschalen wird bekanntlich von den Rodgau Monotones in „die Hesse komme!“ urkundlich erwähnt: „Was will`n da de Babba mim Grabba da....“
Je später der Abend, desto voller werden die Kneipe und zumindest die männlichen Teilnehmer unserer Viererrunde (obwohl es Corina ist, die aus Versehen fast vom Stuhl fällt). Sogar Irma nippt ein wenig vom Rotwein, was für sie schon fast einem Exzess gleichkommt!
Da wir am Ende des Abends alle schon recht angeheitert sind, verzichten wir auf ein nächtliches Flanieren durch Rom und gehen plaudernd zum Hotel, das nur ein paar Straßen entfernt ist.
Für morgen haben wir den Besuch des Vatikans und seiner Museen vorgesehen. Christian schläft schon friedlich, und uns fallen nach der Lauferei auch schnell die Augen zu.

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Sonntag, 30. März

Wir haben gut geschlafen. Viertel nach acht schaffen wir es, zum Frühstücksraum zu kommen, in dem Peter und Corina schon sitzen und die italienischen Brötchen verspeisen.
Das Frühstück, das für die Italiener üblicherweise sehr karg ausfällt, ist hier im Hotel Centro nicht schlecht: es gibt ein Buffet mit Brötchen, Weißbrot, Marmelade, Käse und Wurst, dazu können wir Kaffee (mit viel Milch wird er hier serviert), Cappucino, Kakao und Fruchtsäfte trinken.
Frisch gestärkt und mit Stadtplan versehen können wir uns jetzt bei morgendlicher Kühle, aber strahlender Sonne auf den Weg machen.
Heute wollen wir schon früh zum Vatikan und seinen umfangreichen Museen und haben entdeckt, daß wir mit der roten Linie der Metro von „La Republicca“ bis nach „San Ottaviano“ fahren können und dann nur noch eine Straße bis zum Petersplatz hinunterlaufen brauchen.
Wir begeben uns also in den Untergrund und versuchen, eine Tageskarte zu ergattern.
Bei dem modernen Fahrkartenautomaten haben wir das Procedere schnell verstanden, nur spuckt er unsere Geldscheine stets wieder aus.
Glücklicherweise ist ein älterer Bahnbediensteter in der Nähe. Da unsere Italienischkenntnisse sehr limitiert sind, machen wir ihm auf Deutsch unser Problem klar und siehe da: an einem noch moderneren Fahrkartenautomaten funktioniert es!
Das Geheimnis lag darin, daß der Automat nur Wechselgeld bis zu einer bestimmten Höhe herausgibt. Da unsere Geldscheine auf einen zu hohen Betrag lauteten, weigerte sich das sich an seine Vorschriften haltende Gerät, diese zu akzeptieren.
Umgerechnet kostet unsere Tageskarte, mit der wir auch die städtischen Busse benutzen können, etwa 6 DM je Person, ein fairer Preis!
Wie immer ist die Metro ziemlich voll; während der nachmittäglichen Rush-hour ist es sogar manchmal unmöglich, einen Stehplatz zu ergattern, was wir noch erfahren werden.

Die Metro rattert durch die Unterwelt, und nach etwa einer Viertelstunde Fahrt sind wir an der Station San Ottaviano angelangt.
Jetzt müssen wir nur noch die Via San Ottaviano hinunterlaufen, passieren die Piazza de Risorgimento mit den ersten religiös verbrämten Andenkenläden, kommen dann auf die Via P. Angelica und haben dann schon die Grenze des kleinsten Staates der Welt, des Vatikanstaates erreicht.
Wir überlegen, was wir zuerst tun sollen: Peterskirche oder Vatikanische Museen?
Da unsere romkundige Chefin uns von dem Andrang bei den Museen berichtet hat und es noch relativ früh ist, entschließen wir uns, mit den Museen zu beginnen.
Dort, diese Menschenschlange wartet wahrscheinlich auch schon. Wir versuchen, den Beginn der Schlange zu finden. Dies gelingt aber nicht, denn die Schlange geht an der

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Vatikanmauer entlang um die nächste Ecke und auch um die übernächste Ecke.
Es ist die längste Menschenschlange, die wir je gesehen haben, dicht an dicht warten sie auf das Öffnen des Eingangstores. Vordrängeln und von der Seite her in die Schlange einfädeln wollen wir nicht. Das wäre erstens unmoralisch, und zweitens würden da die friedlichsten Rompilger zu wütenden Hyänen. Deshalb beschließen wir, den Museumsbesuch später nachzuholen und vorerst den Vatikanstaat zu umrunden, da wir ohnehin schon um ein paar Ecken der langen Mauer herumgekommen sind.
Es geht steil bergauf; der Bürgersteig ist sehr schmal, und wir freuen uns auf das Experiment, den Umfang eines ganzen Staates abzulaufen.
Der Vatikanstaat ist mit 0,44 qkm (Bundesland Hamburg im Vergleich: 755,31 qkm!, Fürstentum Monaco: 1,95 qkm)) und 500 Einwohnern (sind da auch Frauen dabei?) der kleinste souveräne Staat der Welt.
Der Papst besitzt die oberste legislative, exekutive und judikative Gewalt.
Im Mittelalter war der Kirchenstaat eine große Provinz, zu der große Gebiete in Oberitalien zählten.
1870 wurde der Kirchenstaat durch den Einmarsch des neu formierten italienischen Heeres in Rom gegen eine schwache französische Verteidigungsarmee des Papstes aufgelöst.
Wie es heißt, kamen die letzten drei Gefangenen aus den Verliesen der Inquisition frei.
Die weltliche Souveränität des Papstes war erst einmal vorbei.
Da half es dem Heiligen Vater auch nicht, daß 1864 (also erst in der Neuzeit!) das Unfehlbarkeitsdogma beschlossen worden war.
Nachdem Anfang der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts der faschistische Diktator Mussolini nach seinem Marsch der Schwarzhemden auf Rom an die Macht gekommen war, bemühte er sich um gut Beziehungen zum Heiligen Stuhl, um seine Machtposition im erzkatholischen Italien zu stärken.
So kam es am 11.Februar 1929 zu den Lateranverträgen (benannt nach der Basilika St. Giovanni Laterano).
Diese Verträge gaben dem Papst die Souveränität über ein eigenes Staatsgebiet, nämlich den Vatikan.
Hierzu zählen neben dem eigentlichen Vatikanstaat auch die (neben dem Petersdom) übrigen drei großen Patriachalbasiliken Roms, nämlich die vorerwähnte Basilika San Giovanni in Laterano, San Paolo fuori le Mura und Santa Maria Maggiore sowie der päpstliche Sommersitz Castel Gandolfo und der Palazzo della Cancelleria.
Mussolini schlug in das Häusergewirr vor dem Petersplatz eine große Schneise die Via Concilione (Straße der Versöhnung), um einen repräsentativen Anblick des Petersdomes zu bieten.
Die Lateranverträge hatten insoweit eine unselige Auswirkung, als der Papst (Pius XII.), wohl um die Allianz zwischen Staat und Kirche zu wahren, zu den Judenmorden im zweiten Weltkrieg schwieg, siehe hierzu auch das Drama „Der Stellvertreter“ von Rolf Hochhuth.
Auch nach Ende des zweiten Weltkrieges verhalf der Vatikan vielen Nazis zur Flucht nach Südamerika, von der Rolle des Papsttums im Mittelalter (Kreuzzüge) und in der beginnenden Neuzeit (Inquisition und Hexenverfolgungen) ganz zu schweigen.

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Es ist eine Frage der religiösen und politischen Einstellung, zu beurteilen, ob der Vatikan heute eher segensreich oder verderblich auf die ca. 900 Millionen Gläubigen und das Weltgeschehen einwirkt. Möglicherweise findet ein Umdenken auch erst mit dem nächsten Papst statt, obwohl die Kurie (der Machtapparat der Kirche) sicherlich Acht haben wird, daß der nächste Papst nicht an den Grundfesten des bisherigen katholischen Selbstverständnisses rüttelt.
Einige Besonderheiten: der Vatikanstaat gibt eigenes Geld heraus und verfügt über alle modernen Kommunikationsmittel wie Eisenbahn, Post, Radio und Zeitung .
Der 1861 gegründete „Osservatore Romano“ (der „Römische Beobachter“) erscheint in der Vatikanstadt und ist Mitteilungsblatt des Heiligen Stuhls.
Auch im Internet ist der Vatikanstaat präsent, wie ich mich selbst überzeugen konnte: über den Großrechner mit dem passenden Namen „ChristusRex“ lassen sich die Vatikanischen Museen anwählen, und unter andrem läßt sich das Rosenkranzgebet in dreißig gängigen Weltsprachen abrufen...
Aber den virtuellen Rundgang durch die riesigen vatikanischen Museen habe ich nicht unternommen, um die Telefonrechnung am häuslichen PC nicht in astronomische Höhen zu treiben.
Ebenso verfügt der Vatikan über zwei Postämter und eigene Briefmarken:
es stimmt, was im Reiseführer steht: die vatikanische Post arbeitet schneller und zuverlässiger als die italienische: die Postkarten, die wir noch im Vatikan in den Briefkasten einwarfen, waren schneller am Ziel als die, die wir bei einem anderen römischen Postamt aufgaben. -
Bald haben wir nach steilem Anstieg den Vatikan umrundet, und es geht wieder bergab, Richtung Petersplatz.
An einem Nebeneingang der für Touristen nicht passierbar ist, sehen wir von weitem zwei farbenprächtig gewandete Schweizer Gardisten.
Hierbei handelt es sich um die traditionelle Leibwache des Papstes, die an ihren bunten, angeblich von Michelangelo entworfenen Trachten und den langen Hellebarden erkennbar ist.
Sicherlich haben die Schweizer Garden im Ernstfall noch modernere Waffen, man denke nur an die Gefährdung des Papstes durch Attentate...
Die Schweizer können den Dienst beim Papst anstelle des Wehrdienstes ableisten, sicherlich keine schlechte Alternative zum Heeresdienst in der Schweiz.
Natürlich findet ein strenges Ausleseverfahren statt.

Noch ein letztes mal um die Ecke gebogen, und schon liegt das weite Rund des Petersplatzes vor uns, der sich vor dem Dom erstreckt!
Der Petersplatz (Piazza San Pietro) besteht aus zwei Plätzen: einer bis 340 Meter langen und bis 240 Meter breiten Ellipse und einem trapezförmigen Platz, der Piazza Retta, die zur Peterskirche hin auf feierlichen Stufen zwischen den Statuen der Apostelfürsten Petrus und Pasulus ansteigt und sich zugleich verbreitert.

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Beide Plätze legte der Barockbaumeister Bernini von 1656 bis 1657 im Auftrage Papst Alexanders VII. vor der bereits fertiggestellten Petersbasilika an.
Das Oval umgab Bernini mit vier Reihen von insgesamt 284 Säulen und 88 Pfeilern aus Travertin, den berühmten Kolonnaden, auf denen 140 Heiligenfiguren thronen.
Links und rechts rauschen die Wasserfontänen zweier 8 Meter hoher Brunnen mit riesigen Granitschalen, der rechte wurde 1613 von Maderna, der linke 1673 von Bernini errichtet.
Im Pflaster geben zwei weiß markierte Punkte rechts und links die Brennpunkte der Ellipse an, von der aus die vier Säulenreihen hintereinander als eine einzige erscheinen.
Ich habe dies ausprobiert und mich auf die weißen Punkte gestellt. Es ist tatsächlich so wie beschrieben, aber so außergewöhnlich finde ich es nicht.
Die Piazza, in deren Pflaster weiße, auf das Zentrum zuführende Streifen eingelassen sind, fällt zur Mitte leicht ab.
Dort ragt der 25,50 Meter hohe Obelisk in die Höhe, der auf einem Fundament aus vier Bronzelöwen steht. Die Säule ließ der berüchtigte Kaiser Caligula im Jahre 39 aus dem ägyptischen Heliopolis nach Rom transportieren und in seinem Circus aufstellen .
Angeblich ist im Fuße des Obelisken die Asche Cäsars und in seiner Spitze eine Kreuzesreliquie aufbewahrt. So sind Antike und Christentum symbolisch miteinander verbunden.
Auf dem Platz stehen schon viele Sperrgitter, die Osteransprache des Papstes (eine Woche später) mit seinem berühmten Segen „Urbi et Orbi“ („der Stadt und dem Erdkreis“) rückt näher.
Wir haben auch vor, an einem öffentlichen Gottesdienst mit dem Papst teilzunehmen,
wissen, daß der Termin hierfür stets Mittwochs ist und wir eine Eintrittskarte für den
Freiluftgottesdienst auf dem Petersplatz benötigen.
Allerdings finden wir das hierfür benötigte Pilgerbüro nicht, statt dessen aber die sehnlich erwarteten vatikanischen Toiletten, auf denen das Wappen des Papstes prangt.
Das Papstwappen zeigt die Tiara (die dreifache Krone des Papstes als Anspielung auf Priester-, Hirten- und Lehrgewalt) und die Schlüssel des Himmelreichs, die Jesus dem Apostel Petrus anvertraute: „Du bist der Fels, auf dem ich meine Gemeinde baue“.

Jetzt ist es Zeit, den Dom zu betreten, an dessen Fassade ein riesiges Gerüst zur Renovierung gebaut ist.
Wir sind „anständig“ gekleidet, tragen weder Miniröcke noch kurze Hosen, so daß wir keinem Sittenwächter Grund zur Beanstandung geben.
Die Kirche ist riesig. In ihr herrscht Halbdunkel, durch einzelne Kuppeln fallen Lichtstrahlen, die direkt aus dem biblischen Himmel zu stammen scheinen.
Überall ist wertvoller Carraramarmor, überlebensgroße Statuen von Putten und Heiligen lächeln uns geheimnisvoll zu, alte Kirchenmänner und Päpste aus Stein winken gebieterisch oder segnend, verharren dabei reglos.
Flüstern, Schritte, Schlurfen, ab und zu das Klicken von Blitzlicht und das Surren von Filmkameras.

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Das Innere der Kirche nimmt schon durch seine Ausmaße gefangen:
Sie ist 186 Meter lang, im Hauptschiff 46 Meter, im Kuppelraum 119 Meter hoch.
Auf einer Grundfläche von rund 15.000 Quadratmetern können rund 60.000 (!) Menschen Platz finden.
Der Eindruck von der unglaublichen Weite des Hauptschiffes wird durch das Fehlen der Bestuhlung noch erhöht. In den Seitenschiffen sind allerdings Stuhlreihen für die Gläubigen abgetrennt. Sonnenstrahlen fallen wie aus einer jenseitigen Welt und wie vor 400 Jahren auf die Betenden.
Der von Bernini gestaltete Glorienschein über der „Cathedra Petri“ leuchtet golden.
Die Cathedra Petri ist der goldbeschichtete Holzstuhl, auf dem Petrus seine erste Predigt gehalten haben soll, er schwebt auf wunderbare Weise über den Händen von vier Kirchenvätern, und über ihnen wacht die Heilige Dreifaltigkeit.
Auch die mit Marmor, Gold und Edelsteinen verzierten Altäre und der Mosaikfußboden sind beeindruckend.
In der ersten Kapelle des südlichen Seitenschiffs steht die berühmte „Pieta“ von Michelangelo, ein Jugendwerk des Künstlers, das er im zarten Alter von 22 Jahren erschuf.
Es handelt sich um eine weiße Marmorskulptur mit der lebensgroßen Darstellung der Mutter Gottes, die den toten Jesus im Arm hält.
Das Original hatte ein Kardinal 1498 bei Michelangelo bestellt, als dieser sich zum erstenmal in Rom aufhielt.
Der Vertrag sah vor, „daß es das schönste in Rom bis dato existierende Werk“ werden sollte.
Michelangelo soll wütend geworden sein, als man die Statue einem anderen Künstler zuschrieb und habe eines Nachts seinen Namen in den Mantelgurt der Mutter gottes gemeißelt. Es handelt sich jedenfalls um das einzige signierte Werk des Künstlers.
Die Madonna erscheint ebenso jung wie ihr Sohn. Michelangelo war sichtlich bemüht, makellose ideale Schönheit zu schaffen, was ihm zweifellos gelungen ist.
Die Skulptur mußte 1972 durch eine Kopie ersetzt werden, nachdem ein Geistesgestörter die Madonna mit einem Hammer stark beschädigt hatte..
Die Kopie befindet sich jetzt hinter Panzerglas.

Ganz auffällig ist der 29 Meter hohe Baldachin in der Mitte der Kirche, der sog. „Baldacchino“, den der Baumeister Bernini gestaltet hat.
Dieser riesige Baldachin überspannt auf gedrehten Bronzesäulen den heiligsten Bereich der Kirche - das Grabmahl des heiligen Petrus.
Die gewundenen Säulen, die mich an die Ausstattung eines heidnischen Tempels in einem Monumentalfilm erinnern, sind Repliken der Säulen, an die sich Christus im Salomon-Tempel gelehnt haben soll.
Bernini fügte als schmückende und symbolhafte Elemente Rebenblätter und Bienen (die Wappenzeichen der Barberini) hinzu.
Das Material für den Baldachin entnahm der damalige Papst kurzerhand aus dem
antiken Pantheon-Tempel, der somit seines Goldes beraubt wurde.

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Beeindruckend sind auch die zahlreichen Beichtstühle, die in verschiedenen Sprachen auf die Möglichkeit des Bekennens der Sünden hinweisen; einzelne Beichtstühle enthalten auch einen Hinweis auf die verschiedenen Mönchsorden.
Sie sind aufgereiht wie monströse Kleiderschränke. Wer weiß, was dort alles schon mit stockender Stimme oder mit Erleichterung gebeichtet wurde und ob der jeweilige Priester Mitleid, Hoffahrt, Lüsternheit oder Entsetzen dabei empfand!

Noch etwas zum geschichtlichen Hintergrund:
Die Peterskirche wurde auf den Grundmauern der alten Konstantinsbasilika aus dem Jahre 324 errichtet, die wiederum auf einer Stätte gebaut wurde, die in der Nähe des Circus der Christenverfolger Caligula und Nero liegt.
In diesem Circus starben der Überlieferung nach zahlreiche Christen den Märtyrertod, indem sie gekreuzigt oder mit Pech übergossen wurden, so daß sie als lebende Fackeln verbrannten, während es bei heutigen Historikern umstritten ist, ob auch im Kolosseum Christen umgebracht wurden.
Die Konstantinsbasilika wurde über das Grab Petri gebaut. Das Grab des seinerzeit mit dem Kopf nach unten gekreuzigten Petrus soll auch jetzt noch unter dem Petersdom liegen.
Die ursprüngliche Basilika Konstantins besaß die typische Basilika-Form: ein lateinisches Kreuz aus Mittel- und Querschiff und Seitenschiffen.
1506 begann der Renaissancebaumeister Bramante unter Papst Julius II. die Arbeiten an einer neuen Kirche in Form eines griechischen Kreuzes. Bramante war damals ein Star unter den Architekten.
Das war auch ungefähr die Zeit, in der der Ablaßprediger Tetzel zur Finanzierung der Kirche durch die Lande zog und jedem Sünder Erlaß der Sünden versprach, wenn er nur ordentlich zahlte: „Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegfeuer springt...“ Das war also damals schon eine Vorform des „Sponsorings“, und da viele Menschen ein schlechtes Gewissen hatten, kamen etliche Dukaten, Heller, Peseten und Lire in die Kästen.-
Der brave thüringische Mönch Martin Luther war damals so erbost über den Ablaßhandel, daß er ungewollt, eine Kirchenspaltung einleitete! (Allerdings soll die Geschichte mit den 95 Thesen zu Wittenberg nur eine Erfindung sein)
Nach dem Tod von Bramante nahmen Raffael, Sangallo und Frau Gioconda die Planung in die Hand, was wieder einen Schwenk in Richtung lateinisches Kreuz bedeutete.
!546 plädierte der Maestro Michelangelo wieder für das griechische Kreuz, bis Papst Paul V. befand, das lateinische Kreuz sei doch am angemessensten.
Maderno und Bernini vollendeten schließlich im Jahre 1629 den Bau.

Es ist die größte und bedeutendste Kirche der Christenheit.
Da sie so groß ist, wirkt sie trotz aller Pracht nicht überladen.
Wenn sich der Blick an die Decke richtet, werden die Augen vom goldenen Licht des Himmels geblendet, aus den vielen Kuppeln entströmt.

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Damit die Proportionen innen wie außen harmonisch wirken, ist die Kuppel zweischalig.
Das was als Endpunkt der Kuppel erscheint, ist bei genauer Betrachtung nur der Ausgangspunkt einer neuen sich verjüngenden Kuppel, die dem Himmel noch näher zu sein scheint.
Die größte Kuppel ist die Kuppel des Michelangelo, die sich als Krönung über dem Grab des Petrus erhebt.
Diese Kuppel hat einen Durchmesser von 42,34 Metern und ist somit etwas kleiner als die Kuppel des Pantheon, des antiken heidnischen Tempels, der auch noch bis heute erhalten geblieben ist. Insgesamt ist die Kuppel 119 Meter hoch.
Sie kann auch betreten werden. Das werden wir später in die Tat umsetzen.

Zunächst einmal steigen wir in die Tiefe, besuchen die Schatzkammer des Vatikan.
Gleich hinter dem Eingang befindet sich ein Abguß der schon vorher erwähnten Pieta.
Eindrucksvoll ist auch das Grab des Papstes Bonifaz VI.
Der Papst ruht in Gestalt seiner steinernen Nachbildung auf dem Sarkophag.
Der Steinsarkophag ist verziert mit Darstellungen der weiblichen Musen der Wissenschaften.
Neben der Trigonometria, der Algebra, der Musica, der Astronomia usw. zählt auch die Astrologia nach damaligem Weltbild zu den Wissenschaften..
Prunkvoll sind die goldenen Monstranzen, Kreuze aus Bergkristall protzen neben Siegelringen mit Smaragden, Reliquienschreinen und verblichenen Papstgewändern.
Die Kirche war nie Verächterin des Glanzes und des Prunks, vielleicht abgesehen von den Franziskanern, den „geringen Brüdern“, die im Mittelalter so etwas wie die ersten Alternativen darstellten.

Eher unbequem erscheint dagegen der hölzerne durchgesessene Papststuhl. Und auch das stille Örtchen wird für den heutigen Zeitgenossen angenehmer aufzusuchen sein, als für jeden damaligen Papst oder Bischof.

Nach der langen Zeit im Dunkeln streben wir wieder zum Licht.
Jetzt möchten wir die Hauptkuppel besteigen.
Der Eingang zur Kuppel. befindet sich an der Außenseite des Domes.
Wir möchten gerne den Rundblick von der Kuppel aus genießen.
Vorher kauft Irma in einem Laden aber noch diverse Rosenkränze als Mitbringsel für ihre philippinischen Freundinnen ein und kommt dabei ins Gespräch mit einer Nonne aus ihrem Heimatland.
Endlich ist sie fertig und wir reihen uns in die Schlange beim Eingang ein.
Es kann entweder der Fahrstuhl oder die Treppe benutzt werden.
Wir nehmen den Fahrstuhl und steigen auf halber Höhe aus.
Die Basis der Kuppel im Inneren ist ein Rundgang durch ein Flüstergewölbe: jedes Wort wird im Echo zurückgeworfen.
Tief unter uns sehen wir durch ein Gitter die ameisengleich wandelnden Menschen unten in der Kirche; wieder wird deutlich, wie riesig der Dom ist.

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An der Wand der Kuppel befinden sich kunstvolle Mosaike mit Engelsgesichtern, die in eine andere Welt zu schauen scheinen.
Jetzt gilt es, schmale Wendeltreppen nach oben zu steigen.
Es wird immer enger und enger, so daß einen eher als Höhenangst ein Gefühl der Platzangst überkommt.
Aber schließlich haben wir es geschafft und atmen wieder frische Luft.
Wir sind am Rande der großen Kuppel, dort, wo wir noch vorhin mit der Kamera hingezoomt haben und kleine Bündel von winzigen winkenden Menschen erspähten.
Es herrscht ein dichtes Gedränge hier oben im Rund, und wir bahnen uns mühsam einen Weg zur Brüstung.
Tief unter uns liegen die ockerfarbenen Häuser Roms, aufgelockert durch grüne Hügel und die Kuppeln der zahlreichen Kirchen und Prunkgebäude.
Der Tiber mit seinen Brücken sucht sich wie ein Rinnsal seinen Weg, und ganz nah liegen die vatikanischen Gärten.
Wir sehen im Domizil des Papstes eine Gartenlandschaft mit lustig plätscherndem Sprungbrunnen.
Vor einem palastartigen Gebäude ist das Papstwappen riesengroß im Rasen abgebildet.
Der Sendeturm des Radios Vatikan reckt sich wie ein mahnender Zeigefinger gen Himmel.
Zypressen, Weiden und Pinien lassen manch lauschiges Plätzchen erahnen, unter dem der Heilige Vater Ruhe und Entspannung suchen wird. Vielleicht ist auch schon manches konspirative Gespräch in der Stille der vatikanischen Gärten geführt worden, es wird sich für immer unserer Kenntnis entziehen..

Es wird warm, und langsam bekommen wir Hunger.
Ich benutze mit Christian anstelle des Fahrstuhles für den Abstieg die Wendeltreppen, und wir kommen fast zur gleichen Zeit mit den anderen dort unten an.
Vor dem Besuch der vatikanischen Museen wollen wir uns noch stärken.
Wir verlassen vorerst den kleinsten Staat der Welt, da der Museumseingang an der Außenmauer liegt..
Nachdem wir gestern in einer Snackbar einen billigen Imbiß eingenommen haben, hoffen wir, eine ähnliche Einkehr zu finden.
Christian winkt und ruft: er hat anscheinend ein günstiges Lokal entdeckt.
Ein wohlbeleibter Italiener im grauen Anzug steht am Eingang und preist lautstark und mit großer Geste die Vorzüge gerade dieses Restaurantes.
Wir hören auf den Schreihals, marschieren rein und bestellen uns die leckeren Sachen aus der Vitrine: Lasagne, Rigatoni, Mozarella, Salat und als Besonderes gebratene Aubergine, die spaßigerweise mit einem Knödel gefüllt ist.
Es schmeckt vorzüglich, nur nehmen wir nicht bewußt wahr, wie teuer die Speisen tatsächlich sind, insbesondere dann, wenn sie im Sitzen verzehrt werden.
Es gibt nämlich noch eine extra Sitzplatzsteuer in Italien, und unsere einfache gefüllte Aubergine kostet zum Beispiel 18.000 Lire, umgerechnet 18 DM, so daß wir insgesamt 140.000 Lire bezahlen müssen, was die Paare hälftig unter sich aufteilen.

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Es ist das einzigemal während unseres Aufenthaltes in Rom, daß wir das Gefühl haben, eine überteuerte Rechnung begleichen zu müssen.
Nach dem Essen warten Corina, Peter und ich eine halbe Stunde auf Irma, die unseren anspruchsvollen Sohn Christian bei der T - Shirt - Suche begleitet. Im Grunde soll er ja auch zu seinem Recht kommen, weil ein Städteurlaub für einen Neunjährigen nicht so ganz toll ist.
Endlich kommen sie zurück, und wir können zu den Vatikanischen Museen pilgern.
Die Musei Vaticani, die einen großen Teil des Vatikanischen Palastes einnehmen, sind eine der berühmtesten und bedeutendsten Kunstsammlungen der Welt.
Sie entstanden, als Papst Julius II. im Jahr 1506 begann, den Idealen der Renaissance folgend, alte Kunstwerke zu sammeln. Hierzu zählten auch wertvolle Kunstwerke der Antike, die man bei Entdeckungen oder Ausgrabungen im Gebiet des Kirchenstaates fand. Jeder Papst war interessiert daran, den Reichtum zu mehren und mit neuen Ausstellungsstücken zu renommieren.
Fast wichtiger als die eigentlichen Sammlungen sind jedoch die Kunstwerke, die für den Vatikanischen Palast oder auf Wunsch der Päpste geschaffen wurden, etwa die Gemälde der Sixtinischen Kapelle oder die Gemälde in den Stanzen (Räumen) des Raffael.

Der Eintritt in die Museen beläuft sich für Erwachsene auf je 15.000 Lire.
Auf dem Weg zu den Kartenschaltern lernt man den 1932 geschaffenen Spiralaufgang, die Simonetti - Treppe, kennen, die an ein Schneckenhaus erinnert.
Ich stelle fest, daß ich nicht in der Lage bin, dem Weg des Aufganges von unten oder oben zu folgen.
Dies ist auch nicht leicht, denn es handelt sich tatsächlich um eine Doppelspirale. Wer nach Rom fährt, kann es ausprobieren und sich ebenfalls schwindlig schauen...
Es gibt mehrere Rundgänge, die mit Buchstabensymbolen gekennzeichnet sind, wobei aber fast immer ein Hinweis auf die Sixtinische Kappelle enthalten ist.
Es ist schwer, den idealen Rundweg zu finden.
Generell wirkt die Vielzahl der Exponate fast erdrückend. Du möchtest Dir alles genau anschauen, aber dann rennt die Zeit davon, und wie eine Schafherde folgen schon die nächsten Besuchergruppen.
Es fällt mir schwer, aus der Erinnerung alles richtig wiederzugeben, so vielfältig sind die Eindrücke.
Wir gehen durch lange Gänge mit kostbarem Fußboden aus Carrarra - Marmor in verschiedenen Farben. Schon an den glänzenden geometrischen Mustern im Marmor kann man sich nicht satt sehen!
Anfangs säumen antike römische und griechische Figuren den Weg. Ich erkenne den flötespielenden Hirtengott Pan oder war es der römische Cupido, der schelmische Gott der Liebenden? Die Scharen trotten durch die Gänge......
Unverwechselbar ist die vielbrüstige weiß strahlende Diana von Ephesus. Der Diana - Tempel (Bei den Römern hieß die Göttin Minerva). In Kleinasien war ja seinerzeit eines
der sieben Weltwunder der Diana-Tempel zu Ephesus. (Auch heute ist für viele wieder eine Göttin namens Diana existent...).

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Herrlich sind die Kasettendecken in Gold, Blau und rot mit den diversen Papstwappen. Gemerkt habe ich mir, daß die Bienen die Zeichen der Barberini - Dynastie sind.
Der Gang führt weiter zu den Landkartenfresken.
Als Landkartenliebhaber gefallen mir die phantasievoll gezeichneten Karten mit grünen Wäldern, roten Städten, wandernden Heeren, blauen Meeren, Windgöttern, Meeresungeheuern und kreuzenden Segelschiffen ausnehmend gut.
Es läßt sich erkennen, daß die einzelnen Landschaften Italiens mosaikweise dargestellt sind, Auf einer großen Landkarte am Ende des Ganges ist der ganze italienische Stiefel mit allen Provinzen zu erkennen.
Zwischendurch sind überall Hinweisschilder auf die Stanzen Raffaels angebracht.
Die Stanzen Raffaels wurden 1508-1520 von dem so jung gestorbenen Renaissancekünstler Raffael für Papst Nikolaus V. ausgemalt.
Unter den Fresken Raffaels in den Stanzen sind die berühmte „Disputation über das Heilige Sakrament“ und „ Die Schule von Athen“ hervorzuheben.
In dem ersteren Werk finden wir die Gestalten des christlichen Glaubens einschließlich Kirchenvätern, Evangelisten, Propheten, Päpsten, Bischöfen, Kirchenlehrern, Heiligen, Theologen, den Dichter Dante sowie Christus, Maria und Gottvater.
Bei der „Schule von Athen“ geht es um die weltlichen Wissenschaften und die Philosophie. Dort tummeln sich Platon, Aristoteles, und Sokrates für die Philosophie, Bramante für die Architektur, Xenophon für die Historie, Archimedes, Pythagoras und Euklid für die Mathematik und auch der Künstler Raffael selbst für die Malerei.
Weitere Räume, die Loggien Raffaels, sind mittlerweile für die Besucher aus Sicherheitsgründen gesperrt, da sie sich zu dicht an den Privatgemächern des Papstes hier im Vatikanischen Palast befinden.

Es geht nun in labyrinthischen Winkeln um die Ecke, und ohne die Buchstaben und den immer wiederkehrenden Hinweis auf die Sixtinische Kappelle hätten wir schon fast die Orientierung verloren.
Jedenfalls sehen wir neben großformatigen Gemälden mit religiösen Szenen (Märtyrer, biblische Handlungen, Heiligengestalten, Madonnen) auch monumentale wandgroße Gemälde von Schlachten und Kampfgetümmel, bunt und blutrünstig.
Nach einem weiteren Schwenk passieren wir die Gänge zu der Vatikanischen Bibliothek.
Zu den eigentlichen wertvollen Büchern und Schriften aus dem Mittelalter gelangt man nur mittels Sonderausweis.
Aber auch so sind die ausgestellten schweren Folianten beeindruckend; immer wieder sehen wir auch wertvolle Gewänder, Gemälde, Vasen, Monstranzen, Kelche, Fresken, Kasettendecken, Säulen, Marmor, Weltkugeln usw. usw.
Endlich führt eine Treppe zu dem absoluten Höhepunkt der Vatikanischen Museen, der Sixtinischen Kappelle!
Sie gilt als das Meisterwerk der Renaissancekunst schlechthin, und während wir den halbdunklen Raum betreten, sehen wir schon die herrlichen Gemälde an der Decke leuchten.

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Die Kapelle ließ der Renaissance - Papst Sixtus IV. von 1473 - 1484 im Vatikanischen Palast einrichten.
Sie ist ein einfacher Raum von 40,50 Meter Länge, 20,70 Meter Breite und 13,20 Meter Höhe mit großen Wand- und Deckenflächen.
Die Kirche ist gleichsam die päpstliche Hauskapelle und wird vom Papst für Gottesdienste und bei feierlichen Anlässen genutzt.
Nach dem Tod eines Papstes findet hier das Konklave statt, um das neue Oberhaupt der katholischen Kirche zu wählen.
Die Seitenwände zwischen den Fenstern sind von großformatigen Fresken bedeckt, die Sixtus von den berühmtesten italienischen Malern seiner Zeit ausführen ließ und die biblische Szenen auf dem Hintergrund der ihnen bekannten Landschaften der Toskana
und Umbriens schufen.
Die berühmten Fresken an der Decke hat Michelangelo vom Herbst 1508 bis zum August 1510 im Auftrag von Papst Julius II., des großen Renaissance - Fürsten, zumeist eigenhändig ausgeführt.
Die Arbeit im Liegen auf einem Gerüst war quälend anstrengend.
Der Künstler selbst hat sich darüber beklagt und seine bedauernswerte Lage in einer Zeichnung festgehalten.
Nachdem er am Rande der totalen Erschöpfung stand, legte er 1511/1512 letzte Hand an.
Es ging ihm um nichts weniger als darum, die Erschaffung der Welt nach biblischem Verständnis darzustellen.
Berühmtestes Motiv ist die Erschaffung Adams: Gottes Finger und Adams Finger berühren sich, während Gott bereits Eva als künftige Begleiterin Adams bereithält.
Es folgen der Sündenfall, die Vertreibung aus dem Paradies durch die Cherubim mit dem Flammenschwert, das Opfer Noahs, die Sintflut, die Trunkenheit des Noah.
Die Mittelfelder sind umrahmt von den mächtigen Einzelgestalten der Propheten und Sybillen (Wahrsagerinnen), die vor Christus die Juden und die Heiden mit der Botschaft Gottes vertraut machten.
Darüber befinden sich die „Ignudi“, nackte Figuren, die aus Papstsymbolen und Medaillons gewobene Girlanden tragen.
Ende der 80er Jahre restaurierten Japaner die Deckenfresken, und die Experten waren überrascht, als sehr kräftige Farben aufleuchteten, nachdem alte Rußschichten entfernt worden waren. Ein paar Kunstkritiker sprachen von Verfälschung, aber es existieren keine Zeitzeugen mehr, die sagen könnten, wie Michelangelo die Fresken damals wirklich gemalt hat.
Er würde sich wahrscheinlich von dem Besuchergetümmel mit Grausen abwenden, weil er ein ziemlicher Eigenbrötler war.
Selbst wenn wir nicht alle Allegorien und biblischen Szenen verstehen, sind wir doch sehr beeindruckt von den farbenprächtigen und kontrastreichen Szenen.
Als 59jähriger malte Michelangelo unter Papst Paul II. an der Altarwand das Fresko „Das Jüngste Gericht“, mithin ein Gegenpol zur „Erschaffung der Welt“.

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Wie ein mächtiger jugendlicher Gott erscheint Jesus Christus auf den Wolken des Himmels, umgeben von Maria, den Aposteln und anderen Heiligen.
Die Gerechten (links) und die Verdammten (rechts) sind in turbulentem Auf- und Abstieg begriffen.
Unten vollzieht sich die Auferstehung der Toten aus den Gräbern.
Der Totenschiffer Charon aus der griechischen Mythologie (Namensgeber für den Mond des Planeten Pluto) treibt die entsetzten Sünder in sein Reich.
In der Mitte rufen die Engel mit Posaunen alle zum Gericht herbei; oben tragen Engel die Leidenswerkzeuge Christi im Triumph.
Den 391 Figuren hat Michelangelo athletische Gestalten gegeben und manche mit leicht erkennbaren Einzelheiten versehen: Petrus mit dem Schlüssel, den Märtyrer Sebastian mit den Pfeilen, den Märtyrer Laurentius mit dem Rost, auf dem er gegrillt wurde, die Märtyrerin Katharina mit dem Rad, auf das sie geflochten wurde und den heiligen Bartholomäus mit seiner abgezogenen Haut, die das Antlitz Michelangelos trägt.
Es ist nicht gerade ein friedlicher Anblick!
Das vielbewunderte Fresko erregte seinerzeit auch Unwillen:
Aretino fand, es passe besser in eine Badestube oder Kneipe.
Der Künstlerkollege El Greco schlug gar vor, es zu ersetzen.
Die schamhaften, die Nacktheit verhüllenden Draperien wurden bald nach Vollendung von Daniele da Volterra hinzugemalt.
Wir verharren vor dem Monumentalwerk, bis uns schon der nächste Besucherstrom aus der Kapelle hinausspült.

Es ist jetzt 16.15 Uhr. In der Nähe der großen Weltkugel im begrünten Innenhof der Vatikanischen Museen beratschlagen wir über den weiteren Tagesablauf.
Wegen Hitze und Müdigkeit wollen die anderen vier zum Hotel zurück, um sich für den Abend frisch zu machen.
Ich bin noch zu aufgekratzt, um mich von den Kunstschätzen zu trennen, obwohl ich ein leichtes Ziehen in der Herzgegend spüre. Vielleicht ist es aber nur der Rücken bzw. das Halswirbelsäulensyndrom, das ausstrahlt. Nach Rom mit seinen Gewaltmärschen und den vielen Treppenstufen habe ich zuhause keine Beschwerden mehr verspürt.

Es ist kein Problem: die anderen Vier marschieren los, während ich noch ein bißchen in den Seitenbereichen des Museums stöbern will. Hatte ich nicht vorhin ägyptische Sarkophage gesehen?
Das ägyptische Museum enthält Kunstwerk der Dynastien vom 3. Jahrtausend bis zum 6. Jahrhundert vor Christus. Überall in Rom stehen ja insbesondere vor großen Kirchen die ägyptischen Obeliske: „Beutekunst“ schon vor Schliemann`s Troja und der Roten Armee!
Stein- und Holzsarkophage künden von weit vergangenen Tagen.
Zwei Mumien liegen flach ausgestreckt auf ihren Särgen. Die eine ist schwarz getrocknet und wirkt mit ihren schiefem Mund und den noch erhaltenen Zähnen recht unheimlich.

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Nachts möchte ich weder mit dieser Mumie noch mit einem Versicherungsvertreter hier eingeschlossen sein!
Das etruskische Museum erstreckt sich immerhin auch über 18 Säle.
Die Ausstellungsgegenstände sind nicht so spektakulär wie bei den Ägyptern oder in den großen Sälen. Aber dieses geheimnisvolle Volk hat den Aufstieg der Römer erst vorbereitet.
Zu den Etruskern ein kleiner Literaturhinweis: „Turms der Etrusker“ ein Roman des Finnen Waltari, der auch den erfolgreichen Roman „Sinuhe, der Ägypter“ geschrieben hat, einen Klassiker der spannenden historischen Romane.
In der griechischen Abteilung passiere ich endlose Reihen von Vasen und Amphoren mit Motiven, die mich an die Illustrationen meines längst vergessen geglaubten Lateinbuches erinnern.
Bei den Römern gefällt mir besonders die Lorbeerkranzsammlung: gar zu gern hätte ich davon ein paar, die verdienten Mitarbeiter/innen der Finanzverwaltung anläßlich von Beförderungen oder als Leistungszulage verliehen werden könnten.

Erwähnen muß ich noch die „Laokoon-Gruppe“ im Hof des Museo Pio Clementino.
Sie zeigt den Trojaner Laokoon mit seinen Söhnen im Kampf auf Leben und Tod gegen zwei mächtige Schlangen, die der Meeresgott Poseidon gegen ihn ausgesandt hatte, um ihn zu bestrafen.
Etwass abweichend von den übrigen Skulpturen ist auch der Inhalt der „Sala degli animali“: wie der Name schon andeutet, geben sich hier viele steinerne Tiere aus Marmor oder Alabaster ein Stelldichein , auffällig die Statue des Meleagros mit Hund und Wildschweinkopf.
Während des Rundganges gelange ich ungeplant noch einmal zur Sixtinischen Kapelle, die ich mir nun in Ruhe betrachte, weil jetzt auch der Besucherstrom schon nachgelassen hat.
Eine Stunde bin ich jetzt hier allein durch die Säle gewandert und nehme nun schweren Herzens Abschied von den Kostbarkeiten des Vatikanischen Museums.
Als ich den Vatikanstaat verlasse, liegen Jahrhunderte, Schätze und versunkene Welten hinter mir, aber schon der Anblick von kuttenverhangenen Dominikanermönchen an der Bushaltestelle zeigt, daß zumindest die römisch - katholische Kirche in ihrem absolutem Zentrum, nämlich Rom, noch durchaus sehr lebendig ist.
Die Kirche nimmt in vielen Ländern ja noch sehr stark Einfluß auf das Leben der Menschen, was hierzulande die Diskussion über die Abtreibung, das Laienpriestertum, den Zölibat und die Frauenrechte bestimmt.

Wie gelange ich jetzt zum Hotel?
Da ich noch einiges sehen möchte, beschließe ich, den Weg zum Hotel, etwa 5- 6 Kilometer, zu Fuß zurückzulegen. Der Weg durch Rom ist nämlich sehr spannend und
abwechslungsreich, und es ist auch nicht mehr so heiß wie am frühen Nachmittag.
Mein erstes Ziel, noch diesseits des Tiber, wird die Engelsburg sein.

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Vorher will ich aber noch etwas wichtiges klären, nämlich das Büro finden, indem es die Zugangskarten für den Papstgottesdienst am Mittwoch auf dem Petersplatz gibt.
Daran wollen wir nämlich gerne teilnehmen, wenn wir schon mal in der „Heiligen Stadt“ sind.
Das Büro soll bei den Kolonnaden sein. Ein netter Polizist von der Polizeistation verweist mich an die Schweizer Garde am rechten Nebeneingang zu den Palästen.
Mit ihren Hellebarden und dem unnahbaren Gesichtsausdruck wirken die Gardisten respekteinflößend.
Ohne groß nachzudenken, spreche ich den buntgewandeten Wächter auf englisch an.
Im besten Schwyzerdütsch antwortet er und teilt mir mit, wir könnten morgen kostenlose Eintrittskarten im Pilgerbüro im Palast erhalten, er zeigt auf eine Treppe, die rechts zum ersten Stockwerk führt.
Schön, das wäre nun auch geklärt.
Sechs Wochen später hat ein Gardist seinen Kommandanten erschossen, sei es nun wegen einer nicht erhaltenen Beförderung oder wegen politischer Wirren, ich hoffe nur, es war nicht der freundliche Wächter, mit dem ich ein paar Worte gewechselt habe.
Aber Verbrechen machen nicht vor heiligen Orten halt, vielleicht werden sie von Machtzentren sogar besonders angezogen.

Jetzt kann ich den Heimweg antreten, aber bei dem herrlichen Sonnenschein will ich noch nicht zum Hotel zur Siesta zurück, sondern die Zeit noch auskosten.
In der Engelsburg soll es eine schöne Waffensammlung, dunkle Gänge und alte Kanonenkugeln geben, dies ist ein Ort, der auch Christian gefallen könnte und den ich deshalb auskundschaften will.
Zunächst schlendere ich die Via Concilione hinab, die breite, von den Faschisten angelegte Straße, in der sich ein Devotionaliengeschäft ans andere reiht.
Dann kurz vor dem Tiber geht es nach links, dort erhebt sich schon der kreisrunde Klotz, die Engelsburg.
Auf dem Weg dorthin hat sich am Straßenrand und an der Tiberpromenade ein buntes Völkchen niedergelassen: afrikanische Händler, die Masken, Holzfiguren, Ledertaschen, Imitate, Portemonnaies, kleine Kolosseen und allerhand Kunst und Kitsch feilbieten.
Jetzt ist die Zeit, während der die Reisebusse halten, da gilt es, die für den täglichen Daseinskampf entscheidenden Geschäfte zu machen, immer sprungbereit, falls vielleicht eine Kontrolle stattfindet und die Aufenthaltsgenehmigung nicht ausreicht.
Auf der Engelsbrücke stehen sie sogar in zwei Reihen, die weißen großen Marmorskulpturen, Engel in Verzückung, scheinen sich in ihrem entrückten Zustand nicht an dem bunten geschäftstüchtigen Treiben zu stören, sie lächeln verklärt und werden dies auch dann noch tun, wenn alle Händler abgezogen sind...
In Rom, besonders in den Mietskasernen der Vorstädte leben viele Immigranten, und die neofaschistische Partei macht dies gern zum Wahlkampfthema, eine Problematik wie sie fast überall in Westeuropa existiert.

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Die Engelsburg („Castel Sant`Angelo“) ist ursprünglich ein Grabbau, den Kaiser Hadrian (117-138 n. Chr.) in den letzten Jahren seiner Regierungszeit als Mausoleum für sich und seine Nachfolger beginnen und Kaiser Antoninus Pius (139 n. Chr.) vollenden ließ.
Als Rom durch die Einfälle der Germanen von Norden her gefährdet wurde und im 3. Jahrhundert unter Kaiser Aurel eine neue Stadtmauer erhielt, wurde das Mausoleum des Hadrian in die Befestigungsanlagen einbezogen und dank seiner strategisch günstigen Lage am Tiber zur bewährtesten Festung Roms ausgebaut.
Seinen Namen Engelsburg bekam das Mausoleum, als im Jahr 590 Papst Gregor der Große in einer Vision einen Engel sah, der dem Papst das Ende der damals wütenden Pestepidemie ankündigte.
Die Bronzestatue eines Engels (von 1753) auf der Spitze erinnert daran.
1277 verband Papst Nikolaus III. die Burg mit dem Vatikanischen Palast durch eine „Passetto“ genannte Mauer, in der ein teils geschlossener, teils bedeckter Gang verläuft.
Alexander VI. (1492-1503), der Borgia-Papst, sicherte diesen Gang und befestigte das Kastell weiter mit vier Eckbastionen.
In drohenden Situationen suchten die Päpste Zuflucht in der Engelsburg, so Papst Gregor VII. (1084) vor Heinrich IV. und Papst Klemens VII. vor den Landsknechten Kaiser Karls V. beim „Sacco di Roma“.
Dies war ein Raubzug deutscher Landsknechte: am 6. Mai 1527 erstürmte die Armee Kaiser Karls V. die Mauern Roms, fiel im Stadtteil Trastevere ein und überquerte den Tiber über die Brücke „Ponte Sisto“.
Der Papst schloß sich in der Engelsburg ein und gab Rom der Plünderung preis.
Der Papst hatte sich auf die „falsche Seite“ gestellt, nämlich auf die des französischen Königs Franz I. , des Erzrivalen von Karl V.
Schließlich flüchtete auch Papst Pius VII. vor den Truppen Napoleons.

Berühmte Gefangene, berüchtigte Hinrichtungen haben die Mauern der Engelsburg gesehen; in der Oper „Tosca“ dienten sie als Kulisse des dritten Aktes.
Zeitweilig nahmen sie die päpstliche Schatzkammer und das Geheimarchiv auf.
Das Mausoleum des Hadrian erhob sich als Rundkörper mit dem stattlichen Durchmesser von 64 Metern und einer Höhe von 20 Metern über einem quadratischen
von 83 Metern Seitenlänge und 15 Metern Höhe.
Auf dem Gesims der aus Travertin - und Tuffquadern gefügten Mauer standen Statuen, auf dem höchsten Punkt eine Quadriga aus Bronze: der Streitwagen des Kaisers, gezogen von vier schnaubenden Rossen, ähnlich der Quadriga auf dem Brandenburger Tor.

In der Nachmittagssonne wirkt das Gebäude eher friedlich: auf der Wiese vor dem Burgtor spielen Jugendliche Fußball, Besuchergruppen verlassen die Burg.
Was für ein schöner Zufall: während dieser Woche ist der Eintritt frei!

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Im Innern empfängt mich ein kühles Gewölbe. Ein breiter düsterer Rundgang führt den Besucher langsam nach oben. Die dicken Mauern lassen ahnen, daß niemand den Kerkern dieser Festung entweichen konnte.
Die Kargheit der Engelsburg steht in Kontrast zur Pracht des Petersdomes.
Auf halber Höhe geht es nach draußen und auf einem Rundgang läßt sich das Panorama Roms genießen: der Tiber, die vielen Brücken, der Petersdom, die begrünten Hügel mit Schlössern und Villen, die Kirchen Roms....
Ein kleines Café lädt zum verweilen ein, aber ich will noch weiter hinauf.
Von oben fällt der Blick auf einen abgesperrten Teil der Festung, wo neben den Geschützen fein säuberlich wie vom Zuckerbäcker hergestellt weiße steinerne Kanonenkugeln aufgerichtet sind. Ob sie wohl jemals noch zum Einsatz kommen werden?
Die Waffensammlung finde ich heute nicht, das Innere der Gebäude ist trotz schöner Wandfresken und Kasettendecken bei weitem nicht so beeindruckend wie im Petersdom oder den Vatikanischen Museen, aber es ist nun einmal eine Festung, da geht Funktionalität vor Schönheit.

Ich verlasse die Engelsburg und überquere den Tiber.
Ich freue mich schon auf den Weg quer durch das alte Rom mit seinen gewundenen Gassen, den großzügigen Plätzen, alten Tempeln und plätschernden Springbrunnen.
Zunächst einmal aber verlaufe ich mich, lande wieder am Tiberufer anstatt an der Piazza Navona, da ich nur einen kleinen unvollständigen Stadtplan dabei habe und fast 16 Jahre seit meinem ersten Rombesuch vergangen sind.
Aber dann konzentriere ich mich besser und kann mich nach den braunen Schildern richten, die jeweils Fußwege zu den touristischen Attraktionen angeben.
So kann ich dem Verkehrsgewühl entkommen und durch kleine Gassen zunächst zum Pantheon finden.
Das ist der große Tempel des Agrippa, der bis in die heutige Zeit überdauert hat, weil er in der christlichen Zeit zur Kirche umfunktioniert wurde.
Die Piazza Navona, meinen Lieblingsplatz in Rom, habe ich auch mit Freuden wiedergesehen, und bald bin ich auch schon am Trevi-Brunnen.
Aber die Schönheiten der Innenstadt beschreibe ich dann am morgigen Tag, wenn wir mit der ganzen Gruppe einen Stadtbummel machen. Außerdem bin ich jetzt tatsächlich spät dran, will mich nicht nochmals verlaufen und den Start ins gemeinsame Abendprogramm: gut und reichlich essen! - nicht verpassen.
Interessant ist vielleicht noch, daß in einer Seitenstraße große Absperrungen sind, schwarze Limousinen vorgefahren sind und auffällig unauffällige Bodyguards herumlungern. Wer da wohl kommt? Der Papst beim Stadtbummel? Claudia Schiffer auf dem Weg zum Trevi-Brunnen? Helmut Kohl auf dem Weg zu einem Gipfel? Die Mafia, Sodom und Camorra? Oder vielleicht sogar der Meister, Guildo Horn persönlich?
Aber dessen Stern wird erst ein paar Wochen später hell erstrahlen..

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Egal, ich bin froh, als kurz vor halb sieben wieder im Hotel bin.
Alles ist normal: Irma hat für Christians Abendessen im Fastfood-Restaurant gesorgt, nach Kostümen und Taschen Ausschau gehalten und kuriert jetzt ihre Fußschmerzen aus.
Christian erklärt kategorisch, er wolle wieder im Hotel bleiben und die geile Sendung „Glücksrad“ von SAT 1 sehen.
Wir sind nicht allzu traurig darüber.
Heute abend wollen wir gemütlich in Trastevere speisen.
Trastevere, wie schon der Name andeutet, ist das Viertel jenseits des Tiber, also auf der Seite des Vatikanstaates, das berühmt ist wegen seiner ursprünglichen Atmosphäre und der vielen kleinen Lokale, egal ob sie nun in die Kategorie Osteria, Trattoria; Pizzeria oder Ristorante fallen. So ein großer Unterschied besteht zwischen diesen Gattungen nicht .
Um 19.30 Uhr brechen wir gemeinsam - aber ohne Christian - auf, steigen an der Station „Repubblica“ in die Metro und halten an der Station „Colosseo“, wo wir das angestrahlte Kolosseum und den weiß leuchtenden Konstantinsbogen bewundern.
In der Nähe schlummern jetzt die Überreste aus antiker Zeit auf dem „Forum Romanum“, dem großen Trümmerfeld aus Roms glorreicher Vergangenheit.
Der antiken Geschichte wollen wir uns morgen widmen.
An der Piazza Venezia, dem zentralen Verkehrsknotenpunkt Roms, müssen wir aufpassen, nicht unter die Räder zu geraten.
Von weitem schimmert die weiße Trajanssäule herüber. Auf ihr hat Kaiser Trajan seine Eroberungsfeldzüge reliefartig festgehalten.
Noch ein paar Minuten Weg, und schon sind wir wieder am Tiber.
Vor uns ruht, einem großen Schiff gleich, die Tiberinsel (Isola Tevere) im dunklen Wasser. In der nächtlichen Ruhe wirkt sie wie ein Bild aus alter Zeit.
Auf der Insel befindet sich ein Krankenhaus, die Kirche San Bartolomeo und diverse Trattorien, Wohnungen und Geschäfte.
Davon sehen wir heute abend nichts, aber wir haben auch schon langsam Hunger.
Das Viertel Trastevere ist viel ruhiger, als ich erwartet habe.
Aber anscheinend sind wir noch in der Vorsaison. Es wird auch etwas zu kühl sein, um draußen zu sitzen.
Schön sind die weinüberwucherten Häuser, die kleinen Nischen und Plätze, hier mal ein Springbrunnen, dort ein kleiner alter Handwerksladen, weiter weg mal das Aufheulen eine Mopeds, das Brummen einer Vespa, Jugendliche, die in kleinen Gruppen unterwegs sind, verirrte Touristen wie wir....
Heute gucken die beiden Frauen ein kleines Lokal aus.
Sie plädieren dafür, ein komplettes Menü zu bestellen anstelle der kunterbunten Zusammenstellungen quer durch die Speisekarte, wozu Peter und ich aus Experimentierfreudigkeit neigen.
Voller Erwartung betreten wir die ausgewählte Osteria, die innen schon ziemlich gefüllt ist, so daß wir eine Treppe hinuntersteigen und in einem gemütlichen kleinen Speiseraum landen.

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Eine auch nach Urteil der Frauen sehr hübsche sanfte Kellnerin bedient uns und bringt natürlich zuerst den Wein; ich glaube, wir haben mit Rotwein angefangen und mit Weißwein weitergemacht oder war es umgekehrt? Aber wegen des weiten Heimwegs trinken wir diesmal nicht so viel.
Das Menü beginnt mit einer Nudelvorspeise. „Penne arrabiata“ sind dicke Nudeln mit einer scharfen Sauce; ich bin ganz begeistert, daß mich die italienische Küche mit einem mir noch nicht bekannten scharfen Gericht überraschen konnte. Die andere Alternative für die Vorspeise ist Buccattini Matriciana („wie bei Muttern“); Nudeln mit Speck und Ei, einfache Zutaten, aber lecker und raffiniert gemacht.
Fast sind wir schon nach der Vorspeise satt.
Danach folgt zusammen mit Weißbrot das Hauptgericht: ein Schnitzel mit Weinsauce, auch ein Gaumenkitzel.
Als weiteres wird ein knackiger gemischter Salat , der berühmte „Salato Misto“ serviert, und zum Nachtisch gibt’s wahlweise Kaffee oder ein Stück Tiramisu.
Schade, wir drei hätten das Tiramisu anstelle des Kaffees wählen sollen: die Kostprobe von Irmas Teller war ein Gedicht, und sie wird von gierigen Mäulern umlagert!
Auch an diesem Abend genießen wir das Dolce Vita der italienischen Lebensart.

Zwei Stunden später sind wir an der Straßenbahnhaltestelle und überlegen, wie wir am günstigsten zurückfahren können.
Die einzelnen Stationen kennen wir, aber wir wissen nicht so genau, ob wir in diese oder in die entgegengesetzte Richtung müssen.
Egal, die Tram kommt, und wir steigen ein, immerhin sind wir allesamt erfahrene Weltenbummler.
Schön, daß wir bald im Hotel sind, der Tag war anstrengend und nach dem guten Essen und dem Wein haben wir die richtige Bettschwere.
Komisch, daß jetzt gar nichts mehr in der Innenstadt los ist, nicht mal die angestrahlte Piazza Venezia nehmen wir wahr.
Die Fahrt dauert auch schon recht lang, und es werden immer weniger Mitreisende.
Langsam dämmert uns etwas: wir sind in die falsche Richtung gefahren und werden gegen Mitternacht am Arsch der Welt aussteigen!
So ist es: die Endstation ist ein düsteres Vorstadtviertel, irgendwo ist ein dunkler Park, soll das unser Nachtquartier werden? Was passiert mit Christian, was wird er sagen, wenn Papa und Mama zum Frühstück noch nicht zurück sind?
Wir stehen ein paar Minuten unschlüssig am Wendeplatz.
Dann kommt die Rettung: es fährt noch ein Bus in die Innenstadt zurück, Bus 640, schön, daß es ihn gibt!
Der treue Bus fährt auf seiner Route bis in die Nähe des Hotels.
Diesmal passen wir auf, springen zur rechten Zeit aus dem Bus und freuen uns darauf, endlich schlafen und ausruhen zu können, ciao, ciao bis morgen.-

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Dienstag, 31.März

Genüßlich schlürfen wir unseren Morgenkaffe mit viel Milch und knabbern an den knusprigen Brötchen. Heute ist wieder ein schöner Tag, es wird noch 25 Grad warm werden.
Wir wollen nach dem „christlichen Rom“ des gestrigen Tages heute das „antike Rom“ studieren, sprich: Forum Romanum, Kolosseum, Konstantinsbogen, das Pantheon...
Nach dem Frühstück fahren wir mit der Metro aber zunächst wieder zum Vatikan.
Dort wollen wir uns im ersten Stock des Palastes die Eintrittskarten für den morgigen Freiluftgottesdienst mit dem Papst auf dem Petersplatz abholen.
Etliche Bittsteller warten dort schon. Sowohl die Nonne in schwarzer Tracht als auch der indische Geistliche vor uns haben irgendwelche Empfehlungsbriefe bei sich, die sie dem hinter seinen Brillengläsern väterlich-streng hervorlugenden Monsignore präsentieren.
Ob wir so ein dekoratives Schreiben auch brauchen?
Aber nein, der freundliche ältere Herr überreicht uns die kostenlosen Eintrittskarten in Leuchtorange, und zufrieden ziehen wir von dannen.
Wo der Heilige Vater wohl seine Privatgemächer hat? Die Flure und Gänge sind jedenfalls für Besucher nicht zugänglich.
Jetzt wollen wir als ganze Gruppe die Engelsburg besichtigen, die ich gestern schon ausgekundschaftet habe.
Die schwarzen Händler sind nicht so zahlreich vertreten wie gestern nachmittag, die Afrikaner haben ihren Tagesablauf auf das Kommen der Touristenbusse abgestimmt, jetzt ist es noch zu früh für einen guten Umsatz!
Wir haben bald den Tiber erreicht.
Christian und ich steigen die Stufen zum Flußufer hinab. Es riecht sehr streng, es ist nicht ratsam, im Tiber zu baden.
Im Mittelalter und in der Antike roch es hier bestimmt noch schlimmer, ich stelle mir vor, wie tote Schweine und ggf. auch tote Gladiatoren hier vorbeitrieben.
Das Wort Kloake ist im übrigen abgeleitet von „Cloaca Maxima“, dem von den Römern gestalteten Abwasserkanal.
Die Römer hatten ein bemerkenswert gut funktionierendes Wasserverteilungssystem erdacht und in die Tat umgesetzt. Jeder Asterixleser und minderbegabte Lateinschüler kennt die Aquädukte, die das Wasser kilometerweit über die auf Bögen ruhenden Wasserrinnen in die Ballungszentren leiteten. In der Antike hatte Rom ja bereits über 1.000.000 Einwohner, die sich zum Teil in großen Mietskasernen zusammendrängten.
Da war es wichtig, daß die Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln sichergestellt war.
Auch eine primitive Abwasserentsorgung gab es.
Nicht ganz unschädlich waren die Bleirohre und die bleiernen Trinkgefäße, durch die sich die Römer schleichende Bleivergiftungen zuzogen. Im Mittelalter sackte die Einwohnerzahl dann übrigens auf ca. 50.000 Menschen, ein Zwanzigstels des Wertes der Antike, ab.

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Kehren wir zurück zum mächtigen Rundbau der Engelsburg.
Auch heute spielen die Kids Fußball vor dem drohenden Eingangstor der Festung. Zusätzlich sind etliche Schulklassen unterwegs. Während der Kulturwoche bei kostenlosem Eintritt nutzen die Lehrer und Lehrerinnen die Gelegenheit, den Kindern die römische Geschichte nahezubringen.
Wieder betreten wir den breiten spärlich erleuchteten Rundgang im Innern der Engelsburg und schrauben uns langsam auf ein höheres Level.
Auf dem Rundweg kommen wir wieder zu der Stelle, von der aus wir die weißen Kanonenkugeln als ordentliche Häuflein sehen können.
Diesmal finden wir auch den Eingang zur Waffenkammer: die Sammlung ist nicht riesig, aber ganz interessant: Uniformröcke und Bajonette aus dem letzten Jahrhundert, Flinten, „Räuberpistolen“, Degen, Säbel, Dolche, weiter zurück in die Vergangenheit: Römer- und Etruskerhelme.....

Nachdem wir noch der luxuriösen Toilette am Eingang der Engelsburg einen Besuch abgestattet haben, überqueren wir den Tiber .
Es macht Spaß, in den Gassen und lauschigen Plätzen mit den sonnendurchglühten ockerfarbenen Häusern herumzustöbern. Selbst im Verfall wirkt Rom noch romantisch.
Antiquitäten in den Schaufenstern könnten lange Geschichten von alten Zeiten erzählen, auf bunten Märkten preisen die Marktfrauen frisches Gemüse und Obst an, und wie in alten Zeiten flattern ganz oben auf der gespannten Wäscheleine bunte Wäschestücke in der lässigen italienischen Weise, die der Mitteleuropäer schnell als liederlich abtut..

Wir gönnen uns ein Eis und ruhen uns auf einem Bänkchen vor der Eisdiele aus.
Die italienischen Eisdielen haben eine riesige Auswahl an Sorten, sei es nun Pistazie, Aprikose, Straziatella, Kastanie, Kokosnuß, Melone, Amaretto, Yoghurt-Johannisbeere, Apfel, dunkle Schokolade, weiße Schokolade und..und.. und.....

Die Erfrischung hat gut getan. Jetzt sind es nur ein paar Schritte zum schönen Platz „Piazza Navona“.
Die Piazza Navona ist einer der lebhaftesten Plätze Roms. Es wimmelt von Touristen, und auch die Römer halten sich hier gern auf.
Porträtmaler, Straßenmusikanten, Andenkenverkäufer und Schwärme von Tauben verleihen dem Platz ein malerisches Flair.
Dem Volksmund nach kommt „Navona“ von Navis, weil die Gestaltung der Piazza mit ihren halbrunden Schmalseiten an ein Schiff erinnern soll.
Etymologen glauben jedoch, daß es sich um eine Verballhornung von „Agnese in Agone“ handelt, dem Namen einer der beiden Kirchen.

Die geschlossene Anlage des Barock ist für den Autoverkehr gesperrt und so ganz dem Flanieren der Fußgänger überlassen.
Noch heute folgen Paläste und Kirchen um den Platz herum den Begrenzungen, die Kaiser Domitian (81 - 96 n. Chr.) in der Antike einem langgestreckten Stadion von 240 x

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65 Metern gab.
Zeitweise vergnügte man sich auf diesem Platz mit Wasserspielen und Pferderennen.
Im Barock kam die prachtvolle Ausschmückung durch den Baumeister Borromini hinzu.
Er schuf Paläste und Kirchen, unter anderem die Kirche St. Agnese.
Sein Rivale Bernini gestaltete von 1647 - 1651 den Vier-Ströme-Brunnen (Fontana die Quattro Fiumi) in der Mitte des Platzes.
Damals war Australien noch nicht entdeckt, und deswegen ging Bernini von vier Erdteilen aus. Die vier männlichen Figuren stellen allegorisch die vier Weltströme Ganges (für Asien), Donau (für Europa), Rio de la Plata (für Amerika) und den Nil (für Afrika) dar.
Die vierte dieser Personifikationen um den zentralen Obelisken, die Figur des Nils, hat verbundene Augen: angeblich, weil zur Bauzeit des Brunnens die Quellen des Flusses noch nicht entdeckt waren.
Nach einer anderen Interpretation soll der Künstler den Flußgott blind und mit erhobener Hand gestaltet haben, weil gegenüber das - nach Berninis Ansicht - „grauenhafte Werk“ seines Konkurrenten Borromini, die Kirche Sant` Agnese in Agone stehe, deren drohenden Einsturz der Nil abwehre.
Die Fontana die Fiumi wird ergänzt durch die Fontana del Moro (Mohrenbrunnen) vor dem Palazzo Pamphilii, dem einstigen Stadtpalast der Familie Pamphilii, heute Sitz der brasilianischen Botschaft und der Fontana del Nettuno (Neptunbrunnen) am anderen Ende des Platzes.
Beide reichen künstlerisch nicht an den Vier-Ströme-Brunnen heran, um den sich tagsüber die Porträtmaler und Andenkenverkäufer scharen.

Die von Borromini erbaute Kirche Sant Agnese erinnert an die christliche Römerin Agnes.
Während der Zeit der Christenverfolgungen unter Domitian wollten die Häscher sie auf diesem Platz dem Volk nackt vorführen, doch ihr wuchsen durch ein Wunder lange Haare, mit denen sie ihre Blöße bedecken konnte.
Allerdings weiß ich nicht, ob sie nicht doch hingerichtet wurde...(ich wäre lieber nackend entkommen, als schamhaft bedeckt getötet zu werden).

Wir lustwandeln ein Weilchen auf der Piazza Navona und richten unsere Schritte dann nach der guten Beschilderung Richtung Pantheon.
Das Pantheon liegt ein paar Hundert Meter weiter an der Piazza Rotonda.
Läßt sich ein einfacherer Bau denken als das Pantheon?
Ein Zylinder mit einer Halbkugel darauf, das ist alles.
So genial - und uralt in der Baugeschichte der Menschheit - war die architektonische Idee des Pantheons, daß der Bau alle bewegten Zeiten Roms überdauerte und das bedeutendste und besterhaltene, kaum veränderte Bauwerk der römischen Antike wurde.

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Wer es erbauen ließ, steht über dem Eingang: Marcus Agrippa, Schwiegersohn des Kaisers Augustus.
Er wollte im Jahr 27 v. Chr. den Tempel den allerheiligsten Planetengöttern „Pantheon, dem Allgöttlichen“, weihen.
Darauf deutet das Firmament der Kuppel mit der Öffnung für die Sonne.
Das erste Pantheon wurde schon im Jahre 80 n. Chr. durch einen Brand beschädigt, so daß ein Neubau unter Kaiser Hadrian von 120 -125 notwendig wurde.
Das Ziegelmauerwerk der damaligen Zeit weist auf die großen technischen Fähigkeiten der Römer hin.
Im Lauf der Jahrhunderte erlitt das Pantheon weitere Schäden durch Plünderungen, Erdbeben und Überschwemmungen.
735 ließ Papst Gregor III. die vergoldeten Bronzeziegel der Kuppel abnehmen und Urban VIII. im 17. Jahrhundert den 25 Tonnen schweren Bronzebeschlag der Vorhallendecke für den Baldachin des Bernini in der Peterskirche einschmelzen.
Aus dieser Zeit stammt der geflügelte Spruch : „Was die Barbaren nicht zerstörten, holten die Barberini nach“, eine Anspielung auf den skrupellosen Papst aus dem Hause der Barberini.
Der Kuppelbau des Pantheons hat als architektonisches Vorbild vor allem die Künstler der Renaissance beeinflußt, so Bramante und Michelangelo für den Neubau von
St. Peter.
Die ersten christlichen Kaiser verboten den Kult in dem heidnischen Tempel.
Geöffnet wurde das Pantheon wieder, als Papst Bonifaz IV. es 609 n. Chr. der Madonna und allen Märtyrern weihte.
Im Pantheon sind die italienischen Könige Viktor Emmanuel II. (der erste König des vereinigten Italiens), Umberto I. (ermordet 1900) und der Renaissancemaler Raffael begraben.
Der kreisrunde Innenraum hat einen Durchmesser von 43,2 Metern, die Höhe weist das selbe Maß von 43,2 Metern auf.
Am Boden sieht man Markierungen für eine Sonnenuhr.
Die Kuppel im Innern wird durch Kassetten gegliedert.
Sein Licht erhält der Raum allein durch eine neun Meter breite runde Öffnung in der Mitte der Kuppel. Die Kuppel ist sogar geringfügig größer als die Hauptkuppel des Petersdomes.
Das Pantheon beeindruckt durch seine Schlichtheit und Monumentalität.

Der Brunnen auf der Piazza Rotonda vor dem Pantheon ist malerisch.
Ein Trupp Carabinieri in Gala-Uniform marschiert vorbei, als wir die Piazza Rotonda verlassen.

Eine Ecke weiter sehen wir einen kleinen steinernen Elefanten, der einen ägyptischen Obelisken auf dem Rücken trägt.
Das freundliche Rüsseltier aus Marmor wurde ebenfalls von Bernini gestaltet.

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Die Inschrift am Sockel des Elefanten besagt, daß es einer robusten Kraft bedürfe, um die Weisheit zu tragen.
Er steht vor der Kirche „Santa Maria sopra Minerva“, die ihren Namen vom Minervatempel aus römischer Zeit übernommen hat (Minerva: die römische Version von Diana, der griechischen Jagdgöttin).

Es wird heißer, auch im Frühling kann die Sonne in Rom schon südliche Hitze verströmen.
Piazza Venezia: wir schenken dem Monumentalbau an Roms Verkehrsknotenpunkt nur einen flüchtigen Blick.
Die auffälligen weißen Marmorsäulen in antikem Stil säumen das Nationaldenkmal, das zu Ehren des bereits erwähnten Königs Vittorio Emmanuele II. errichtet wurde.
Es ist ein Prunkbau im Stil des letzten Jahrhunderts, das Heldenaufmärsche, Prachtbauten und imperialen Glanz so schätzte.
Die Römer selbst nennen das Nationaldenkmal mit leisem Spott: „die Schreibmaschine“.
Junge Leute liegen im Gras vor dem Denkmal und genießen die Sonne.

Wenn wir schon hier an zentraler Stelle sind, wollen wir dem Kapitolshügel einen Besuch abstatten und von außen einen Blick auf das römische Rathaus werfen.
Der Kapitolshügel war den Römern seit jeher heilig.
Hier stand der Jupiterhügel.
Am Kapitol schnatterten seinerzeit die Gänse und warnten dadurch die Römer vor dem Angriff der Gallier. Asterix und Obelix waren damals nicht dabei und da die Gallier keinen Zaubertrank hatten, retteten die lärmenden Vögel die Stadt.

Die von Michelangelo Buonarotti entworfene feierliche Rampentreppe führt auf den Kapitolsplatz.
Zwei ägyptische Löwen aus Basalt wachen unten.
Oben stehen wie Wächter die Zwillingsbrüder Castor (nicht radioaktiv!) und Pollux, die sogenannten Dioskuren.
Castor und Pollux waren Söhne des Zeus und halfen den Römern angeblich in der Frühgeschichte der Stadtgründung beim Sieg über die gegnerischen Tarquinier.. Außerdem sind die beiden noch als Sternbild erwähnt.
Die Piazza del Campidoglio ist der Platz vor dem Rathaus mit dem schönen Sternenmuster von Michelangelo, welches bei Luftaufnahmen noch eindrucksvoller wirkt.

In der Mitte des Platzes erhebt sich die Reiterstatue von Marc Aurel, dem römischen Kaiser aus dem dritten Jahrhundert, dem man stoische Gemütsruhe nachsagte.
Marc Aurel sorgte für die Errichtung einer mächtigen Stadtmauer, da Rom in dieser Zeit bereits von Barbarenüberfällen (unter anderem von unseren germanischen Vorfahren) bedroht wurde.
Das einst vergoldete Reiterstandbild stand früher vor der Laterankirche.
Es überdauerte die Zeitläufe, da die spätere christliche Generation es für ein Standbild

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des den Christen wohlgesonnenen Kaisers Konstantin hielt und somit nicht antastete.
1538 ordnete Papst Paul III. die Aufstellung auf dem Kapitolsplatz an.
Die kapitolinischen Museen besuchen wir nicht, sie enthalten unter anderem folgende Kunstwerke: die 12 Meter hohe Statue des bereits erwähnten Kaisers Konstantin, der im 4. Jahrhundert dem Christentum den Weg zur Staatsreligion ebnete, den Dornauszieher (beliebtes antikes Motiv eines nackten Jünglings), den sterbenden Gallier, die Büste des Cäsarmörders Brutus und Herkules mit dem Löwenfell.
Aber die Skulptur der Wölfin, die Remus und Romulus säugte, sehen wir außen an der Seite des Gebäudes, wenngleich das Werk recht klein ist.
Bei Romulus und Remus vermischen sich Sage und Wirklichkeit: Rom wurde tatsächlich um 753 gegründet ( 7 - 5 - 3 : Rom kroch aus dem Ei!).
Der Sage nach ernährten sich die beiden Knäblein von nahrhafter Wolfsmilch.
Später ging es nicht mehr so idyllisch zu: Romulus erschlug (wie Kain den Abel) den Bruder Remus, weil dieser über eine Linie in Romulus` neuer Stadt gehüpft war, was anscheinend als Begründung für einen Brudermord ausreichte...
Jedenfalls hat der Mörder und nicht das Opfer der Stadt den Namen gegeben.
Ein Treppenwitz der Geschichte ist, daß der letzte römische Kaiser auch Romulus hieß, genauer: Romulus Augustulus (Verkleinerungsform von Augustus, wahrscheinlich eine Verspottung) .
Im Jahr 476 mußte sich Romulus Augustulus dem Germanenfürst Odoaker unterwerfen, die Unabhängigkeit Roms war dahin, schön beschrieben von Friedrich Dürenmatt in seinem Drama „Romulus der Große“ (im Stück ist er eher ein Wicht).
Vom Kapitol, das kein Berg ist, sondern nur ein Hügel, haben wir zum einen den Ausblick auf die Piazza Venezia mit der „Schreibmaschine“.
Viel eindrucksvoller ist aber der Ausblick auf das Forum Romanum, das Trümmerfeld mit den Resten antiker Tempel, Säulen und Triumphbögen.
Im Mittelalter, noch zur Zeit der Reise des Dichterfürsten Goethe, lagen die antiken Relikte unter Schutt, das Forum Romanum diente als Kuhweide, nachdem in den Jahrhunderten zuvor das Gelände als Steinbruch benutzt wurde.
Auch wenn kaum noch ein Gebäude ein Dach hat und viele Säulen abgebrochen ist, kommt es uns so vor, als wehe der von unserem Bundeskanzler so oft beschworene “Atem der Gechichte“ zu uns herüber.
Neugierig machen wir uns an den Abstieg ins Tal.
Unten lungern neben vielen Besuchern auch drei antike Römer herum: in roten Togen und goldenen Rüstungen, wie aus dem Asterixheft . Sie lassen sich gerne gegen einen kleinen Obolus fotografieren, was wir aber nicht in Anspruch nehmen.
Eintritt müssen wir nicht bezahlen. Händler bieten kleine Kolosseen und anderen Nippes an.
Ein Forum gehörte damals zu jeder römischen Stadt. Rom hatte viele Foren, Plätze auf denen sich das öffentliche Leben abspielte.
Dort standen Tempelbauten, für Jupiter & Co, später kamen öffentliche Bauten, Behörden, Theater und Markthallen dazu.

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Auf den Foren fanden die großen Versammlungen statt. Heutzutage nennen wir sie schlicht „Fußgängerzone“, obwohl die Begriffe nicht so ganz deckungsgleich sind.

Als erstes steuern wir auf den großen weißen Triumphbogen des Septimius Severus zu.
Triumphbögen wurden bekanntlich nach gelungenen Feldzügen vom Feldherrn durchschritten, die Gefangenen im Schlepptau hinter sich her führend.
Ein hinter dem Triumphator hertrottender Diener hatte die Aufgabe, dabei dem Feldherrn ins Ohr zu flüstern, “Bedenke, daß du nur ein Mensch bist“.
Größenwahn war nämlich schon damals eine verbreitete Krankheit. Der übersteigerte Größenwahn der römischen Kaiser wurde Cäsarenwahn genannt und Nero (hat er nun die Stadt angesteckt oder nicht?) und Caligula (ließ sein Pferd zum Konsul wählen) waren davon besonders infiziert.
Wir wären gern mal im Triumphgefühl durch den Bogen des Septimius Severus marschiert, aber der ist gesperrt, soll ja auch nicht von Krethi und Plethi durchquert werden..
Der Triumphbogen wurde dem Kaiser Septimius Severus und seinen beiden Söhnen Caracalla und Geta in 203 nach Christus nach siegreichen Feldzügen gegen die aufmüpfigen Parther, Araber und Assyrer errichtet,.
Nach Caracalla wurden übrigens die Caracalla-Thermen benannt. Wie bei Romulus und Remus hatte auch Caracalla einen Bruderkomplex: er meuchelte Geta, um sich in der Erbfolge zu verbessern, was ihm ja auch gelang.
Der Name des Opfers Geta wurde auf der Säule getilgt: die Geschichte kennt keine Moral, sondern nur die Namen der Sieger.-
Besonders eindrucksvoll finde ich die als Säulenwand erhaltenen acht Säulen des Saturntempels.
Saturn, der damals noch kein Kaufhaus in Frankfurt-Bornheim besaß, entstammt vermutlich dem etruskischen Götterolymp, wurde aber auch von den Römern verehrt, die den zweitgrößten Planeten des Sonnensystems nach ihm benannten.
Wie Mahnmale der Vergänglichkeit streben die Säulen im ionischen Baustil gegen den blauen Frühlingshimmel, der schon mehr als 2.000 Mal zurückgekehrt ist: der Tempel wurde bereits vor 2.495 Jahren in der republikanischen Zeit errichtet.
Zu Ehren des bärtigen Saturn wurden jährlich die Saturnalien gefeiert: dann wurde der Herr zum Sklaven und der Sklave zum Herrn, ein Ventil zum Dampf ablassen, ähnlich wie der Karneval, den die Kirche dem Volk im Mittelalter und bis zur heutigen Zeit zugesteht.
Auch die bereits erwähnten Zeussöhne Castor und Pollux hatten einen eigenen Tempel, von dem aber nur drei Säulen erhalten sind.
Die Säulen sind aus weißem Stein und tragen ein korinthisches Kapitell
Zur Auffrischung der Kenntnisse in Kunstgeschichte: es gibt ja drei antike Baustile, die an der Säulenform abzulesen sind:
dorisch: spartanisch - schlicht,
ionisch: athenisch - klassisch und
korinthisch: korinthisch - verschnörkelt.

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Sehr gut und als Gebäude im Ganzen erhalten sind diejenigen antiken Bauten, die später in christlichem Sinne genutzt wurden: zum Beispiel die Curia und der Tempel des Antoninus und der Faustina.

Die Kurie (Curia) ist ein einfacher, ziemlich kompakter Ziegelbau.
Sie war der Versammlungsort der römischen Senatoren. Hier spazierten also die damaligen Volksvertreter in weißen Togen und Tuniken umher und hielten ihre weitschweifigen Reden, die Generationen von geplagten Lateinschülern in späteren Generationen zum Alptraum wurden!
Durch Brände und Verwüstungen waren immer wieder Neubauten der Kurie notwendig, so unter Sulla und Cäsar sowie den Kaisern Diokletian und Julian Apostata (Julian, der Abtrünnige).
Im 7. Jahrhundert n. Chr. wurde die Kurie schließlich in eine Kirche umgewandelt und blieb deshalb erhalten.
Der bereits schon öfter erwähnte Barockbaumeister Borromini verwendete ihre bis dahin unangetasteten Bronzetore für das Hauptportal der Lateransbasilika.
Die Kurie gab dem Verwaltungsapparat der katholischen Kirche ihren Namen!

Der Tempel des Antoninus und der Faustina wurde 141 n. Chr. zunächst zu Ehren der vergöttlichten Kaisergemahlin Faustina errichtet; nach dem Tod des Kaisers Antoninus wurde er auch dem Antoninus gewidmet.
Von dem Heiligtum sind die sechs Säulen der Front mit korinthischen Kapitellen und mehrere Säulen der Längsseite gut erhalten.
Im 12. Jahrhundert n. Chr. wandelte man den gesamten Tempel in die Kirche „San Lorenzo in Miranda“ um.
Der Tempel befindet sich unweit der Ruinen des alten Cäsartempels, den der Kaiser Augustus im Jahr 29 v. Chr. An der Stelle errichtete, an der im März 44 Cäsars Leichnam verbrannt worden war.
Es wimmelt hier also von geschichtsträchtigen Orten, und nicht alles haben wir bewußt wahr genommen.
Zum Beispiel hätte ich gerne den „Lapis niger“ gesehen, einen schwarzen Stein, der angeblich das Grab des Stadtgründers Romulus anzeigen soll.
Wir sind auch ahnungslos an den Überresten der Rostra vorbeigelaufen, der Rednertribüne des Forum Romanums.
Ihren Namen Rostra hat die Rednertribüne von den Schiffsschnäbeln (Rostra) erhalten, die von besiegten feindlichen Schiffen entfernt und hier zum Zeichen des Triumphes an der Rednertribüne angebracht waren.
Neben der Rednertribüne stand einst der goldene Meilenstein (Miliarum Aureum), den Kaiser Augustus auf dem Höhepunkt der römischen Macht im Jahr 20 v. Chr. aufstellen ließ und an dem die Via Sacra und alle römischen Konsularstraßen begannen und endeten.
Auf ihm waren in goldenen Ziffern die Entfernungen von Rom zu den verschiedenen Provinzstädten des Römischen Reiches angegeben.

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Basilika Julia: Südöstlich des Saturntempels zeigen Fundamente und Säulenstümpfen an, daß sich hier eine große Basilika ausdehnte: die 101 Meter lange und 49 Meter breite Gerichtshalle , die Julius Cäsar (genau, der Cäsar!) von 54 bis 44 vor Christus hier errichten ließ.

Unverkennbar ist in der Mitte des Forum Romanums der Vesta-Tempel, wenn auch von ihm nur einzelne Säulen erhalten sind.
Vesta war die Göttin des Herdfeuers. Das Bewahren des Feuers war ja schon in vorgeschichtlicher Zeit eine besonders wichtige Aufgabe im Überlebenskampf, und bis in die heutige Zeit schätzen wir bekanntlich das behagliche Knistern des Kaminfeuers.
Die Priesterinnen der Vesta, die Vestalinnen, lebten meist vom 10. - 40. Lebensjahr im Tempel, bewahrten das Feuer und vor allem ihre Keuschheit. Wurden sie bei einem Übertreten des Keuschheitsgebotes erwischt, wurden sie lebendig eingemauert, reichlich unangenehme Folge eines kurzen Vergnügens. Es ist nicht überliefert, wieviele Vestalinnen ein solches Schicksal hatten, aber die Gesetze der islamischen Scharia in Saudi-Arabien oder Iran sind auch nicht freundlicher...
Aus heutiger Sicht erscheint der Dienst im Vesta-Tempel daher nicht allzu attraktiv, selbst wenn die Damen ein paar Privilegien besaßen: das Image als immateriellen Wert, die materielle Versorgung und das Vorrecht, im Kolosseum auf bevorzugten Plätzen zu sitzen und auf einem besonderen Wagen in der Stadt herumfahren zu dürfen (Dienstwagenprivileg...)
Wenn sie mit 40 Jahren den Dienst quittierten, durften sie sich den Freuden des Leibes hingeben, spät, um Nachwuchs in die Welt zu setzen, aber nicht zu spät, um noch etwas Spaß zu haben...

Wenn man die Phantasie etwas bemüht (beflügelt durch Asterixlektüre und Lateinunterricht), erheben sich für einen Moment wieder die prächtigen Säulentempel aus dem Boden, weißbärtige Redner deklamieren, würdige Senatoren schreiten erhobenen Hauptes heran, Sklaven hasten mit Wassereimern vorbei, Phönizier breiten ihre Handelswaren aus, schmutzige Straßenkinder huschen um die Ecke, Bettler pflegen ihre Geschwüre, getretene Hunde jaulen, der Wagen der Vestalinnen bahnt sich seinen Weg durch die Menschenmenge, ein Trupp Legionäre verdrängt die Marktfrauen, ohne sie eines Blickes zu würdigen und eine Truppe gefesselter Barbaren (unser Ururururururururur----großvater ?) ist auf dem Weg zum Sklavenmarkt, der Preis ist gefallen, eine schöne Gelegenheit zum Spekulieren!

Wir verlassen das Forum Romanum durch den Titusbogen.
Der Titusbogen ist etwa niedriger und kleiner als der Bogen des Septimius Severus, aber noch besser erhalten.
Er befindet sich ganz im Osten des Forums schon in Richtung des Kolosseums.

Er ist der älteste der römischen Triumphbögen, nach dem Tod des Kaisers Titus von seinem Nachfolger Domitian im Jahre 81 errichtet. Er stellt eine Erinnerung an den

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Feldzug gegen das jüdische Volk dar.
Der Feldherr Titus, Sohn des Soldatenkaisers Vespasian, hatte im Jahre 70 n. Chr.
wie von Jesus prophezeit, den Tempel in Jerusalem schleifen lassen und die letzten Widerständler in der Festung Massada am toten Meer belagert.
Die jüdischen Verteidiger von Massada begingen damals einen Massenselbstmord, woraufhin die israelischen Soldaten bei ihrer Vereidigung dieses Ereignisses jetzt jedesmal mit dem Schwur „Nie wieder Massada!“ gedenken.
Titus vertrieb die Juden in aller Herren Länder, der Beginn des langen Exils bis zur Rückkehr nach Palästina im 20. Jahrhundert.
Der Gedanke an die damalige Niederlage ist es, der orthodoxe Juden bis zum heutigen Tag davon abhält, den Titusbogen zu durchschreiten.

Wir sehen jetzt schon den riesigen Koloß des Kolosseums, nomen est omen!
Wegen seiner kolossalen Größe erhielt das Kolosseum im Mittelalter seinen jetzigen Namen, den auch eine gute Jazz-Rock-Gruppe in den 70er Jahren wählte.
Ursprünglich war das Kolosseum als „das Flavische Theater“ bekannt.
Im Jahre 72 n. Chr. ließ der Kaiser Vespasian aus dem Geschlecht der Flavier das Monumentaltheater errichten; sein Sohn Titus erhöhte die Ränge der Arena um das vierte Geschoß und feierte im Jahre 80 triumphal Eröffnung.
Die Festspiele dauerten damals 100 Tage!
Die Flavier wollten die Erinnerung an den verhaßten Kaiser Nero, ihren Vorgänger durch den Bau dieses Prachtgebäudes tilgen und entfernten hierzu die Bauwerke Neros, unter anderem eine 20 Meter hohe Kolossalstatue des Kaisers.
Die charakteristische Form des Kolosseums ist das Wahrzeichen Roms und Vorbild für moderne Arenen auf der ganzen Welt.
Verkaufstische offerieren das Kolosseum in allen Materialien, Größen und Farben.
Auch hier spazieren „antike Römer“ in „Gold“ und Rot, Pferdekutschfahrten sind möglich, und Touristen ergehen sich in Bewunderung der Bausubstanz.
Von Nahem wirkt der Bau noch gewaltiger.
Das Gebäude, in dessen 78 Meter langer und 46 Meter breiter Arena Gladiatoren, Festspiele, Zirkusdarbietungen und sportliche Veranstaltungen stattfinden konnten, war 186 Meter lang, 156 Meter breit und 57 Meter hoch. Es war also nicht rund, sondern oval.
Die Zuschauerränge wurden so klug angelegt, daß 50.000 Menschen in wenigen Minuten zu ihren Plätzen gelangen oder das Theater verlassen konnten.
Die mit Bögen versehenen Gewölbe im Erdgeschoß bildeten 80 Eingänge für die Menschenmassen; alle waren numeriert, damit man die Sitze besser finden konnte.
Das Amphitheater bot allen Gesellschaftsschichten Platz: im ersten Stock dem kaiserlichen Hof und den Staatsbeamten, Priestern und Priesterinnen (vgl. die Ausführungen über die Vestalinnen!).
Im zweiten Stock zeigten sich die vornehmen Familien, im dritten und vierten das gemeine Volk, zu dem sicherlich unsere heutigen Arbeitnehmer gehört hätten.

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Außen treten aus den Ziegel- und Travertinmauern Halbsäulen hervor, die im ersten Geschoß der dorischen, im zweiten der ionischen und im dritten der korinthischen Form nachgebildet sind.
Statuen schmückten die Rundbögen, die das Gewicht der Sitzreihen trugen.
Von der Mauer des obersten Stockwerkes konnte von 240 Masten aus ein Zelt gespannt werden. Die Plane wurde zum Schutz vor der prallen Sonne aufgespannt.
Bei nächtlichen Veranstaltungen wurde ein massiver Eisenleuchter über der Arena aufgehängt.
Das Kolosseum konnte sogar zum Nachspielen von Seeschlachten unter Wasser gesetzt werden!
Unter der Arena lagen die Ankleidekabinen und Trainingsräume für die Gladiatoren, Käfige für die wilden Tiere und Magazinsäle.
Diese Mauern sind gut sichtbar, weil der Fußboden der Arena eingestürzt ist.
Versteckte Aufzüge und Falltüren ließen Tiere wie Menschen plötzlich der Erde entsteigen.
Die Römer waren nicht so kopfbetonte Philosophen wie die Griechen, dafür aber gute Techniker!

Mit dem Kolosseum wollten die Kaiser den Wunsch der Römer nach Unterhaltung (Circenses) erfüllen: „Panem et Circenses“ „Brot und Spiele - (für die Massen)“ hat sich als geflügeltes Wort bis heute erhalten. So sehr haben sich die Menschen in ihrer Sensationslust nicht verändert: bis in die Gegenwart ist eine sehenswerte Show gefragt, auch wenn es dabei Grausamkeiten und Blutvergießen gibt, im Gegenteil, das heizt den Mob noch an!

Die Gladiatoren wurden in der Regel erst kurz vor Kampfesbeginn zum Kolosseum gebracht, um Ausbruchsversuche zu vermeiden.
Der Unterlegene fand meist den Tod - Daumen nach unten! - wurde aber nach tapferem Kampf oder bei besonderer Großzügigkeit verschont - Daumen nach oben.
So war es bittere Wahrheit, der Gruß der Gladiatoren: „Ave Cäsar, morituri te salutant: Heil Cäsar, die Todgeweihten grüßen dich.“
Standardkampf war der Auftritt eines Kämpfers mit Schild und Kurzschwert gegen einen Ungepanzerten mit Netz (zum Einfangen) und Dreizack (zum Abstechen).
Bei den großen Kämpfen standen sich Hunderte von Gegnern gegenüber.
Es wurden Unmengen von Sklaven und gefangenen Tieren umgebracht.
Bei den Seeschlachten (Naumachien) kämpften Schiffsbesatzungen gegeneinander!
Fraglich ist allerdings, ob im Kolosseum tatsächlich Christen in größerer Zahl umgebracht wurden (im Stadion des Domitian sicherlich).
Jedenfalls soll ein Bronzekreuz in der Arena an das Schicksal der christlichen Märtyrer erinnern.

Während Corina und Peter die Arena umrunden, döse ich im ersten Stock auf einem harten Sitzplatz vor mich hin und versuche, mir das Schlachtgetümmel der damaligen

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zeit in der Phantasie lebendig werden zu lassen:
muskelbepackte Körper, Schweiß, Verzweiflung, Todesmut, blutgetränkter Sand, Flüche in unbekannten Idiomen, hungrige Leoparden, Ausfallschritte, Fanfarengeschmetter, blasierte Damen auf der Tribüne, ein gelangweilter Kaiser, Bestien im Blutrausch, das Klirren von Metall auf Metall, unterdrückte Schreie, das Fallen von Körpern, Todesröcheln, Süßigkeitenverkäufer, banale Gespräche über Grundstückspreise und Olivenöllieferungen , weit unten Sterbende, Nashörner, blutende Elefanten mit zitternden Flanken, Sägemehl, Daumen, Lorbeeren, die sinkende Sonne am Nachmittag, der Abzug der Süßigkeitenverkäufer, Mondschein, unruhiger Schlaf, Katzen, Ratten, der Lauf der Jahrhunderte.........der Lauf der Jahrhunderte....................

Autoabgase, Busladungen von Touristen, verkleidete Gladiatoren, Andenkenverkäufer, Ruinen, banale Gespräche, Postkarten, Weitwinkel und Zoom, die sinkende Sonne am Nachmittag., der Abzug der Verkäufer, Mondschein, huschende Tiere.....

Wo sind Peter und Corina? Haben wir uns verfehlt?
Wir gehen wieder ins Erdgeschoß.
Vor dem Kolosseumseingang sind wir wieder vereint.

Es ist noch nicht allzu spät, erst gegen 15.00 Uhr, und wir kommen auf die Idee, die Katakomben vor den Toren der Stadt zu besichtigen, paßt auch irgendwie thematisch zum Kolosseum. Vielleicht können wir einen Bus nehmen, wir haben ja unsere praktische Tageskarte für alle öffentlichen Verkehrsmittel.
An der Haltestelle beim „Circus Maximus“ gibt es vielleicht einen Bus, der uns mitnimmt.

Auf unserem Weg kommen wir zunächst beim Konstantinsbogen vorbei.
Dieser Bogen ist der größte und besterhaltenste der römischen Triumphbögen.
Er ist 21 Meter hoch, 25,70 Meter breit und 7,40 Meter tief, leuchtend weiß und Kaiser Konstantin gewidmet, dem römische Kaiser, der sich zum Christentum bekehrte und dessen Weg zur Staatsreligion ebnete, mit allen segensreichen, aber auch verhängnisvollen Folgen.
Der Bogen wurde erst im Jahr 312 n. Chr. errichtet.
Die Baumeister waren nicht mehr auf der künstlerischen Höhe der Antike.
Zur Ausschmückung des dreiteiligen Bogens wurden daher Reliefs älterer Bauwerke benutzt.
Deshalb zeigen die Darstellungen auch Motive, die mit Konstantin und seinen kriegerischen Leistungen wenig zu tun haben.
So finden wir eine Eberjagd und eine Opferfeier für den Gott Apoll von einem Jagdmonument Kaiser Hadrians, Szenen aus der Herrschaftszeit des Kaisers Trajan und jener des Kaisers Mark Aurel.

Ebenfalls an Kaiser Konstantin erinnern die Ruinen der Maxentius - oder Konstantinsbasilika, 306 von Kaiser Maxentius begonnen, bis 312 weitergeführt und 330

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von Kaiser Konstantin vollendet. Damals dachte man halt über eine Legislaturperiode hinaus!

Rechterhand auf unserem Weg zur Metrostation am „Circus Maximus“erhebt sich der Palatin mit alten kaiserlichen Gebäuden: Rom ist immer gegenwärtig mit seiner Geschichtlichkeit, die Jahrhunderte senden uns ihre Signale aus den Tiefen der Vergangenheit, während neben uns der kurzlebige Autoverkehr aus der Jetztzeit vor allzu tiefem Abgleiten in Traumwelten bewahrt.

Rechts, diese Wiese mit sandiger ovaler Bahn, das muß der alte römische Circus sein:
hier, wo schicke Joggerinnen in kurzen Hosen und T-Shirts ihre Runden ablaufen, junge Leute in Grüppchen auf dem Rasen sitzen, ältere Herrschaften ihren Köter spazieren führen, dort, ja dort rasen die römischen Streitwagen Runde um Runde, Lenker vom Schlage eines Ben Hur dreschen auf heißblütige Rennpferde ein, Sand spritzt, Achsen knirschen, der Pöbel kreischt, Bauchläden bieten Pistazienkerne und kleine Fladen an, Wasserverkäufer reichen Erfrischungen, in den oberen Rängen werden wichtige Termine vereinbart, und dort hinten muß einer der ägyptischen Obelisken gestanden haben, die als Wendemarken dienten.
Danach Triumph: the winner takes it all! Lorbeerkränze, fachmännische Kommentare, das Bad in der Menge, Jubel über gewonnene Wetten, Ärger, daß der lahme Gaul, auf den du gesetzt hast, nicht gewonnen hat.. - Schnitt -

Gegenwart. Ein friedlicher Nachmittag; die Umrisse der Rennbahn sind noch klar erkennbar, aber es ist nur noch eine gemütliche grüne Weise im Zentrum Raum, ein Stückchen grüne Lunge in der heißen, stickigen Stadt.

Es gelingt uns nicht, einen Bus zu finden. Obwohl sie nicht klagen, machen Irma und Christian nicht den Eindruck, als ob sie noch sehr unternehmungslustig seien.
Ich schlage ihnen daher vor, sie könnten doch schon Richtung Hotel gehen, um sich auszuruhen.
Das trifft ganz ihre Vorstellungen. Sie verabschieden sich mit einem Blick der Erleichterung.

Wir drei Verbleibende mit guter Wanderkondition laufen jetzt an den Caracalla -Thermen vorbei
Das war so eine Art antikes Freizeitzentrum, vom bereits erwähnten Brudermörder Caracalla errichtet.
Die Römer hatten dort Schwimmbäder mit heißem und kaltem Wasser, Gymnastikräume mit Fußbodenheizung, Gärten, Bibliotheken und aufwendige Konferenzräume. Wunderschöne bunte Wandmosaiken, kostbarer vielfarbiger Marmor und anmutige Fresken schmückten Fußböden und Wände auf einer Grundfläche von 330 Metern im Quadrat.

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Aber wir haben keine Zeit, die Überreste der Bäder zu besichtigen. Denn wir wollen ja zu den Katakomben, die an der „Via Appia Antica“ liegen.
Bald haben wir die Appia Antica erreicht.
Das ist die alte Römerstraße, auf der jetzt Vespas, Busse, Taxen und Limousinen an uns vorbeidonnern.
Die Via Appia begann in altrömischer Zeit wie alle wichtigen Fernstraßen auf dem Forum Romanum.
Sie war dadurch noch besonders hervorgehoben, daß sie in einem Teil die Via Triumphalis, den Weg der siegreichen Feldherrn, abgab.
Die Via Appia Antica wurde von dem Zensor Appius Claudius Caecus vor 312 vor Christus als Verbindung nach Süden bis zur Stadt Capua angelegt und um 190 vor Christus bis nach Brindisi verlängert.
So entstand ein Schnellweg in den wirtschaftlich wichtigen Südosten Italiens und vom Hafen Brindisi aus -gegenüber vom heutigen Albanien gelegen - über das Mittelmeer in den östlichen Raum des wachsenden römischen Reiches.
Nahe der Via Appia verliefen vor der Stadt Rom kilometerlang Aquädukte einer Wasserleitung, deren Ruinen noch zu sehen sind.
Links und rechts der Via Appia errichteten sich die vornehmen römischen Familien Gräber.
Damit befolgten sie das Zwölftafelgesetz aus dem Jahr 450 v. Chr., daß besagte, daß die Toten nicht innerhalb der Stadtmauern bestattet werden durften.
Die Grabmäler waren entsprechend dem Ruhm und Reichtum der Familien prunkvoller oder bescheidener, größer oder kleiner, je nachdem, wie man die hinausziehenden oder hereinkommenden Händler und Soldaten, Fremden und Römer beeindrucken wollte.
Die Gräber, Grabhäuser und Gedenksteine charakterisieren heute die Via Appia.
Davon ist am Anfang unseres Weges noch nicht viel zu bemerken, da der Autoverkehr sehr stark ist. Immerhin gefallen uns die grün überwucherten Gärten mit den alten Villen, die in den Gärten liegen.
Die eigentliche Via Appia Antica beginnt erst bei dem Tor „Porta San Sebastiano“.
Der von mächtigen, zinnengekrönten Türmen flankierte Torbogen wurde gegen
400 n. Chr. als Teil der Aurelianischen Stadtmauer errichtet, um die Barbaren auf Distanz zu halten.
Innerhalb der Porta San Sebastiano steht der Drususbogen, kein Triumphbogen, wie man meinen könnte, sondern Teil einer im 3. Jahrhundert angelegten Wasserleitung zu den Caracalla - Thermen.
Auf schmalem Bürgersteig wandeln wir jetzt auf den Spuren des Apostel Petrus.
Der bekannteste Jünger Jesu soll hier auf der Via Appia nach seiner von Freunden initiierten Befreiung aus dem römischen Gefängnis aus Angst vor dem Märtyrertum auf der Flucht gewesen sein.
Da erschien ihm einer Legende zufolge der wiederauferstandene Christus. Auf die Frage des Apostels hin „Domine quo vadis ? - Herr, wohin gehst du?“ soll Christus geantwortet haben: „Ich gehe nach Rom, um mich ein zweitesmal kreuzigen zu lassen.“

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Dies beschämte Petrus, und er ging zurück in die Stadt, wo er den Märtyrertod fand.
Er wurde der Überlieferung nach mit dem Kopf nach unten gekreuzigt. An seiner Grabstätte erbt sich heute - der Petersdom!
Die Legende inspirierte den polnischen Autor Henry Sienkiewicz zu seinem Roman „Quo vadis?“, der sowohl als Buch wie auch als Film ein Riesenerfolg wurde.
An der Stelle, an der Petrus seine Erscheinung gehabt haben soll, errichteten die Christen im 9. Jahrhundert ein Kirchlein.
Rechts von der Kirche zweigt die Via Ardetiana ab, sie führt nach etwa 1 km zum Erinnerungs- und Grabmal für die 1944 von den Deutschen als „Vergeltung“ für Partisanenüberfälle erschossenen 335 italienischen Zivilisten. Der verantwortliche
SS- Offizier war Herbert Kappler. Ihm glückte 1977 wahrscheinlich mit Hilfe des italienischen Geheimdienstes die Flucht aus dem Gefängnis; er starb kurze Zeit später in Deutschland.
Auch die Römer jüdischen Glaubens wurden 1944 von den Nazis in die Vernichtungslager deportiert, nachdem sie vorher von den Nazis noch belogen und betrogen worden waren: für jeden jüdischen Einwohner hatte der Judenrat einen hohen Betrag in Gold gezahlt, um die Menschenleben zu retten.
Aber die Deutschen hielten sich nicht an ihr Versprechen und brachten die Juden trotzdem in die Vernichtungslager, eine Parallele in der Geschichte hatte es bei Inka Atahuallpa und den spanischen Conquistadoren gegeben. Diese Episode zeigt, daß das Nazi-Regime nicht nur grausam, sondern auch verlogen war, so wie alle vermeintlichen Tugenden sich als Phrasen erwiesen, die sie insbesondere der Jugend eingetrichtert hatten. ...

Wir möchten wenigstens eine der Katakomben, der unterirdischen Begräbnisstätten, besichtigen.
Katakomben gibt es nicht nur an der Via Appia, sondern auch in Kirchen (Laterankirche) und anderen Plätzen Roms.
Aber hier an der Via Appia gibt es die meisten und berühmtesten Katakomben, so zum Beispiel die Calixtus-Katakombe und die Domitilla-Katakombe, die die größte unterirdische Grabanlage Roms ist.
Beide Katakomben werden wir uns aus Zeitgründen nicht ansehen können, wir entscheiden uns für die nähergelegene Calixtus - Katakombe.
Nachdem wir uns an einer kleinen Bar mit Thunfischsandwiches und Softdrinks gestärkt haben, legen wir den letzten Weg zurück.
Es ist eine liebliche grüne Hügellandschaft, die keine Katakomben erahnen läßt.
Corina erinnert sie an ihre Heimat im Vogelsberg, während mich die Umgebung an meine Heimatstadt Bad Hersfeld erinnert, mit Ausnahme der Pinien und Zypressen,
die der Landschaft das Mittelmeerflair verleihen.
Endlich sind wir - nach etwa 6 Kilometern Fußweg vom Circus Maximus an gerechnet -an der Calixtus-Katakombe (Catacombe di San Callisto).

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Busse speien Besuchermassen aus, anscheinend sind alle Schulklassen Roms auf
Wandertag zu den Katakomben. Ob wir da jemals hereinkommen können?
Wir kaufen Eintrittskarten und reihen uns dann in die Schlange der englischsprachigen Besucher ein. Die Katakombe darf nämlich nur mit Führung betreten werden und da die Engländer vor den Deutschen dran sind, nutzen wir die Gunst der Stunde.
Endlich erscheint die Führerin und wir quetschen uns durch den Eingang und steigen hinab in die kühle Tiefe der Grabkammern.
Während das Tageslicht langsam verblaßt und wir durch die Gänge stolpern, erklingt auf einmal sphärischer Gesang und zwar in deutsch. Sind dies Engel oder läuft ein Tonband?
Weder noch, es handelt sich um eine christliche Jugendgruppe, die an historischem Ort Lieder singt, wie sie vielleicht in ähnlicher Weise von den frühen Christen vor knapp 2000 Jahren hier gesungen wurden.
Es klingt jedenfalls sehr klar und stimmungsvoll, und eine kleine Gänsehaut stellt sich ein.
Es geht nun durch endlose gewundene Gänge.
Es war durchaus nicht so, daß die Katakomben in erster Linie Zufluchtsort verfolgter Christen waren. Sie waren hauptsächlich Begräbnisstätte.
Die Calixtus - Katakombe geht dem Namen nach auf Papst Calixtus I. zurück.
Er ließ die Katakomben im Jahr 217 erweitern; das verzweigte unterirdische System von Gängen und Kammern wurde im 3. und 4. Jahrhundert auf eine Fläche von insgesamt 10 km ausgedehnt und birgt vier Stockwerke tief etwa 17.000 (!) Grabstellen.
Uns fällt auf, daß die Mulden und Vertiefungen oft sehr klein sind , dies erklärt die Führerin damit, daß sehr viele kleine Kinder und Säuglinge bestattet wurden; die Säuglingssterblichkeit war damals sehr hoch.
Knochen und Schädel liegen hier natürlich nicht mehr herum. Das wäre zwar gruselig, widerspräche aber dem Gedanken der Pietät, wiewohl es mir eigentlich egal wäre, wenn meine Überreste nach zweitausend Jahren von Touristen bestaunt würden....so weit, so makaber...
Die Katakomben bestehen aus weichem dunklem Tuffstein und sind tatsächlich so verwinkelt, daß niemand von uns gerne hier allein herumlaufen würde, vor allem nicht nachts, zitter....
Bis jetzt sind erst etwa 20 Kilometer der Gänge erforscht!
In der „Krypta der Päpste“, zu der man auf 35 Stufen heruntersteigt, sind die meisten Märtyrerpäpste des 3. Jahrhunderts begraben, was aus den griechischen Inschriften ersichtlich ist. Wir wissen es aber nur, weil es die Führerin gesagt hat.
Links neben der Papstkapelle ist die Kammer der heiligen Cäcilia mit Wandfresken; Cäcilia ist die Märtyrerin, die allen Mordversuchen widerstand, bis sie schließlich enthauptet wurde. Ihr Grab ist heute in der Kirche Santa Cecilia in Trastevere.
Die Katakomben verbreiten eine geheimnisvolle Stimmung.
Ich versuche, sie mir vorzustellen, wie sie früher genutzt wurden, ohne Besuchermassen: verhüllte Gestalten, Huschen, Heimlichkeit, Füßetrappeln, vielleicht auch das Klirren römischer Schwerter, Fackeln, Lichter, kleine Bündel aus Tüchern, lateinische Gebete, Kienspäne, Grabtäfelchen, Segenssprüche, Klagelieder oder vielleicht freudige Gesänge

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wegen der Jenseitshoffnung, letzte Erinnerungen, die für immer mitbegraben wurden, Warten auf die Auferstehung des Fleisches, Warten auf die Wiederkunft des Erlösers.. Warten durch die Jahrhunderte ....... Jahrhunderte.......Jahrhunderte....

Wir sind trotz oder gerade wegen des tiefen Eindruckes, den die Katakomben auf uns hinterlassen, froh, als wir wieder das Licht der Nachmittagssonne sehen.

Wir streben zum Bus und sind wieder in der Masse untergetaucht.
Mit dem bald eintreffenden Bus der Linie 218 fahren wir zur U- Bahn - Haltestelle bei der Kirche San Giovanni in Laterano (Laterankirche).
Dann zwängen wir uns in die U - Bahn, was diesmal viel Durchsetzungsvermögen verlangt.
Endlich sind wir wieder im Hotel.
Irma und Christian haben die Zeit auf die ihnen genehme Weise genutzt.
Sie sind zuerst zum Fastfood gegangen (Christian hat dort sein Stammessen) und danach ins Hotel.
Christian hat dann im Hotelzimmer gefaulenzt und sich am Nachmittagsprogramm von SAT 1 delektiert, während Irma sich der Mode widmete und sich ein schönes hellblaues Kostüm gekauft hat, was auch Corina gut gefällt.

Abends gehen wir wieder aus.
Wir wollen irgendwo im Gewirr der Altstadtgassen in der Nähe der Piazza Navona essen gehen.
Wir suchen eine Weile.
Dann setzen wir uns in ein Straßencafe, in dem es so ausgefallene Sachen wie Wildschweinpastete oder Trüffeln gibt.
Leider finden wir keine normalen Menüs auf der Speisekarte, während wir schon Platz genommen haben und der Kellner die Garnituren auflegt.
Es dämmert uns, daß wir hier als Touris abgezockt werden. Flucht, nichts wie weg!
Ehe der verdutzte Kellner etwas mitkriegt, haben wir schon das Hasenpanier ergriffen und uns davon gemacht, hatten ja noch nichts bestellt.
Wir stöbern durch die romantischen Gassen mit alten Häusern, Wein und Efeu, und langsam wächst der Hunger.
Da stoßen wir auf eine unscheinbare Trattoria: „Ozwaldo“ in der Nähe der Piazza Navona.
Eine dicke Wirtin, die klassische italienische „Mamma“ mustert uns, und wir scheinen ihren Anforderungen zu genügen.
Schnell wird die weiße Tischdecke ausgebreitet, und wir schmökern wieder in der Speisekarte:
Ich habe es aufgegeben, mich auf Italienisch verständigen zu wollen, es geht mir alles zu schnell.
Mein passives Wissen aus vierjähriger Lektüre des „Berlitz-Taschenkalenders „Italienisch“ reicht aber immerhin aus, um geschriebene Texte wie diese Speisekarte zu

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verstehen, ähh, eigentlich doch nicht ganz, so genau verstehe ich genau dieses Wort
nicht......, und auf Verdacht bestellen? Es könnten Eingeweide sein, Kutteln, Pansen, Nieren, Milz, Bauchspeicheldrüse... die römische Küche ist berüchtigt für ihr großzügige Verwendung von Innereien!

Immerhin, wir schaffen es doch, die Köstlichkeiten aus der Bauchhöhle verstorbener Tiere zu umgehen.
Wir bestellen wieder Menüs, angefangen mit „Penne arrabiata“, meinem Lieblingsnudelgericht mit der scharfen Peperonisauce, danach gibt es ein Beefsteak mit Käse, und die anderen laben sich u.a. an einem Paillardensteak, was weder mit Leopard noch mit Ente (wie ich vermutet hatte) etwas zu tun hat.
Paillarden, das sind Käsestreifen. Etwas Wein ist meist in den Fleischsaucen, was Irma nicht so mag, aber nach kurzer Gewöhnungszeit den mitteleuropäischen Gaumen erfreut.
Anschließend reicht man Salat und Käse, und wieder rinnen Rotwein und Grappa
(in Maßen, nicht in Massen) unsere erwartungsfrohen Kehlen hinab. Hier läßt sich’s wohl sein! Goethes Faust kommt mir in den Sinn „Oh Augenblick, so mögest du verweilen...“
Während des Tafelns füllt sich das Lokal, ein schwarzgewandeter Priester mit Schulklasse fällt auf. Es ist eben alles so richtig italienisch hier, fehlt nur noch der Kaffee-Italiener : „Isch `abä doch keine Auto, Signora“.
Wir „`aben jetzt langsam färtisch“ und zahlen der Mamma noch ein gutes Trinkgeld.
Wie kommen wir nach Hause?
Am besten fahren wir mit der U-Bahn von der Haltestelle beim Vatikan aus.
Es ist schon fast Mitternacht, und es ist nicht mehr viel los auf den Straßen und Plätzen.
Eigentlich sind wir alle verdammt müde.
Irgendwie kommen wir nach einem Blick auf die Karte zum Schluß, daß die U-Bahn - Station Lepanto etwas günstiger liegt. Zum Kartenlesen: das ist stets Männersache, unsere Frauen bekommen schon aus der Ferne beim Anblick von Straßenkarten stets Migräne, Ohrensausen, Schwindelgefühl und Übelkeit; oder ist es so, daß wir Männer uns immer vordrängeln und diese letzte Domäne des steinzeitlichen maskulinen Fährtensuchers eifersüchtig wie den Gralsschatz hüten?
Die Antwort überlasse ich lieber dem Leser als der Leserin....
Jedenfalls wird unser auf die Kartenlesekünste der Steinzeitjäger gestützter Marsch durch das nächtliche Rom wieder zu einer Odyssee und als wir um 0.30 Uhr endlich an „Lepanto“ angelangt sind, harrt unser wieder eine böse Überraschung: die U-Bahn-Station ist vergittert: die letzte Bahn ging schon gegen Mitternacht, und Landstreicher und unaufmerksame Touris haben nach Mitternacht in den U-Bahn-Schächten nichts mehr zu suchen!
Anscheinend suchen wir unbewußt die nächtlichen Abenteuer, anders ist es nicht zu erklären, daß wir uns ausgerechnet spät in der Nacht immer verlaufen und mit einemmal wieder stocknüchtern sind!

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Jedenfalls schieben wir unsere müden, wie Felsklötze an uns hängenden Beine Schritt vor Schritt voran, halten ergebnislos nach Taxen Ausschau und schleppen uns über die Tiberbrücke.
Der grün angestrahlte Justizpalast am Tiber, dessen imperiale Prächtigkeit wir vorhin bewunderten, scheint uns jetzt seelenlos in kalter Verachtung anzuglotzen.
Ein Königreich für ein Taxi!
Plötzlich hat Peter eines dieser wundersamen Gefährte erblickt. Wir rudern mit den Armen, um es heranzuwinken, und der Fahrer hat tatsächlich ein Erbarmen. „Swing low, sweet chariot, coming to carry us home..“ das alte Gospellied vom Himmelswagen, der uns zur Seligkeit fährt, kommt mir in den Sinn.
Die Taxe fährt zügig, normale Menschen scheinen um diese Zeit nicht mehr unterwegs zu sein, und so zahlen wir gerne die 40.000 Lire (ca. 40 DM), als uns der Samariter der Straße nach etlichen Straßenzügen am Hotel Centro aussteigen läßt.
War doch klar, daß wir ohne Probleme wieder zurückgekommen sind, wir sind doch alte Globetrotter, nicht wahr?!!

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Mittwoch, 1. April

Wir verzichten darauf, uns gegenseitig in den April zu schicken, eine Sitte, die es so ähnlich auch in Italien gibt.
Heute ist noch einmal „Kirchentag“: Höhepunkt wird der Freiluftgottesdienst mit dem Papst auf dem Petersplatz sein, und dann wollen wir wenigstens noch die berühmten Basiliken „San Giovanni in Laterano“ und „Santa Maria Maggiore“ besichtigen.

Wir tunken heute zum letztenmal die Frühstückshörnchen in römischen Kaffee, denn für morgen haben wir schon für 5.00 Uhr eine Taxe bestellt.
Da unser Flugzeug laut Plan um 8.05 zurückfliegt und es 30 Kilometer Distanz vom Hotel zum Flughafen „Leonardo da Vinci“ sind, haben wir morgen keine Zeit zu verlieren und werden nicht mehr im Hotel frühstücken können.
Heute machen wir uns wieder auf den Weg zur U - Bahn, lösen die üblichen Tagestickets, steigen bei San Ottaviano aus und pilgern zügigen Schritts zum Petersdom.

Schön, daß wir den Mittwoch im Reiseverlauf eingeplant haben, denn nur an diesem Tag finden die öffentlichen Gottesdienste mit dem Papst statt: entweder in der großen Audienzhalle oder - bei schönem Wetter - auf dem Petersplatz.
Der Gottesdienst heute ist eigentlich so etwas wie eine Generalprobe für den österlichen Segen: knapp vierzehn Tage später wird Johannes Paul II. Auf der Brüstung der Peterskirche stehen und „Urbi et Orbi“ - „dem Erdkreis und der Stadt“ seinen Segen erteilen.
Dann ist der Petersplatz wahrscheinlich schwarz von ameisengleichen Menschen!

Auch jetzt sind schon zahlreiche Pilger und Schaulustige eingetroffen.
Japanische Fototouristen trippeln im Gänsemarsch über den Platz, heftiges Sperrfeuer aus den Fotoapparaten abgebend.
Dort marschiert eine fröhliche singende Gruppe Fähnchen schwingender Gläubiger: den slawischen Lauten nach handelt es sich um polnische Mitbrüder und Mitschwestern: bei ihnen hat Karol Woytila immer ein Heimspiel, der erste nichtitalienische Papst seit ein paar Jahrhunderten und ohnehin der erste Pole auf dem Heiligen Stuhl. Auch die Berufung eines Papstes aus einem Land des Ostblocks - 1978 - hat sicher zur Erosion des Sowjetreiches beigetragen, denn die Autorität der Kirche ist gerade im tiefgläubigen Polen nicht zu unterschätzen: Polen, Irland und die Philippinen dürften die katholischsten Länder des Erdkreises sein!

So leicht ist es aber nicht, nach vorne zu den Stuhlreihen zu gelangen, wir müssen uns in
eine Schlange einreihen und hoffen, daß unsere orangefarben leuchtenden Tickets Zauberkraft besitzen und uns den Weg öffnen.

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Immerhin ist nicht zu vergessen, daß der Papst 1981 Opfer eines Attentates wurde.
Er hat seinem bulgarischen Attentäter Ali Agca verziehen. Was aus Agca wurde?
Seine Spuren verlieren sich, eine der Personen aus der Menge, die fast die Geschichte umgeschrieben hätten: ein österreichischer Anstreicher und ein georgischer Schuhmacher waren da auf makabere Art und Weise „erfolgreicher“.

Nachdem unsere Rucksäcke ohne Beanstandung gefilzt wurden und unsere Damen anscheinend auch züchtig genug gekleidet sind, strömen wir mit den anderen Besuchern zu den Stuhlreihen und finden tatsächlich noch Platz in einer der hinteren Reihen.
Die Kunststoffstühle sind schmucklos und hart, aber das trübt unsere Spannung nicht.

Durch die Zoomfunktion der Kamera kann ich das Podest vor dem Eingang der Peterskirche näher heranholen.
Etliche Würdenträger haben schon auf dem Podest Platz genommen.
Die schwarzgekleideten würdigen Herren mit den pinkfarbenen Käppchen (sehr avantgardistisch!) sind Kardinäle, außerdem gibt es noch Geistliche mit weißen Käppis, in schwarzen und braunen Kutten und etliche Prominenz, die direkt auf dem Podium sitzen darf, wahrscheinlich eine Mischung aus einflußreichen Leuten aus Kirche, Wirtschaft und Politik, vielleicht angereichert mit ein paar „Helden des Alltags“.
Rund um uns ist ein Schwärmen wie in einem Bienenschwarm kurz vor dem Abflug: erwartungsfrohes Gemurmel, aufgeregte Stimmen, Lachen, Gesang und Trompetenklänge.
Anscheinend sind verschiedenste Reisegruppen aus aller Herren Länder organisiert angereist, an ihren Fähnchen, Wimpeln und manchmal auch Uniformen erkennbar,
vor allem junge Leute sind anwesend: es könnte auch ein Pfadfindertreffen, eine fröhliche FDJ - Veranstaltung , ein Rockkonzert oder ein Football-Spiel von Frankfurt Galaxy sein.
Dazu passen auch die Tröten und die kurzen Musikeinlagen, die die überall auf dem Platz an unterschiedlichen Stellen versammelten mitgereisten Kapellen intonieren: hier ein Intro von flotter Blasmusik, dort pathetische Posaunen, dann ein kurzer (polnischer?) Gesang, Anfeuerungsrufe: es geht nicht weihevoll, sondern fröhlich zu, fast kommt Volksfeststimmung auf.
Aber ist dies so verwunderlich? Es sind junge Leute in einer Großveranstaltung zusammen, es ist sonniges Frühlingswetter, wir sind alle herausgehoben aus dem Alltag und harren der Show, die folgen wird.
In unserer unmittelbaren Umgebung hinter uns sind italienische Familien. Die kleinen Mädchen sind in weißen Rüschenkleidern herausgeputzt wie zu einer Hochzeit. Vielleicht ist es eine altehrbare Mafiafamilie oder Industrielle oder Normalos, die sich nur für den wichtigen Tag besonders fein gemacht haben?!
Die Spannung wächst. Die einzigen, die vollkommen ruhig bleiben, sind die steinernen Statuen auf den Kolonnaden des Petersplatzes: sie haben schon so viele Päpste kommen und gehen sehen, so viele würdevolle, sanfte, fanatische, eindringliche, langweilige , inbrünstige Predigten und Gebete gehört, es kann sie nichts mehr überraschen, auch der

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steinerne Petrus bewahrt Contenance: niemand wird ihm die Schlüssel nehmen dürfen, die ihm der Herr alleine verliehen hat:
„Du bist der Fels, auf den ich meine Kirche baue“, fast zweitausend Jahre sind seitdem vorbei: nur ein Wimpernschlag bei 4,6 Milliarden Jahren Erdgeschichte und 3.000 Jahren ägyptische Hochkultur bis zur Geburt Christi, aber dennoch eine lange Zeit für die Kirche: so viele Generationen von Gläubigen kamen und gingen, das Wort Gottes wurde gepredigt, verunstaltet, ausgelegt, bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, dann wieder in neuem Licht erkannt, und bis zum heutigen Tage ringen die Gläubigen um die „Wahrheit“, nur allzuoft vergessen sie dabei, daß Jesus vor allem auch gesagt hat:
„An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“.
Was für eine geistige Kraft wäre die christliche Kirche, wenn sie sich nicht immer wieder mit den Mächtigen verbrüdert, sondern dem Leben Jesu nachgeeifert hätte: Franziskus von Assisi ging den mühsamen Weg, ebenso Bartholome de las Casas, der sich dem Völkermord an den Indianern entgegenstellte, dazu etliche Märtyrer und Märtyrerinnen im „Dritten Reich“, leider immer viel zu wenig, die nicht auf dem breiten Weg wandelten...

Und jetzt warten wir alle auf den aktuellen Nachfolger Petri: wo wird Er erscheinen, aus welchem Seitengang wird Er auftauchen?
Es brandet Jubel aus der polnischen Ecke auf, aber nein, nur ein Fehlalarm, Er war es noch nicht.
Aber dann verdichtet sich neuer Jubel zur Woge der Begeisterung: Er muß jetzt unter uns sein! Alle erheben sich von den Sitzen und versperren sich gegenseitig die Sicht.
Tatsächlich, da schwebt ein weißer Kopf über der Menschenmenge! Er schwebt tatsächlich, den Johannes Paul II. steht auf einem weißen Geländewagen und da der Wagen nur zu erkennen ist, wenn man sich auf die Zehenspitzen stellt, scheint nur der helle Kopf mit dem weißen Käppi zu schweben, in eleganten Kurvenbewegungen, je nachdem, wie sich das weiße Mobil seinen Weg durch die jubelnde Menge bahnt.
Kurze Zeit später ist der Winkel günstiger, und wir können schon mehr vom Heiligen Vater und seinem schneeweißen Gefährt erkennen: es ist nicht das klobige Pappamobil, das Er auf Seinen Reisen ins Ausland verwendet, sondern ein schnittiger Jeep.
Er hält sich fest, wird von einem Geistlichen gestützt, während er mit der rechten Hand winkt und die Gläubigen segnet.
Die Menschen sind begeistert. Mir fällt auf, daß sie versuchen, ihn zu berühren, diese Symbolik der Heilung durch Nähe ist ja auch immer wieder bei Jesus in den Evangelien erkennbar.
Zu uns, die wir etwas ungünstig in der Mitte des Platzes sitzen, findet das Papstmobil nicht seinen Weg, sondern der Wagen umfährt den Platz bei den Säulenkolonnaden und erklimmt dann eine Rampe, hält auf dem Podium, und der Papst wird zu seinem Thron auf dem Podium geleitet.
Aber noch bleibt der Papst passiv, er wird erst später zu der Menge sprechen.

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Ein Geistlicher begrüßt die anwesenden Würdenträger.
Auch der umstrittene Fuldaer Bischof Johannes Dyba, ein Hardliner des rechten Flügels der Kirche, ist anscheinend anwesend, ebenso ein paar Bundestagsabgeordnete, über deren dienstlichen Reiseanlaß sich rätseln läßt.
Dann werden die einzelnen Gruppen aus den verschiedenen Nationen begrüßt. Es ist, als ob der halbe Erdball versammelt ist, sogar Gruppen aus dem protestantisch - säkularen Dänemark sind gekommen, ebenso Briten und viele US-Amerikaner.
Jede Gruppe erhebt sich fähnchenschwingend, aus irgendeiner Ecke des riesigen Petersplatzes brandet kurz eine Jubelwoge auf und verebbt wellenförmig: mir fallen da Nervenzellen des Gehirnes ein, Neuronen, die kurz blitzen und dann verebben: jedes Neuron hat seine Identität und ihr Zusammenspiel ergibt ein höher organisiertes Ganzes, so abwegig ist mein Vergleich nicht, denke ich.
Der meiste Jubel herrscht bei den Gruppen aus Polen und Italien, kleine Musikständchen werden angespielt und verlieren sich schon Sekunden später im Wind, wenn die nächste Gruppe angesagt ist...

Die Deutschen sind - als Weltmeister auch des frommen Reisens - überproportional stark vertreten. Von den Regionen her sind natürlich die bodenständigen katholischen Gemeinden aus dem Rheinland und Bayern besonders zahlreich, aber immerhin ist auch eine Abordnung der katholischen „Herz-Jesu-Gemeinde“ aus Obertshausen anwesend, von der Gemeinde hat unsere Kollegin Inge Schmidt öfters mal erzählt.

Und jetzt liest Er die Messe: es ist eine Passage aus dem Matthäus - Evangelium, unter anderem der berühmte Missionsbefehl, der im Laufe der späteren Jahrhunderte Segen, aber auch viel Leid über die Völker brachte.
Mit schleppender brüchiger Stimme, zusammengesunken in seinem Sessel, liest der Papst die Passagen vom Blatt in verschiedenen Weltsprachen ab. Zuerst auf Latein, dann noch auf Italienisch, Spanisch, Englisch, Französisch und Deutsch, habe mir nicht mehr alles merken können.
Sein Alter und seine Schwäche sind ihm anzumerken.
Mein Vater, Jahrgang 1921 und somit ein Jahr jünger, wirkt da wesentlich kraftvoller. Aber zu bewundern ist, daß Johannes Paul II. bei seinem riesigen Reiseprogramm und seinem ausgefüllten Terminkalender überhaupt noch so fit ist und seinen Verpflicht -ungen nachkommen kann. Er muß ja ohnehin ein Sprachgenie sein, und seine Amtszeit ist mit nunmehr 20 Jahren (1978 wurde er als Nachfolger des so früh verstorbenen Johannes Paul I. gewählt!) eine der längeren in der Geschichte der Päpste.
Aber heute wirkt der Papst müde und gebrechlich, bestimmt haben die Nachfolge -kämpfe schattenhaft und lautlos innerhalb der Kurie schon begonnen, vielleicht wird ja zum ersten Mal ein Papst aus einem „3.Welt- Land“ gekürt. Unter Umständen trüge dies zu mehr Gerechtigkeit bei, falls es nicht wieder ein erzkonservativer Nachfolger wird.

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Anschließend folgt eine kurze Predigt des Papstes, die sich aber auch wegen der verschiedenen Übersetzungen in die Länge zieht.
Zwischendurch erhält er immer wieder Applaus, es ist tatsächlich eine lebhafte, jugendliche Veranstaltung, und der fröhlichen Atmosphäre kann man sich nicht entziehen, selbst wenn man die Dogmen der Amtskirche nicht unbedingt teilt.

Gegen 11.15 Uhr, nach fast zwei Stunden seit Eintreffen auf dem Petersplatz, ist der Gottesdienst zuende.
Die Menschenmassen zerstreuen sich, alle waren zufrieden, die Reise hat sich spirituell gelohnt.
Auch für uns war die Veranstaltung ein Höhepunkt der Reise, wir waren an einem geschichtsträchtigen Platz für kurze Zeit mit einer geschichtlichen Persönlichkeit zusammen, waren selber für kurze Zeit am „Nabel der Welt“.

Leider können wir nicht nochmals den Petersdom betreten, da natürlich überall noch Barrieren und die Rednertribüne stehen.

Deswegen verlassen wir den Petersplatz, nicht ohne, daß ein freundlich lächelnder japanischer Tourist ein Erinnerungsfoto von uns Fünfen gemacht hat.

Aber ganz fertig sind wir mit dem Vatikan noch nicht:
Wir besuchen die Vatikanische Post am Rande der Peterskirche, stellen uns kurz in eine Schlange und erhalten dann die begehrten vatikanischen Briefmarken, mit denen wir unsere schnell hingekritzelten Postkarten verzieren.

Unser nächstes Ziel ist die Lateranbasilika.
San Giovanni in Laterano ist die Bischofskirche des Papstes, also die Kathedrale des Bischofs von Rom, der zugleich Oberhaupt der katholischen Kirche ist.
Das macht seit der Gründung der Basilika im 4.Jahrhundert ihren Rang aus.
Mit der Inschrift an der Hauptfassade „Mater et caput omnium ecclesiarum urbis et orbis“ erhebt San Giovanni in Laterano den Anspruch „Mutter und Haupt aller Kirchen der Stadt und des Erdkreises“ zu sein.
Schon im Jahr 313, kurz nach dem Sieg Kaiser Konstantins über Maxentius begann man auf dem Grundstück der Laterani (daher der Name) und einer Reiterkaserne mit dem Bau einer großen, dem Erlöser geweihten Kirche.
Den Beinamen „San Giovanni in Laterano“ erhielt die Basilika von Johannes, dem Täufer und Johannes, dem Evangelisten.
Immer wieder fanden wichtige Konzilien im Mittelalter in dieser Kirche statt, und die berühmt - berüchtigten Lateranverträge, die Aussöhnung der Kirche mit dem (faschistischen ) Staat im Jahre 1929 - mit der Folge des späteren Schweigens der Kirche angesichts der Judenverfolgungen der Nazis - wurde ebenfalls in diesen heiligen Mauern beschlossen.

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1993 ließen Terroristen eine Bombe explodieren, wobei Teile der Kirche sowie das Baptisterium und die Nordfassade beschädigt wurden.
Die Laterankirche gehört zu den vier berühmten Patriarchalbasiliken Roms, d.h. den berühmtesten Kirchen der katholischen Christenheit:
Petersdom, Laterankirche, Santa Maria Maggiore und San Paolo fuori le Mura („Sankt Paul außerhalb der Mauern“).
Als einziger unserer kleinen Reisegruppe habe ich alle vier Kirchen besichtigt, davon drei am heutigen Tag, aber davon später!
Sie gehören alle zum Territorium des Vatikans.

Nachdem wir den 31 Meter hohen, vom Circus Maximus stammenden Obelisken auf dem Vorplatz passiert haben, betreten wir die Kirche durch das Haupttor, welches die Originaltür der antiken römischen Kurie des Forum Romanum ist.
Stille und Kühle empfangen uns.
Die Laterankirche wirkt in ihrer klassisch - strengen Renaissancefassade und ihren Pastellfarben im Innern des Bauwerkes kühler als die Peterskirche, zu kühl, meint Corina, für die der Besuch des Petersdomes einer der Höhepunkte der Romreise war.
Mir gefällt die Laterankirche ausnehmend gut, gerade weil die verwendeten Farben : Gold, Blau, Hellgrau.... etwas von den himmlischen Sphären erahnen lassen, der irdischen Schwere entrückt.
Der gotisch wirkende schmale Baldachin über dem Altar scheint in seiner filigranen Zerbrechlichkeit aus jenseitigen Welten zu stammen.
Hinter schmiedeeisernen verzierten Gittern erblühen in Nischen Kandelaber mit geheimnisvoll leuchtenden Kerzen, Maria lächelt als Statue verklärt, und ein riesiger Engel hält seit Jahrhunderten Wacht mit dem Schwert.
Über 4 Meter hohe Apostelfiguren sinnen stumm über Sünde, Gebet und Vergebung nach.
Erwachen nachts, unbeobachtet, alle diese Figuren zum Leben?
Golden glänzt die Orgel vom Seitenschiff; die metallenen Pfeifen der Orgel sind diszipliniert nebeneinander aufgereiht, in meiner Fantasie höre ich sie, die Königin der Instrumente, klingen.
Borromini hat das fünfschiffige Kirchenschiff für das Heilige Jahr 1650 gestaltet.
Wunderschön ist auch die schon aus dem 16. Jahrhundert stammende Holzdecke.
An die düsteren Seiten des lateinischen Glaubens gemahnen die dunkelbraunen Beichtstühle, drohend auf flüsternde, raunende, ängstliche gestammelte Worte wartend, Dramen, die gestanden, verarbeitet, verdrängt, beschönigt, verzerrt, sublimiert werden. Wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein!
Ein Priester kniet andächtig auf einer Bank, ich ziehe mich zurück, um seine Andacht nicht zu stören...
Christian wirft mit italienischen Gläubigen zusammen Münzen in eine Vertiefung, wahrscheinlich soll dies Glück bringen, hell klingen die Münzen beim Aufprall auf den Marmorfußboden.

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In der Kirche sollen auch die Köpfe von Petrus und Paulus als Reliquien aufbewahrt worden sein.
Wir bekommen sie nicht zu sehen.

Ebenso entgeht uns die Scala Santa - die Heilige Treppe.
Die Kirche mit der Heiligen Treppe soll gegenüber der Hauptfassade der Laterankirche liegen.
Sie umschließt die ehemalige päpstliche Privatkapelle des Lateranpalastes und eben die „Scala Santa“ - die Heilige Treppe: 28 heute mit Holz verkleidete Marmorstufen, die nach der Überlieferung aus dem Palast des Pilatus zu Jerusalem stammen und von der heiligen Helena im 4. Jahrhundert nach Rom gebracht wurden.
Es ist frommer Brauch, daß die Gläubigen in Erinnerung an die Leiden Christi für ihr Seelenheil auf Knien (und nur auf Knien!) diese Teppe erklimmen.
Fromme Leute sprechen auf jeder der 28 Stufen ein Gebet.
Wir sehen in der Nähe der Laterankirche zwar auch eine Kirche mit goldenem, byzantinisch wirkendem Mosaik und Marmorstufen, da aber niemand diese Treppe auf Knien heraufrutscht, habe ich meine Zweifel, ob es sich dabei um die Scala Sancta handelt.

Wir verlassen die Kirche und besuchen noch den schönen Kreuzgang außerhalb des Gebäudes.
Es fällt nicht schwer, sich mittelalterliche Mönche vorzustellen, wie sie schweigend die Gänge auf und ab wandeln und in Meditation versunken sind.

Wir möchten als nächstes zur nächsten Patriarchalbasilika, der Santa Maria Maggiore, nicht weit von unserem Hotel entfernt.
Peter hat schon herausgefunden, daß wir am besten am Bahnhof (Station Termini) aussteigen.
Aber außer den spirituellen Wünschen haben wir auch ganz handfeste leibliche Bedürfnisse: Hunger, Durst, Müdigkeit, und eine Toilette müßte auch bald auftauchen!

In einer einfachen Gaststätte am Bahnhof stillen wir unseren Hunger mit großen Pizzastücken, die italienische Pizza ist besser als ihr Ruf!

Dann machen wir uns zu Fuß auf den Weg zur Basilika, die eigentlich gar nicht weit entfernt sein müßte.
Es wimmelt von Vesparollern.
Am Busbahnhof müssen wir aufpassen, nicht unter die Räder der Busse zu geraten.
Wie dem auch sei: wir entdecken an der übernächsten Ecke, daß wir falsch gelaufen sind und umkehren müssen.
Langsam werden die Beine schwer.
Nach zwanzig Minuten erreichen wir glücklich einen weiten Platz mit Obelisken.

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Und dieses Gebäude mit zwei runden Kirchenschiffen, das muß die Basilika Santa Maria Maggiore sein!
Aber welche Enttäuschung: die Eingänge sind verschlossen, die Vortreppe abgesperrt.
Haben wir uns umsonst müde gelaufen?
Aber wir brauchen die Kirche nur zu umrunden, dann merken wir, daß der Vordereingang auf der anderen Seite liegt, und der ist nicht abgesperrt.
Zahlreiche Jugendliche sitzen auf den Treppenstufen und genießen die Sonne des frühen Nachmittags.
Ein Brunnen erhebt sich auf dem Vorplatz.
Bettlerinnen verlangen am Eingang der Kirche einen Obolus.
Wir freuen uns, als wir im stillen schattigen Inneren der Kirche sind.

Wie schon erwähnt zählt Santa Maria Maggiore zu den vier klassischen Basiliken des Episkopats.
Sie wurde im 5. Jahrhundert unter Papst Sixtus III. auf den Grundmauern eines Vorläuferbaus errichtet.
Der 1377 errichtete romanische Glockenturm ist mit 75 Metern der höchste Roms!
In Santa Maria Maggiore wurde als einziger römischer Kirche seit dem 5. Jahrhundert ohne Unterbrechung täglich die Messe gefeiert.
Über die Gründung der Kirche berichtet die Legende, dem Papst Liberius und dem Priester Johannes sei in der Nacht zum 5. August des Jahres 352 die Gottesmutter Maria erschienen und habe ihnen aufgetragen, dort eine Kirche zu bauen, wo am nächsten Morgen (im August!) Schnee fallen werde.
Es habe tatsächlich geschneit - daraus ist das kirchliche Fest Maria Schnee entstanden -, auf dem Esquilin-Hügel, noch dazu in den Umrissen einer Basilika!
Vom reich verzierten Marmorfußboden über die vergoldete, mattglänzende Kasetttendecke bis zu dem runden leuchtenden Kirchenfenster über dem Eingang wirkt diese Kirche nicht so monumental wie der Petersdom und nicht so kühl-prächtig wie die Laterankirche, sondern wie eine Kirche zur Andacht für die Gläubigen.
Irma zündet dann auch eine Kerze an.
Der Kirchenraum ist dreischiffig, mit 36 Marmor- und vier Granitsäulen und mit wunderschönen Mosaiken an der Hochwand, den ältesten Roms aus dem 4. oder 5. Jahrhundert.
Im rechten Querschiff, der Cappella Sistina, sollen sich Reliquien der Krippe Jesu aus Bethlehem befinden, eine goldene Figur des Jesuskindes strahlt und steht in Kontrast zur ärmlichen Herkunft des Jesuskindes.
Der Baldachin über dem Papstaltar wird von vier Porphyrsäulen aus der Villa des Kaisers Hadrian (vgl. Engelsburg!) in Tivioli getragen, immer wieder hat die katholische Kirche also antike Substanz verwendet und eingebaut, ebenso wie sie im geistlichen sinne Elemente aus heidnischen Religionen übernommen hat, zum Beispiel in Lateinamerika oder auch germanische Feste und Bräuche.

Wir ruhen uns ein paar Minuten still in derKirche aus und treten dann wieder in die blendene Sonne hinaus.

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Anscheinend bin ich -obwohl ich der Älteste bin - der einzige, der jetzt am Nachmittag noch unternehmungslustig ist.
Die anderen zieht es zum Ausruhen ins Hotel, aber ich will die Zeit noch nutzen, um zumindest den „Mund der Wahrheit“ im Südwesten der Stadt zu sehen.
Worum es sich dabei handelt, verrate ich später.
Zunächst einmal fahre ich mit der Metro Linea B zum Circus Maximus, der gut als Ausgangspunkt für meine Exkursion geeignet ist.
Diesmal schlendere ich gemütlich über den uralten römischen Festoplatz, dessen Umrisse sich bis heute erhalten haben.
Wenn ich länger in Rom bliebe, würde ich auch ein paar Runden um die Arena joggen wie es jetzt viele Römer und Römerinnen tun.
Faszinierend, daß hier vor knapp 2000 Jahren feurige Rennpferde um das Oval galoppiert sind!
Nach Überquerung der großen grünen Rasenfläche komme ich an malerischen alten Mietshäusern vorbei, an denen Wäsche baumelt, wie aus italienischen Filmen der 50er Jahre mit Gina Lollobrigida und Sophia Loren.
Noch ein paar Minuten bin ich an einem verkehrsbelebten Platz am Tiber und kann rechts die Tiberinsel sehen, hinter der auf der anderen Seite das Viertel Trastevere liegt.
Der Platz heißt heute Piazza della Boca della Verita.
Früher war dies das alte Forum Boarium, der Rindermarkt.
Dort mündete die Cloaca Maxima, der zentrale Abfluß der römischen Kanalisation, in den Tiber.
So konnte der Fluß den Unrat und die Abfälle des Viehmarkst gleich aufnehmen.
Heute stinkt es hier nicht mehr nach Kot und Kuhhaufen, sondern nach Autoabgasen...

Die Kirche „Santa Maria in Cosmedin“ am Süden des Platzes erhielt ihren Namen wahrscheinlich von Byzantinern nach einem Platz in Konstantinopel.
Daher wird der Beiname „Cosmedin“ auf das griechische Wort „Cosmos“ (Schmuck) zurückgeführt.
Der siebengeschossige Campanile (Kirchturm) läßt die schlichte Kirche typisch italienisch wirken.
Das Innere ist nicht so prunkvoll, eher einfach, was für Geist und Auge fast eine Erholung ist nach der geballten Prachtentfaltung des Petersdoms, der Laterankriche und der Santa Maria Maggiore.
In der Krypta soll sich ein Eingang zu Gräbern von Christen und den Fundamenten eines heidnischen Tempels befinden.
Mich interessiert aber in erster Linie die hinter einem Eisengitter an der Vorhalle der Kirche aufgestellte große Steinmaske: der „Mund der Wahrheit“, der Bocca della Verita. Es ist ein großes rundes Steingesicht mit aufgerissenen Augen, archaisch-düsterem Blick und einem schmalen Mund, einer Öffnung in der Scheibe.
Dort - so die Überlieferung - mußten in der Antike verdächtige Sünder die Hand hineinlegen.

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Sprachen sie die Wahrheit, konnten sie sie unbehelligt wieder hinausziehen.
Hatten sie jedoch gelogen, biß der Mund zu und zerfleischte die Hand des Lügners.
Es gab also damals schon Lügendetektoren!
Die zierlichen japanischen Touristinnen in einer langen Reihe vor dem Bocca degla Verita haben anscheinend alle ein reines Gewissen, als sie eine nach der anderen sich gegenseitig bei der Mutprobe ablichten.
Nach kurzem Zögern stecke ich meine Hand dem Ungeheuer ins Maul: es zwickt etwas, aber die Hand ist gerettet, ungelogen, aua!

Mit zwei unversehrten Händen trete ich den Rückweg zur Metrostation am Circus an.
Ich will immer noch nicht zum Hotel zurück.
Jetzt kann ich mit der Metro entweder noch zur Cestius-Pyramide oder zur vierten Patriarchalbasilika, der Kirche San Paolo fuori le Mura fahren, die weiter entfernt, eben „außerhalb der Mauern“ gelegen ist. Ich werde es nicht mehr schaffen, beide Ziele zu besichtigen.
Die Cestiuspyramide an der Porte San Paolo (nicht zu verwechseln mit der Basilika San Paolo) ist das Grab des römischen Offiziers Gaius Cestius (12 n. Chr.).
Er hatte in Ägypten gedient und war von der ägyptischen Kultur so angetan, daß er sich eine kleine Pyramide als Grabstätte bauen ließ.
Die Römer waren -schon die vielen Obelisken zeigen dies - von der uralten ägyptischen Kultur fasziniert, unsere Klassiker Goethe, Schiller und Winkelmann schwärmten vom antiken Rom und unsere Kulturpäpste verehren die Klassiker im „kulturlosen“ Zeitalter von Pay-TV, McDonalds und Coca Cola. Vielleicht empfinden unsere Nachfahren ja das 20. Jahrhundert als kulturelle Hochblüte...
Das nennen wir das Fortschreiten der Zivilisation im Laufe der Menschheitsgeschichte!

Ich beschließe, der Pyramide gedanklich Lebewohl zu sagen und doch die dritte Basilika des heutigen Tages, die Kirche San Paolo fuori le Mura, zu besuchen.
In der U-Bahn ist es jetzt ziemlich eng, Feierabendbetrieb!
Es sind jetzt nochmals sechs oder sieben Stationen bis zur Basilika, hoffentlich verirre ich mich nicht und komme nicht zu spät zum letzten gemeinsamen Abendessen!

An der Station San Paolo fuori le Mura angekommen, sehe ich zunächst keine Kirche, dabei müßte es sich doch um einen Riesenbau handeln!
Aber es gibt ein einfaches Mittel, den Weg zu finden: einfach dahin gehen, wo die Touristenbusse zu finden sind!
Und nach ein paar Minuten, nur einmal um die Ecke gegangen, habe ich die Basilika entdeckt, wahrhaftig eine gigantische Kirche! Die Park in der Nähe der Kirche mit seinen rosa blühenden Bäumen mutet fast japanisch an, nicht zuletzt wegen der vielen japanischen Touristinnen und Touristen...

Wie immer, anscheinend ist dies auch eine milde Ausprägung des Murphy`schen Gesetzes, befindet sich der Eingang der Kirche an der anderen Seite.

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Bei dieser Basilika ist der Außeneindruck etwas Besonderes: afrikanisch wirkende Palmen erheben sich vor der Fassade mit Goldmalerei, komme mir vor wie vor einer koprischen Kirche in Ägypten oder Äthiopien!

Die Kirche wurde vor den Toren Roms im 4. und 5. Jahrhundert von christlichen römischen Kaisern zum Gedenken an den Apostel Paulus errichtet.

In der Nähe soll in 67 n. Chr. Paulus enthauptet worden sein.
Der Legende zufolge sei das Haupt des Paulus nach der Enthauptung dreimal auf dem Boden aufgesprungen und dadurch seien an diesen Stellen drei Quellen entsprungen.
Der Ort heißt deshalb „Tre Fontane“ (drei Quellen).

Die Kirche San Paolo war bis zum Neubau des Petersdomes im 16. Jahrhundert die größte Kirche der Christenheit.
Schon der alte Bau wurde mehrfach durch Erdbeben und Brände beschädigt.
Zur Katastrophe kam es jedoch am 15. Juli 1823: die Kirche brannte vollständig ab, vermutlich verursacht durch Fahrlässigkeit eines Klempners (frei nach zwei vermischten Liedern von Reinhard Mey: „Der Täter war immer der Klempner...“)

Durch großzügige Spenden war der Wiederaufbau nach dem alten Original schon in 1854 abgeschlossen, aber Tatsache ist, daß die Bausubstanz dadurch nicht so alt ist wie bei den anderen großen Kirchen.

Das Innere der Kirche unterscheidet sich ebenfalls von den drei anderen Hauptbasiliken: es ist eine riesige Säulenhalle, viel weniger geschmückt als die anderen Kirchen.
Umsomehr kommt der polierte gelbliche Marmorfußboden zur Geltung.
In der weiten Halle empfindet sich der Besucher wie ein Staubkorn , zusätzlich eingeschüchtert durch den Hinweis, daß Filmen und Fotografieren verboten sei.
Deswegen verstecke ich mich beim Filmen lieber hinter einer Säule; Gläubige werden dadurch sicher nicht belästigt, zumal sich die wenigen Menschen in der großen Halle sehr verteilen.
Es stehen insgesamt 80 Säulen in dem fünfschiffigen Kirchenraum, der 120 Meter lang, 60 Meter breit und 23 Meter hoch ist.

Vorne erhebt sich über dem Altar der Triumphbogen mit einem kunstvollen Mosaik.
An den Wänden befinden sich golden eingerahmt diekreisrunden Porträtmedaillons aller Päpste von Petrus bis heute. Nach neueren Erkenntnissen soll es ja im 9. Jahrhundert eine als Mann verkleidete Päpstin namens Johanna gegeben haben, aber davon ist auf den Medaillons nichts zu sehen, und eine Päpstin wird man/frau sicher auch niemals in der Geschichtsschreibung der Kurie finden...
In der Abendsonne fahre ich mit vielen Mitpassagieren zurück in die Kernstadt.

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Meine mitreißenden Mitreisenden im Hotel sind alle ausgeruht und erfrischt.

Nach kurzer Pause ziehen wir los, (noch) nicht zum Essen, sondern zum Essen kaufen.
Wir wollen den Urlaub nicht verstreichen lassen, ohne wenigstens ein paar italienische Spezialitäten mit nach Germania zu bringen, so wie auch unsere germanischen Vorfahren von ihren Beutezügen leckere Sachen mit in die germanischen Urwälder brachten.

Wir erwerben in einem kleinen, aber gerammelt vollen Laden Parmaschinken, harte pikante Würstchen sowie Parmesan- und anderen Hartkäse.
Corina und Peter kaufen ähnliche Spezialitäten ein.
Zumindest bei uns hat es nicht lange gedauert, bis die Fressalien nach der Rückkehr aus Italien vertilgt waren!

Am Trevi-Brunnen werfen wir die obligatorischen Münzen und geloben, noch einmal nach Rom zu kommen.
Lange halten wir es am Brunnen nicht aus, es sind uns zu viele zum Teil recht laute Jugendliche dort, und wir wollen heute ja etwas früher essen, da wir am nächsten Morgen schon sehr früh zum Flughafen müssen .

Gegen 20.00 Uhr finden wir ein kleines Restaurant und bestellen uns wieder ein Menü.
Bei mir ist es wieder „Penne arrabiata“, das scharfe Nudelgericht, dazu gebratenes Hähnchen, Salat und Bier vom Faß´(„Bierra ala Spina“). Auch Peter mag diesmal lieber den Heimatgefühle weckenden Gerstensaft, während die Frauen bei Wein und Wasser bleiben.
Mittlerweile ist Bier auch ein verbreitetes Getränk in Italien, wie Deutsche Wein trinken und Pizza mögen, allerdings ist Wein vergleichsweise viel preiswerter.

Über Essen und Trinken läßt sich auch hier nicht klagen.
Bei einer von Tisch zu Tisch ziehenden ambulanten chinesischen Händlerin erwerben wir als Mitbringsel für unseren Kollegen Karl-Heinz ein kleines Feuerzeug in Gestalt einer winzigen Porzellantoilette, so etwas habe ich in unseren Breiten noch nicht gesehen...

Danach gibt es zum Abschluß nur ein Ziel: die Piazza Spagna mit der spanischen Treppe!

Dort waren wir am Ankunftstag zuerst gewesen, und so wird sich der Kreis schließen.
Der Platz wimmelt von Menschen, du kommst dir vor wie am Nabel der Welt, wenn du die Jugendlichen aus allen Ländern siehst!
Spanierinnen singen „Eviva Espagna“, Deutsche und Engländer trinken Dosenbier, Italiener fahren mit ihren Vespas um den Platz, und es herrscht mitten in der Nacht eine ausgelassene Karnevalsstimmung.

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Wir fast schon älteren Semester schauen bedächtig auf den oberen Stufen der Treppe (Vorsicht, rollende Bierdosen!) dem munteren Treiben der Jugend zu und genießen den Augenblick.
Der ganze Platz ist in warmes gelbes Licht getaucht, es ist ein südlicher Himmel, der über uns scheint.
Auch am Brunnen mit der weißen zerbrechlichen Barke pulsiert das Leben, der Maronenverkäufer preist seine Ware an, Japaner schlendern mit ihren Kameras vorbei, ebenso Teil der Szenerie wie die jungen Römer, die auch jetzt um diese Zeit noch Sonnenbrillen tragen.
Viva Roma, es war ein wunderschöner Urlaub!

Alles Schöne in diesem Leben hat ein Ende und nach unserem letzten Fußmarsch über die Höhen und Tiefen des Hügels Viminale („Klein - San Francisco“)sind wir dann doch froh, ins weiche Hotelbett sinken zu können.

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Donnerstag, 2. April

Arrividerci, Roma!

Heute ist schon unsere Rückreise.
Wir schaffen es tatsächlich, schon um vier Uhr morgens wach zu werden, eine halbe Stunde vor dem vereinbarten telefonischen Weckruf.
Christian ist nicht gerade begeistert von der unchristlichen Weckzeit.
Zum Glück haben wir gestern schon das meiste gepackt. Solche Situationen sind ja gut geeignet, um Familienkräche zu produzieren, wenn die große Hektik einsetzt.
Auch Corina und Peter sind als Reiseprofis schnell mit dem Packen fertig.
Wir wünschen dem Menschen an der Rezeption noch „bon giorno!“ und steigen dann schon in die riesige metallic glänzende Limousine vom Fabrikat eines Untertürkheimer Motorwagenherstellers ein.
Der Chaufeur in schwarzem Mantel mit gelbem Schal wirkt wie ein echter Italiener: stilvoll, seriös, Marke älterer südländischer Filmschauspieler.
Unsere Taxe ist wirklich groß genug: drei Sitzreihen und auch genug Platz für die Koffer.
Mit ein bißchen Smalltalk -schleppend wegen unserer Verschlafenheit - kutschiert der Herr der Limousine uns durch das erwachende Rom. Ein letztesmal blicken wir auf Ruinen, Monumente, alte Mietshäuser, Plätze, wuselnde Vesparoller, Kioskverkäufer.....

Um 6.00 Uhr sind wir plangemäß am Flughafen Leonardo da Vinci.
Jetzt können wir uns in aller Ruhe einchecken, vielleicht noch im Duty-free-shop einkaufen, ein bißchen frühstücken, ein bißchen bummeln...

Aber daraus wird nichts: der Schreck fährt uns in die Glieder!
Als Abflugzeit ist nämlich 7.05 Uhr angegeben, nicht 8.10 Uhr wie auf unserer Reisebestätigung vermerkt.
Das Reisebüro hat bei der Buchung anscheinend nicht die kurz vor der Reise erfolgte Umstellung auf die Sommerzeit bemerkt!
Es ist fast wie bei Jules Verne „In 80 Tagen um die Welt“, nur umgekehrt.
Aber wir schaffen es noch.
Es war gut, daß Peter drauf gedrungen hat, das Taxi für 5.30 Uhr und nicht erst für 6.00 Uhr zu bestellen, die Zeit hätte uns sonst gefehlt!

Es gibt keine Probleme beim Einchecken.
Wieder bewundern wir die orientalischen Kostüme der Stewardessen, wieder erhalten wir ein undefinierbares Sandwich, und wieder erfahren wir, wie weit es in jedem

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Augenblick nach Mekka ist. Waren es saudiarabische Potentaten, die ein Flugzeug mit drehbarem Sessel haben, so daß der Sessel sich immer nach Mekka dreht?!

Den Flug über die Alpen mit ihren noch verschneiten Gipfeln genießen wir.
Jetzt um diese Zeit hat gerade eine „Dienstbesprechung“ angefangen, die wir schwänzen können, sehr schön.....

Um 8.45 landen wir, nicht in Mekka, sondern in Frankfurt (so absurd wäre der Gedanke in den 70er Jahren gar nicht gewesen, denke man nur an die Flugzeugentführungen zurück..)

Wie bei jeder Reise mischen sich Erleichterung über die glückliche Landung, die Neugier auf Zuhause (war der Herd, das Licht, der Wasserhahn,... wirklich aus?), Wehmut (daß auch diese Reise jetzt Vergangenheit ) ist und der Abschied von unseren Reisegefährten (es hat wirklich Spaß gemacht, zusammen zu verreisen) zu einem Konglomerat widersprüchlicher Gefühle.

Aber wir waren ja beim Trevi - Brunnen und haben die Münzen vorschriftsgemäß mit der richtigen Hand rückwärts über die richtige Schulter geworfen.
Das heißt, eines Tages kehren wir nach Rom zurück.
Normalerweise glaube ich solche Sachen zwar nicht, aber das mit dem Trevi-Brunnen soll angeblich auch funktionieren, wenn man nicht dran glaubt.
Irma hat schon im Flugzeug gesagt, sie wolle gerne wieder nach Rom, so schnell hat das Brunnenwasser schon gewirkt...

Egal wann wir zurückkommen, laßt uns auf Rom anstoßen:
mit Vino Rosso, Martini, Grappa, Sambuca und allen anderen Heiligen der Cucina Italiana: Salute, Salute!

copyright 1998 Burkhard Heidkamp